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Schwere politische Zusammenstöße in Berlin. Berlin, 23. Juni. Auch am Donnerstag nachmittag und in den frühen Abendstunden dauerten die Ansamm lungen von Kommunisten in Moabit an. Die Polizei ging mit Gummiknüppeln und „Wasserwerfern" gegen die Un ruhestifter vor. In Schöneberg wurde ein kommunistischer Demonstrationszug, der sich auf das Schöneberger Rathaus hin bewegte, aufgelöst. Zu ernsteren Zwischenfällen ist es dabei nicht gekommen. Berlin, 23. Juni. Zu schweren politischen Zusam- menstößen zwischen Angehörigen der KPD. und der NSDAP, kam es am späten Abend am Fischerkietz im Zen trum Berlins. Es wurden insgesamt etwa 2ü Schüsse ab gegeben, durch die nach den bisherigen Feststellungen vier Personen verletzt wurden, ein 24jähriger Jungkommu nist schwer und ein 22jähriger Arbeiter lebensgefährlich. Sämtliche Verletzten wurden von der Feuerwehr ins Kran kenhaus überführt. Die Schuldfrage ist noch unge klärt; insgesamt wurden von der Polizei 41 an dem Zusammenstoß beteiligte Personen zwangsgestellt. In den llnruhevierteln Moabit und Neukölln ist in den späten Abendstunden Ruhe eingetreten. Während es in Moabit einem Wasserwagen gelang, neuerdings Zusammen rottungen zu verhindern^ konnte die Polizei in Neukölln ebenfalls mit dem Gummiknüppel die Straße räumen. Der Streifendienst wird auch über Nacht beibehalten. Auch im Neuköllner „Varrikadenviertel" kommunistische Kundgebungen. Berlin, 23. Juni. In Neukölln kam es in der siebenten und achten Abendstunde des Donnerstags ähnlich wie in Moabit in der Hermann-Ziethen- und Prinz-Handjery- Straße, im ehemaligen Varrikadenviertel, zu zahlreichen Kundgebungen, die immer größeren Umfang annahmen. Zahlreiche Polizeistreifen wurden eingesetzt, die eine um sangreiche Säuberung der Gegend am Hermannsplatz vor nahmen. Auch berittene Polizei mutzte eingesetzt werden. Ungeheure Menschenmengen füllen die Stratzen. Aus den an die Hermannstratze grenzenden Stratzen fielen aus der Menge Schüsse. Sämtliche Straßenecken sind mit dreifachen Polizeiposten besetzt. Auch Schnellwagen sind angefordert worden. Blutiger Zusammenstoß in Dortmund. Ein Toter, fünf Verletzte. Dortmund, 23. Juni. Als sich am Donnerstag abend eine Gruppe von etwa 8V zum Teil uniformierten Natio nalsozialisten in geschlossenem Zuge zu einer Versammlung begab, wurde sie in der Wittener Straße von Kommunisten mit Steinen beworfen. Kurz darauf fielen auch mehrere Schüsse. Dabei wurde der 2Kjährige SS.-Mann Heinrich Habenicht tödlich getroffen. Weitere vier Nationalsozia listen und ein Kommunist erlitten zum Teil schwere Ver letzungen und wurden dem Krankenhaus in Dorstfeld und Dortpiund zugeführt. / Kommunistischer Übersoll auf Nationalsozialisten. Ei» Toter, ein Schwerverletzter. — Sechzig Verhaftungen. Duisburg-Hamborn, 23. Juni. Am Donnerstag gegen 2l! Uhr kam es im Stadtteil Marxloh zu politischen Aus schreitungen. Auf dem Hindenburgplatz hatte sich eine große Menschenmenge, vornehmlich Kommunisten, angesammelt, die einen Trupp Nationalsozialisten, der in die Kaiser- Friedrich-Straße einbog, zum Hindenburgplatz abdrängte. Hier entwickelte sich zwischen den Kommunisten und den Nationalsozialisten eine schwere Schlägerei, die in ein regel rechtes Feuergefecht ausartete. Hierbei wurde der 22jährige südslawischen Staatsangehörige Ludwig Zwonar tödlich ge- lrosfen; eine Person, die als Täter verdächtig war, wurde sestgenommen. Bei ihr wurde eine Schußwaffe gefunden, aus der Schüsse abgegeben worden sind. In der Nähe der Ottostraße wurde der 38jährige Nationalsozialist Rudolf ^uitg von Kommunisten überfallen und durch Messerstiche am Kopf