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Grubenunglück bei Neurobe. Die größte Bergwerkskatastrophe seit 1908. — 151 Tote. Das Kohlenrevier von Neurode am Südwestrand des Eulengebirges in Niederschlesien war am Mittwoch der Schauplatz einer furchtbaren Bergwerkskatastrophe. Die erste Meldung, die um 8 Uhr abends einging, lautet: Nachdem erst kürzlich im Neuroder Kohlenrevier mehrere Kohlensäureausbrüche, durch die das Neuroder Kohlenrevier besonders gefährdet ist, erfolgt waren, die aber keine Menschenleben gefährdeten ereignete sich gestern nachmittag um 4 Uhr auf dem Kurtschacht in Hausdorf aufs neue ein sehr gefähr licher Kohlensänreausbruch. Er erfolgte in der zwei ten und dritten Sohle. Es war dies jener Teil der Grube, der trotz des Abbaus noch am stärksten von Neuroder Mannschaften belegt war. Dadurch ist die gesamte 17. und 18. Abteilung, rund 200 Bergleute, stark gefährdet. Zur Stunde werden bereits 20 Todesopfer gezählt. Da jedoch die Rettungsaktion erst im Anfang ihrer Tätig keit steht und aus dem gesamten Vergreoier ständig neue Kolonnen Rettungsmannschaften, Sanitätsmannschaf ten und Feuerwehrmannschaften angefordert werden, ist mit einer vielfachen Zahl der bisherigen Todesopfer möglicherweise zu rechnen. Die bisher Geborgenen sind durch die ausgeströmten Kohlensäuremassen sehr ent stellt. Zur Stunde eilen Feuerwehr und Sanitäts autos und requirierte Lastwagen durch die Straßen, um die Opfer der bedauernswerten Katastrophe den Kran kenhäusern zuzuführen. Neurode, 10. Juli. Die Verwaltung der Wenzes lausgrube gibt neue Zahlen über die Belegschaften, die zur Zeit des Kohlensäureeinbruchs im Kurtschacht tätig waren, sowie über den Umfang der Katastrophe aus. Diese Zahlen scheinen nunmehr endgültig zu sein. Danach arbeiteten im Geschamtschacht 224 Mann. Hiervon waren ungefährdet 14, so datz 210 übrigblieben, die im Ein bruchsgebiet arbeiteten. Von diesen sind nur zehn Mann lebend gerettet worden und konnten sich sofort in ihre Wohnungen begeben. Verletzt ins Lazarett gebracht worden sind 49 Mann, so daß also insgesamt 39 Mann gerettet worden sind. Totsind 151 Bergarbeiter, und zwar: 82 Mann der eingeschlossenen 17. Abteilung. Von diesen sind bisher zwölf herausqeschafft worden, 70 sind noch eingeschlossen. 55 Mann gehörten der 18. Abteilung an. Neun Mann waren im Schacht beschäftigt, ferner konn ten ein Mann bei der dritten Maschinenabteilung und vier Beamte ebenfalls nicht gerettet werden. Gegen 20 Uhr fuhr wieder eine Bergungsgruppe von 20 Mann in den Schacht ein. Die Gase sind zum großen Teil abgezogen, so daß jetzt ohne Maske an die Aufräumungsarbeiten ge gangen wird. Die Aufräumungsarbeiten sind sehr schwie rig, zumal sich die Lage oft ändert. An den Ausgangs punkt der Katastrophe ist man noch nicht gelangt. Auf Grund obiger Zahlen mutz leider gesagt wer den, datz das Unglück bei Neurode die schwerste Verg- werkskatastrophe ist, die sich seit dem Jahre 1908 in Deutschland ereignet hat. Damals waren bekanntlich auf der Zeche Radbod bei Hamm 360 Todesopfer zu beklagen. Helden der Nacht. Ueber die Ursache des Unglücks weitz man nichts anderes, als datz es sich um einen Kohlen- s ü u reausb r u ch von ungeheurem Ausmatz handelt. Weithin vernehmbar, war der dumpfe Knall, so Satz die an Kohlensäureausbrüche gewohnte Bevölkerung grösstes Entsetzen befiel. Die Bergleute, die sich nach getaner Arbeit im Kreise ihrer Familie oder Kameraden befan den, stürzten eilig nach der Grube, als von schreckens bleichen Lippen, die nur stammelnd von dem Unglück Kunde gaben, der Alarm ertönte. Der Steiger