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Kin und Ker Der Reichstag ist heute um 11 Uhr zusammen- getreten, um die zweite Beratung der Dek- kungsvorlage fortzusehen. Man rechnet damit, daß in den Nachmittagsstunden die Abstimmungen vor genommen werden können. Man erwartet, das? die Deckungsvorlage eine Mehrheit fin den werde, wenn auch bis zur Stunde die Haltung der deutschnationalen Fraktion, die bereits in den Mor genstunden wieder zusammengetreten ist, noch nicht sicher ist, wenn die Abstimmungen zu einer Ablehnung der Deckungsgesetze- führen sollten, i st es möglich, daß die Reichsregierung bereits heute die entsprechenden Folgerungen da raus zieht. Die mit dem Benzin- und Benzolzoll verbundenen Agraranträge der Deutschnationalen und der Regie rungsparteien sollen entsprechend der gestrigen Verein barung der Parteiführer der Regierungsparteien dem Ausschutz überwiesen werden. Auch hier ist unsicher, ob dies programmätzig vor sich gehen wird. Bei zahlreichen Parteien besteht das Bestreben, die Reichstagstagung möglichst nicht mehr in die nächste Woche hinein zu ver legen und zu versuchen, bereits morgen zu einem Ab- schluß zu kommen. Zu diesem Zwecke mützte die et waige Ausschutzberatung über die Agrarreform noch heute abend erledigt werden, so datz morgen die zweite Beratung und, da kommunistischer Widerspruch mit Sicherheit zu erwarten ist, die dritte Beratung und Schlutzbestimmung über die Agrarreform even tuell in einer Sonntagnachtsitzung erfolgen mützte. Die heutige Reichstagssitzung. Der Präsident eröffnete die Freitagsitzung um 11 Uhr. Die zweite Beratung der Deckungsvorlagen und der damit verbundenen Anträge wurde fortgesetzt. In zwischen waren auch die Agraranträge der Regierungs parteien als Aenderungsantrag zum Benzin- und Ben zolzollgesetz eingcgangen. Vor Eintritt in die Tagesordnung wies Abg. Dittmann sSoz.) darauf hin, datz ein Teil der ein gebrachten Aenderungsanträge nach der Geschäftsord nung nicht zulässig sei. So sei es nicht möglich, zur Biersteuervorlage einen Aenderungsantrag einzubrin gen, der die Erhöhung der Umsatzsteuer vorsieht, eben so könne man vom Benzol,zollgesetz nicht Aenderungen der Agrarzollgesetze beantragen. Es gehe nicht an, datz eine jeweilige Mehrheit des Reichstages glaubt, sich willkürlich über die Bestimmungen der Geschäftsord nung hinwegsetzen zu können. Der Geschäftsordnungs ausschutz werde in allernächster Zeit eine grundsätzliche Prüfung dieser Frage vornehmen müssen. Präsident Loebe stellte fest, datz auch der Aeltestenrat sich darüber bereits unterhalten habe und der Eeschäftsordnungsausschutz beauftragt sei, für die Zukunft Vorkehrungen zu treffen, einem eventuellen Mitzbrauch zu steuern. Für die gegenwärtige Beratung solle eine Aenderung nicht eintreten. In der fortgesetzten Aussprache gab Abg. Dr. Föhr sZentrZ für die Fraktionen des Zentrums, der Deutschen Volkspartei, der Demokraten, der Wirtschafts partei und der Christlich-nationalen Arbeits gemeinschaft eine Erklärung ab, in der es heitzt: „Trotz der gegen Teile des Finanzprogramms be stehenden Bedenken sind wir entschlossen, den Vorlagen mit den von uns eingebrachten Anträgen unter Ableh nung aller anderen Anträge zuzustimmen, da es unbe dingt erforderlich ist, die Finanzen des Reiches, der im Reichslag. Länder und der Gemeinden aus ihrer schweren Not zu befreien. Die Ordnung der Finanzen des Reiches ist zugleich die Voraussetzung für die Wiederbelebung der Wirtschaft, die wiederum Voraussetzung ist für die Be hebung der sozialen Notstände. Mit unserer Zustim mung geben wir dem festen Willen Ausdruck, eine gründliche Finanzreform und Steuersenkung mit aller Beschleunigung in Angriff zu nehmen und durchzufüh ren. Gleichzeitig legen wir Wert darauf, mit aller Deutlichkeit auf die Konsequenzen einer Ablehnung des Finanzprogramms hinzuweisen. Die