erheblich verletzt. Die Polizei gab bei der Säu berung der Straße mehrere Schreckschüsse ab. Bisher sind Personen festgenommen worden. Unruhen in Breslau. Breslau, 23. Juni. Gestern abend kam es an einem Dutzend Stellen der Stadt gleichzeitig zu schweren politi- imcn Ausschreitungen von Kommunisten und Sozialdemo ¬ kraten gegen Stahlhelmer und Nationalsozialisten. Die Marxisten schossen, und ein Stahlhelmmann erhielt einen schweren Brustschuß, ein Nationalsozialist einen schweren Unterlrlbsschuß. Weitere Personen wurden durch Schläge mit Knüppeln und Schlagringen erheblich verletzt. Die Po lizei stellte fest, daß es sich um planmäßige kommunistische Ueberfälle handelt. Auch in der Nacht war es inruhig. Als Nationalsozialisten von einer Versammlung hsimkehr- ten ^"^len die Kommunisten in einer Straße sämtliche Laternen aus, warfen Blumentöpfe aus den Fenstern und Schölle ab Mehrere Versonen wurden ver letzt, darunter ein weiterer Nationalsozialist durch sieben Schüsse lebensgefährlich. Kommunistenüberfälle in Siegen. Siegen, 23. Juni. Im Laufe des gestrigen Tages er eigneten sich mehrere systematische kommunistische Vebersülle auf Nationalsozialisten. Kommunisten überfielen die Ge schäftsstelle der NSDAP., zertrümmerten die Fensterscheiben und gaben zahlreiche Schüsse ab. Ein in der Geschäftsstelle tätiger SA.-Mann wurde schwer verletzt, ein weiterer LA.- Mann auf der Straße überfallen, niedergerissen und durch Messerstiche schwer verletzt. Nach dem Polizeibericht beteilig ten sich an diesem Terrorakt auffallend viele Frauen. Auch hier stellte die Polizei einwandfrei fest, daß die Schuld bei den Kommunisten liegt. „Do. X." nach Stettin gestartet. Berlin, 23. Juni. Das Flugschiff Do. X ist am Don nerstag um 15.16 Uhr von Berlin nach Stettin gestartet. Stettin, 23. Juni. Das Flugschifs Do. X ging nach einigen Schleifen über derzStadt um 17.45 Uhr glatt auf dem Stettiner Flughafen am Dammschen See nieder. Zu gleicher Zeit landete in Stettin auf dem Flughafen das größte Landflugzeug Deutschlands, D. 2500 (G. 38). UmWM ÄUU M H W MW SWWs. London, 23. Juni. In den nächsten Tagen wird in Rochester ein englisches Militärflugschiff vom Stapel laufen, das als das größte der Welt bezeichnet wird. Dis Ma schine wiegt mit voller Belastung 33 Tonnen, das ist mehr als das Doppelte des Gewichts der bisher größten Ma schine der englischen Luftstreitkräfte. Bisher war der Bau dieses „Schlachtschiffes der Lüfte" von den Behörden äußerst geheim gehalten worden. Das Flugschiff ist ein großer, aus Dur-Aluminium her gestellter Doppeldecker, dessen 30 Meter langer Rumpf ähn lich wie bei der Do. X gleichzeitig als Schiffskörper dient. Es ist mit sechs Motoren ausgerüstet, die zusammen 5000 ?8 entwickeln. Die Flügelspannweite beträgt über 40 Meter. Der Hauptzweck des Flugschiffes sind Langstrecken erkundungsflüge in entlegene Teile des englischen Welt reiches. Hierbei sollen Erfahrungen für den späteren Bau eines zivilen Flugschiffes für den Ueberseeverkehr gesam melt werden. Aus aller Wett. " Oberbürgermeister Sahm beglückwünscht dis älteste Berlinerin. Oberbürgermeister Sahm hat Frau Friderike Müller, der ältesten Berliner Einwohnerin, zu ihrem 103. Geburtstag ein Glückwunschschreiben übersandt. - Einer, dem Schmelings Boxkampf teuer zu stehen kam. Einen beispiellos frechen Villeneinbruch verübte in der Nacht zum Mittwoch während der Uebertragung des Schmeling-Sharkey-Boxkampfes aus Neuyork eine Ein brecherbande in die Villa des Kaufmannes Dzialoschinsky in Berlin-Grunewald. Der Hausherr hatte es sich auf der Chaiselongue bequem gemacht und hörte sich mit großer Begeisterung am Lautsprecher die Radioübertragung des