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Die Grubenkalaslrophe bei Aachen DerSchachtbrennt. Alsdorf, 21. Oktober. Ein entsetzliches Berg werksunglück ereignete sich bei Aachen. Man vermutet, daß das Unglück auf eine Dynamitexplosion zurückzufüh- ren ist. Der ganze Schachtausbau stand sofort inFlam- men und stürzte zum Teil in den Schacht hinein. Zur Zeit ist man noch mit den Löscharbeiten beschäftigt. Dauernd werden Verletzte geborgen, deren Zahl sich bis jetzt noch nicht annähernd feststellen läßt. Im unter irdischen Betriebe waren zur Zeit der Katastrophe etwa 2V0V Bergleute eingeschlossen, über deren Schicksal bisher noch nichts bekannt ist. Man kann nicht zu ihnen vor dringen, weil der brennende Schacht noch nicht passierbar ist. Die Löscharbeiten werden mit allem Nachdruck be trieben, um den Bergleuten die Ausfahrt zu ermöglichen. Die Nachricht von dem Unglück hat sich in der näheren und weiteren Umgebung von Alsdorf mit Windeseile verbreitet. Zu Tausenden umstehen Neugierige und die Angehörigen der noch eingeschlossenen Bergleute das Schachtgelände und warten auf Nachrichten. Sämtliche Aerzte, Sanitäter usw. von Alsdorf, Aachen und den um liegenden Städten sind zur Unglücksstätte abkomman diert, um Hilfe zu leisten. Die ganze Schachtanlage ein einziger Trümmerhaufen. Aachen, 21. Oktober. Ein Bergmann, der gerade von der Nachtschicht kam und Augenzeuge des schrecklichen Unglücks wurde, erklärte, daß die Wirkung der Explosion geradezu verheerend gewesen sei. Ein furchtbarer Knall dröhnte plötzlich durch den ganzen Ort. Eine riesigeStichflamme, begleitet von dunklen Rauchsäulen, schlug aus der Erde. Mauer stücke, Dachziegel, Fensterscheiben, Balkenstücke flogen umher und fielen klatschend auf die Straße. Aus den Häusern stürzten in furchtbarer Panikstim mung die Menschen und eilten sofort an den Ort des Unglücks. Da kamen auch schon die ersten verwundeten Bergleute und Angestellten mit blutenden Gesichtern, die unter den Trümmern des eingestürzten Belegschafts gebäudes hervorkrochen. Die ganze Schachtanlage sowie der Förderturm gleichen einem einzigen Trümmer haufen. Feuerwehr, Sanitätsmannschaften und Polizei waren alsbald zur Stelle und begannen mit der Bergung der Toten und Verwundeten. Bis gegen 1v Uhr waren schon 2 5 Tote unter den Trümmern hervorgeholt und mehr als 5 0 Ver letzte dem Krankenhaus überwiesen. Wie gross die eigentliche Wirkung der Explosion ist, läßt sich erst ermitteln, wenn die Rettungsmannschaften an den Herd der Explosion herangekommen sind. Zur Zeit des Unglücks waren sehr viele Bergleute unter der Erde. Falls die sämtlichen Stollen eingestürzt sind, wird die Zahl der Toten sehr erheblich sein. Man hofft jedoch, den größten Teil der Bergleute lebend ans Licht bringen zu können. Es steht fest, daß das Unglück das grösste und schwerste Grubenunglück ist, das das Wurm-Revier bisher betroffen hat. Büros, Maschinenhäuser und Waschräume sind grössten teils zusammengestürzt oder sehr schwer beschädigt wor den. Unter dem Vürohaus befand sich ein Benzol-Lager, das explodiert ist. Im Gebäude waren 30 Beamte, von denen zwei tot geborgen wurden. Sehr viele wurden verletzt. Man versucht von Grube Anna I aus, die mit dem Explosionsherd durch einen unterirdischen Gang verbun den ist, an die Unglücksstätte heranzukommen. ! Der grötzte Teil der eingeschlossenen Bergleute in Sicherheit. DieZahlderTotenwächst. Wie die Telegraphen-Union weiter erfährt, hat sich die Zahl der bisher geborgenen Todesopfer auf 30 er- ! höht. Man vermutet, daß an der Unglücksstelle selbst, zu der man bisher noch nicht hat vordringen können, noch - einige Tote geborgen werden. Die Zahl der Verletzten ' hat bisher noch nicht annähernd festgestellt werden kön- ! nen, da ein größerer Teil Leichtverletzter sofort seine Wohnung aufgesucht hat. j Die bisher