Initiativanträge zur beschleunigten Verabschiedung des Agrarprogramms wurden gestern unterzeichnet. Namens der Regierungs parteien habe ich zu erklären, datz sie sich bei einer Ab lehnung des Finanzprogramms nicht mehr an die ge gebenen Unterschriften gebunden fühlen und diese zu- rückziehen. Damit schlotz die allgemeine Aussprache. — Es be gann die Einzelberatung über die Steuergesetze. Abg. Torgier (Komm.) protestierte gegen die Methode, das Ägrarprogramm als Aenderungsantrag zu behandeln. Die Kommunisten werden die Recht- mätzigkeit eines so zustandegekommenen Gesetzes anfech ten. — Abg. Dr. Dessauer lZentr.) beantragte, die Anträge über das Agrarprogramm dem Ausschutz zu überweisen. Abg. Berndt sDnat.) widersprach der Ausschutzüberweisung. Das Vorgehen der Regierungs parteien lasse darauf schlietzen, datz es ihnen mit dem Agrarprogramm gar nicht ernst sei. — Abg. v. Lind- einer-Wildau sChristl.-nat.) betonte demgegen über, man wolle im Ausschutz eine durchaus sachliche Beratung des Agrarprogramms durchführen. Abg. Torgler sKomm.) beantragte nunmehr, alle Anträge über das Aqrarprogramm und die Umsatz- stenererhöhung von der Tagesordnung abzusetzen. Das Abstimmungsergebnis über den kommunisti schen Antrag blieb zweifelhaft, da auch die Sozialdemo kraten und Nationalsozialisten dafür stimmen und die Deutschnationalen wegen des Andauerns ihrer Frak tionssitzung nur durch wenige Mitglieder vertreten waren. — Im Hammelsprung wurde der Antrag, gegen den auch die inzwischen erschienenen Deutschnationalen stimmten, mit 210 gegen 146 Stimmen abgelehnt. Präsident Loebe schlug darauf vor, das Gesetz über den Benzin- und Venzolzoll an letzter Stelle zu behandeln, da die Aenderungsanträge über die Agrar reform erst jetzt verteilt worden seien. — Abg.V erndt sDnat.) erhob Widerspruch gegen diesen Vorschlag. — Die Kommunisten beantragten Vertagung auf Sonn abend, damit die Fraktionen Stellung dazu nehmen können. — Der Vertagungsantrag wurde abgelehnt, die Umstellung der Tagesordnung da gegen beschlossen. Auf Antrag der Sozialdemokraten wurde für die Agrarantrüge eine weitere Stunde Rede zeit bewilligt. Zur Beratung kam dann zunächst die Novelle zur Tabak- und Zuckersteuer. Abg. Bergholz (Soz.) wandte sich gegen die Vorschläge der Regierungsparteien, die dazu führen würden, datz der Tabak des armen Mannes verteuert werde im Interesse des Ringes der Erotzsabrikanten in der Tabakindustrie. Bei der Biersteueroorlaqe begründete Abg. Puchta sSoz.) die ablehnende Hal tung seiner Partei. Im Falle der Annahme beantragte er eine Bestimmung, wonach die Brauereien keinen Preisaufschlag' über die Steuererhöhung hinaus machen dürfen. Die Sozialdemokratie habe durchaus den Mut zur Unpopularität, wenn die Interessen des Staates es erfordern. Mit dem jetzigen Finanzprogramm werde aber das Ziel der Sanierung nicht erreicht. — Abg. Dr. Neubauer sKomm.j wies darauf hin, datz beim Etat für 1929 der sozialdemokratische Minister Dr. Hilfer- ding genau so die SOprozentige Erhöhung der Bier steuer gefordert habe wie die jetzige Regierung. Einigung mit der Bayrischen Volkspartei über die Biersteuer. Berlin, 11. April. Wie die Teleqraphenunion hört, ist heute mittag eine Verständigung zwischen den Regierungsparteien und der Bayrischen Volkspartei über die Viersteuererhöhung zustandegekommen, so datz nunmehr die Bayrische Volkspartei der Biersteuervor lage zustimmen wird. Wie verlautet, ist die Steuer staffel in einer Weise geändert worden, die den beson deren bayrischen Verhältnissen Rechnung trägt. Die durchschnittliche Erhöhung der Viersteuer soll nach der neuen Vereinbarung etwas unter 50 v. H bleiben. * M eine We WM»e Bolls?