Boxkampfes an. Das war für die Diebe, die durch die Fen ster in die Villa eingestiegen waren, die beste Voraus setzung für das Gelingen ihres Raubzuges. Der Villen besitzer war jo sehr in den aufregenden Verlauf des Box kampfes vertieft, daß er auch nicht das geringste Geräusch von der Tätigkeit der Einbrecher hörte, obwohl diese im Nebenzimmer sämtliche Behältnisse erbrachen und alles Silber einpackten und fortschleppten. Sogar dem Likörvor ¬ rat des Hausherrn sprachen sie kräftig zu. Erst als der Haus herr selbst nach den Aufregungen am Radio sich mit etwas Alkohol stärken wollte, merkte er, was während der span nendsten Momente des Schmeling-Sharkey-Kampfes in Neuyork in seiner Villa geschehen war. Die Diebe hatten das gesamte wertvolle Tafelsilber und zahlreiche anders Gegenstände im Gesamtwerte von etwa 6000 Mark ge stohlen. * Ein Toter, zwei Schwerverletzte in Staßfurt. In Staßfurt kam es am Donnerstag abend zu einem schweren Zusammenstoß. Am Luisenplatz fielen angeblich aus einem Automobil mehrere Schüsse, durch die ein Kommunist ge tötet und zwei weitere Personen schwer verletzt wurden. Nähere Einzelheiten fehlen noch. - Arbeitsloser will ins Gefängnis. Der 35jährige Ar beitslose Rückert hatte für einen Freund unter dessen Namen eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten verbüßen wollen und hatte sich in der Strafanstalt zum Strafantritt gemeldet. Nach drei Monaten stellte sich heraus, daß Rückert für einen anderen die Strafe absaß. Er wurde deshalb aus der Strafanstalt entlassen und nunmehr selbst angeklagt wegen Betrug, Begünstigung und intellektueller Urkunden fälschung. Das Schöffengericht Berlin-Mitte verurteilte ihn am Donnerstag zu drei Monaten Gefängnis. Auf die Frage des Richters, ob er Bewährungsfrist haben wolle, verneinte das der Arbeitslose mit der Bitte, ihn wieder ins Gefäng nis zu schicken, da er dort Wohnung und Essen habe. - Blutiger Ueberfall auf Grubenangestellte. — 1KV0 Mark Lohngelder geraubt. Am heutigen Donnerstag wur den in der Mittagszeit zwei Angestellte der Grube Berg geist bei Brühl von zwei Männern überfallen und ihrer Aktentaschen mit 1600 RM. Lyhngeldern beraubt, nachdem die Räuber einen der Angestellten durch zwei Bauchschüsse lebensgefährlich verletzt hatten. Die Täter sind dann am Fahrrädern, die sie im Walde versteckt hatten, in Richtung Köln geflohen. * Zehnköpfige Falschmünzerbands festgenommen. In Vegesack waren in der letzten Zeit falsche 5-Mark-Stücke in größerer Zahl in Umlauf gekommen Jetzt hat die Land jägerei zehn Personen festgenommen, die das Falschgeld teils hergestellt, teils vertrieben haben. Es handelt sich durchweg um junge Arbeitslose, die das Geld zu Ver gnügungsreisen nach Bremen, Delmenhorst usw. benutzten. Sieben von ihnen wurden wieder aus der Haft entlassen, da Verdunkelungsgefahr nicht mehr besteht. - Geheimnisvoller Leichenfund. Am Donnerstag vor mittag wurde in Essen-West eine Wohnung im Hause Sei bertzstraße 4 nach Waffen durchsucht. Schutzpolizeibeamte fanden in einem ausgemauerten Kellerloch, unter Gerümpel verborgen, die mumifizierte Leiche eines etwa sechs >ahre alten Kindes. Da der Fundort in der Nähe der Wohnung eines im Februar 1930 verschwundenen Knaben namens Günther Kosten liegt, sind die Ermittelungen nach dieser Richtung hin ausgenommen. - Das Springflutunglück an der mexikanischen Küste. Nach weiteren Meldungen aus Mexiko hat die Springflut im Badeort Cuyutlan weit größeren Schaden angerichtet, als man bisher angenommen hat. Die Flut brach 800 Meter in das Land ein und zerstörte den größten Teil der Stadt. Das Militär, das zur Hilfeleistung eingesetzt wurde, hat bis jetzt 65 Leichen