Volltext Seite (XML)
Einige Tage darauf standen die Freun dinnen abermals vor dein Bilde. „Weiht Du," sagte Livia zögernd, „dah ich Dir doch Recht geben muh? Ich Hude selber jetzt manche Achulichkeit dieser Züge mit den jenigen meines Konsins, welche ich früher, bei stets nur flüchtiger Betrachtung, nicht heraus- gcfnndcn hatte. Ich danke Dir sogar dasür, dah Du mich darauf hingewiesen hast. Denn, beim Lichte besehe», ist Egon wirklich kein so übler Bursche. Denke nur au sein sinniges Weihnachtsgeschenk! Daö Beste daran avcr war: cö enthielt ein Blatt, und auf diesem Blatt staud ein Gedicht, ich sage Dir, ein allerliebstes, fcingcsühlteö Sonett an mich. Ich hätte dem guten Jnngc» eine solche poetische Ader gar nicht zuactraut. Aber ich darf doch nicht an ihn denken, und wenn ich ihm ja wieder mit einigen Versen antworte, so wird es nur im Scherze sein können." „Steht es schon so?" dachte Minni nno acricth in seltsame Aufregung, denn es zeigte sich daö ersehnte Ziel jetzt zum ersten Male vollkommen deutlich vor ihren Augen. „Jeden falls muh Zauberei dabei im Spiele sein; ich begreife eö nicht, aber sie steckt in dem Bilde, und den schlimmen Zauberer, der dabei die Hand im Spiele hat, glaub' ich zu kennen." Was braucht cö noch vieler Erzählung? Es dauerte nicht lange, so kam da und dort das Gespräch auf ciu Porträt, welches, beim Vergolder in der Fricdrichstrahe ausgestellt, dem Herrn Eyon doch anhcrordcutlich ähnlich sehe, wobei Livia Anfangs bleich, zuletzt roth wurde; vierzehn Tage nach Neujahr tanzte sic zum crstcu Male in ihrem Leben den Kotillon mit dem glücklichen Konsin, der in dieser Saison keine andere Dame auch nur eines Blickes würdigte, ganz zn schweigen von den geistreichen Apercus, welche er oft mitten in ein Gespräch vom Wetter und der Beleuchtung warf, gleich als schwebte sein Geist in ent legenen Regionen transsccndentalcr Weisheit, nnd von den Madrigalen, Ghaselen, Sonetten, deren Träger die übcrsandtcn BallbouguctS waren. Sonst aber war Egon merkwürdig still und in sich gekehrt; wenn seine aufgeweckte Tänzerin ihn zuweilen in eine tiefsinnige Unterhaltung über Welt und Literatur zu ziehen trachtete, dann schüttelte er traurig den Kopf, und seine Antwort war gewöhnlich ein tiefer Seufzer. „Der arme Junge!" dachte dann Livia, und zu dem Gefühle "des Mitleids begann sich ein anderes zu gesellen, welches zuerst nur dem Gefalle» a» der Macht ihres bedeutende», die Männer beherrschenden Wesens entsprang, sich allmälig aber nm so tiefer haftend in ein ganz anderes iimwandeltc, als sic zur Er kenntnis; gekommen zu sein schien, cs stcckc in ihrem Vetter ciu bcdeuteudcs Gcnie, und er verstehe nur nicht, es zur Geltung zu bringe». Sollte eS aber deshalb untcrgehen, verloren lein? Nein! Der große Faschingsball in; Hause Wcrt- heim's, zn welchem eine Einladung zu erhalten für eine besondere Gunst des Schicksals galt, sollte diesmal in Kostümen nbgchaltcn werden. Der Herr Stadtrath, welcher keineswegs blind war und sammt seiner Gattin längst mit innigem Wohlgefallen gemerkt hatte, wie der Hase lief, wollte bei dieser Gelegenheit den ganzen Glanz seiner Urbanität nnd seines Neichthumö entfalte», zumal er fest darauf zählte, hier das Ziel seiner Wünsche zn er reichen, worin ihn die schlaue Minni, wenn auch mit etwas ängstlich klopfendem Herzen bestärkte. Sie war "durch de» überraschenden Fortgang des von ihr cmgezcttclten Handels dermaßen in der Gunst des reichlichen Paares gestiegen, daß sic es hatte wagen dürfen, ihren Alfons als Arrangeur der lebenden Bilder