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35 dcm Tode meiner Eltern, welche rasch hinter einander an der Cholera wcgstarben, Herr Wertheim sich meiner gütig annahm, Kostgeld für mich zahlte, mir Unterricht crthcilen lieh, überhaupt sür mich sorgte, bis ich im Stande war, die fleißig erworbenen Fertigkeiten zn vcr- wcrthen nnd mich selber zn ernähren. Von dicscrZeit ab komme ich aber immer noch wöchent lich zweimal in daS Hans, nm zu nähen, Kleider zii fertigen nnd mich nützlich zu machen, wo ich kann; ich darf nicht fehlen, wenn sie Ge sellschaft haben, kurz, ich bin „lieb Kind" im Hause; der alte Nath fragt mich oft nm meine Meinung in Dingen, von welchen ich gar nichts verstehe. Die gute Frau Wertheim be hauptet, sic könne nicht auskommcn ohne mich, und Livia's innigste Vertraute biu ich von Jnacnd auf gewesen. Erst ganz in neuester Zeit ist sie auf einmal sonderbar verändert, zurück haltend geworden, bis ich sic chrlich znr Rcdc stelltc, da brach das EiS und sic gestand —" „Aha!" sagte der Maler pfiffig, „ich sehe schon, wo cS hinaus will!" „Schwerlich," entgegnete Minni, „höre nur weiter. Es war mir überhaupt anfgefallcu, dass in den letzten Wochen das Werthcim'sche Hans eine andere Physiognomie angenommen hatte, als vorher. Der alle Herr war häufig unwirsch, seine sonst rcdelustigeFrau schweigsam, die Tochter schwermüthig nnd einsiedlerisch ge worden; sic sag cntwcder viclc Stnndcn lang auf ihrem Zimmer und fchricb, waöNicmand zu lesen bekam, oder lief, von seltsamer Unruhe getrieben, tagsüber mehrmals fort, kein Mensch wufite, wohin, um in einer Aufregung wieder zu kommen, welche Jedermann anffallen musste. Alles das bemerkte ich gar wohl, that aber nicht dergleichen, denn ich wusste, daß sie mir kommen würden, ohne mein Zuthun, und so ' ist cs anch richtig geschehcn." „Und ich wcrdc doch Rccht habcn," mciute AlfonS. „Viclleicht — aber kein Mensch auf der Welt würde crrathcn, was da vorgcgangcu ist. Heute früh war ich dort, nm eine Robe für Frau Wertheim abzulicferu; die gute Dame ivar in fchr gedrückter Stimmung, hatte roth- gcwciutc Augen und ließ meinem spitzcngaruirten Meisterstück dnrcbans nicht die gewohnte Be wunderung zn Theil werden. Da trat ihr Herr Gemahl herein, auf gebracht, die Brille hoch auf der Stirn, fo hastig, als fein behäbiges Bäuchlein ihm er laubte. Anfangs bemerkte cr mich garnicht. Das hat man davon! rief cr, vcrzogc» ist das Geschöpf, verhätschelt worden, darum eigensinnig, obstinat, starrköpfig, stößt ihr Glück mit F"ficu weg, wenn nur nicht zweierlei Tnch im Spicle ist! Da sollte ja gleich das ficdcndheifst, liebe Einmaleins dazwischcn- fahrcn! Aber lieber Mann, begütigte die Gatlin, tobe nur nicht so, hier ist Miuchcn. Meinetwegen Minchcn oder Linchen oder Trinchen, daö ist Alles gehauen wie gestochen, Eine wie die Andere. Selbst diese da, dabei stellte er sich mit eingcstcmmten Armen vor mir auf, sclbst dicfc da "hört nicht und folgt nicht, vergafft sich in einen hungerleidigen Maler, trotzdem ihre besten väterlichen Freunde sie hundertmal gewarnt, ihr gesagt haben, das; die Farbcnklcpcrci eine brodlose Kunst und sic — des sei, wenn sie sich nicht besinne; heda, was sagt man dazu, Sic —" „Ei, dcu alten Grobian soll ja —", drohte Alfons. „Still, cs war nicht so bös' gemeint. Natürlich nahm ich Dick; in Schutz und benutzte die Gelegenheit, anzufragen, ob der liebe, gute, väterliche Freund nicht etwas für uns thun wove! Da kam ich aber schön an, fuchswild