geborgen. Riesenmengen verwesender Fische wurden an Land geworfen, wodurch die Seuchen- gefahr groß ist. MMWWZH im MU M. Der Reichswirtschaftsminister hat angeordnet, daß die Cinfuhrhäuser für den Monat Juli 1932 den Höchstbetrag ihrer allgemeinen Genehmigung nur bis zur Höhe von 50 v. H. in Anspruch nehmen dürfen. Für die diesen Betrag übersteigenden Zahlungsverbindlichteiten werden die Fir men auf die Inanspruchnahme von Lieferantenkrediten und die Ausnutzung der Kreditlinien des Stillhalteabkommens verwiesen. Freier Handel mit zertifizierten Auslandsbonüs. Der Reichswirtschaftsminister hat angeordnet daß mit Wirkung vom 24. Juni der Handel mit deutschen Aus landsbonds, die mit der Bescheinigung einer deutsche» Effektengirobank über die Handelbarkeit versehen sind, ohne die nach der Devisenordnung vorgeschriebene Genehmigung zulässig ist. Die Versendung solcher Bonds nach dem Aus lande bleibt genehmigungsbedürftig. Hs (Nachdruck verboten.) Es ist ähnlich Ivie auf der Herfahrt. Und ist doch anders. Der Himmel ist schwarz und hoch, mit klaren Sternen bestickt. Dörfer träumen. Gegen zwei Uhr nachts steht ein blasser, abnehmender Mond über spiegelnden Wassertümpeln. Es ist die Stunde, in der Liane aus wirren Angstträumen in die Höhe schreckt. Das Kind schreit laut und durchdringend, die Frau in mittleren Jahre.w — sie sieht sehr bürgerlich und behäbig aus, ob wohl sie Pelzkragen und Samthut über sich im Gepäcknetz verstaut hat. — macht mit verkniffenem Munde Bemerkun gen über Kindererziehnng; die junge Mutter verteidigt sich nervös und dem Weinen nahe. Endlich nimmt Liane bas Kind aus ihren Schoß; es beruhigt sich sofort, fängt an zu lachen, ist warm, weich und zutraulich. Der Zug sahrt dem Morgen entgegen. Erste verschlafene Helligkeit kriecht über bräunliche Märzwiesen. . „Dreitausend Mark — dreitausend Mark —" mahlen die Räder. Das Kind aus Lianes Schoß ist endlich eingeschlafen. Es erwacht erst, als die ersten Steinkolosse Berlins sich in fröstelndes Morgenlicht drängen. Gegen sechs Uhr morgens läuft der Zug im Lehrter Bahnhof ein. „Dank auch schön, Fräulein," sagt die junge Mutter Und nimmt das Kind wieder an sich. Das Abteil leert sich schnell. Liane ergreift ihren Koffer, steht verloren und fröstelnd auf dem ungastlichen Bahnsteig. Sie fürchtet sich vor Frau Weinholts scharfen Augen, vor ihren Fragen - ach - vor allem, allem. Sie ist fehr müde und spürt plötzlich auch, daß sie sehr hungrig ist, und ihre Zähne klappern in der erbarmungslosen Kälte des Märzmorgens. Liane setzt ihren Kösser nieder nnd lehnt sich gegen Une Bank, die mitten aus dem Bahnsteige steht. Es liegt Zusammengeknülltes Butterbrotpapier auf dieser Bank; auch Apfelsinenschalen liegen da. Irgendwo in der Nähe bietet ein Schild neben einem abgestoßenen Emaillebecher Trinkwasser aus. Liane verspürt brennenden Durst. „Man müßte im Wartesaale eine Tasse Kaffee trinken," denkt sie, zu schlaff, aufzustehen. Sie nimmt den kleinen Filzhut ab und fährt mit der Hand über die brennende Stirn. Ein großer Herr in Pelz und Reisemütze stößt an Lianes Koffer, knurrt eine knappe Entschuldigung. „Die Mappe auch!" sagt er gleich darauf, und schleudert eine funkelnagelneue Ledermappe aus den Arm eines Gepäck trägers. Eine Minute später steht er noch einmal nach dem jungen Mädchen auf der Bank. Liane sitzt ein wenig zusammengekauert da; ihr ver wirrtes Blondhaar leuchtet in der grauen Dämmerung der Bahnhofshalle. Sie sieht sehr zart, sehr schmal, sehr verängstigt aus. Ihre Augen sind groß und weitgeöffnet; ihre Oberlippe zuckt wie vorm Weinen. „Komisch!" twakt der Mann im Pelz und verhält un willkürlich seine Schritte. Für eine Sekunde begegnen