Volltext Seite (XML)
Fall einer absichtlichen Verletzung des Poungplanes durch Deutschland vorgesehen sei. Pertinax hetzt. Paris, 11. Januar. Pertinax glaubt am Montag früh in der Lage zu sein, die Haltung der französi schen Regierung gegenüber der Brüning-Erklärung genauer uriedergeben zu können als am Vortage. Frank reich sei in seiner Verteidigung durchaus nicht aller Mittel entblößt. So werde die Bank von Frankreich ihren Anteil an der der Reichsbank gewährten Anleihe von 1vll Millionen Mark Ende Februar zweifellos nicht verlängern. Zweitens werde es nicht schwierig sein, die deutsche Wirtschaft über gewisse Gläubiger, die Frankreichs Schuldner seien, zu treffen. Weiter könne Frankreich seine Rechte dadurch wahren, daß es wie im Jahre 1921 Zollmatznahmen gegen die deutsche Einfuhr ergreife. Auf jeden Fall fordere die französische Oeffentlichkeit, daß man Brüning nicht erlaube, einen neuen Fetzen Papier in den Papier- korbzuwerfen. Nach dieser aus der Tiefe seines Gemütes ausgestoße- nen Drohung geht Pertinax zu den französisch-eng lischen Verhandlungen über und stellt fest, daß die Besprechungen nicht rasch vom Fleck kämen. Leith Roß halte an dem Gedanken eines fünfjährigen Moratoriums fest und wolle nach Ablauf desselben einen von den beteiligten Regierungen ernannten Unter suchungsausschuß eingesetzt wissen, der die deutsche Zahlungs fähigkeit erneut zu prüfen habe. Vorwürfe gegen England. Paris, 11. Januar. Die Pariser Morgenblätter be schäftigen sich eingehend mit der Haltung Englands in der Tributfrage. Obgleich unmittelbare Angriffe auf die bri tische Regierung angesichts der Pariser Verhandlungen noch vermieden werden, betonen die Blätter ziemlich überein stimmend, daß die Haltung Macdonalds zweifellos ge eignet sei, Berlin zu stärken. Weiter heißt es, daß das deutsch-englische Einvernehmen gar nicht mehr zu verkennen sei. Wenn Brüning seinen Schritt in der Tributfrage gewagt habe, so sei das nur geschehen, weil er der Zustimmung nicht nur der Londoner City, sondern auch der englischen Regierung bis zu einem gewissen Grade sichergewesen sei. Bei den Aeußerungen Macdonalds handle es sich keineswegs um seine persönliche Meinung, da er ihren Wortlaut mit Mitgliedern seines Kabinetts durchgesprochen habe. Macdonald hatte unter anderem ge äußert, nach seiner Ueberzeugung würden dann alle be troffenen Regierungen einsehen, daß die Erholung und Be friedung Europas davon abhänge, daß man den harten Tatsachen ins Gesicht sehe. Laval bei der Kabinettsbildung. — Herriot nach Paris berufen. Paris, 11. Januar. Wie in politischen Kreisen zuver lässig verlautet, hat Ministerpräsident Laval die Absicht, sein neues Kabinett am 14. Januar der Kammer vorzu stellen. Die Hoffnung, die Radikalsozialisten zur Teilnahme an einer Regierung der nationalen Sammlung bewegen zu können, ist noch nicht aufgegeben. Laval hat Herriot ! zu einer Besprechung nach Paris gebeten; die entscheidende Begegnung dürfte im Laufe des heutigen Montags statt finden. Herriot beabsichtigt, den Exekutivausschuß seiner Partei sofort zusammenzurufen, um ihm die Frage der Teilnahme der Regierung zur Beschlußfassung vorzülegen. Heute nachmittag findet eine Besprechung des Minister präsidenten mit Tardieu statt, der bereits fest entschlossen ist, dem Rufe Lavals auf den Kriegsministerposten Folge zu leisten. Mw MhMl MOM UM MW. Beuth en, 10. Januar. Am Sonntagabend 7 Uhr wurden auf der Karsten-Zentrum-Grube die sieben ver schütteten Bergleute, mit denen man seit einigen Stunden Verbindung hatte, lebend geborgen. Sie sind natürlich, nachdem sie sechs Tage und sechs Nächte auch von der Nah rungszufuhr vollkommen abgeschnitten waren, autzerordent- Aerztliche Betreuung wurde ihnen sofort an der Bergungs stelle zuteil. Die Bemühungen zur Freilegung der restlichen sieben Eingeschlossenen, die an einer anderen Stelle ge arbeitet haben, werden fortgesetzt. Mit diesen Bergleuten konnte bisher keine Verbindung hergestellt werden. Aus aller Well. * Tödlicher Boxunfall in Berlin. Emen tragischen Abschluß fand der Mittelgewichtskampf zwischen Kaul (Post sportverein) und Rutkowski (Teutonia), der am Sonntag in Berlin stattfand. In der zweiten Runde wurde Kaul schwer zu Boden geschlagen und schlug dabei mit dem Kops so unglücklich auf, daß er wenige Stunden später im Krankenhaus verstarb. * Tödlicher Motorradunfall. Der etwa zwanzig Jahre ölte einzige Sohn des Reichstagsabgeordneten und Ritter gutsbesitzers Dr. Wendhausen in Spotendorf bei Laage ist mit seinem Motorrad am Sonnabend mit einem Kraftwagen zusammengestoßen. Er war sofort tot. Die Insassen des schwerbeschädigten Autos wurden mit Verletzungen in eine Rostocker Privatklinik llbergeführt. * Blutige politische Zusammenstöße in Rendsburg. Aus Itzehoe wird gemeldet: Wie die SA.