— 18 In keinem Land der Welt wird die Gelehrsamkeit so hoch und so allgemein geschätzt, wie in China. Sie gilt dem Armen und Geringen als das erstrebenswerteste Ideal so gut wie dem Reichen und Hohen. Es verlohnt sich wohl, in Kürze einen Blick auf den Weg zu dieser Bildung, aus die Zeichenschrift, zu werfen. Die Chinesen haben keine Buchstaben oder Lautzeichen; ihre Schrist malt den Ge danken, den Begriff, ähnlich wie die Hieroglyphen der Aegypter. Die heutigen Zeichen sind aus solchen Bildern abgeschliffene Bezeichnungen für die Gegenstände, z. B. schreibt man für Sonne, Mond, Berg, Baum, Mensch, Hund u. s. w. je ein entsprechendes Zeichen. Andere Begriffe werden durch Zu sammenstellung von Zeichen gebildet; z. B. zweimal das Zeichen „Baum" bedeutet „Wald". Auch was sich der An schauung entzieht, wird doch irgendwie versinnbildlicht. So bedeutet das Zeichen „Dach" und darunter das Zeichen „Frau": Friede, Ruhe; sind aber zwei Frauen unter einem Dach, so bedeutet es: Unfriede, Zank. Die Zahl der Zeichen beträgt über 43,000; bei den wenigsten läßt sich verstandesmäßig eine Ableitung erkennen. Ter Chinese gicbt sich hierüber auch keine Rechenschaft, er prägt sich einfach ans dem rein mechanischen Weg des Auswendiglernens die Zeichen ein. Um das Neue Testament lesen zu können, muß man minde stens 3000 bis 4000 solcher Zeichen inne haben. Die große Bedeutung dieser Schrift liegt nun aber darin, daß sie durch ganz China dieselbe ist, während in jeder der 18 Provinzen des Reichs wieder verschiedene Mundarten und Sprachen gesprochen werden. So kann also ein Chinese mit einem gewissen Gedächtnisvorrat an Zeichen sich überall unter seinen Landsleuten verständlich machen, auch wenn sein Mund deren Sprache nicht sprechen und sein Ohr sie nicht verstehen kann: er schreibt seine Zeichen aufs Papier oder in die flache Hand und findet dann immer solche, die die Bedeutung des Niedergeschriebencn verstehen. Aber freilich, an dieser Zeichen schrift muß eiuer sein Leben lang lernen und hat doch nie ausgelernt. Es gehört schon ein Bedeutendes dazu, auch nur eineu einfachen Brief der Freude oder Teilnahme an Ver wandte schreiben oder gar eine Eingabe an Höhergestellte