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Kriegsbegeisterung in China. Nanking, 31. Januar. In Nanking herrscht fieberhafte Aufregung und große Kriegsbegeisterung. Mehr als 50 000 Menschen umlagern die Eisenbahnstationen, von denen die Truppen nach Schanghai abfahren. Sie rufen in voller Begeisterung den Truppen ein „Lebewohl" und „Haltet Schanghai" zu. Es werden Gelder für einen Kriegsfonds gesammelt, zu dem die Bevölkerung opferwillig Beiträge leistet. Nach einer russischen Meldung aus Schanghai erklärte der chinesische stellvertretende Außenminister, daß die Mel dung der britischen Reuter-Agentur über eine angebliche chinesische Kriegserklärung an Japan nicht den Tatsachen entspreche. Die chinesische Regierung denke nicht daran, Japan den Krieg zu erklären. Sie werde aber dem japa nischen Druck nicht nachgeben und bis zur letzten Kugel weiterkämpfen. Erbitterte Gefechte in der internationalen Niederlassung in Schanghai. H Schanghai, 31. Januar. Am Sonntagvormittag und in den frühen Nachmittagsstunden entspannen sich an mehreren Stellen der internationalen Niederlassung verschiedentlich erbitterte Ge fechte zwischen Japanern und chinesischen Scharfschützen, die sich zum Teil in nächster Nähe des von englischen Trup pen scharf bewachten englischen Konsulats abspielten, in dem die Waffenstillstandsbesprechungen stattfanden. Durch ab irrende Kugeln wurden mehrere Zivilpersonen verwundet. Die Japaner umzingelten das in der internationalen Nie derlassung gelegene städtische Krankenhaus, da sie behaup teten, daß sich in den umliegenden Gebäuden chinesische Scharfschützen versteckt hätten. Mit Maschinengewehrfeuer vertrieben sie die Chinesen aus ihren Häusern. Auch im nördlichen Teil der internationalen Nieder lassung entwickelten sich schwere Schießereien gegen chinesische Scharfschützen, die sich in die Dachkammern der Häuser geschlichen hatten. Die Japaner veranstalteten hierauf Durchsuchungen von Haus zu Haus und vertrieben auch hier die Chinesen, von denen etwa zehn getötet wurden. fSLandrecht in der internationalen Niederlassung Schanghais. London, 1. Februar. In der internationalen Nieder lassung Schanghais ist das Standrecht erklärt wor den. Von abends 10 bis morgens 4 Uhr darf sich niemand auf den Straßen zeigen. Oeffentliche Versammlungen sind verboten. Die Stadtverwaltung hat drei Ausschüsse ein gesetzt, die sich mit der Verwendung der verfügbaren männ lichen Bevölkerung für die verschiedenen Zwecke mit den Nahrungsmitteltransport- und Vrennstoffragen und mit der Unterbringung von Truppen usw. zu befassen haben. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln hat sich verbessert. Die Generäle Feng und Jen gegen Japan Peking, 1. Februar. Die chinesischen Generäle Feng und Jenhsischan richten einen Aufruf an das chinesische Volk, in dem es heißt, daß die politische Lage in Schanghai und Charbin von dem chinesischen Volk den ganzen Einsatz der nationalen Kräfte erfordere, um gegen den japanischen Imperialismus zu kämpfen. Es geht jetzt nicht nur um das Schicksal Schanghais und Charbins, sondern um das Schicksal der Einheit Chinas. Die beiden Generäle erklären schließlich, daß sie ihre Truppen mobil machen werden für den Kampf gegen Japan. Die chinesische Regierung verläßt Nanking. London, 31. Januar. Die chinesischen Regierungsbe hörden haben ihren Sitz von Nanking nach Loyang in der Honanprovinz verlegt. Die Vorbereitungen hierfür waren schon seit einigen Monaten getroffen und die Staatsarchive waren bereits vor einiger Zeit dorthin übergeführt wor den. Ministerpräsident Wangtschingwei und auch Tschiang- kaischek haben sich angeblich dorthin begeben. Auch Nanking bedroht. Fünf japanische Zerstörer eingetroffen. Nanting, 1. Februar. InNankingist das Stand recht erklärt worden. Am Sonntag