wurden der Herr Nath und fchwnrcn hoch und thcucr, sic würden ihre hochmögendc Hand bald von mir abziehen, wenn ich" mir nicht dcn Lcinwandvcrdcrbcr auS dem Kopfe schlüge." „Thu' es," murmelte der Künstler, „cö wäre vielleicht das Beste." „Sei kein Närrchen und vernimm die Ent wickelung. Nachdem der brave Manu sich anö- aetobt und die Brille wieder herabgeschobcn hatte, trat er plötzlich dicht vor mich. Minni, sagte er, Du gehst nun seit zwanzig Jahren bei mir auö und ein, Du bist mir vielleicht einige» Dank schuldig, den ich nie von Dir verlangt habe, aber vielleicht kannst Du jetzt doch ihn mit einem Male ab- tragcn nnd darüber hinaus. Gebieten Sic ganz über mich, Herr Wertheim, sagtc ich. Sie wissen, daß ich Alles für Sie zu lhnn im Staude bin, anfier Eines (nämlich von Dir lassen, AlfonS!) Gut, erwiderte er, höre mich an. Ich weiß, das; Du über meine Tochter viel vermagst, mehr als ihre Eltern; nun wohlan: wenn Du cs dahin bringst, das; Livia dic Brant und dic Frau meines Neffen Egon wird, so schenke ich Dir zweitausend, nein vier-, »ein sechstausend Mark, so wahr ich ei» ehrlicher Ma»» vin! Damit drehte cr sich rasch nm nnd fuhr znr Thür hinaus. Ehe ich mich noch rccht be- sonncn hatte, fühlte ich mich von der Fran Rath umarmt, die mir mit strömenden Thräncn in's Ohr sagte: Und von mir, Minni, bekommst Du eine Ausstattung, dic sich gcwaschcn hat! Und auch sic schlüpfte hinaus, ehe ich mich von meiner Verwunderung erholt hatte." „Aber Minni," fragte der sehr aufmerksam gewordene Geliebte, „aber Minni, da wäre ja wieder eine Aussicht, nicht?" „Leider eine rccht trübe," seufzte das Mädchen,,'jedoch mit einem neckischen Anflng im Gesicht. „Siehe, das ist dic närrischste Ge schichte, die jemals in der Welt vorgekommcn ist. Denn Livia ist verliebt; aber so, wie cs sonst nur in Romanen steht, so ganz idcalisch tief; und in wen? Dn räthst eS in Deinem Leben nicht — in ein Bild!" „Du treibst wohl Deinen Scherz mit mir," bemerkte Alfons gutmüthig. „DaS würde ich dcm gestrcngcn Hcrrn gegenüber gar nicht wage». Das Mädchen, als dic einzige Tochter reicher, schwacher Leute, ist in der That etwas verzogen worden; von Natnr cdel und herzensgut, hat cs sich durch dic frühzcitige Lcktüre von Gedichten und Romanen eine Welt znrechtgelcgt, die eS gar nicht giebt, in der es aber nichtsdestoweniger mit der grössten Hartnäckigkeit allein athmen zn können behauptet. So ist denn Livia ein Stück sentimentaler Blaustrumpf geworden; sie steht in Mondnächten stundenlang am Fenster und holt sich einen Schnupfen, schließt am Hellen Tage ihre Fensterläden, um einen Vers auf die Dämmerung zn machen, und fchreibt regelmäßig an ihrem Tagebuch." „O weh, daun ist sie unheilbar!" rief dcr böse Maler. „Was verstehst Du von dcu Empfiudungcn einer zartbesaiteten Mädchensecle, Du rauher Bär? Aber las; mich auserzählcu. Es galt seit jeher für entschiede», daß Livia ihren Vettcr Egon heirathcn wcrdc. Dicscr gute Junge ist Oekonom, sehr reich, Gutsbesitzer und hinreichend dumm, um einer Fran glückliche Tage zu ver sprechen. Sei still, Alfons, ich verspreche mir keine! Sic konnte ihn zwar niemals recht leiden, hieß ihn Rothkopf, weil sein Haar einen Stich in's Goldige hat, verspottete seine etwas starke Nase, lachte über seinen großen Mund, verglich seine Zähne mit Kuchenbrettern, seine Füße mit Backmnldcn, seinen Wuchs mit einem Sack voll Ochsenhörnern und seine Be wegungen mit denjenigen des Nachkommen einer der wohlgenährten