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Siegfried Wagners letzte Fahrt. Bayreuth. 8. August. Die Stadt Bayreuth war heute eine einzige Trauergemeinde. Alle kamen sie. um von dem groszen Ehrenbürger der Stadt Abschied zu nehmen. Grosse Menschenmengen zogen zur Stadtkirche, wo er unter Lorbeer und duftenden Blumen aufgebahrt lag. die ihm aus dem ganzen Reiche in überwältigender Menge von den Freunden seiner Kunst und seiner Per sönlichkeit als letzte Gabe dargebracht wurden. Auch von allen Fürstenhäusern des Reiches sind wunderbare Kranzspenden eingegangen. Tausende zogen schon am frühen Morgen an seinem Sarg vorüber, um ihm den leisten Grus; zu entbieten und als um lO Uhr die Pfor ten der Kirche geschlossen wurden, war diese dicht ange füllt mit einer riesigen Trauergemeinde, während draussen auf den Plätzen noch Taufende harrten, die keinen Einlass finden konnten. Unter den Festgüsten sah man die Gattin mit ihren vier unmündigen Kindern, den König Ferdinand von Bulgarien. Fürst Hohenlohe. Graf Du Moulin-Eckard, Geheimrat von Grosz, sämt liche Festspielleiter, Oberkirchenrat Priefer, viele Ab ordnungen mit ihren Fahnen hatten im Mittelgang Aufstellung genommen, darunter der Akademische Ri- chard-Wagner-Verein, Turnvereine, Gesangvereine, Mi- litärvereine und Veteranenvereine. Gegen 1l Uhr begann die Feierlichkeit in der Kirche mit dem unter Leitung von Professor Rüdel vom ge samten Chor und den Solisten des Festspielhauses ge sungenen Chor „Ach, wie nichtig, ach wie flüchtig ist der Menschen streben". Dann hielt Dekan Wolfart die Trauerrede. Er wühlte das Wort des Apostels Paulus „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, die Liebe ist die grösste unter ihnen". In warmen Worten ge dachte er des tragischen Schicksals des Verstorbenen, der allzubald schon sterben musste, dessen Schaffen auf die Worte „Glaube und Hoffnung" aufgebaut waren. Beide seien der Ansporn gewesen, das Erbe seines Vaters in würdiger Weise fortzusührcn und zu behüten. Durch sein Wirken gehe aber die Liebe, mit der er als Mensch so reich gesegnet war und die er vielen in so grossem Aufstand in Nordwest-Indien. Gespannte Lage in Afghanistan. London, 8. August. Ueber die neuen Unruhen an der indisch-afghanischen Grenze berichtet die „Times" aus Simla, dass sie infolge einer sehr langen Propa ganda revolutionärer Quertreiber aus Indien ent standen seien. Den Quertreibern sei es bisher jedoch nicht gelungen, den mächtigen Stamm der Orakcai zum Zusammengehen mit den Afridis zu bewegen. Der Vor marsch der Afridis sei gegen den Rat der Führer erfolgt und in erster Linie durch angebliche Beweise einer bri tischen Schreckensherrschaft in Indien veranlasst worden. Die Führer der Stämme seien sich sowohl über die zu er wartenden Widerstände wie namentlich über die grossen Aumcbote an Luftstreitkrüften völlig im unklaren, ob wohl vor Einleitung der Luftangriffe sehr eingehende Warnungen ergangen seien. Vis auf das Gebiet Tirah habe die Unruhebewegung wieder die ganze Nordwest provinz erfasst. Eine große Strafexpedition gegen die feindlichen Srämme soll im Oktober erfolgen. In Afghanistan ist die Lage ebenfalls sehr ge spannt. In Kabul soll das Eeschäftsleben vollkommen stilliegen. König Nadir Khan hat sehr große Schwierig keiten, die notwendigen Mittel für die Besoldung seiner Truppen aufzubringen. Die Durchführung seiner Re formmaßnahmen stößt aus den gleichen Gründen auf große Schwierigkeiten. * Maße zuteil werden ließ. Ein weiterer Chor von Jo hann Sebastian Bach folgte vom Damcnchor unter Lei tung von Professor Kittel. Sodann sprach Dekan Wol fart ein letztes Gebet und den Segen. Ein letzter Chor gesang schloß die Feier in der Stadtkirche. Unter den mächtigen Orgelklängen trugen die Hauptdarsteller