trafen fünf japa nische Zerstörer ein und richteten ihre Geschütze aus das befestigte Gebiet Nanking. Die Ankunft der neuen japanischen Kriegsschiffe rief unter den Einwohnern eine Panik hervor, da man befürchtete, daß die Japaner die Stadt beschießen wollten. Tausende von Einwohnern ver ließen die Stadt fluchtartig. Der amerikanische Konsul oer sicherte jedoch, daß die japanischen Kriegsschiffe das Feuer nicht eröffnen würden, falls sie nicht von chinesischer Seite angegriffen würden. Die Chinesen arbeiten fie berhaft an der Befestigung ihrer Verte i di- i gungsstellungen. Sie werfen Schützengräben aus i und fahren schwere Artillerie- sowie Luftabwehrgeschütze ' in Stellung. Neue Verstärkungen für die japanischen Landungstruppen. Moskau (über Kowno), 1. Februar. Nach einer sow jetamtlichen Meldung aus Schanghai sind dort neue japa nische Transportschiffe mit insgesamt 5000 Marine infanteristen eingetroffen. Außerdem wird die An kunft neuer Flugzeugmutterschiffe mit 75 Bomben flugzeugen gemeldet. Das amerikanische Konsulat hat den amerikanischen Staatsangehörigen in China mitgeteilt, daß sie sich zur Abreise bereit- halten sollen. Erbitterter Kamps um einen Truppentransport. Tokio, 1. Februar. Japanische Truppentransportzüge wurden auf der Fahrt nach Charbin von Kirintruppen an gegriffen. Es entwickelte sich ein vierstündiger erbitterter Kampf. Auf chinesischer Seite wurden 500 Mann getötet, während die Japaner 21 Tote und 40 Verwundete ver loren. Japanische Bombenflugzeuge verfolgten die fliehen den Chinesen. Weitere Verstärkungen sind aus Tschang- tschu nach dem Kampfplatz in Marsch gesetzt worden. Ein weiteres japanisches Geschwader unterwegs. Tokio, 1. Februar. Zwei Schlachtschiffe, acht Zerstörer und vier Torpedoboote im Hafen von Kune-Inaka haben Befehl erhalten, sich zum Auslaufen nach Schanghai bereit zuhalten. China soll Schuld jein. Tokio, 1. Februar. Die japanischen Marinebehörden in Schanghai melden, daß ihre Bemühungen mit den Be hörden und den ausländischen Militärbesehlshabern, eine Vereinbarung über die Errichtung einer neutralen Zone herbeizuführen, fehlgeschlagen seien, da die Chinesen den Waffenstillstand erneut gebrochen hätten. In der vergan genen Nacht seien diejapanischenSeesoldaten von den Chinesen mit Geschütz-und Gewehr feuer angegriffen worden, so daß es wieder zu schweren Kämpfen gekommen sei. Dieser Meldung muß im Interesse einer objektiven Berichterstattung entgegengehal ten werden, daß der vielerwähnte Waffenstillstand bislang nur in der Theorie bestanden hat, da nach einer englischen Meldung die Vereinbarungen noch vor ihrem In krafttreten erstmalig durch mehrfache japanische Bombenabwürfe gebrochen wurden. Neuer Botschafterprotest in Tokio. Tokio, 1. Februar. Der amerikanische Botschafter hat bei dem japanischen Außenministerium wegen der Vorfälle in Schanghai erneut scharfen Protest eingelegt. Der eng lische und der italienische Botschafter machten ähnliche Vor stellungen. Französische Abrüstungsaborduung abgereist. Paris, 1. Februar. Die französische Abordnung für die Abrüstungskonferenz mit drei Ministern an der Spitze ist am Sonntag abend nach Genf abgereist. Auf dem Bahnhof hatten sich mehrere Mitglieder des Kabinetts sowie der Oberkommandierende General Weygand eingefunden, um der Abordnung das Geleit zu geben. Ln dm WmMil des koW-MOGs. Berlin, 1. Februar. Der sogenannte Sahm-Ausschuß wird heute nachmittag um 17 Uhr zusammentreten, um über den Aufruf zur Wiederwahl des Reichspräsidenten v Hindenburg zu beschließen. Mit der Veröffent lichung des Aufrufes dürfte gegen 20 Uhr zu rechnen sein. Einladungen zum Sahm-Ausschuß. Berlin, 1. Februar. Das politische Interesse wendet sich nunmehr allgemein dem heutigen Zusammentritt des sogenannten Sahm-Ausschusses für die