Schwerdtner , von der 17. Abteilung, fuhr seiner Abteilung sofort nach, um noch zu retten, was zu retten war. Abex er konnte nichts ändern. Als erstes Todes opfer wurde er geborgen. Der Steiger Hoffmann geriet bei dem Rettungsversuch in eine Starkstromlei tung und fand gleichfalls den Tod. Die Bergungsarbeiten im Kurt- Schacht. Neurode, 11. Juli Im Laufe der vergangenen Nacht machten die Bergungsarbeiten auf dem Kurt- Schacht keine großen Fortschritte. Nur zwei Bergleute konnten noch geborgen werden. Einem von ihnen waren durch den Druck die Kleider buchstäblich vom Leibe ge rissen worden. Die Bergungsmannschaften sind jetzt etwa fünf Meter von dem Hauptpfeiler entfernt.. Sie haben 14 bis 15 Leichen sehen können, konnten aber bisher noch nicht an sie herankommen. So geht es Schritt für Schritt weiter. Die Bergungsarbeiten sind unge heuer schwierig und anstrengend, so datz die Mannschaften nach 15 Minuten vollständig ermattet sind und abgelöst werden müssen. Von der Beschaffen heit des Hauptpfeilers wird es abhängen, wie sich die weiteren Bergungsarbeiten gestalten. Dann wird man auch den Herd der Katastrophe seststellen können, der auch noch auf der Strecke hinter dem Hauptpfeiler liegen kann. Ein Besuch im Neuroder Knappschafts lazarett. Neurode, 10. Juli. Der Sonderberichterstatter der Telegraphenuuion meldet: Ein Besuch im Neuroder Knappschaftslazareth, ergibt, datz das Befinden aller 49 dort e i n g e l i e f e r t e n B e r g l e u t e verhältnismäßig gut ist. Der sehr beschäftigte Chefarzt gab bereitwilligst Auskunft über den Gesund heitszustand seiner Pfleglinge. Er glaubt mit ziem licher Sicherheit, datz alle 49 sich erholen werden, wenn nicht irgendwelche Komplikationen eintreten. Zu dem Krankenhaus wird man nicht zugelassen, in erster i Linie um die, die so Furchtbares erlebt haben, zu I schonen, aber auch auf Anweisung des Oberbergamtcs, damit der Untersuchung des Unglücks nicht vorgegeriffen wird. Dis Kranken leiden noch an Atemnot und Brust schmerzen. Sie haben, soweit sie sich überhaupt zu dem Unglück äutzerten, noch nichts wesentliches aussagen könnn. „Es kam alles so plötzlich", sagte einer. „Mein Nachbar fragte mich, ob ich auch Atemnot spüre. Da sackte ex schon zusammen und zugleich legte es sich auch mit drückender Last aus meine Brust. Ehe wir an weiteres denken konnten, verloren wir das Bewusstsein." Das zeugt davon, datz der Kohlensäureausbruch mit solcher Schnelligkeit und Heftigkeit gekommen ist, datz die Ein geschlossenen keine Zeit zur Ueberlegung mehr hatten. Im Gegensatz zu früheren Unfällen, wo es vielen noch möglich war, in die höher gelegenen Teile der Stollen zu klettern und so von dem Gase frei zu kommen, das wegen seiner Schwere am Boden lag. An sich ist die Kohlensäure ja kein Gift,' vielmehr bewirkt der Luft mangel ein sanftes Einschlafen. Friedlich, mit ruhigen Eesichtszllgen wurden die Verunglückten aufgefunden, unkenntlich nur durch den Kohlenstaub und durch die Verletzungen durch herabstllrzendes Gestein. Nur daraus erklärt es sich, datz immer noch einige von den bereits Geborgenen nicht identifiziert werden konnten Vor der Unglllcksstätte und dem Krankenhaus spielen sich herzzerreißende Szenen ab. Tafeln, auf denen die Namen der Toten verzeichnet werden, sind dicht umlagert Mütter mit den Kindern auf den Arinen, Schwestern, Brüder, Bräute — sie alle klagen um ge liebte Angehörige. Und noch nimmt der Jammer kein Ende. Lagekarte des Unglücksschachtes in Hausdorf (Schlesien). Beileid und Hilfe. Der R e i ch s p r ü s i d e n t hat an den Regierungs präsidenten in Breslau folgendes