den Metallsarg mit den sterblichen Ueberresten Siegfrieg Wagners zu dem harrenden Wagen. Die Trauersitzung des Bayreuther Stadtrates. Bayreuth, 8 August. Der Stadtrat von Bayreuth hielt am Donnerstag für seinen verstorbenen Ehren bürger Siegfried Wagner im neuen Rathaus eine Trauersitzung ab, bei der Oberbürgermeister Preu die Trauerrede hielt. Eine erschütternde Tragödie, so führte er aus, habe sich vor unseren Augen abgespielt und nicht zuletzt sei die Stadt Bayreuth von diesem Schicksals schlag schwer betroffen worden. Daß Bayreuth wieder aus den Trümmern des Weltkriegs zu neuer höchster Blüte emporwachsen konnte, sei Siegfried Wagners ureigenster Verdienst. Es sei eine Tragödie sonder gleichen, daß er bei den jetzigen Aufführungen die Be wunderung der Gäste nicht mehr habe erleben können. Die Stadt Bayreuth gelobe der schwergeprüften Fa milie, ihr in allen Lebenslagen die Treue zu halten und dazu beizutragen, daß das Bayreuther Werk fort geführt werde. „Parsival" in Bayreuth. Bayreuth, 8. August. Die dritte Parsival-Auf- führung dieses Spieljahres brachte wiederum ein voll besetztes Haus. Selbst die Galerie war bis auf den letzten Platz besetzt. Viele Gäste, die den Besuch der Trauerversammlung mit dem Besuch der Aufführung verbinden wollten, konnten keinen Platz mehr be kommen. Gesang und Darstellung, Regie und Beleuch- rung, Orchester und Musik, waren über jedes Lob er haben und es ist nur zu bedauern, daß der auf der Totenbahre liegende Meister die Triumphe seiner Künst ler nicht mehr erleben durfte. Der Kampf um die Freiheit Kurdistans geht weiter. London, 8. August. Die türkische Presse meldet, daß neue Gruppen von aufständischen Truppen von der syri schen Grenze unter Führung eines Scheiks Hatcho auf türkisches Gebiet vordringen. Die Kurden haben unter wegs die Telegraphendrühte durchschnitten. Sie haben angekündigt, den Kampf bis zur Erreichung der völli gen Unabhängigkeit Turkestans fortzusetzen. In Angora erwartet man, daß die persische Antwort auf die zwei türkischen Noten, in denen eine gemeinsame Aktion zur Unterdrückung des Kurdenausstandes angeregt wurde, noch am Freitag eintreffen wird. Die Menge Lege der mdstmzDMMOm. Paris, 8. August. Wie der Sonderberichterstatter der „Agence Economique et Financiere" aus Lille ! meldet, ist die Lage im Gebiet von Lille-Roubaix-Tour- coing besonders ernst, da die Industrie im Falle neuer I Lohnerhöhungen nicht mehr auf dem Weltmarkt kon- i kurrieren könne. Die Baumwollspinnerei in Lille sei in den letzten sechs Monaten gezwungen gewesen, ihre Er zeugung um 20 Prozent herabzusetzen. Was die Streiklage anlangt, so ist im Bezirk Rou- baix-Touxcoing-Halluin die Zahl der Streikenden auf 70 000 gestiegen. Stellenweise scheint srch nun eine leichte Entspannung anzukündigen. So hat das Spitzenkomitee der Erubenarbeitersyndikate be schlossen, Verhandlungen mit den Erubengesellschasten über die Frage der Urlaubsvergütung aufzunehmen. An dieser Forderung sind über 300 000 Arbeiter inter essiert. Die Belgier wollen die Arbeit wieder anfnehmen. Paris, 8. August. Die im nördlichen französischen Industriegebiet beschäftigten Belgier, die bisher an der Ueberschreitung der Grenze durch die Streikenden gc- hindert wurden, beschlossen, am Freitag die Arbeit wieder aufzunehmen. Die französischen Polizeibehörden wurden gebeten, den Arbeitern ungehinderten Zugang zu den Arbeitsstätten zu beschaffen. Nm ZMWMiW mit Polen abgeM Warschau, 8. August. Die polnische Presse veröffent licht die am 4. August überreichte Antwortnote des Reichsreqierung auf die polnische Note vom 15. Juni, in der Polen angesichts der deutschen Zollerhöhungen neue Zollverhandlungen mit Deutschland fordere. In der deutschen Antwortnote werden unter dem Hinweis auf die grundsätzliche