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Das „Journal" hebt hervor, Brüning habe den außenpolitischen Teil seiner Erklärungen mit der Vor sicht eines Staatsmannes redigiert, der vom Ausland nne dringende Unterstützung von drei Milliarden Fran ken erwarte. Die Zurückhaltung mindere jedoch nicht die Zugeständnisse, die er den Anhängern einer Revi sion der Verträge habe machen müssen. Im großen und ganzen nehme der Reichskanzler das gesamte Programm der rechtsstehenden Parteien an mit der einzigen Ein schränkung, daß er die Verwirklichung auf pazifistischem Mge wünsche. Der „Petit Parisien" betont, daß man die Absicht der Regierung, Ordnung in die Finanzver hältnisse zu bringen, mit Genugtuung feststellen könne. Es handle sich nur darum, zu wissen, ob die Mitglieder des Reichstages sich diesem Entschluß fügen würden oder nicht. Das linksgerichtete „Oeuvre" sieht in der Re gierungserklärung ein Mittel, alle Parteien zufrieden- Melien und gleichzeitig zu verärgern. Es werde Brü ning außerdem auch ganz gleich sein, ob er im Reichstag eine Mehrheit finde oder nicht. Denn er sei schon jetzt icst entschlossen, den Reichstag in die Ferien zu schicken, um auf Grund des 8 48 zu regieren. Der chauvinistische Figaro" ist der Meinung, der Ausgang der Aussprache im Reichstag werde nichts daran ändern, daß sich alle Parteien darin einig seien, daß die gegenwärtige Lage es Deutschland nicht erlaube, den eingegangenen Ver pflichtungen nachzukommen. Der sozialistische „Popu- laire" sagt, die Ausführungen über die S t ä r k u n g der R e i chs w e h r seien zu erwarten gewesen, nach dem sich die Sieger des Weltkrieges geweigert hätten, den Weg der Abrüstung zu beschreiten. Wenn heute die Mästeten Staaten die Lage für zu unsicher hielten, um abzurüsten. wieviel beunruhigter müßten dann diejeni gen sein, die bereits abgerllstet hättem Ws MWUMMlW MN UM MW. Mit 233 gegen 188 Stimmen. .Lm.preußischen.Landtag wurde gestern die politische Aussprache aus Auflösung des Landtages fortgesetzt. Abg. Dr. Heß (Ztr.) betont, angesichts der po litischen Undurchsichtigkeit, die die letzte Reichstags- wahl ergab, ist es das beste, wenn in Preußen die jetzige Klarheit der Verhältnisse bestehen bleibt. Den deutsch- nationalen Zusatzantrag aus Auflösung auch der kom munalen Parlamente lehnt des Zentrum ab, weil es nach seiner religiösen Auffassung verboten ist Selbst- Mordabsichten Vorschub zu leisten. (Große Heiterkeit.) Düs deutsche Volk müsse nach den Reichstagswahlen zu nächst einmal zur Ruhe kommen. Das Zentrum glaube, daß das deutsche Volk auch wieder zur Vernunft gelange. (Unruhe rechts.) Wenn es sich herausstellen sollte, daß die Nationalsozialisten etwa Hand legen wollten an die deutsche Demokratie, dann würden sie dabei auf die schärfste Gegnerschaft des Zentrums stoßen. Da die Na tionalsozialisten auch den Reichskanzler Brüning als ihren Gegner bezeichnet hätten, so seien sie sich hoffent lich darüber klar, daß eine Kampfansage an Brüning eine Kampfansage an die Zentrumspartei bedeute. Das Zentrum nehme den Kampf auf. Das Weitere werde sich finden. Bei der Abstimmung über den Mißtrauensantrag Segen das Kabinett Braun ergaben sich 198 Stimmen dafür und 233 dagegen. Der Mißtrauensantrag ist also abgelehnt. W MWd« Ws MMiW WlWs. Berlin, 16. Oktober. Nach der Vollsitzung des Reichstages traten sofort der Haushaltsausschuß, der Auswärtige Ausschuß und der Handelspolitische Ausschuß Asammen. Der Haushaltsausschuß wählte zum Vor sitzenden den Abg. Heimann (Soz.) und zu stellver tretenden Vorsitzenden die Abg. Reinhardt (Natsoz.) and Dr. h. c. Klöckner (Zentr.). Der Auswärtige Aus- Nie sieben Sorgen des Doktor Zoosi. Roman von Marie Diers. ee 'Nachdruck verboten.» Hinten ging wieder der Streit los um den Platz. Erwin wollte Marrets Hockerei ans dem Wagenschlag nicht langer dulden. Er faßte sie an die Arme und hob sie aus leinen Platz. Die Lustigkeit stand ibm gut. Marie« aber Mar böse und klagte: »Sie sind viel stärker als ich dachteI" Erwin suchte sie zu überzeugen, daß er auch seine üanze graft gegen sie hätte einsctzcn müssen. Es war seht Hübsch anzusehen, wie er das trotzige kleine Ding tröstete, -as fand Doktor Joost, der in seinem Fledermaüsmantel plötzlich am Wagenschlag stand. „Ruhe!" sagte er und tat, als ob er grimmig märe. »Das kann ich hier nicht mit ansehen. Kommen Sie nach porne, Erwin Leucht. Der Christian kann nach Hause laufen." Allgemeines Entsetzen. Das auch noch! Hatte man einmal ein kleines Ver- Mügen, wupp, war das auch vorbei. Konnte die dumme dorret sich nicht ruhig verhalten? Nur Regna gähnte; es war ihr alles egal. Was sie bch wohl alle um diesen langweiligen kleinen Gymnasiasten lv hatten! Erwin war cs auch inchi recht, er heuchelte Mitleid dir Christian. Aber Christian hatte schon seinen Mantel ausgezogen, aufgerollt, unters Leder gestectt und war los- aerannt, als ob es brennte. Bei dem Doktor ging immer alles alert. Ja, nun, oa saß er neben Peterchen und es ging in die dunklen Felder hinaus. Erwin war in der Stimmung, sich zu ärgern. Wie der Doktor die Leine hielt! Und da wieder, sagt' ich's picht? ruck ging das Vorderrad wieder über einen Stein ruck das Hinterrad. Jetzt: platsch, platsch durch's Wasser. Eben sing er an, sich über diese rücksichtslose Fahrerei auf- ruregen, da sprach ihn der Doktor an. Später zerbrach er sich noch öfter den Kops, wie dlgentlich diese Unterhaltung gegangen war, aber er "rächte sie nicht mehr zusammen. Machte es der merk- würdig starke Ton, den der Joost an sich hatte, oder war daß in ihm, halb unbewußt, sich alles spannte nach Ver ständnis, nach einer schlichten, großen Wahrhaftigkeit — ft stand plötzlich mitten drin in einem Erlebnis, wie es rhm die Erde noch nicht gegeben hatte. Er hatte das Wunderbar starke und freie Gefühl, alles sagen zu können, was er wollte, schuß wählte zum Vorsitzenden den Abg. Dr. Frick (Natsoz.) und zum stellvertretenden Vorsitzenden den Abg. Scheidemann (Soz.). Der Handelspolitische Ausschuß wählte zum Vorsitzenden den Abg. Henke (Soz.) unid zum stellvertretenden Vorsitzenden den Abg. Dr. Des sauer (Zentr.). Vorzeitiges Ausscheiden Heyes. Berlin, 16. Oktober. Amtlich wird mitgeteilt: Genera'rbsrst von Heye hat gebeten, den auf den 3V. November 1938 festgesetzten Termin feines Ausscheidens aus dem Dienst aus den 31. Oktober 1930 vorzuverlegen. Im Hinblick auf die jetzige politisch besonders bewegte Zeit IM er es im Interesse des Heeres für notwendig, die Ueberqabe der Geschäfte an seinen Nachkolger jetzt bendet wird, damit wieder ganz klare Befehlsver hältnisse in der Heeresleitung geschaffen werden. Der Herr Reichspräsident hat dem Anträge stattgegeben. Generaloberst Heye ist seinem Anträge gemäß bis zum Tage seines Ausscheidens beurlaubt worden. Die Ge schäfte des Chefs der Heeresleitung versieht General major Freiherr von Hammerstein-Equord. Kohlenpreise werden gesenkt. Das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat wird am Donnerstag zu einer Sitzung zusammentreten, um sich mit der Lohn- und Preispolitik in der Kohlenwirt schaft zu befassen. Wie wir erfahren, wird das Syndikat voraussichtlich eine Senkung der