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.ticntcn imponiren er gelesen hatte, ans. „Gute Geschäfte?" fragte er. „Ich danke", erwiderte Emanuel achselzuckend, „einstweilen ist Geduld noch die Hauptsache." „Man must die Leute aus ihr Recht aufmerksam machen", sagte der Naturarzt in salbungsvollem Tone, „die meisten Menschen kennen die Gesetze nicht, erst wenn man sie ihnen erklärt, ihnen die Augen öffnet, erkennen sie, was sie durch einen kleinen Prozess gewinnen können." „Ich bestrebe mich redlich, die Kenntuiß der Gesetze zu verbreiten", spottete Emanuel, aber leider habe ich fast immer mit Leuten zu schaffen, die nichts besitzen, ich muß mich ge dulden, bis ich vermögende Klienten gewinne. Und Du? Bist Du zufrieden?" „Sehr!" nickte der alte Herr. „Wenn meine studirten Kollegen mich in Ruhe ließen, hätte ich Alles, was ich nur wünschen kann. Der Brodncid dieser Ignoranten und Kur pfuscher ergötzt mich, aber er macht mir doch manche böse Stunde. Wer sind diese Leute? Was haben sie vor mir voraus? Sie haben in einer Uuivcrsitätstadt einige Jahre lang auf den Bierbäuken gesessen, während ich wirklich den Organismus des menschlichen Körpers und die Heilkräfte der Pflanzenwelt studirte und rastlos arbeitete. Sic berufen sich nun auf ihr Examen, das ich jeden Tag mit Eleganz bestehen will! Diese Nachtwächter! Keiner von ihnen gönnt dem Andern die Butter auf dem Brode, wie die Maden im Käse möchten sie gegenseitig sich auffrcsscn. Habe da wieder einen eklatanten Beweis von ihrer Unwissenheit. Ein Kind erkrankt, hat Schmerzen im rechten Beinchen, die Eltern bringen es mir, ich konstatire Llordu.? idonmntious, verordne Salbe zum Ein reiben und meine Kräutermixtur zur Alutreinigung. Schinz, die Schmerzen lassen nach, das Kind ist nach einigen Wochen vollständig genesen, aber es hinkt. Natürlich! Llordus rlum- matieus verkürzt die Muskeln und Sehnen, man must Geduld haben, fleißiges Einreibcn mit meiner Salbe wird im Laufe der Zeit den Uebclstand beseitigen. Wie gesagt, ich hatte das Kind mit Eleganz kurirt! Nun aber kommt solch' ein studirter Nachtwächter lind behauptet, das Beinchen sei gebrochen ge wesen, von Rheumatismus keine Spur, ich habe das Kind . „Und einen besseren Nath kann Ihnen ein Advokat für ' den Thaler, den Sie ihm zahlen müssen, auch nicht geben", fuhr der Rechtskonsulent fort, während er seinem Klienten die Hand zum Abschied bot, „das Gesetz ist freilich eine Gummi schlinge, die inan nach Belieben eng oder weit machen kann, aber wo keine Beweise sind, ist eine Klage aussichtslos. Schassen Sic Beweise, und Sie sollen sehen, was ich leisten kann! Es wäre auch für mich eine Gcnnglhuung, dem Manne, der mich so tief beleidigt hat, die Schlinge um den Hals werfen zu können." „Das weiß ich und deshalb komme ich zu Ihnen", nickte Greiner, er hat auch mich tief beleidigt, nicht durch die Ent lastung allein, es liegen noch andere Gründe vor, auf die mein Groll gegen ihn sich stützt. Ich glaube. Sie werden mich heule Abend zwischen sieben und acht Uhr Wiedersehen, bis dahin Adieu!" „Leben Sie wohl!" sagte Emanuel Lammschuh mit einer leichten Verneigung, und nachdem er die Hausthür hinter seinem Klienten geschlossen hatte, ging er in das Studierzimmer seines Vaters. Der „Naturarzt und Leilgymnastikcr" saß vor seinem großen Schreibtisch, der mit Phiolen, Büchsen und Schachteln, mit Mcdumflaschcn, einem Todtcnschädcl und anderen mensch lichen Gebeinen, mit Broschüren, Zeitschriften und alten Büchern beladen war. es, seine Entschädigu»gSklage zu vertreten. Was tst dabei herausgckommcn? Nur Grobheiten und Beleidigungen, die Weinhold mir ins Gesicht warf, und für die ich ihn nicht belangen konnte, weil sie unter vier Augen geschahen. Zu einem Prozeß konnte der Vater Schlumbcrgcr's sich nicht entschließen, so blieb die Sache liegen, und ich hatte meine Niederlage." „Die Entlastung Schlumbcrgcr's war begründet", erwiderte Greiner, „der Bursche zeichnete sich aus durch Nachlässigkeit und Faulheit —" „So behauptete Weinhold, aber ich glaube ihm nicht. Heinrich Schlumdcrgcr ist seitdem Famulus meines Vaters, ich finde also Gelegenheit genug, ihn zu beobachten und ich kann ihm nur das Zeuguiß eines fleißigen