Wiederwahl Hin denburgs zu. Sahm hat an etwa hundert Persönlich keiten seine Einladung herausgehen lassen, und zwar ist er bemüht gewesen, keinen ausgesprochenen Parteiführer bzw. parteipolitisch abgestempelte Persönlichkeiten für den Ausschuß zu gewinnen. Dem Vernehmen nach ist seine Einladung u. a. ergangen an den früheren Reichswehr minister Geßler und Reichskanzler a. D. Cuno, Staats minister a. D. Dominicus, Staatssekretär a. D. Le wald. Von den Wirtschaftsführern wurden geladen Ee- heimratD uisberg vom Reichsverband der deutschen In dustrie, Krupp von Bohlen-Halbach, der Präsi dent des Reichslandbundes Graf v. Kalckreuth, Gene raldirektor Spingorum, Bankdirektor Solmßen, der Präsident des Deutschen Landwirtschaftsrates Dr. h. c. Brandes, Heinrich Grünfeld als Vertreter des Ein zelhandels. Weiter wurden aufgefordert den Aufruf zu unterzeichnen: General v. Horn (Kyffhäuserbund), von Hutier (D. O. V.), Wächter (N. D. O.), ».Winter feld (Rotes Kreuz), Graf v. d. Goltz (V.V.V.), Seldte (Stahlhelm), Höltermann (Reichsbanner). Unter den Vertretern der Wissenschaft Geheimrat Planck, Professor Junkers, Prosessor Aubin. Zu den Geladenen gehören auch Gerhard Hauptmann und Max Sudermann. Die Kirchen sind vertreten durch Kardinal Faulhaber und den evangelischen Kirchenpräsi denten Kapier.. Gesetzentwurf über die Reform der Sozialversicherung fertiggestellt. Berlin, 1. Februar. Die Grundzüge des Gesetzentwurfs für die Reform der Sozialversicherung sind von dem Sach bearbeiter im Reichsarbeitsministerium, Ministerialdirektor Dr. Grieser, fertiggcstellt worden und werden voraussicht lich am Dienstag vom Minister Stegerwald unterzeichnet werden. Sie gehen dann an alle beteiligten Stellen wie Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Reich- und Länderbehörden, sowie Parteien hinaus und werden im Laufe dieser und auch noch im Laufe der nächsten Woche Gegenstand ein gehender gemeinsamer Beratungen sein. Die drei wich tigsten aufgeworfenen Fragen sind: Müssen nicht angesichts der allgemeinen Senkung der Preise und Löhne auch die Leistungen der Versicherungen herabgesetzt werden? Kanu man sich noch einen so großen Apparat für die Verwaltung der verschiedenen Versicherungszweige leisten, wie er in einer günstigeren Zeit aufgebaut worden ist? Muß inan nicht die Stellen, die in erster Linie die Lasten der Ver sicherung tragen, mehr als bisher an den Verwaltungs ausgaben beteiligen? Das Familienküken. Roman von Irmgard Spangenberg. tS) (Nachdruck verboten.» Frau Justizrat Hollunder zog sich den Schlips zurecht, der unmodern wie immer war. Was war nun wieder mit dem Konrad? Warum war er plötzlich wie eisige Kälte in Person? Da kenne einer noch die jungen Men schen von heute aus! Als ihr Dorli über den Weg lies, hatte sie plötzlich das Gefühl, als müsse sie zur Seite schauen. Sie hätte Dorli lieber nicht getroffen. Aber Dorli sah nicht, daß die Mutter rotgeweinte Augen batte. Sie hatte viel zuviel mit sich selber zu tun. Eine unheimliche Ruhelosigkeit war über sie gekommen. Seit ein paar Tagen war das nun schon. „Gib mir zu tun, Mutter," sagte sie und hielt die Mutter am Ärmel fest. „Begieße doch die Blumen — oder willst du —" Sie schwieg ganz erschrocken. Dorli machte große Augen. „Das nennst du zu tun, Mutter?" Sie ging zum Vater. „Hast du keine Arbeit für mich?" Der Vater drehte sich schwerfällig in seinem Schreib tischsessel um und mußte noch einmal fragen, sowenig tränte er seinen Ohren. „Eine Arbeit? Kind — ich weiß nicht recht — wie meinst du?" Dorli stand geduldig da. Nur die Hände rangen sich verzweifelt ineinander. „Hast du nichts abzuschreiben für mich? Irgendeine Klage oder Briefe oder Kostenberechnungen — irgend was muß doch abzuschreiben sein!" „Ich weiß nicht — Gott, Dorli — das hast du doch noch nie