Milchgcbcrinncn auf seinem Hofe; sie nannte ibn, seiner breiten Sommersprossen halber, nicht anders, als daö getüpfelte Ei, nnd auf dcn letzteren Namen hörte cr ganz bcrcitwillig; abcr eine wirkliche, leidenschaftliche Abneigung gegen dcn ungc- schlachtcn Elegant zeigte sic erst, alö dcr Vatcr vor ciuigcn Wochcn mit dcr Anfrage nach dcr Zeit dcr Verlobung hcranörückte. Dazu mochte er abcr gutc Gründe gehabt haben, denn ick; brachte heraus, daß er als Vormund seines Neffen, ohne lauge zu fragen, bedeutende Gelder von des letzteren Vermögen in feinen eigenen anSgcbreiteten Geschäften verwandt hat, wo sie zwar sicber und einträglich genug, aber doch unrechtmäßig angelegt sind; auch wäre Herr Wertheim nicht ohne die größten VeUuste im Stande, diese Summen wieder herauszuziehen, oder anderweit flüssig zu machen. Daher liegt ihm Alles daran, daß Egon zugleich mündig und sein Schwiegersohn wird, dann hat cr dock; Alic zusammen; der gutc Burschc ist auch von Hcrzcn damit einvcrstandcn, denn die schöne, die kluge, die glänzende, viclbcwundcrtc Livia hat eü ihm längst angcthau, aber sic will nicht nnd schwört, eher Vcrhnngcrn, als ihren Vcttcb oder sonst irgend einen Mann auf der Welt heirathcn zu wollen, natürlich mit Ausnahme des Einzigen, ihr Bestimmten, des Originals von ihrem Bild!" „Nun, da sind wir ja endlich bei dcm Bilde," jagte dcr Malcr; „das schlägt in mein Fach und ich will doppelt aufmerksam fein." „Solltest Du es glaube» — nein, Dn wirst es für ein schlecht erfundenes Märchen halten, und doch ist es vollkommen wahr. — Livia ist wirklich verliebt in ein wesenloses Bild. Vor ei» paar Monaten geht sie durch die Friedrich straße, da steht in dem Schaufenster des Ver golders ein Brustbild — ich habe cs scitdcm sclber ost gcuu'g gcschcn —, es stellt einen jungen Mann dar in dcr kleidsamen Uniform eines Seeoffiziers —" „Alle Wetter!" fuhr Alfons empor. „Doch entschuldige, fahre fort, ich bitte Dich!" „Leider ist cö mir nach einer Photographie in Ocl gemalt, daö Original starb dcn Helden tod in dcr Seeschlacht, wie die bcigcsügtc Affiche sagt, die zugleich sich erbietet, die Adresse des Malers nnzngeben." „Hier sitzt cr," jagte der Künstler bescheiden. „Du? Das wird ja immer wunderbarer; „ich ahne höhere Mächte," würde Livia sagen. Nun, dann brauche ich das Porträt nicht näher zu beschreiben, abcr cin allcrlicbstcr Junge ist eö in dcr That mit seinen schwärme rischen, regelmäßigen Zügen, dem blanschwarzen Lockcnhaar, den braunen Augen und frische» Lippe»; schade, daß er so jung sterben mußte, vielleicht ohne zu wissen, was Liebe ist. In dieses Bild aber hat sich Livia vom ersten Blick an ans das Heftigste verliebt. Er oder keiner! sagt sic, und schreibt es seitdem täglich in ihr Tagebuch —" „Viclleicht, um es nicht zu vergessen," meinte Alfons trocken. ,,Garstiger, weißt Dn denn gar nicht, was Gefühl ist? Kurz, das Mädchen ist einmal verrückt, will nur ciuen Mauu, dcr dicscm Bilde genau ähnlich sieht, spricht von göttlichen Eingebungen, vom Zuge dcö Herzens, von Vermeinen dcr Jugend um dcn ihr bcslimmten Heimgegangenen, säuft täglich zwei- oder drei mal in dic Friedrichstraße, um vor dcm gc- licbtcu Kontcrfci zu stehen und sich von den Leuten stoßen oder ucr achcn zn lassen nnd haßt den Egon gründlicher, als je zuvor. Da hast Du nun meine Erzählung, und vergiß nicht, daß sie ein Geheimnis; zwischen uns Beiden bleiben muß." Der Künstler saß eine Zeit lang im tiefe» Sinnen, dcn Kopf-in die Hände gestützt.