eingeschlossenen Verg- s leute sind durch die Nachbarschächte bereits zu Tage gefördert worden,so daß also für sie keine weitere Gefahr mehr besteht. Es sind nur noch einige Bergleute eingeschlossen, jedoch ist eine Gefahr für diese Leute nach Mitteilung des Esch weiler Bergwerksvereins nicht vorhanden. Die Wetter führung auf den einzelnen Sohlen ist in Ordnung. Man nimmt an, daß nur diejenigen Leute verunglückt sind, die in der Nähe des explodierten Sprengstoff-Lagers ge arbeitet haben. Aufräumungsarbeiten. Die Ursache des Unglücks ist immer noch nicht ge klärt. Auch auf der 250-Meter-Sohle soll das Spreng stofflager in Ordnung sein. Vor der Verwaltung der Grube stauen sich seit Stunden unentwegt die Angehöri gen der noch vermißten Bergleute, um Nachrichten zu bekommen. Auch bei einbrechender Dunkelheit war die Unglücksstelle von vielen Besuchern besetzt. Die Auf- räumungsarbeiten über Tage und die Versuche, zu den Eingeschlossenen vorzudringen, werden nach wie vor fort gesetzt. Von den benachbarten Gruben aus wurden dort Vorstöße unter Leitung des Bergrates Verse aus Aachen unternommen. Auf der 360-Meter-Sohle wurde bis zur Unglücksstelle vorgedrnngen. Hier wurden die dort lagernden Munitionsvorräte voll ständig in Ordnung aufgefundcn. Die Wasserhaltung und Ventilation ist mittags wieder in Gang gebracht worden. Vis zu den Hauptrevieren konnte man noch nicht vordringen, da die Strecke an vielen Stellen zu Bruch gegangen ist. Aus drei Revieren ist die gesamte Beleg schaft samt Steiger unverletzt durch eine Ncbengrube ausgefahren. Die zum Teil sehr verstümmelten Leichen, die geborgen sind, konnten noch nicht alle iden tifiziert werden. Auch bietet die Zählung der Ge retteten dadurch Schwierigkeiten, daß eine ganze Anzahl Unverletzter ohne Meldung sofort nach dem Ausfahren nach Hause gegangen ist. Erst nach Ausforderung durch den Rundfunk meldete sich eine Anzahl Leute, die vor her als vermißt galten. In Alsdorf selbst herrscht ein furchtbares Durcheinander, da die ganze Bevölkerung, verstärkt durch sehr viele Neugierige, die aus allen Teilen des Rheinlandes, aus Belgien und Holland herbeigeströmt sind, sich auf den Straßen auf hält. Von Zeit zu Zeit kommen geschwärzte Gestalten aus dem Verwaltungsgebäude heraus, die sich am Ret tungswerk beteiligen, oder auch solche, die durch andere Schächte ausgefahren sind. Sie werden mit fragen nach den Angehörigen bestürmt, können aber alle keine-be stimmte Auskunft geben. Das Vordringen in die zu Bruch gegangenen Strecken ist außerordentlich erschwert. Die Verwaltung lehnte es Dienstag ab, sich über die Ursache zu äußern, da eingehende Untersuchungen zurzeit nicht angestellt werden könnten. In erster Linie müßte du Arbeit der Bergung der Eingeschlossenen gelten. Es nt also immer noch ungeklärt, ob es sich um eine Spreng stoff- oder eine Kohlenstaubexplosion oder um Schlag wetter handelt. Nach der verheerenden Wirkung der Explosion an dem Seilturm und dem Verwaltungsge bäude muß man annehmen, daß es sich um eine Spreng stoffexplosion handelt. W immer WgWHM in Mois. Alsdorf, 22. Oktbr. Ob die Zahl der noch in der Grube eingeschlossenen Bergarbeiter wirklich 124 be trägt, ist noch nicht sicher, da immer noch keine genaue Feststellung der am Dienstag früh eingefahrenen Be legschaft möglich war. Um die noch immer vor dem Ver waltungsgebäude wartenden Angehörigen über die in den Krankenhäusern untergebrachten Bergleute zu un terrichten, hat die Verwaltung gedruckte Listen mit den Namen der Verletzten Herstellen lassen. Die Freilegung der zu Bruch gegangenen Strecken schreitet rüstig vor wärts. Allein zwischen 1 und 2 Uhr wurden 30 Tote geborgen. Ein älterer Mann, der am Dienstag früh bereits eingefahren war, aber durch einen Nebenschacht sich in Sicherheit bringen konnte, ist wieder mit den Ret tungsmannschaften eingefahren, um