«. Ein Sammelcuf Hellpachs. Einer der ehemaligen prominenten demokratischen Führer, der erst kürzlich sein Reichstagsmandat nieder legte, um seine politische Bewegungsfreiheit wiederzuge winnen, der süddeutsche Professor und Staatspräsident a. D. Hellpach, hat in Köln beachtliche Worte ge sprochen. Den Rahmen gab die sogenannte „Demokra tische Vereinigung", eine abgesplitterte Gruppe jener Demokraten, die mit dem radikalen Linkskurs ihrer Ber liner Parteifreunde im höchsten Matze unzufrieden sind. Prof. Hellpach forderte die Schaffung einer grotzen, starken konservativen Volkspartei. Sie sei in Deutschland eine Notwendigkeit, als Gegenmittel gegen die Sozialdemokraten und zur Be seitigung der Splitterparteien. Früher, so erklärte der Redner, habe er „schwärmerisch" eine große liberale Partei ersehnt. Aber heute sei dieser geistige Liberalismus kein konstruktives Element mehr. Prof. Hellpach kam zu der Aufstellung zweier Möglichkeiten: „Volkskonseroative oder Volksnationale!" Rasches Ausbreiten der indischen Freiheitsbewegung. London, 11. April. In einer Bombayer Meldung der „Times" wird zugegeben, datz der passive Wider stand, soweit er von Gandhi selbst in die Wege ge leitet ist, sich mit qrotzer Schnelliqkeit über ganz Indien verbreitet. Die geschwinde Ausdehnung der Bewegung sei, um das mindeste zu sagen, beunruhigend. Inner halb der letzten 24 Stunden hätten 'n zahlreichen Teilen des Landes Verhaftungen stattgefunden, die alle un mittelbar mit der unrechtmäßigen Herstellung von Salz zusammenhängen. Allerdings dürfe nicht übersehen werden, datz die Bewegung ausschließlich auf die Hindus beschränkt sei. Es bestehe nicht das ge ringste Anzeichen für ein Interesse der Mohammedaner oder der Sikhs. Im Zusammenhang mit den zunehmenden Ueber- griffen von Anhängern Gandhis in Bombay — u. a. ist Ausländern wiederholt die Kopfbedeckung gestohlen worden — haben die englischen Behörden angeordnet, datz derartige Vergehen in Zukunft nicht mehr als Dieb stahl, sondern als Raub beurteilt werden sollen. Dem entsprechend werden die Vergehen nicht mehr mit Ge fängnis bis zu drei Jahren, sondern mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft werden. Oie Herrin vom Mühlenhof Roman von Morten Korch. Sj (Nachdruck verboten.) Farmer lag ganz still da, zuerst wollte er nichts hören; aber trotz ihrer Kälte hatte Olgas Stimme etwas Eindringliches, von dem er sich nicht frei machen konnte, und auch viele der Schilderungen und Bilder, die vor ihm entrollt wurden, fesselten ihn; zuweilen schufen sie Angst, so datz ein zerquälter Ausdruck in sein großes viereckiges Gesicht trat und er zu der Spinne hinauf- schielte, die jetzt an einem Faden zappelte. Bald aber kamen andere Bilder, die beruhigend wirkten, und zu- weilen tat ihm etwas wohl und war ihm wie milder Balsam in seinem wunden Gemüt. Es war so lange her, daß Farmer ein Wort in der Bibel gelesen hatte, er hatte das meiste vergessen; jetzt hörte er, wieviel Weisheit und wie viele schöne Gedanken dort zu holen waren. Zuletzt machte es ihn froh, hier zu liegen und zuzuhören, und als Olga aushörte, wünschte er, sie hätte noch länger fortgefahren. Aber Olga stand auf; sie ging jeden Abend aus, zu weilen blieb sie mehrere Stunden fort, ohne daß jemand herausfinden konnte, was sie unternahm. „Ich habe an Palle geschrieben, jetzt sorge ich selbst dafür, daß der Brief fortkommt," sagte sie. Farmer würde gern gewußt haben, was sie ge schrieben hatte, merkte aber, datz sie es ihm nicht zeigen wollte; das schmerzte ihn und war ihm ein Beweis mehr, datz es schlecht mit ihm stand. Als Olga gegangen war, atmete er befreit auf, jetzt wußte er, daß Jette, die ältliche Haushälterin, kam; sie war die einzige, mit der er wirklich vertraulich reden konnte. Sobald Jette in die Tür trat, begann sie wie ge wöhnlich drauflos zu schwatzen. Es war das übliche über das Mädchen Kristine, das weder das etne noch das andere tun wollte, und über Olga, mit der sie ständig aus Kriegsfuß stand Wie manche Frauen