-Oberführung Nordmark mitteilt, wurden am Sonntag 70 Mann SA. in Rendsburg von etwa 200 Kommunisten und Reichsbanner leuten überfallen. Ein 22jähriger SA.-Mann namens Menzel wurde getötet, vier SA.-Leute schwer und 16 leicht verletzt. * 22 Verletzte wegen eines hübschen Mädchens. Die serbische „Politika" berichtet aus Bosnisch-Brod von einer Bauernschlacht im Dorfe Lischnjatze. Zwei Burschen waren dort wegen eines Mädchens in Streit geraten. Da keiner von beiden zurücktreten wollte, versicherte sich jeder der Mit hilfe einer möglichst großen Zahl von Bauernsöhnen. Als es zur Austragung des Kampfes kam, waren über hundert Burschen mit Messern und Prügeln erschienen. Nach kurzer Zeit lagen 22 mehr oder minder schwer Verletzte auf dem Schlachtfelde. Das Mädchen, um das der Kampf geführt wurde, hatte mit großer Spannung dem Ausgang des Tref fens zugesehen. Paris feiert den Thronerben von Aethiopien. Kronprinz Asfau Wossän von Abessinien und seine Schwester werden in Paris feierlich empfangen. Der junge Kronprinz von Abessinien bildet in Paris, wo er auf seiner Europareise ein getroffen ist, den Gegenstand zahlreicher Ehrungen. Der 15jährige Prinz wird dereinst einmal den Thron eines Reiches besteigen, das wegen seiner Schlüsselstellung im Nord osten des schwarzen Erdteils bereits jetzt von den europäischen Kolonialmächten wie Eng land, Frankreich und Italien eifrigst um worben wird. Ein Kirchenbau, der nicht fertiggestellt werden soll. Die Fundamente der Kathedrale de la Almu dena in Madrid. In der spanischen Hauptstadt war im vergangenen Jahre der Grundstein zu einer Kathedrale gelegt worden, die alle Kirchen- auten Spaniens an Großartigkeit über treffen sollte. Nach dem Umsturz mußten jedoch die Bauarbeiten eingestellt werden, so daß der prunkvolle Bau, der über die ersten Anfänge nicht hinausgekommen ist, niemals vollendet werden wird. Das Familienküken. Roman von Irmgard Spangenberg. H (Nachdruck verboten.) „Na ja," fiel der Justizrat ein, „das hat alles Hand und Fuß. Aber — versteh' mich nicht falsch, Kind — hat er den nötigen Hintergrund — hm — Vermögen?" Johanna warf ein wenig abwehrend den blonden Kopf in den Nacken. Da fiel Dorlis Stimme hell da zwischen. „Liebt ihr euch denn?" Einen Augenblick schwiegen alle erschrocken. Der Vater wandte sich um und begann, ans Fenster zu trom meln, Alberta sah in ihren Schoß und die Mutter auf ihrem Sofaplatz verhielt den Atem. Dorlis Frage kam so beschämend unerwartet. Johanna zog die Stirn in Falten und sah an Dorli vorbei. „Wir achten einander und wissen genau, was einer am andern hat," sagte sie ruhig. Aber Dorli faßte noch einmal nach. „Und — und?" und kennen uns lange genug und haben die gleichen Interessen. Denselben Beruf — wenn auch ge legentlich andere Ansichten." „Hm," sagte der Vater und zog die Uhrkette immer wieder durch die Finger, hm. Was meinst du, Mutter?" „Ich?- Die kleine Frau krampfte die Hände vor der Brust zusammen. „Bei uns war es so anders — damals," sagte sie leise und verzagt und wartete sehnsüchtig auf ein empörtes: wir haben uns genau so lieb! Auch mit Alberta war es ganz anders gewesen. Wie anders! Mit welcher Leidenschaft war sie für ihren Seppl eingetreten! Das war doch Feuer gewesen, bren nendes, glühendes Feuer! Das brannte einfach den Widerstand des Vaters aus dem Weg und überrannte alle Hindernisse im Sturm. Ja, der Joseph Zehnter! Der war es auch wert! Der magere, hungrige Maler, der nichts in die Wagschals zu werfen hatte als seine liebe, warmherzige, sonnige Person! Daß der zu Alberta paßte — darum brauchte man damals gar nicht bange zu sein. Aber diese Sache mit Johanna — nein, die wollte ihr einfach nicht in den Sinn. Sie wußte, daß Johanna jetzt