Kohlenpreise beschließen. In welchem Ausmaß die Senkung vorgenommen werden soll, war noch nicht in Erfahrung zu bringen. Es heißt, daß die Senkung bis zu 10 v. H. betragen soll. Das Syn dikat will mit der Herabsetzung der Kohlenpreise die von der Regierung Brüning getriebene Lohn- und Preis politik stützen, und es wird daher in der Begründung seines Beschlusses ausdrücklich darauf Hinweisen, daß die Maßnahme vom Syndikat nur deshalb getroffen werde, um der Neichsregierung die Möglichkeit zu geben, auf dem bisher beschrittenen Wege der Senkung der Preise erfolgreich fortfahren zu können. Mit der Senkung der Kohlenpreise-wird die Preis senkungsaktion einen bedeutenden Schritt weitergebracht, denn niedrige Kohlenpreise verbilligen ganz allgemein den Produktionsprozeß und schaffen somit die Voraus setzung für Preisreduzierungen in zahlreichen Indu striezweigen. Aus aller Welt. * Weitere Nahestörer vom Schnellrichter abgearteilt. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in der Nacht vom 13. zum 14. Oktober vor dem Reichstag, aus der Leipziger Straße und dem Potsdamer Platz hatten sich am Donnerstag vor dem Schnellrichter, Amtsgerichts rat Rosenthal, fünf Angeklagte wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Bruches der Bannmeile zu ver antworten. Die Angeklagten erklärten, außer einem, der der NSDAP, angehört, politisch unorganisiert zu sein. Gegen vier AngÄlagte wurden Gefängnisstrafen von 4 Monaten 2 Wochen bis zu 3 Monaten 2 Wochen wegen Uebertretung der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 2b. Juni, sowie Bruches der Bannmeile verhängt. Ein weiterer Angeklagter wurde freigesprochen. * Zusammenstöße zwischen Kommunisten und Polizei im Norden Berlins. — Drei Beamte verletzt. Am Don nerstagabend zog ein kommunistischer Demonstrations zug durch die Kösliner Straße im Norden Berlins. Als Polizeibeamte wegen des Singens verbotener Lieder ein schreiten wollten, wurden sie von den Demonstranten be schimpft und mit Steinen beworfen. Aus einem Haus wurde auch ein Schuß abgegeben. Die Polizei trieb dar auf die Ansammlung mit dem Gummiknüppel ausein ander. Kurz daraus kam es zu neuen Ansammlungen, so daß die Polizei abermals einschreiten mußte. Als sich die Und doch sagte er gar nicht viel. Das Gespräch blieb tm ganzen bei äußerlichen Dingen, über seine Schul leistungen und Zukunftspläne vor allem, aber in zurück haltender Weise. „Es wird mir so merkwürdig schwer, mich für einen Beruf zu entscheiden," sagte der Jüngling mit einem dunk len Klang in der Stimme, der dem Doktor zu denken gab. „Ich kann es mir denken." Eigentlich konnte er es sich gar nicht denken. Der junge Leucht stand ein halbes Jahr vor seinem Abiturium, war achtzehn Jahre alt und ein aufgeweckter Mensch — da weiß einer noch nicht, was er für's Leben werden will? Er hatte es seit Sekunda gewußt, aber auch gleich so stark und stürmisch, daß keine Gewalt aus Erden ihm das hätte versperren können Der Doktor Joost war jonst nicht jo übermäßig tole rant. Bei einem andern hätte er seinem Spotte freien Raum gelassen Aber sür diesen Jungen, der aus so ganz anderem Holze war als er, hatte er ein so nachgiebiges Begreifen, daß es ihn selber wuudene. Er sah plötzlich in dessen Daseinskrets hinein, als hätte er sein Lebtag nichts getan als gestanden und zu geguckt, wie die Leuchts ihr Feld bebauten Er sah, daß der alte Leucht seinem jungen Sohne mit einem grenzen losen Unverständnis gegenüberstand. Daß er ihn unter Zerren und Zwiebeln, das den Knaben nur verängstigte, in den Apolhekerberus zwingen wollte, ohne Ahnung