vorzuschlagen, welche den Hauptcsfekt der Soiree bilden sollten. Da gab cö kenn Probe» über Probeii mit lustigen Episoden, welche vielleicht besser unterhielten, als später die Ausführung selber, und der launige Maler ge wann rasch alle Herzen, selbst das des ge- strengcii Herr» Wertheim, der einmal, Mstini auf die Schulter klopfend, meinte: „Jetzt begreife ich's, Dein Geschmack ist nicht übel, seiner aber noch besser!" Nur zu dem Hauptbild, welches Livia stelle» sollte, wurden alle Proben in Gegenwart der übrigen Mitwirtendcn für unzulässig erklärt; selbst Minni erfuhr den gewählten Gegenstand nicht und begann sich über die Heimlichkeit etwas zu ärgern, da ihr getreuer Alfons jetzt soviel mit der schönen Tochter des Hauses zu tuscheln und unter vierAugcii zu besprechen hatte. Der Ballabend war endlich erschienen und verlief in Glanz und Lust. Die lebenden Bilder fandc» den allgemeinsten Beifall; der Maler hatte cs nicht allein verstanden, sic so zu stellen, daß die mitwirkendcn Figuren in das beste Licht traten, sondern in ihrer Reihenfolge auch jene Steigerung anzubringcn, welche vor Ermüdung schützt. Wenn sich daher die jungen Dame», auch die jungen Herren, vielleicht sogar die Mütter, anfänglich etwas schmollend nicdergesetzt hatte», weil der Begin» des Tanzes durch diese Modcknnst- kraukheit unverzeihlich hiuauöaejchobcm wurde, so versöhnten sich doch bald Alle mit den ge botenen Genüssen und das Interesse wuchs von Bild zu Bild. Dem letzten, das auf dem Programme nur mit einem Fragezeichen be zeichnet war, sah man mit nm so größerer Spannung entgegen, als man allgemein wußte, daß die schöne Livia, die noch nicht sichtbar geworden war, darin auftretcn werde. Willig nahm mau daher auch den etwas langen Zwischenakt hin, und ließ sich um so weniger von dem Gepolter auf dem Podium hinter dem Vorhang stören, als, ganz gegen alle Ordnung, die Bedienten Konfekt mit Laimobö romaina und Sekt servirtcn. Plötzlich lief cs wie ciu Blitz über dcnVorhang, nndda standmitfenrigcn Buchstabe» geschrieben: „Die Befreiung." Ein Ah! lief durch den Saal; ob es dem Litcl des nun folgenden Bildes galt, war zweifelhaft. Da hob sich rasch die Gardine empor, nnd ein zweites Ah! — diesmal ein lautes und ganz aufrichtiges — ward ver nehmbar. Da'S Bild stellte die Germania dar. Sie saß, den Eichenkranz ans den gelösten, langgewelltcn Haaren, in malerischer Dra- pirnng, ans einem steilen Felsen, um welchen ringsum sich wilde Woge» bäumten. Germania war dargestellt, als spähe sic mit übcr die Augen gehobener Hand nach einem Netter, während die andere nachlässig eine Krone hielt, die jenem znm Lohne bestimmt. Livia sah so reizend ans, daß ein wahrer Sturm des Bci- alls loSzubrcchcn begann, bis man plötzlich zcwahrte, das Bild sei »och nicht zu Ende, andern ein dramatisches, mit Handlung ver- mndenes. Denn blitzschnell schob sich auf einmal ein Kahn zwischen de» Wogen hindurch nach dcm Felscu, und darin stand kühn, aufrecht, mit erhobene» Arme», ei» junger Seeoffizier. Die allgemeine Ucberraschnug schien sich auch der flehenden Germania mitgcthcilt zu habe», mit einem leisen Schrei fnhr sie empor, chwankte, strauchelte und sank herab in die »'öffneten Arme des jugendlichen Retters, Alles so natürlich, so treu nach dem Leben, daß die Zuschauer wie verrückt „Bravo!" schrien und stampften und tobten, als der Vorhang rasch gcsallc» war. Allein trotz alles Jabels und Rnfenö wollte die „Erlösung" lange Zeit hindurch nicht znm zweiten Male sichtbar werden, ob gleich das Wertheim'sche Ehepaar selber hinter saßt, um daö Anrecht der Begleitung nicht zu verlieren, „aber komm', wir erregen Aufsehen, wenn wir hier so lange stehen bleiben. Morgen und alle Tage können wir ja wicdcr- 'kchre'n, bis Dn es müde — und geschcidt ge worden bist," setzte sic leise hinzu. Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Livia fortziehen, nicht ohne wiederholt den Blick zurnckzuwcndcn »ach dem geliebte» Idol, zur große» Befriedigung einiger Herren, welche natürlich ihrer Unwiderstehlichkeit diese schmeichelhafte Rücksicht znschricbcn. Ihren guten Augen glaubte Minni kaum traue» zu "dürfe», als sie hundert Schritte entfernt ihren AlsonS übcr dic Straße biegen sah in ein Kaffee haus, Arm iu Arm mit wem anders, als dem elegant gekleideten Egon, der im schwefel gelben Ucbcrzichcr mit stählernen Tcllcrkuöpfcn eine crgnickendc Wärme in dic winteriiche Atmosphäre strahlen zu wollcu schien. „Was er mir vor hat, der Spitzbnbe?" murmelte sie leise vor sich hin. Tie Spaziergänge der beide» Freundinnen durch dic Friedrichstraße imd die Betrachtung dcS Bildes wurde» vo» »»» ab fast Tag sür Tag regelmäßig fortgesetzt. Aber sonderbarer Weise gericthcn dic Mädchen jedcömnl bei der letzteren in mehr oder minder erregten Zwist. Zuerst übcr die Augen, denn waren diese Anfangs braun erscheinen, so erwies sich all- mälig, daß sic gran warcn, was Livia zuerst aber nicht zugcbcm wollte, zuletzt aber gerade als besondere Schönheit pricö. Auch die schöne griechische Form der Nase zeigte sich nur als Täuschung der Beleuchtung, denn je mehr sie dieselbe kritisirtc, um so störrigcr behauptete Minni, sie näherte sich nicht nur der echt deutschen, kolbigcu Hakeugcstalt, sondern sei sogar entschiede» unschön, worüber sich da»» die ästhetische Frermdi» nicht wenig erboste. Ei» besonders heftiger Zank erhob sich nm den Mund des Porträts. Endlich konnte sich dic spöttische Minni nicht enthalten, anszuruscn: »Ich sage Dir, er wird durch die Ohren an der Reise nm den Kopf gehindert, und aufrichtig, er gleicht so ganz dem Muudc Deines KonsinS Egon, daß ich nicht begreifen kann, weshalb Dn diesen so verächtlich behandelst!" Da war aber Livia fast außer sich, sprach vou Blasphemie, von Mangel an der Auf- fassnng des Schönen, vo» verkannter Freund schaft, und wollte wirklich ein paar Tage lang nichts von der Begleiterin wissen. Der Weihnachtsabend aber brachte wieder Alles iii's Geleise. Die einzige Tochter des reichen Fabrikanten ward natürlich so beschenkt, wie nur ihre kühnsten Erwartungen wünschen durften; Minni, welche selber keineswegs ver gessen wurde, war gleichfalls unter den" Gebe- riuneu. Sic brachte ein kostbar gesticktes Taschen tuch, dessen Zipfel einen leeren Gcmäldcrahmcn, umrankt von Vergißmeinnicht und Immergrün, in vorzüglichster Arbeit zeigte. Alfons hatte daSMnster entworfen, was ihr denVcrsöhnnngS- kuß, sowie dic lebhafteste Bcthcncrnng unaus tilgbarer Freundschaft ciutrug. Auch Egon war an diesem Abende in; Hause des Onkels; wider seine sonstige Gewohnheit aber erschien er sehr still, drückte sich in dic Eckc», starrte mit sonderbaren Blicken nach der schönen Kousine, nnd warf unr ein paar Mal einige dunkle Phrasen in dic Untcrhaltung, welche sogar auf Livia Eindruck machten. Mit einer ähnlichen Phrase hatte er ihr sein Geschenk überreicht; eS war ein einfacber Strauß, nllcr- diugo aus Maiblumen und Veilchen, seltenen Blnmcnkindcrn zu dieser Jahreszeit, aber nicht bloö cr allein bemerkte, daß das Mädchen gerade diese Gabe fast aufmerksamer beschaute und hegte, als alle übrigen ihres reichen Tisches.