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Dieser Roma» beginnt am S. Jannar 1888 km Fenilleton der „Bevliner Abendpost." Der Uebel -Mes ist die Schuld. Roman von Ewald Anglist König. >1 Nachdruck verboten. I. An einem sonnigen Oktobertage, die Glocken läuteten eben »i Mittag, verlieb der Rechtskonsulent Emanuel Lammschuh vaü Gerichtsgcbäudc, um den Heimweg anzutrcten. Er war noch ping, der Herr Rechtskonsulent öder „Winkeladvokat", wie manche Leute ihn mit verächtlichem Achselzucken nannten, etwa dreißig Jahre mochte er zählen, cm kurzgcschorcncr brauner Äollbart umrahmte das magere, eckige Gesicht, auf der unverhältnißmäßig laugen Nase thronte ein verrosteter Stahlknciscr, hinter dessen Gläsern dic halbgcschlosscnen Augen mit stechendem Blick lauerten, wie Tigcraugen, die bknt- lcchzend auf ihr Opfer warten. Sein Anzug war modern, aber unsauber und von grobem Tuch, man sah ihm an, bah Emanuel Lammschuh sich in einem Magazin fertiger Herrcngardcrobc kleiden lies, und nur das Billigste wählte, unsauber und abgetragen waren auch sein fctt- glänzender Cylinderhut und seine fuchsigen Stiefel, sogar das Aktcnbimdel, das er unter dem Arme hielt. Seine Wohnung halte er bald erreicht: sie lag in der Nähe des Justizgcbäudeö in einer engen, sehr belebten ^Straße. Das Haus war alt uud niedrig, aber keineswegs verwahrlost, mit seinem frischen, hellgrauen Anstrich machte cs cincn freund lichen Eindruck. Zwei Porzellanplättchcu befanden sich auf der dunklen Hausthür, das größere trug die Aufschrift: „Sebastian Lammschuh, Nnturarzt und Heilgymnastiken", — das kleinere: „Emanuel Lnmmschuh, Rechtskonsulent", und unter dem Namen seines Vaters Sebastian las der Rechtskonsulent nun das mit Bleistift geschriebene Wort: „Schafskopf." In seinen Augen blitzte cs zornig auf, er fuhr hastig mit seinem spitzen, knochigen Zeigefinger an die Lippen nnd dann über das Wort, nur ein schwarzer Strich vcrricth noch die Stelle, auf der es gestanden hatte, eine Verwünschung über „dumme Jungen" und „boshafte Ignoranten" vor sich hin- murmclnd, trat er in das Haus. Ein »och sehr junges, ärmlich aber sauber gekleidetes Dienstmädchen, aus dessen großen, blauen Augen der Hunger deutlich sprach, kam ihm entgegen. „Waschen Sie draußen das Schild ab, Friederike", knurrte er, „Sic müssen besser aufpnsjcn, erwischen Sie einmal einen Lausbuben, der das Haus beschmutzt, so halten Sic ihn fest, bis ich komme." Vier Thürcn mündeten auf den ziemlich breiten Hausflur, links lagen Studier- und Wohnzimmer des Naturarztcs, rechts Bureau uud Privatkabinct des Rechtskonsulenten. Das Bureau war ein schmaler, niedriger Naum, dessen größere Hälfte von dem Schreibpult in Anspruch genommen wurde, die andere Hälfte enthielt nur zwei alte Stühle uud cincn kleinen Ofen, an den höchst schmutzigen Wänden hingen ringsum schmale Gestelle, auf denen staubbedeckte Aktenstöße und Bücher lagen. Vor dem Pult stand der Schreiber Lammschuh'ö, ein noch sehr junger Herr mit lockigem Haar, dessen Oberlippe ein dünnes schwarzes Schnurrbärtchcn schmückte; seine hohlen Wangen nnd seine schäbige Kleidung ließen deutlich erkennen, daß er für seine Dienste nur geringen Lohn empfing. Ein anderer, etwas älterer Herr saß im Hintergründe auf einem Stuhl uud spielte mit seinem dünnen Spazicrstöckchcn; bcim Eintritt des Rechtskonsulenten erhob er sich; er war klein uud hager, eine unscheinbare Gestalt mit bartlosem Gesicht und rothblondcm Haar, aber sehr sorgfältig nach der neuesten Mode gekleidet. „Sogleich, mein Herr!" sagte Emanuel Lammschuh, während er an die andere Seile des Pultes sciuem Schreiber gegenüber trat und diesem sein Aktcnbiindel überreichte. „Der Prozeß ist brillant gewonnen, Herr Greis, ich sagte cs ja voraus, Recht muß Recht bleiben! Sie finden den UrtheilSspruch in den Akten, thcilcn Sie ihn unserem Klienten mit, der leider pcrsön- 'ich nicht anwesend war. Die Gepenpartei wird wahrscheinlich opponircn, schadet