seine beiden Söhne, die ebenfalls in der Frühschicht eingefahren sind, zu suchen. Die oberirdischen Aufräumungsarbei ten an dem eingestürzten Verwaltungsgebäude und dem Förderturm schreiten rüstig fort. Mit einer größe ren Anzahl von Schweißgeräten wird die Eisenkonstruk tion des Seilturmes auseinandcrgenommen. Spenden für die Opfer des Alsdorfer Grubenunglücks. Berlin, 22. Oktbr. Aus Anlaß des Grubenunglücks in Alsdorf ist, wie in früheren ähnlichen Fällen, die Reichsgeschüftsstelle der deutschen Nothilfe, Berlin, Wil helmstraße 62, im Einverständnis mit den zuständigen Behörden bereit, für die Hinterbliebenen der Bergleute und für die Verletzten Geldspenden entgegenzunchmeu. Die Einzahlung von Spenden wird erbeten auf das Postscheckkonto Berlin 156 000 und auf das Konto „Deutsche Nothilfe, Grubenunglück Anna II in Alsdorf" bei der Zentrale der Deutschen Bank und Diskonto-Ge sellschaft Berlin. 150 Leichen in Alsdorf. Die Zahl der Toten steigt. Alsdorf, 22. Oktbr. Vis heute vormittag 11 W sind in Alsdorf 150 Leichen geborgen wor den. Es besteht keine Aussicht mehr, die noch unter Tagt befindlichen Bergleute lebend zu retten. In den letzten Stunden konnten die Rettungsmannschaften nur noch Tote bergen, 231 Tote. Berlin, 22. Oktbr. Von zuständiger preußischer Stelle wird die bis 12 Uhr mittags festgestellte Zahl der Toten mit 231 angegeben. In diese Zahl einbegriffen sind die in den Krankenhäusern Verstorbenen. Die Reichsregierung und die preußische Staatsregicruug haben je 150 000 RM. zur Linderung der dringendsten Not zur Verfügung gestellt. Alsdorf, 22. Oktober. Die Bergbehörde gibt den Stand der Rettungsarbeiten heute mittag wie folgt an: 170 Tote sind geborgen, ferner sind unter Tage noch 61 Bergleute, die als tot festgestellt worden sind. Da mit ergibt sich eine vorläufige Gesamtzahl von 231 Toten 99 Verletzte befinden sich in den Krankenhäusern. Sie sieben Sorgen des Doktor Zoost. Roman von Marie Diers. 2A (Nachdruck verboten.) Joost hatte sich diesen Stand der Dinge in der Apotheke bisher gefallen lasten, obwohl ihn das un männliche Versteckspiel oft bis aufs höchste zu einer schiingelhaften Herausforderung reizte, Aber heure hatte er kaum den Raum betreten, da erschien seinem Er- i staunen hinter dem Ladentisch die lange, sagere Gestalt ! des Herrn Leucht und em paar strenge Augen iahen ihm - durch die Brillengläser schars und drohend ins Gesicht Die schmalen Lippen blieben wie verbissen geschlossen und i öffneten sich nicht einmal zu einer Frag«, wie sie die Höf lichkeit gebot Joost warf den Hut auf einen Stuhl und rieb sich die Hände, die vom scharfen Ostwind starr und steif waren. „Haben Sie selbstgemachten Höllenstein da, Herr Leucht?" fragte er ihn. Er stellte öfter solche Fragen, obwohl er wußte, daß Herr Leucht alles von auswärts ! bezog, während noch von seinem Vater erzählt wurde, daß er, um vas Silber für die Höllensteinbereitung zu er langen, keiner Frau die Kaffeelöffel aus dem Schrank ge stohlen hatte, so daß sie für ihre gefährdeten Schätze sich immer neue und raffiniertere Verstecke ersinnen mutzte. „Wir haben gestern erst neuen bekommen," entgegnete der Apotheker, schien aber kaum zu wissen, was er sagte. Er stemmte die langen Finger auf die Marmorplatte des Ladentisches, knickte sie ein und sah darauf nieder. Dann plötzlich, ruckhaft, sah er empor und sagte: „Herr Doktor, ich würde gern einmal mit Ihnen über persönliche An gelegenheiten reden." „Warum nicht?" sagte Joost. „Kann ich mich dazu setzen? Zeit habe ich gerade die Fülle." „Nein, bitte. Hier kann jeden Augenblick jemand kommen. Darf ich Sie führen?" Der Doktor war willig wie ein Lamm. Herr Leucht öffnete die Tür zum Laboratorium, zog aber unwillig den Kopf wieder zurück. „Ach so, der Provisor." Einen Moment stand er mit seinem Gast in dem kleinen Gang, der in die Hinteren