Telegramm gerichtet: „Tief erschüttert durch die Nachricht von dem schweren Un glück, das das schon so schwer heimgesuchte Neuroder Bergrevier durch die Katastrophe auf der Wenzeslaus grube erneut betroffen hat, bitte ich Sie, den Hinter bliebenen der ums Leben gekommenen Bergleute den Ausdruck meiner aufrichtigen Teilnahme und den Ver letzten meine besten Wünsche für baldige Wiederherstel lung zu übermitteln. Gott gebe, datz die noch in der Grübe eingeschlossenen Bergleute gerettet werden. Als Beitrag zur ersten Hilfeleistung für die Hinterbliebenen lasse ich Ihnen sofort einen Betrag von 10 000 Mark überweisen, gez.: von Hindenburg, Reichspräsi dent." Der amtliche preutzische Pressedienst meldet: Anläß lich des Grubenunglücks in Neurode Hal der preutzische Ministerpräsident Dr. Braun folgende Telegramme abgesandt: An die Zechenverwaltung der Wenzeslaus- grube, Neurode in Schlesien: Zu dem schweren Gruben unglück, das auf so tragische Weise den Tod vieler wacke rer Bergleute herbeigeführt hat, spreche ich, zugleich im Namen der preußischen Staatsregierung, herzlichste Teilnahme aus. An den Vorsitzenden des Betriebsrates der Wen zeslausgrube: Tief erschüttert von der Schwere des Grubenunglücks bitte ich, den Hinterbliebenen der Opfer und den Verletzten mein aufrichtigstes Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen. Beifolgende 2000 Mark bitte ich zur Linderung der Not der Hinterbliebenen zur Vertei lung zu bringen. Ministerpräsident Braun. Das preutzische Staatsministerium hat anläßlich des Grubenunglücks sofort einen Betrag von 100 000 Mark zur Linderung der Not der Hinterbliebenen und der Ver letzten bereitgestellt. Beileid der sächsischen Regierung zur Grubenkatastrophe in Schlesien. Der sächsische Ministerpräsident hat namens der Regierung dem preußischen Ministerpräsidenten tele graphisch die herzliche Anteilnahme an der Gruben katastrophe in Schlesien ausgedrllckt. * Schwere Kohlenstaubexplosion in Luckenau. Bisher zwei Tote. Zeitz, 10. Juli. Auf Grube Paul I in Luckenau er eignete sich eine schwere Kohlenstaubexplosion im Auf bereitungsraum der Vrikettfabrik. Zwei Arbeiter erlit ten tödliche Verletzungen, zwei wurden mit schweren Ver letzungen ins Krankenhaus gebracht, drei andere Ar beiter kamen mit leichteren Verletzungen davon. Ms WW des MWMWMS. Berlin, 10. Juli. Zu dem Kamps um das Deckungs programm der Reichsregierung und die geplanten Ergän zungsvorschläge erfährt die Telegraphen-Union von un terrichteter Seite, daß das Reichskabinett von sich aus keine Partei führe r Verhandlungen mehr ab zuhalten gedenkt. Die ursprünglich für Donnerstag in Aussicht genom mene gemeinsame Unterzeichnung der Initiativanträge zur Abänderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes und zur Einführung der Eemeindebürgerabgabe ist nicht er folgt. In parlamentarischen Kreisen wird angenommen, daß nunmehr im Verlause der weiteren Beratungen des Steuerausschusses einzelne Ausschußmitglieder von sich aus die entsprechenden Anträge einbringen werden, ebenso, wie vermutlich auch die Demokraten, deren bekannten An trag auf Einführung einer Gemeindegetränkesteuer vor bringen werden. Der Steuerausschuß hätte dann über die Anträge zu entscheiden. Man nimmt an, daß sich für die Begrenzung der Darlehenspflicht des Reiches für die Arbeitslosen versicherung ebenso eine Mehrheit findet wie für die Einführung einer Gemeindebürgerabgabe, während der demokratische Antrag auf eine Schankverzehr steuer fallen dürfte. ötm«sW siik MM der WM MMM. Verli n, 11. Juli. Im Steuerausschuß des Reichs tages wurde heute bei der Fortsetzung