von seinem wirklichen Wesen und Wollen. Daß noch der seine junge Geist sich vor dem großen Zusammenkrach fürchtete, ohne daß er sich doch zum Friedensschluß bewegen lassen konnte. Der Doktor spielte mit der Peitsche auf den Pferde rücken, ließ die Tiere langsam gehen, um Zeit zu ge winnen, und sah in der grauen Dunkelheit zu dem Jüng ling hinüber, konnte aber seine Gesichtszüge nicht unter scheiden. „Arzt möchten Sie wohl nicht werden?" fragte er kurzab. Es kam nicht sogleich eine Antwort. Er sann unter des nach, warum er ihn das gefragt hatte. Sav dies Jüngelchen etwa sehr nach ärztlichen Strapazen aus? „Vielleicht gerade!" sagte er sich mit einer Art eigen sinniger Verbissenheit. Dann entgegnete Erwin Leucht: „Ich sehe jetzt immer nur in allen Berufen das Negative, das Nichts hinter allem Tun und Wollen. Es ist meine eigene Not, daß ich von dem Hochmut besessen bin, mich nicht wegwerfen zu wollen an irgendeine dieser negativen, auf Täuschung be ruhenden, zerstückelten Tätigkeiten!" Vorgänge etwas später wiederholten, wurde die Straße geräumt. Dabei wurden wiederum sechs Schüsse auf die Beamten abgegeben, die darauf mit Schreckschüssen er widerten. Drei Polizeibeamte wurden durch Steinwürse verletzt. Ob Demonstranten Verletzungen erlitten haben, ist nicht bekannt. Die Polizei nahm sechs Zwangsge stellungen vor. Die Festgenommenen wurden der Ab teilung des Polizeipräsidiums zugeführt. * Am 25. Oktober Königshochzeit in Assisi. Die katholische Trauung des Königs Boris von Bulgarien mit der Prinzessin Giovanna findet nach einer amtlichen Mitteilung am 25. Oktober in Assisi statt. Nach dem „Popolo di Roma" wird das junge Paar am 5. Oktober in Verna landen. * Tränengasbomben gegen kommunistische Demon stranten. Im Mittelpunkt des Neuyorker Eeschäftsviertels kam es, wie der Lokalanzeiger aus Neuyork meldet, am Donnerstag zu Zusammenstößen zwischen kommunistischen Demonstranten und der Polizei. Die Polizei wandte Tränengasbomben an. * Schwerer Betriebsunfall im Hamburger Hafm. — Ein Toter. Am Donnerstagnachmittag ereignete sich im Hamburger Hafen ein schwerer Betriebsunfall. Beim Hieven von Kisten auf den Dampfer „Karnak" wurden drei Schauermänner von einer aus zwölf Meter Höhe stürzenden Last getroffen und schwer verletzt. Die Ver unglückten wurden sofort einem Krankenhaus überwiesen * Blutige Köpfe im Münchener Stadtrat. Im Mün chener Stadtrat kam es am Donnerstag zu einer regel rechten Schlägerei zwischen Stadtverordneten der Bay rischen Volkspartei und Nationalsozialisten. Aeußerer An laß war wiederum das Thema „Uniformverbot". Als der Stadtrat Ostermaier dem Nationalsozialisten Esser, der seine Anträge begründete, das Wort „Bolschewik" zurief, stürzte sich dieser aus seinen Beleidiger. Es kam zu einem Handgemenge zwischen zwei Nationalsozialisten und sechs Stadträten der Bayrischen Volkspartei, die mit Tinten fässern und Aschebechern um sich warfen. Oberbürger meister Scharnagl stellte sich zwischen die Kämpfenden, die aber immer wieder aufeinander losgingen. Am schwer sten mitgenommen wurde der Stadttat Esser, der mit einem schweren Metallaschenbecher am Kinn verwundet wurde und dessen Kragen und Hemd blutbefleckt waren. Im Halbkreis umstanden die nicht an der Kampfhandlung beteiligten Stadtväter das Eefechtsfeld, während die Galerie sich durch Zurufe beteiligte. Durch das tatkräftige Eingreifen der beiden Bürgermeister konnten die Strei tenden schließlich getrennt werden. Unter großer Erregung wurde dann die Sitzung fortgesetzt. * 171 französische Fischer im Sturm umgekommen. Die Hasenbehörde von