auf ein warmes Wort wartete, daß sie sich quälte und sich mitten in der Familie Wieder einsam fühlte. Aber was sollte man sagen? Man kannte doch den fremden Menschen gar nicht. Sie ver suchte krampfhaft, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, was Johanna wohl so im Laufe des Jahres über ihren jungen Kollegen geäußert hatte. Nichts fiel ihr ein. Ein paar unbedeutende „Doktor Fromm war der Ansicht" oder „Doktor Fromm war dabei". Nichts mehr. Und doch hatte dieser Mensch ein Jahr neben Johanna ge arbeitet, hatte mit ihr Pläne ersonnen und Ziele auf gerichtet — und nichts wußte man davon! Weil Johanna immer kühl und verschlossen war, von Kind auf. Immer ein wenig fremd zwischen den anderen, immer ein wenig abseits. Und war doch ebensogut ihr Kind wie Alberta und Dorli. Sie streckte plötzlich mit einer impulsiven Bewegung Johanna beide Hände hin. „Mein Kind!" Da neigte sich Johanna tief und küßte die Hände, und als die Mutter den blonden Scheitel so vor sich sah, fühlte sie ein tiefes Erbarmen. „Du hast dir immer deinen Weg allein gesucht," sagte sie leise. Aber Alberta hatte es gehört und griff es ver sonnen auf. „Das haben wir beide. Nur, daß vielleicht meiner ein bißchen geräuschvoller war. Auf die Kunstschule wolltet ihr mich auch nicht lassen — und ich hab's euch doch abgeschmeichelt. Und den Seppl später auch. Tut euch das nun leid? Warum soll es mit Johanna nun nicht gut gehen? Ihr seht das alles viel zu schwarz an." Sie lächelte freundlich. „Ja, Mam — drei Kinder habt ihr euch nun mühsam großgezogen und zwei davon — zwei —" „zwei sind mißraten," fiel Dorli harmlos ein. „Aber die dritte wird! Daraus kannst du dich verlassen, Vater — die dritte wird! Ich hab' keine Studiengelüste. Weder auf Medizin noch auf Malerei. Ich heirate auch nicht." Der Vater lachte. „Das mußt du mit deinen sieb zehn Jahren freilich schon wissen!" Gebrochen war der Bann. Wenn der Vater lachte, war er überwunden. Und wenn der Vater überwunden war, dann lief das andere alles wie am Schnürchen ab. Sogar Johanna lächelte wieder. Sie saß an die Mutter geschmiegt, wie sie wohl zuletzt als Kind gesessen hatte, und ihre Augen bekamen warmen Glanz. Nein, Konrad Fromm war keiner, dem man mißtraute, wenn man ihn kannte! Konrad Fromm war aber auch keiner, der sich beiseiteschieben ließ. „Ja, so geht's, wenn man studierte Töchter hat," lächelte der Justizrat, und dann mußte Johanna noch einmal erzählen Von ihren Zukunftsplänen und Ab sichten. Von allem, was sie in der Stille durchkämpft und erlebt hatte. Der Vater schüttelte ein paarmal miß billigend den Kopf, die Mutter seufzte hier und dort. Aber Dorli lsörte mit weit offenen Augen zu. Eine neue Welt tat sich vor ihr auf. Eine Welt, in der sie sich mit ihren siebzehn Jahren noch nicht zurechtfand. So etwas gab es auch, daß zwei sich heirateten, nm eine Klinik aus zumachen? Daß zwei Achtung voreinander höher als Liebe einschätzten? Je mehr Johanna von dem Doktor erzählte, desto unfaßlicher und fremder wurde ihr der Mann. Zu einem so klugen, hölzernen Menschen konnie sie kein Verhältnis finden. Der war ihr unsympathisch — das wußte sie schon jetzt. Eigentlich konnte einem Johanna leid tun. Aber schließlich — sie wollte ja gar nicht n^ehr als eine gemeinsame Klinik! „Nun habe ich nur noch Dorli," sagte die Mutter ein wenig klagend. Johanna nickte. „Vorläufig wenigstens noch. Aber ich denke, sie wird auch bald einen Beruf wählen —" „Ich?" Dorli fuhr erschrocken aus ihren Gevanken auf. „Ich — einen Beruf?" Alberta lachte. „Willst du immer hinter Mutters Schürze kleben?" „Ja — ich dachte —" Dorli verwirrte sich, sah von einem zum andern — „ich dachte — ich wollte —" „Konrad hat sich schon sehr gewundert über dich," sagte Johanna und sah auf ihre Fingerspitzen. „Soll denn das Kind überhaupt nichts lernen?" fragte er kürz lich und war eigentlich recht befremdet." „Was hat er gesagt? Was? Johanna, sag mal: was hat der Kerl gesagt?" Johanna sah kalt über sie weg. „Von einem Kerl ist überhaupt schon gar nicht die Rede. Im übrigen hat Konrad Fromm vollkommen recht." „So," machte Dorli und war dunkelrot geworden. „So." Also „Kind" nannte er sie. Gut, daß sie das nun wußte! „Das scheint ja ein schöner Kunde zu sein!" (Fortsetzung folgt.)