Gleichartigkeit der von Polen be anstandeten Zollerhöhungen mit den früheren, sowie aus die deutsche Landwirtschaftskrise die Verhandlungen abgelehnt. Die polnische Presse versieht die deutsche Ant wortnote mit einem Kommentar, in dem es heißt, dass die polnische Forderung in Aebereinstimmung mit del Genfer Konvention erhoben worden sei. Aus der deut schen Ablehnung gehe hervor, daß die deutsche Schutz zollpolitik den Grundsätzen einer Stabilisierung des Zollniveaus widerspreche. Gegenüber dieser polnischen Darstellung ist daraus hinzuweisen, daß im Genfer Handelsabkommen vom 24. Mürz 1930 den.vertragschließenden Teilen ausdriict- Uch das Recht vorbehalten ist, in dringenden Füllen Zollerhöhupgen vorzunehmen, ohne daß die dadurch be troffenen Vertragsstaaten deshalb neue Verhandlungen beanspruchen können und daß Polen selbst vor kurzem eine sehr bedeutende Erhöhung der landwirtschaftlichen Zölle beschlossen hat. > -H >^ ' Die MWMiW muh W WM HW. Kowno, 8. August. Die TelegrapHenagentur der Sowjetunion berichtet aus Moskau, daß der Rat der Volkskommissare sich in einer Sitzung mit den sich meh renden Sabotageversuchen beschäftigt und beschlossen Hal, im nächsten Jahr im Haushalt einen besonderen Posten unter dem Titel „Arbeiterschutz" zu führen. 20 Mil lionen Rubel sollen vorläufig eingesetzt werden, um ins besondere die landwirtschaftlichen Arbeiter in den staat lichen Wirtschaften und den Traktorstationen zu schützen. Der Beschluß bedeutet ein Eingeständnis, daß die Bevöl kerung zunehmend dazu übergeht, dem Terror der Sow jets den eigenen Terror entgegenzusetzen. Die Erbitterung der bäuerlichen Bevölkerung auf dem Lande gegen die Landwirtschaftspolitik Moskaus muß schon einen hohen Grad erreicht haben, wenn die Regierung sich gezwungen sieht, besondere Mittel zur Bildung einps Arbeiter schutzes bereitzustellen. Wieder ein finnischer Bauer nach Ruhland verschleppt- Wie aus Hesingfors gemeldet wird, haben russische Soldaten wieder einen finnischen Bauern bei Ulanlo- joki über die Grenze verschleppt. Inzwischen ist von den Russen die Leiche des Bauern ausgeliefert worden, der in der vorigen Woche in Salmis ermordet wurde. Von russischer Seite wird zugegeben, daß der Bauer erschossen worden sei, jedoch behauptet, daß dies auf russischem Ge biet geschehen sei. Von finnischer Seite wird demgegen über darauf hingewiesen, daß der Tatort auf finnischem Gebiet liegt. Auch sei daher völlig einwandfrei fest- gestellt, daß der Mord auf finnischem und nicht auf rus sischem Gebiet geschehen sei. Wer ist Ben? Kriminalroman von Franz Rotzdorf. 38j ^Nachdruck verboten.) Wieviel Zell verstrichen sein mochte, als ihr Entführer zurückkehrte, konnte sie nicht feststellen, aber sie atmete auf, als sich die Tür wieder für sie öffnete. „Hoffentlich haben Sie sich nicht allzu sehr gelang weilt," scherzte er, „ich habe mich so sehr als möglich be eilt." Er reichte ihr ein Pack Zeitungen hin. „Vielleicht haben Sie Lust, einen Blick hineinzu werfen. Es steht etwas darin, das Sie sicher interessieren wird." Er brannte sich eine Zigarre an und rauchte schwei gend, indes Betti, von einer unerklärlichen Unruhe erfaßt, ihren Blick über die bedruckten Seiten schweifen ließ. Sie stieß unbewußt einen leisen Seufzer aus, als sie die Nach richt von der sensationellen Flucht Hankos las. Er ist frei, war alles, was sie denken konnte. Gleich zeitig mußte sie an die Worte ihres Wächters denken, sie werde den falschen Detektiv eher zu sehen bekommen, als sie sich träumen lasse. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Was sollte aus alledem werden? Wie sollte sie ihm gegen- übertreten, dem Manne, der wahrscheinlich den Tod ihres Vaters auf dem Gewissen hatte? „Es ist besser, Sie lassen Ihre Grübeleien," sagte der Mann, der sie beobachtete, „sie führen doch zu nichts. Ja, er ist wirklich ein fixer Junge, habe ich Ihnen das nicht gleich gesagt? Was ist das?" Der Hund schlug wild an. Carstens sprang auf und eilte zur Tür. Im selben Augenblick knallte ein Schuß und das Bellen verstummte. „Rühren Sie sich nicht," befahl er und stürmte hinaus. Er sah auf den ersten Blick, was geschehen war. Der Körper des Hundes lag ausgestreckt auf dem Rasen und aus seiner Brust quoll hellrotes Blut. Der Mann bückte sich, aber das war sein Verderben. Ein unbarmherziger Schlag mit einem stumpfen Instrument traf ihn und er verlor die Besinnung. „Das ging leichter als ich dachte," sagte Leo Strangert vor sich hin, „ich bin neugierig, ob der andere Bursche auch schon hier ist." Er kümmerte sich nicht weiter um den Nieder geschlagenen, sondern schritt vorsichtig um das Haus herum. Als alles still blieb, öffnete er kurz entschlossen die Tür. „Onkel Leo!" schrie Betti auf, als sie ihn erkannte. Sie war kreidebleich und zitterte am ganzen Körper. „Wo kommst du her?" Er beachtete ihre Frage nicht, sondern sah sich forschend im Raume um. „Bist du allein?" fragte er schnell. Der Hund schlug wild an. Carstens sprang aus und eilte zur Tür. „Ja. Was ist mit Carstens geschehen?" „Nichts weiter. Ich habe ihn unschädlich gemacht. Und nun komm, wir müssen fort. Hanko ist ausgebrochen und es ist möglich, daß er Herkommen wird." Er faßte sie beim Arm und führte sie zur Tür. „Es war nicht allzu schwer, diesen Schlupfwinkel zu finden," erklärte er, „dieser Tölpel hat es uns denkbar leicht gemacht. Unten in Birkwald hatten wir schon alle Spuren verloren, als ich ihn zufällig auf einen Zeitungs stand zugehen sah. Harald blieb mit dem Auto zurück und ich folgte ihm bis hierher. Das ist meine ganze Ge schichte. Aber nun müssen wir uns beeilen. Ich möchte nicht, daß wir in letzter Minute überrascht werden. Diese Kerle sind zu allem fähig." Sie traten aus dem Hause und Betti blieb erschrocken stehen, als sie die reglose Gestalt sah. „Er ist doch nicht etwa tot?" fragte sie. „Hast du ans ihn geschossen?" „Vielleicht wäre es besser, ich hätte es getan," meinte er, „ich machte ihn aber nur ein wenig kampfunfähig. Nein, ich habe nicht auf ihn geschossen, das hättest du auch hören müssen. Der Hund allerdings ist tot." Jetzt erst sah sie den toten Körper des Tieres liegen, über den ihr Entführer gestürzt war, und sie wandte ent setzt ihr Gesicht ab. „Es ist schrecklich," hanchte sie. „Nicht so schrecklich jedenfalls, als wenn du in dcn Händen dieser Kerle geblieben wärest. Und nun komm, wir müssen uns beeilen." Er steckte den Revolver, den er bis dahin in der Hand gehabt hatte, in die Tasche und nahm ihren Arm. „Wir müssen einen kleinen Umweg machen," erklärte er, „den gewöhnlichen Weg möchte ich nicht gehen. Harald wartet dort unten mit dem Auto auf uns. Es ist eine Schande, aber der Junge hat nicht die Bohne Mut. Hättest du Lust, ihn zu heiraten?" fragte er plötzlich. Betti wußte nicht, was sie sagen sollte. „Es ist nur," fuhr er fort, während sie unter den Bäumen dahinschritten, „weil dann endlich wieder Nnhe herrschen würde." „Wie meinst dn das?" „Das ist nicht allzu schwer zu verstehen. Ich werde es dir später näher erklären, der Weg wird beschwerlich." Sie kletterten über steinige Abhänge, wanden sich durch dichtes Gestrüpp hindurch und standen nach Verlauf von etwa einer Stunde an einer Wegkreuzung, wo ein Auto stand. „Da sind wir," sagte Leo aufatmend, „Harald wird sich freuen, dich wohlbehalten wiederzusehen. Verdammt, der Kerl scheint zu schlafen." Er trat auf die eingesunken sitzende Gestalt zu und tippte ihr auf die Schulter. „Du Narr . . .!" schnauzte er, aber plötzlich blieben ihm die Worte im Halse stecken. (Fortsetzung folgt.)