Räume und zum Hof führte. „Ra, dann nach oben, in den Schötz Ihrer Familie," schlug der Doktor vor. Aber der andere wehrte etwas nervös ab „Nein, nein, wozu? Am besten, sie sehen es gar nicht, es gibt doch nur lästige Fragen. Herr Doktor, ist es Ihnen angenehm, wenn wir in — in den Keller gehen solange?" So stiegen sie miteinander in den grotzen gewölbten Keller mit seinen verschiedenen Abteilungen. Fässer und Flaschen, Kolben und Geräte standen an den Wänden, der Steinboden glänzte vor Sauberkeit. In dem letzten Raum entzündete der Apotheker eine Gasflamme und bot seinem Gast einen Schemel an. „Es wird mir nicht leicht," sagte ei und schnappte aach Luft „Es ist eine etwas peinliche Sache, die ich er- „Es ist eine etwas peinliche Sache, die ich erörtern mutz." örtern mutz, denn es ist an mir, Ihnen ernsthafte Vor- Haltungen zu machen." „So — ist es das?" fragte der Doktor. Aber schon im nächsten Moment, als er in das vor Erregung zitternde Gesicht des Mannes sah, machte sein schulbubenhaftes Lachen einer aussteigenden Bewegung Platz. Dem Mann steigt das Wasser hoch, sonst spräche er nicht zu mir! dachte er. Nun hietz es, das gute Gewissen, falls er eins hatte, sehen zu lassen. „Sie haben meinen Sohn an sich herangezogen, Herr Doktor, ohne daß Sie es für nötig befanden, mit mir in Fühlung zu treten." Das war immerhin in dem alten hochfahrenden und doch allzu beherrschten Ton gesagt. „Hm ja —" sagte Eberhard Joost. „Ich habe ihm Schlingen gelegt, Fallen gestellt und führe jetzt einen Jndianertanz um die gefangene Maus im Käfig auf." „Mir ist es nicht ums Spatzen zu tun!" fuhr der Apotheker in ausbrechender Heftigkeit aus. „Wissen Sie es, Herr Doktor, was im letzten halben Jahr in meinem Hause vor sich gegangen ist? Aber gewiß, ja, Sie wissen es natürlich! Sie stehen ja dahinter! In jedem Wort, das Erwin sagt, haben meine Frau und .ch Ihren un seligen Einfluß gespürt Sagen Sie mir, wie kommen Sie dazu, mit welchem Rechte drängen Sie sich und Ihre" Standpunkt in unsere Familie ein?" Der Doktor zog an seinem Schnurrbart und ent gegnete: „Es kam ein junger Mensch zu mir, der hatte zu enge Schuhe an, die hatte ihm sein Papa gegeben, wett es Familienschuhe waren. Aber sie waren ihm zu klein, denn dieser lächerliche Junge hatte nämlich Riesenfüße und sie drückten ihn und er stolperte darin und konnte nicht gehen und stehen Da habe ich ihm gesagt, er sollte du zierlichen Schühchen, die an und für sich ja allerliebst sind, seinem alten Herrn zurückgeben und lieber barfuß weiter- laufen. Herr Leucht, es ist nicht so schlimm für einen Heranwachsenden Jungen, auch einmal barfuß zu lausen, daß Sie mich darum mit diesem bleichen Blick des Ent setzens zu durchbohren trachten und mich —" Der Apotheker hielt kaum mehr an sich. „Sie geben also zu, mit meinem Sohn über seine Familienverhältnisse gesprochen zu haben?" fragte er. „Ohne Zweifel. Herr Leucht, nehmen Sie sich in acht: sind Ihre Familienverhältnisse danach, daß man nicht darüber sprechen darf?" „Es handelt sich hier natürlich um die Art und Weise Wollen Sie vor allen Dingen festhalten, daß unsere Er- ziehungsmaximen im Prinzip durchaus verschieden sind und daß deshalb der Anstand es erfordert, daß der eine sich von dem Gebiet des anderen streng fernhält. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ich Ihre Töchter zu Ihre» Ungunsten bearbeitete, sie mit aller Macht und Gewalt in mein Gebiet hinüberzuziehen trachtete, gegen Ihre» Willen?" „Wie ich das fände? Sehr interessant. Wir könne» unserem jungen Volk nichts Besseres geben als den Eim blick in die Verschiedenartigkeit aller Erkenntnisse. J<" gebe Ihnen die Erlaubnis, meinen erwachsenen Töchter» vorzureden, was Sie wollen. Nur wenn man die Menschen vor Selbstentscheidung stellt, gibt man ihnen die Möglichkeit, unabhängig zu werden." lSoryetzung folgt.)