seine Blicke den Blicken des Mädchens. Liane steht ein vierkantiges, braunes Bulldoggen gesicht, dessen gewalttätige Häßlichkeit sie leise zusammen zucken läßt. Die Züge sind hart und zerklüftet; — eine grauschwarze Haarsträhne hängt dem Manne unter der Reisemütze hervor in die eckige Stirn; der Pelz ist offen, als wäre er in Eile übergeworfen worden. „Ich mutz nun wirklich gehen —denkt Liane. Sie zieht den Hui übers Haar, nimmt mit einer kleinen müden Geste ihren Koffer wieder auf und geht langsam und schwerfällig durch die Sperre. Sie verspürt den Durst von vorhin, jenen wilden, brennenden Durst, der ihre Lippen zittern läßt. Von den Wartesälen her riecht es nach Kaffee, und Liane geht instinktiv dem lockenden Dufte nach. Im Wartesaale der Holzklasse sind die Stühle gegen die Tische gelehnt; Reinmachefrauen hantieren, ein junger, verschlafener Kellner lehnt am vereinsamten Büfett. Liane bestellt mit trockener Stimme eine Tasse Kaffee. Sie sitzt ganz in sich zusammengekrochen an einem Fenster tische. Sie Hai vergessen, warum sie hergekommen ist. Sie weiß säst nicht mehr, worauf sie wartet. Ter Kaffee ist heiß und stark. Er belebt sie auf eine wunderbare Weise und macht die Gedanken wieder klar. Plötzlich beginnen diese Gedanken von neuem um Wellen- kamp zu kreisen Sie muß gleich von der Bahn zu ihm sahren. Er wartet. Was soll sie ihm sagen — gütiger Himmel? Jbre Augen sind ganz groß und dunkel vor Qual, — auf einmal kommen ihr auch die Tränen. Da bei ist es nicht eigentlich Wellenkamp, um den sie weint. Es könnte ebenso gut Albertine sein oder Tante Betty. Sie wühlt im Handtäschchen, findet das Tuch und führt es über die Augen. Gleich darauf wendet sie erschrocken den Kopf. Es ist ein sonderbar saugendes Gefühl in ihrem Nacken, — es ist einer da, der sie ansteht. Der Wartesaal ist noch ziemlich leer. Ein paar Frauen vom Lande sitzen da, — auch der grauhaarige Mann,, der die Nacht schlafend in Lianes Abteil verbracht hat — und dort hinten am letzten Fenster steht noch irgend jemand. „Das ist der Herr aus dem V-Zuge," denkt Liane ver wundert. Es ist in der Tat der Herr im Pelz. Er lehnt an der Wand und sieht auf Liane, die den Kopf längst wieder fortgewandt hat und sich jetzt Mühe gibt, den Eindruck seines Gesichts von sich abzuschütteln. Das eckige Bulldoggengesicht, das sie vorhin eine Se kunde lang erschreckt hat, weil es gleichzeitig wie auf einen Befehl gestrafft und doch sonderbar leer erscheint. Liane wendet einige Minuten später den Kops zum zweiten Male. Da hat der Mann sich jedoch schon von der Wand gelöst und steuert mit ruhigen, zielbewußten Schritten auf sie zu. „Ist es Ihnen recht, wenn ich an Ihrem Tische Platz nehme, mein Fräulein?" Seine Stimme klingt ganz gleich gültig, und Liane kann nur nicken. Der Mann im Pelz setzt sich ihr gegenüber und reibt sich die Hände. Es ist warm im Wartesaale; eine aufgeklappte Ecke des Pelzes läßt die schwere und kostbare Innenseite sehen. Trotzdem scheint der Mann zu frieren. „Etwas Heißes!" wirft er knapp und befehlshaberisch dem verschlafenen Kellner zu. Der Kellner bringt Kaffee. Der Fremde leert die dampfende Tasse in einem Zuge und scheint nicht recht zu frieden. Er winkt dem Kellner zum zweiten Male und bestellt Grog. Er stürzt auch den dampfenden Grog in einem einzigen Zuge hinunter, was Liane mit Verwunde rung und leichtem Widerwillen erfüllt. Ihre Lippen liegen schmal aufeinander. Ohne daß sie es weiß, sind ihre Mundwinkel ein wenig nach unten gebogen wie die der Kusine Albertine. Der Herr im Pelz bestellt noch einen zweiten Grog. Liane bewegt in leiser Abwehr die Hand, als er das Glas zum Munde führen will. «Fortsetzuna iolat.)