konnte sie sich immer mehr in Rage reden, wenn auch keiner ihr wider sprach; aber sie erzählte so amüsant und gebrauchte so viele komische Ausdrücke, daß es Jarmer belustigte, ihr zuzu hören. Sie wurde so eifrig, als sie von Fräulein Lund sprach, daß sie zitterte. „Latz sie Sie und Madsen und die ganze Mühle kommandieren; aber aus der Küche/ hier fluchte sie wie ein Türke, „soll sie ihre Nase forthalten." Jette schlug mit der Faust auf den Nachtkasten, datz die Medizin- flaschen klirrten. „Na, na, Jette, schmeiß nicht den ganzen Tisch um," sagte Jarmer. „Ja, es ist auch eine Schande, daß ich hier Skandal mache, das ist es, aber ich war so wütend, daß ich mich nicht halten konnte. Jetzt will ich nicht mehr davon reden." Jette hatte ihre Heftigkeit ebenso schnell über- Während sie ruhig und gemütlich weuererzählte, blickte Jarmer sie an. wunden, wie sie aufgeflamml war. Jetzt begann sie, dem Kranken die Kissen zurechtzurücken, während sie ruhig und gedämpft sprach. Fette war in den Fünfzigern; sie war grau und zer zaust mit Säcken unter den grauen Augen, die aber freund lich und gut waren. Sie war nie anderswo als in der Mühle gewesen und hatte schon Farmers Eltern gedient. Farmer betrachtete sie, wie sie sich über ihn beugte; es schmerzte ihn, zu denken, datz sie einmal ungewöhnlich hübsch gewesen war und daß er sich jahrelang für sie interessier» und ihr den Hof gemacht hatte. Ihm kam es vor, daß es so lange her war, als wäre es fast in einem anderen Dasein geschehen. Aber einerlei, Fette war tausendmal besser als Fräulein Lund. Fette war ein Mensch mit einem warmen, empfindsamen Gemüt; sie verstand Jarmer auf vielerlei Art zu zeigen, daß sie ihn gern hatte und alles tun wollte, um es ihm zu erleichtern. Und dazu konnte sie mii Jarmer reden, gerade über das mit ihm reden, das er gerne hören wollte. Sie War so echt, so warm und natürlich; sie konnte aufflammen, konnte weinen und namentlich lachen, und es fiel ihr so leicht, die Gedanken anderer zu teilen. Sie rückte ihm die Kissen viel sorgsamer zurecht, als Fräulein Lund es getan hatte; dann setzte sie sich neben das Bett und bald war sie eifrig däbei, Geschichten aus der Zeit seines Vaters und seiner Mutter zu erzählen. Alles, was in ihrer Jugendzeit vorgegangen wär", stand in erstaunlicher Klarheit, wenn auch vielleicht in einem rosenroten Schimmer, vor ihr, und sie konnte dabei mit einer Lebhaftigkeit und einem Humor erzählen, der Jarmer stets mitriß. Zuweilen konnte sie in Verlegenheit kommen, wenn sie zufällig die Erinnerung an das streifte, was sie beide gemeinsam erlebt hatten; wenn sie die Ereignisse aus der Zeit berührte, da Jarmer und sie sich unter den blühen den Fliederbäumen und in den vielen dunklen Winkeln der Ningmühle getroffen hatten. Mit Feinheit und Takt überging sie indessen die gefährlichen Stellen, und doch wußte Jarmer gut, daß es in Wirklichkeit diese Erinnerungen waren, die ihr das Herz erwärmten und von denen sie lebte. Während sie ruhig und gemütlich weitererzählte, blickte Farmer sie an. Ihr Gesicht erhielt in dem ge dämpften Abendlicht einen eigenartigen Schimmer. Allmählich verwandelte es sich gleichsam; er sah es iw Glanz der Jugend. Jetzt konnte er so deutlich das kecke Näschen, die runden Wangen mit den Grübchen und die warmen Augen sehen. Und gleichzeitig sah er ihr geradeswegs in die Seele hinein; er hatte sie Wohl nie zuvor richtig gesehen und verstanden, und das, was er sah, war so wunderbar schön und rief so viele seine Gefühle in seinem Innern wach Wie gut war Fette doch im Grunde zu ihm gewesen- Niemand konnte einem anderen Menschen mehr geben, als sie ihm gegeben hatte; sie hatte ihm alle Liebe ihres Herzens und ihr ganzes Leben geschenkt. Sie hatte lächelnd gegeben, mit offenen Händen ausgeteilt, ohne selbst je den geringsten Ersatz zu fordern. (Fortsetzung folgt.)