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Als einen der Hauptvorzüge der neueren Musik möchten wir die Erweiterung der Form ansehen. Die schon von Beethoven angestrebte Verschmelzung von Sonatenform und Phantasie hat zweifelsohne in so manchem Fall zu einem sehr guten Ergebnis geführt. Es kümmert uns dabei nicht, ob ein Musikstück der absoluten Musik oder der Pro grammusik angehört. Schließlich kommt es ja doch nur darauf an, daß das Musikstück vernünftig gebildet ist. Ob eine Symphonie ein innerliches oder eine symphonische Dichtung ein äußerliches Programm besitzt, gleichviel, beide Stücke sind uns willkommen, sofern sie nur musikalisch logisch gebildet sind. Da nun augenblicklich die Musik mit Überschriften, die Komposition nach Texten die beliebtere ist, so muß man streng darauf achten, daß die Tonreihen nicht direkt dem Text zu folgen versuchen, nicht einen Vorgang, eine Persönlichkeit der Über schrift gemäß illustrieren, sondern so sich anordnen, daß auch der, welcher von dem Titel, von dem Tert nichts wissen will, rein musikalisch ge nießen kann, eine vernünftige Gestaltung empfindet. Nicht eben leicht ist es, neue Umbildungen der Grundformen, schön eigenartig gestaltete Übergangsformen entstehen zu lassen. Für den Kompositionsunterricht wird es eine dankenswerte Aufgabe sein, zur zielbewußten Übung in allerlei Zusammenstellungen Anleitung zu geben, doch sollen die Neu anordnungen nicht nur einseitig in der Orchestermusik Verwendung finden, auch die Kammermusik, die Klaviermusik, kurz jede Art Instrumental musik kann dieser Vorzüge teilhaftig werden. Mit der Überwindung der Schwierigkeiten, welche darin bestehen, bei der größeren Bewegungs freiheit eine streng geordnete, natürlich musikalische Entwicklung nicht außer acht zu lassen, werden die Kräfte nicht unwesentlich gestählt werden. Die mit sentimentalen Klängen durchsetzte öde Stimmungs musik, die Gefühlsduselei in Tönen, mit welcher manche Tonsetzer uns jetzt zu erfreuen glauben, hat man zu verlernen, dafür aber eine herz haft gesunde Sprache zu erlernen. Nächst der Erweiterung der Form ist die schon erwähnte Steigerung der technischen Fertigkeit eine lobenswerte erfreuliche Erscheinung in der neueren Musik. Aber auch hier heißt es Maß halten, eine Neben sächlichkeit nicht zur Hauptsache machen. Der Weg, den der Schüler zu beschreiben hat, ist reichlich mit Warnungstafeln zu versehen! Es ist nur zu natürlich, daß sich junge Leute von dem Orchesterraffinement moderner Kompositionen blenden lassen und das Heil der Kunst in einem äußerlichen, teilweise recht wenig haltbaren Glanze sehen. Da