gewollt!" „Hast du eine Arbeit?" fragte Dorli noch einmal, noch viel dringender. „Warum? Willst du Geld haben? Wieviel? Sag' nur." „Geld?" Dorli sah ihren Vater tiefunglücklick an. „Nein, Arbeit will ich. Verstehst du das nicht?" Der Justizrat suchte nervös nach einer Zigarre, nach einem Schriftstück oder dem Bleistift — er wußte selber nicht wonach. Aber er fuhr wild auf seinem breiten Schreibtisch hin und her. „Frag' den Bureauvorsteher —sagte er endlich und war erleichtert, als Dorli sich heftig umwandte und hin- ausging. Zum Bureauvorsteher ging sie. „Pohnson — haben Sie etwas abzuschreiben für mich?" Pohnson fuhr ebenso herum wie der Vater vorhin. Als ob das etwas Unerhörtes wäre in einem Rechts- anwaltsbureau, wenn Schriftstücke abzuschreiben sei» sollten! „Pohnson, geben Sie mir Arbeit!" „Nee," sagte er kurz und fing einfach an, weiterzn- schreiben. Auf der Treppe traf Dorli den Schwager. Sie merkte, daß er so schnell wie möglich an ihr vorbeilaufen wollte. Aber mit den Augen zwang sie ihn, stehenzu bleiben. „Kann ich dir bei irgend etwas helfen, Konrad?" fragte sie und war erleichtert, als sie die schnelle Antwort bekam: „Heute nicht." Wie hatte sie glauben können, bei ihm oben zur Ruhe zu kommen? Das war ja gerade das allerschlimmste! Bei ihm im Laboratorium! Neben ihm sitzen — und neben Johanna! Lieber den ganzen Tag still auf einem Flecken hocken als das! Aber Konrad Fromm sah sich noch einmal um und traf ihren Blick mit der trostlosen Leere und Verzweiflung. „Komm mit nach oben," sagte er und ging langsam voran. Sie folgte. Nun war sie schon ganz ergeben. Es war ja doch alles so gleichgültig. Ob sie nun oben saß und Reagenzgläser spülte und Gewichte putzte — oder ob sie auf der Veranda die Minuten zählte. Er gab ihr Arbeit, wie sie es verlangt hatte, aber die Hände waren ihr schwer und ruhig machte es sie auch nicht, wenn sie nur mit den Händen zu arbeiten hatte. Die Gedanken blieben dieselben. Johanna war nicht da. Sie wirkten beide schweigend nebeneinander. Jeder hatte mit seinen Gedanken zu tu» und beiden war das Herz gleich schwer. Warum hat niemand ihr gesagt, daß dieser Hülsewcb kommt, um sie zu sehen? dachte Konrad. Warum spielen sie Versteck mit ihr? Merkte denn niemand, daß sic anders wurde von Tag zu Tag? Daß sie blaß und müde aussah und einen stillen Zug um den Mund bekam? Aber Dorli war ja nur das „Kind", das liebe, verzogene Kind! Dcr Sonnenstrahl der Familie Hollunder durfte sich nicht er dreisten, kein Sonnenstrahl zu sein. Wo hatte die Justiz- rätin die Augen? Wo blieb Johannas vielbewundertc Klugheit? Fremde Mädel interessierten sie, daß sie von einem Heim ins andere stürzte, aber die junge Seele neben ihr wurde abgetan mit einem bequemen: Dorli ist ein oberflächliches Kind. Basta. Er sah ein paarmal zu Dorli hinüber. Er merkte wohl, daß sie alle paar Minuten die Hände still auf den Tisch legte und durchs Fenster hinaus in die Baum spitzen sah. Dorli wäre am liebsten davongelaufen, wenn sie sich nicht vor dem Schwager geschämt hätte. Aber er sollte nicht von ihr denken, daß sie leicht einer Arbeit überdrüssig wurde. Sie quälte sich und wußte nicht, warum. Sir war sich seit ein paar Tagen plötzlich ihres Unwertes jo bewußt, daß sie sich am liebsten in ihrem Zimmer ein geschlossen hätte, um zu sterben. Sie war ja nur Dorli, die keiner ernst nahm, die man mit erstaunten Augen an sah, wenn sie um eine Arbeit bat! Warum hatte man ihr nie kleine Pflichten gegeben? Andere junge Mädchen hatten doch welche! „Begieße die Blumen," hatte die Mutter gesagt! Als ob das einem hilft, ein paar Gummi bäume und Stubenlinden zu tränken! Sie mußte etwas Ernstes unternehmen, etwas tun, daß die anderen sahen, sie konnte auch etwas leisten. Konrad sollte nicht wieder sagen — Konrad —. (Fortsetzung folgt.)