der Beratung des Neichshilfegesetzes eine sehr wesentliche Aenderung be schlossen, die das in der Moldenhauerschen Vorlage ent haltene, vom Neichsfinanzminister Dietrich jedoch nicht übernommene NotopferderAngestellten mit höheren Gehältern wiederher stellt. Mit den Stimmen der Sozialdemokraten, der Kommunisten, der Bayerischen Volkspartei, der Wirtschaftspartei und des Zentrumsabgeordneten Dr. Föhr, wurde ein An trag der Bayerischen Volkspartei und der Wirstchafts- partei angenommen, wonach zur Reichshilfe auch diejenigen Personenherangezoqe nw er den, deren Einkommen den Betrag von 8400 Reichsmark im Jahre übersteigt, wenn diese Personen nicht in der Ar beitslosenversicherung versichertsind. Mit der gleichen Mehrheit wurde ein Antrag derselben Parteien angenommen, der in die Reichshilfe auch die Aufsichtsratstantiemen einbezieht. Ist das Wirtschaftsankurbelung? Tariferhöhungen der Reichsbahn. Ueber die Tariferhöhungen der Reichsbahn ist eine amtliche Erklärung veröffentlicht worden, in der es u a. heißt: Der Antrag der Reichsbahn auf eine mäßige Er höhung der Personentarife ist Gegenstand eingehender Erwägungen der Reichsregierung gewesen, wobei die Reichsregierung auch auf die Wirtschaftslage im allge meinen Rücksicht nehmen mutzte. Die Neichsregierung hat sich entschlossen, der beantragten mäßigen Erhöhung zuzustimmen, mit der Maßgabe, daß sic erst am 1. Sep tember in Kraft tritt. Die Reichsrcgierung ist der Ansicht, datz der Mehr ertrag, der der Reichsbahn aus dieser Erhöhung zuflictzt, auf 65 Millionen Mark geschätzt werden kann. Da die Erhöhung der Stückgut-, der Expreß- und der Gepäck tarife nach der Berechnung der Reichsregierung dieser 70 Millionen Mark bringt, sind im ganzen der Reichs bahn 135 Millionen Mark Tariferhöhungen bewilligt. Die Auswirkung der Tariferhöhung. Am 1. September 1930 werden, wie unsere Ber liner Schriftleitung erfährt, die Grundpreise der Reichs bahn wie folgt erhöht werden: In der 3. Klasse bei Einzelkarten von 3,7 ans 4 Pfennig, bei Zeitkarten von 3,3 auf 3,7 Pfennig, in der 2. Klasse von 5,6 auf 5,8 Pfennig, in der 1. Klasse von 11,2 auf 11,6 Pfennig. Nach der Personentariferhöhung tritt in den untersten Entfernungen keine Steigerung ein, bis auf die unterste Nahzone s1—4 Kilometer) in folge Heraufsetzung des Mindestfahrpreises von 15 ans 20 Pfennig. Die Preise der Monatskarten 3. Klasse steigen bei 5 Kilometer von 4,20 auf 5 Mark, bei 15 Kilometer von 11,60 auf 13 Mark, bei 30 Kilo meter von 18 auf 20 Mark: die Arbeiterwochen karten werden bei 5 Kilometer von 90 Pf. aus 1 Mark, bei 15 Kilometer von 2,40 auf 2,60 Mark, bei 30 Kilometer von 3,60 aus 4 Mark erhöht. Bei den Zeit karten der 2. Klasse werden die Einheitssätze ebenso wie die der Einzelkarten erhöht. Die B a h n stcigkart e st werden van 10 Pf. auf 20 Pf. erhöht. Die Fahrpreise des Berliner und des Hamburger Vorortsverkehrs bleiben unverändert. M MWWlt „Alis WM". Ueber Hammerfest. Kopenhagen, 10. Juli. Das Luftschiff „Graf Zeppe lin" har Donnerstag mittag Hammerfest in einer Höhe von 100 Metern bei strahlendem Sonnenschein über flogen. Ueber Spitzbergen. Stockholm, 11. . Juli. „Graf Zeppelin" flog von Hammerfest zum Nordkap und von dort gegen Mittag nach Spitzbergen, das um 18 Uhr bei strahlendem Sonnenschein erreicht wurde. Von dort ging die Fahrt wieder zur norwegischen Nordküste. An der Nordküste Schottlands. Hamburg, 11. Juli. Wie die Hamburg—Amerika- Linie mitteilt, befand sich das Luftschiff „Graf Zeppe lin" heute vorm. 9.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit, an der Nordküste von Schottland.