und strebsamen Jüng lings geben. Aber wir wolle» darüber nicht streiten", fuhr Emanuel Lammschuh fort, während er mit einem Fcdcrmcstcr seine Fingernägel beschnitt, „haben Sie keine besseren Beweise, als nur den mündlichen Vertrag, so wird nichts zu machen sei». Anders läge» die Dinge, wenn Sie im Besitz von Ge heimnissen, natürlich Geschäftsgeheimnissen wären, deren Ent hüllung Ihrem Prinzipal gefährlich werden könnte! In diesem Falle würde ich sofort bereit sein, die Klage anhängig zu machen, und Sie dürfen sich überzeugt hallen, daß ich als dann noch mehr für Sie herausprcsse, als ein hlabjählicheö Gehalt." „Geschäftögeheimniffc?" murmelte Greiner, nachdenklich vor sich hmstarrcnd. „Wenn sie vorhanden sind, so dürften sie nur in der kleinen Mappe zu suchen sein, die ln seinem Pulte liegt." Die lauernden Augen des Rechtskonsulenten ruhten unver wandt mif deni blonden Haupte des Buchhalters. „Also werden Sie diese Geheimnisse nicht erforschen können!" warf Lammschuh ei». „Die Mappe ist allerdings verschlossen, aber das Schloß ! kann leicht geöffnet werden." „Wahrscheinlich ein Schloß wie dieses?" sagte der I Rechtskonsulent, auf die Schrcibmappc deutend, die auf dem Tische lag. „Jawohl, dieselbe Mappe und dasselbe Schloß!" nickte l Greiner. „Und das Pult meines Prinzipals kann ich mit I meinem eigenen Pultlchlüstel öffnen, ich müßte die Mappe I Abends mitnchmcn und an, nächsten Morgen in aller Frühe I wieder hinbringen. Weinhold verläßt in der Regel schon Nach- I mittags das Geschäft, vor dem nächsten Vormittag sehen wir ihn dann nicht wieder, er fühlt sich in der Kneipe wohler als in» eigenen Hause." „So, so!" sagte Emanuel Lammschuh, mit beiden Händen durch sein borstiges Haar fahrend, „na, ich gebe Ihnen keinen Naty, Sie sollen später mir nicht vorwerfen können, daß ich Sie verführt habe. Sie müssen selbst misten, was Sie thun wollen, auf meine Verschwiegenheit dürfen Sie in jedem Falle vertrauen. Wenn Sie mir Papiere brmgen, so will ich nicht wissen, wie Sie in dcn"Bcsitz derselben gekommen sind, aber ich bin bereit, sic durchzuschen und zu prüfen, und ich glaube, daß ich dies bester kann als Sie. Finden wir ein Dokument, aus dein eine Waste für Sie geschmiedet werden kann, so wollen ivir weiter bcrathen, im andern Falle ist nichts zu machen. Wann treten Sie aus?" „Anfangs nächster Woche", antwortete Greiner, aus seinem Brüten auffahrend, „was geschehen soll, das muß bald, am besten heute noch geschehen. Werde ich Sie heute Abend zu l Hause treffen?" „Jedenfalls". „Dann will ich auch nun ihre Zeit nicht länger in An- I spruch nehmen", sagte der Buchhalter sich erhebend, „soll ich das Honorar Ihnen sofort zahlen?" „Zehn Groschen", erwiderte Lammschuh mit einem Grinsen, das seine schwarzen, häßlichen Zähne sehen ließ, „sofortige Zahlung ist bei mir Geschäftsgebrauch, sie muß auch dem Klienten angenehm sein, er braucht sich später nicht über eine große .Kostenrechnung zu ärgern. Ich thu'S billig", fuhr er fort, indem er das Geld eiusteckte, das Greiner ihm über reichte, „mein Prinzip ist es nicht, meine Klienten bis auf den letzten Blutstropfen nuszusaugen, das überlaste ich den Herren Advokaten, sie müssen ja das Kapital, das sie ihren Eltern gekostet haben, so hoch wie möglich zu verzinsen suchen." Ein höhnisches Lachen, in das Greiner einslimmte, be gleitete die letzten Worte. l Sebastian Lammfchuh war ein ziemlich großer, hagerer Mann, seinen glänzenden Schädel umrahmte das ergraute Haar nur noch mit einem dünnen Kranze, in dein langen braunen Vollbart hingegen, der auf die Brust hinuutcrwälltc, zeigten sich nur vereinzelt einige Silbersäden. Die aus ihren Höhlen hcrvortretenden Glotzaugen hatten einen stieren Blick, die Stasi war stumpf und klobig, die große Hornbrille mit den runden Gläsern verlieh dem unschönen Gesicht etwas Eulenartiges. Er trug einen altmodischen Nock mit kurzer Taille und langen Schöße» und eine weiße Halsbinde, und in seiner Rede weise, wie in se'mcn Bewegungen und seinem ganzen Wesen lag ein würdevolles Sclbstbcwußtsc n, das jedem Patienten impouiren und Vertrauen einflößcn mußte. Beim Eintritt seines Sohnes blickte der alte Herr von der medizinischen Zeitschrift, tn der