Lorient stellt amtlich fest, daß die letzten Stürme unter den französischen Fischern 171 Todes opfer gefordert haben. Davon waren 94 verheiratet» Sie hinterlassen 121 Waisen. Zu Ehren der Toten soll ein nationaler Trauertag angesetzt werden. " Erdrutsch in Bergen. Wie aus Oslo gemeldet wird, wurde Bergen gestern von einem schweren Erd rutsch heimgesucht, der durch den Durchbruch eines En tenteiches in der Nähe des Restaurants auf dem Flöj- fjeld verursacht wurde. Große Erdmassen stürzten auf bebaute Stadtteile nieder. Dabei wurde die Wasserlei tung zerstört und große Wassermassen ergossen sich in die bedrohten Stadtteile. Die Straßenbahn mußte den Ver kehr einstellen. Zahlreiche Bäume wurden entwurzelt. Auf dem Friedhof wurde u. a. das Grab des bekannten Komponisten Ole Bull schwer beschädigt. Der Gesamt schaden beläuft sich auf mehrere hunderttausend Kronen. * Ein Deutscher in Paris zu lebenslängliche Zwangs arbeit verurteilt. Der Deutsche Konrad Koch, der am 13. März d. I. beim Kauf eines Revolvers einen Pariser Wasfenhändler in dessen Laden erschossen hatte, ist nach einer Meldung Berliner Blätter aus Paris am Donners tag vom Pariser Schwurgericht zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt worden. Seine Stimme klang hell in die Dunkelheit hinein. „Recht so!" rief Doktor Joost und schlug ein großes Lachen auf. Ihm war unendlich wohl bei dieser jungen, starken, gärenden Torheit, die so unerwartet aus dem stillen Jungen ausbrach und überschäumte. Du Schlingel sollst auch hochmütig sein, sagte er tm Herzen zu ihm. Was siehst du denn um dich her. seit du gucken kannst? Nichts, das besser wäre als vu, aber vieles, das schlechter ist. Lüge, Äußerlichkeit. Scheinsucht, Fadheit, Engigkeit, Dummheit, Streberei, Genußsucht, Feigheit! Wenn du deine heiligsten Güter nicht auf einen hohen Berg gerettet hättest, mein Junge, was sür ein verdamm ter Schwächling und Bückebold wärst du bei deinen empfindlichen Nerven geworden. Ha, du solltest mein Junge sein! Ich wollte dir schon zeigen, wie man auch auf dieser wankenden Erde sich das Leben, das uns zum Narren hält, untertan macht Das solltest du bei mir lernen! — Du? — bei mir — ? Der Doktor ließ die Peitschc hängen und wurde plötzlich m seinem Innern sehr klein laut. Ach, ich glaube, wenn du erst über diesen dummen Wahn hinaus bist, daß dir, Erdensohn, die Erde zu eng ist, dann bist du auch schon über mich hinaus. Das wird für dich nicht so schwer halten. Na — um so besser. Goll walt's! Als der Doktor jein Lachen ausgeschlagen hatte, dies prachtvolle Lachen, in dem der ganze aufrichtige, starke und sich bescheidende Mensch steckte, hatte der junge Erwin gedacht: „Ja, lache du nur. Du tust selber nur halbe Arbeit, ein Flicken und Stücken und Aufhalten jammer vollen Lebens, damit die Not und das Siechtum nicht alle werden aus dieser Welt!" Aber unter alledem wärmte sich ihm das Herz. Es war, als wäre eben der Handschlag einer Kameradschaft erfolgt: „Ja, siehst du, so geht's uns ja allen. Aber wir müssen ja über die Berge. Eine Be ruhigung kam in sein Herz wie seit Jahren nicht. Als man sich der Stadl näherte, verabredeten der Junge und der Alte, daß, solange die Ferien währten, Erwin alle Tage mitfahrcn werde. „Mein Vater wird es vielleicht nicht wünschen —' sagte Erwin und brach ab. Der erste Laternenschein von Geneucken strich in diesem Moment über sein Gesicht. Doktor Joost sah schnell hin über, den Ausdruck festzuhalten, aber der Schein war zu flüchtig. „Ob er standhält?" dachte der Doktor. Aber die Hoff nung war groß in ihm. (Fortsetzung folgt.)