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halten als mein höchstes Gut, stieß ich Dich von mir. Ehrlos und feige entzog ich mich dem Zauber Deines Liebreizes, Deiner HerzcnSgütc, und brach Dir die Treue!" Leichenblasse überzieht ihr Gesicht, finster, fast drohend hebt sie ihre Augen zu ihm empor. „Laß ruhen, sprich nicht davon, denn was vergangen, ist vergangen. Weshalb die alten Zeiten erwecken. Daü Geschehene wird nicht ungeschehen dadurch!" Ihre Stimme klingt kühl und frostig, wie EiS dringen die Worte ihm ins Herz hinein. Und doch, wie sehnt er sich nach einem einzige» warmen Blick. Aber sie steht vor ihm, ruhig und kalt, nnr mit dem Ausdruck geheimen Kummers auf dem immer noch schönen Gesicht, welches ihm einst als bnS holdseligste auf Erde» erschienen war. „Maria!" ruft er leidenschaftlich. „Du hast mich nie geliebt, sonst würdest Dn Mitleid mit mir haben!" „Doch, Gott, doch! — Ich habe Dich lieb gehabt, und werde Dein gedenken bis zu meinem letzten Stündlein . . . Aber gerade deshalb kann ich nicht anders sein, wie ich bin. Wie wäre es auch möglich! — Sie, sie! — Helene Berg scheidet mich ans ewig von Dir!" „Nenne ihren Namen nicht, Maria! Ich werde wahnsinnig, wenn ich denselben von Deinen reinen. Lippen aussprechen höre. Herr des Himmels, sic war der Dämon"— der Finch meines Da seins. Die Liebe ist das höchste Glück des Menschen, sic erfüllt das Herz mit Wonne und Seligkeit, aber die Leidenschaft erzeugt Jammer, Verzweiflung und Todesqual. Und solch ein jäher Rausch der Leidenschaft für ein unseliges Weib erfaßte auch mich. Ich, der sittenstrenge Pädagoge, dem die Gesetze der Ehre, der Moral als das Höchste ans Erden galten, ich stand mit einem Male unter dem Banne einer anderen Welt. Ich kannte wenig Frauen außer Dir und der Mutter und glaubte, waö ich sah und hörte, ich glaubte auch ihr. Sic war das berückendste Weib, nnd die Grazie, der Liebreiz ihres Wesens, sowie ihre bezaubernde Stimme riß alle Welt zur Bewunderung, zum Entzücken hin. Tansende janchzten ihr zu, wenn sic die Bühne betrat, und Tausende folgten ihren Schritten, wo sie sich nur sehen ließ. Auch mich erfaßte der Taumel der Begeisterung für die gefeierte Sängerin. — Das Kokette, Zweideutige ihres Wesens durchschaute ich nicht, denn ich war kein durch Erfahrung gereifter Mann. Ahnungslos, ohne Widerstand, wie ein Verblendeter, fiel ich in ihre schlau für mich ausgcspanntcu Netze nnd zugleich in einen Rausch der glühendsten Leidenschaft, der mich Alles vergessen ließ. Ich war wie ein Trunkener, der den Halt verloren hat, und sinn- nnd willenlos dem Abgrund zn- tanmelt! — Kaum wurde ich angcstcllt, so wurde Helene mein Weib, und eine Zeit lang glaubte ich glücklich zu sein. Doch die Tage kamen nnd gingen und wie sie verflogen, so raubten sic mir allmälig die Achtung, das Vertrauen und die Liebe für das ver götterte Weib, dem ich Alles geopfert. Der leichte Sinn, die Ober flächlichkeit ihres Wesens, sowie eine grenzenlose Gefallsucht und Koketterie machten cS ihr zur Unmöglichkeit, die Pflichten einer Hausfrau zu erfüllen, und trieben sie zu unüberlegten, tollen Hand lungen. Vergebens suchte ich meinen Einfluß geltend zu machen — sic lachte darüber nnd nannte mich einen steifen, langweiligen Pedanten, der ihr jeden Lebensgenuß mißgönne. — Nnr ein Jahr hat diese über alle Begriffe unglückliche Ehe gedauert — ein kurzes Jahr, aber reich au Kämpfen, Kummer und Herzeleid. Der Zauber, der mich einst berückt und zu Helenes Füßen gezwungen, fiel wie ein Schleier von meinen Augen und Verzweiflung lind Jammer packte mein Herz. — Aber ich darf mich nicht beklagen, mir geschah nnr, wie ich verdient. — Und Gott ist gerecht! — So sagtest ja auch Dil vorhin!" Maria wirft einen raschen Blick auf seine eingefallenen Wangen, auf die fieberhaft glänzende» Augen und ans sein graues Haar. Was hatten zehn Jahre des Kummers, der Verzweiflung aus dem Jugendfreunde gemacht, den sie in blühender, männlicher Schönheit gekannt nnd geliebt. „Rege Dich nicht mehr darüber ans, Georg!" Ihre Stimme klingt halb erstickt. „Du hast viel gelitten, eS ist wahr; aber manch Menscheuherz muß noch Schwereres ertragen. — Und sie, die Dich so unglücklich machte, kann Dich nicht mehr kränken. — Gott hat sie schon lange gerichtet!" Er fährt jäh empor. „Sv weißt Du Alles, auch dies. Ja, sie ist dahiu. Helene starb unverhofft nnd ich — ich bin frei, erlöst von tausendfacher Pein!" — Er lacht kurz und höhnisch auf. Dan» fügte er schnci- dc»d hinzu: „Aber deimvch finde ich keinen Lichtstrahl mehr, der mein verfehltes