nichts, wir müssen auch in der letzten Jn- A-sn- gewinnen! Nichts Neues?" „Nein, Herr Doktor, heute Morgen nicht", antwortete der Schreiber, der bereits geschäftig in den Akten blätterte, „aber hier ist em Herr, der Sic zu konsnltircn wünscht." Der lauernde Blick des Rechtskonsulenten schweifte über die Pultskächc und an den Wänden entlang, dann blicv er auf dem blassen, etwas verlebten Gesicht des elegant gekleideten Herrn ruhen. „Ihr wertster Name?" fragte Emanuel Laminschuh, und der Ton, den er jetzt anschlug, verrieth die Ungeduld eines vielbeschäftigten Mannes. „Gustav Greiner", lautete die Antwort. „Ich glaube, Sic werden sich meiner noch erinnern, .Herr Doktor, ich bin Buchhalter im Hause des Herrn Rudolf Weinhold —" „Schickt Herr Weinhold Sie zu mir?" „Nein, im Gcgeutheil, ich komme in meiner eigenen An gelegenheit zu Ihnen." „Das ist etwas Andres!" sagte der Rechtskonsulent, indem er die Thür öffnete, die das Bureau mit dem Privatkabinct verband, „bitte, treten Sie ein und nehmen Sie Platz." Das Privatkabinct hätte richtiger Wohnstube genannt wer den können, denn es entstielt außer einem startgepolsterten und mit schwarzem Lcdcrlucb überzogenen Sopha, einem runden Tisch und einigen Stühlen nichts, als einen kleinen Bücher schrank. Ans dcm Tisch lagen Akten nnd Zeitungen, aller dings auch eine Schreibmavpe mit den uöthigcn, dazu ge hörigen Materialien, au dcn Wänden hingen außer einem kleinen Spiegel nur das lithograpstirtc Porträt des Landcs- fürstcn in einem einfachen schwarzen Rahmen. „Und nun, womit kann ich dienen?" fragte Emanuel Lamm schuh, nachdem sein Klient sich niedergelassen hatte. „Ich bin olmc Grnnd entlassen worden", erwiderte Greiner, mit der Hand über sein rothblondcs Haar fahrend, das nur »och spärlich seine» Scheitel bedeckte, „jedwede Entschädigung wird mir verweigert, nun möchte ich Sic fragen, kann ich auf gerichtlichem Wege eine solche beanspruchen?" Der Rechtskonsulent hatte seinen Kneifer von der Nase ge nommen, er reinigte mit seinem bunlgewürfeltcn baumwolleucn Taschentuch die Gläser. „Haben Sic eine» schriftlichen Vertrag mitJhrcmPrinzipal?" fragte er. „Nur einen mündlichem" „Und welchen Grund hat er für die Entlassung ange geben?" „Unliebsame Gerüchte, die über sein Geschäft in Umlauf sind", sagte Greiner achselzuckend, „cr behauptet, ich habe sie verbreitet." „Haben Sie das wirklich gcthan?" Greiner schlug vor dcm stechenden Blick die Augen nieder' so ganz schuldlos schien er sich nicht zu fühlen. „Es ist nur ein Vorwand", sagte cr, „Herr Weinhold mag wohl fürchten, daß ich ihm in seinem Prozeß mit dcm Kaufmann Berthold Erhard zu tief in die Karten geschaut habe, deshalb will cr mich aus sciuem Hause entfernen." „Der Prozeß wird ja morgen beendet sein", versetzte der Ncchtskonsulcnt, während cr dcn Kneifer wieder auf die lange Nase klemmte, „wie ich höre, will Weinhold den ihm zugc- schobcncn Eid schwören, ist cs nicht so?" „Ja wohl." „Beziehen sich darauf jene unliebsamen Gerüchte?" „Nein, sie besagen nur im Allgemeinen, daß Weinhold in letzter Zeit viele Verluste gehabt uud sich dem Trunk ergeben habe» soll." „Ist das Wahrheit?" „Ich kan» es nicht bestreiten", erwiderte Greiner achsel zuckend, und ei» häßliches Lächeln umspielte dabei seine schmalen Lippe», „aber Herr Weinhold wird mir nicht beweisen können, daß ich diese Gerüchte verbreitet habe. Wolle» Sie die Klage für mich übernehme»? Ich fordere mein Gehalt für sechs Monate, eine scchsmonallichc Kündigungsfrist statten wir vereinbart." „Aber nur mündlich!" „Herr Weinhold wird es nicht leugnen können —" „Mein bester Herr, mit Ihrem Herrn Weinhold mag ich mich auf gütliche Unterhandlungen nicht einlasscn", sagte der Rechtskonsulent mit scharfer Betonung, „ich habe in diesem Punkte Erfahrungen gemacht, die mir genügen. Als der Herr vor einiger Zeit seinen Lehrling Heinrich Schlumberger fort- jagte, kam dieser junge Mann auch zu mir, und ich übernahm