Leben erhellt. Die Jahre rotten dahin I mit bleierner Schwere nnd trostlos, öde, ohne Freude verschwimmt mein Dasein mit der verrinnenden Zeit. Meine Bücher sind meine einzigen Gefährten, meine besten Freunde." Er v.»suchte, ihre Hand zu erfassen, aber mit einer schnellen Bcwegiing weicht sie seiner Berührung aus. Dann sagt sic schein bar gleichmüthig: „Wir scheiden versöhnt von einander, denn Reue entsühnt. Und nun laß uns nicht weiter davon reden. Wenn Dich meine Verzeihung beglücken kann, so vergebe ich Dir von ganzem Herzen. Sollte ich jemals davon hören, daß Du Friesen wieder- gesunden, so wird cS mir eine Freude sei». Aber jetzt muß ich sort, es ist spät, und das Hans der Diakonissen, in dem ich seit dem Tode der Mutter eimm mich befriedigenden Wirkungskreis fand, wird um zehn Uhr geschlossen. — Und nun behüte Dich Gott, Georg! — Wo Du auch weilst, mein Andenken an Dich soll ein stillcö Gebet für Dich werden!" Er sieht ihr mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Weh- mnth und Trauer iu das ernste, stille Gesicht. „Ich danke Dir, Maria!" spricht er leise; „ich danke Dir aus vollstem Herzen! Und wenn Dn eö wünschest, gehe ich auch! Leb' wohl, leb' wohl für immerdarl" Wieder reicht er ihr die Rechte hin, nnd diesmal legt sie schüchtern ihre Fingerspitzen hinein. Dann schickt sic sich stumm zum Gehe» an. Aber «ach einigen Schritten bleibt sie wieder stehen nnd wendet das Haupt. „Roch ein letztes Wort, Georg," sagt sic beklommen. „Dn wirst das Grab der Mutter sehe» wollen, ehe Du scheidest. Begleite mich, ich führe Dich dahin!" Bei den Ruhestätten der Eltern angelaugt, beugt sich Maria über den Grabhügel der Mutter. Zwischen den beiden Gräbern liegt Georg auf den Knien. Die hohe, schmächtige Gestalt ist znsammcngcsnnken, wie vernichtet von tiefster Traurigkeit. Krampfhaftes Schluchzen erschüttert ihn, unaufhaltsam strömen die Thräncn über die Hagern Wangen. Da legt sich leicht eine zarte Hand ans seine Schulter. Maria hat sich zu ihm herabgeneigt. Ihr Herz ist von Mitleid über mannt, nnd mit weicher, vor Wehmnth bebender Stimme sagt sic: „Höre mich an, Georg. Wenn etwas Dich trösten kann, so mnß eS die Gewißheit sein, daß die Mutter bis zum letzten Augenblicke Deiner in Liebe nnd Vergebung gedachte. Darum beruhige Dich. Es hat wohl Alles so kommen sollen und . . ." fügte sie zögernd, fast schüchtern hinzu, „und cs wäre uurccht. wenn wir Zwei, die Niemand weiter haben auf der weiten GotteSwclt, niiS noch länger mit bitter» Erinnerungen und schwerem Kummer quälen wollten, bis wir vor Jammer und Herzeleid in die Grube sichren. Da, Georg, ich reiche Dir meine Hand, wenn Du cs gern sichst, will ich Deine Schwester, Deine Freundin sein." Und nnn streckt sic ihm sreundlich beide Hände entgegen. Er faßt sic mit leidenschaftlicher Gewalt nnd erwidert mit pickenden Lippen: ,,Ob ich es will. Maria? tausendmal! Aber ich darf nicht! Nein, ich kann kein Opfer von Dir annchmen. Nur Deine Herzensgüte, Deine Versöhnlichkeit läßt Dich so sprechen. Aber das Gefühl, nnr aus Mitleid in Deiner Nähe geduldet zu sein, würde mich niemals verlassen, und lieber will ich Zeitlebens einsam nnd unglücklich bleiben, als ein bcdaucrnSwerthcr Schwäch ling in Deinen Angen sein. Nein, Maria, ich mnß mein Schicksal als Mann tragen, und dennoch — nun ich Dich wiedcrgcsehen, ganz eben so lieb und gut wie ehemals, da wird cS mir doppelt schwer." Mit matter, zitternder Hand greift er nach seinem Hnt nnd wankt davon. Doch Maria will ihm nach. „Georg," schluchzt sie auf. „Georg, bleibe bei mir, trenne Dich nicht zum zweiten Male von mir. Einst gelobte ich Dir Liebe und Treue bis über den Tod hinaus; nud was ich Dir biete, ist nicht Mitleid, sondern Liebe, mit Treue gepaart." Kaum seiner Sinne mächtig, starrt Georg auf das zitternde Mädchen, dessen Wangen in Pnrpnr glühen. Er faßt ihre Hände nnd drückt sic frcildcjanchzend an seine Augen, an sein Herz. Dann hebt sie langsam die Wimpern imd Beider Blicke begegnen sich in alter, unvergessener Liebe. Nun ist Attes verziehen, vergessen. Alles! Der dornige Weg ist zu Ende, nnd die Herzen, welche ein migünstigcs Schicksal trennte, erhoben sich unter dem Alles überwältigenden GlückSgesühl. Aufs tiefste erschüttert, sinkt Georg dem leise weinenden Mädchen zu Füßen nnd vergräbt seinen Kopf in ihrem Gewand. Und durch die stille mondhelle Nacht zieht ein melodisches Klingen, als wenn Aeolsharfen in den Bäumen hängen. Es sind die Glocken der heiligen Christnacht, die nochmals ihre ehernen Stimmen ertönen lassen über Stadt nnd Land.