Volltext Seite (XML)
75 eben solchen Hosen, Filzhut oder Mütze von den gewöhnlichen Formen. Die Weibcrtracht hat nichts Eigcnthümlichcs. Früher trug der Mauu noch über dein sonstigen Anzuge eiu weites, weißes Leincnhemd, jetzt ist dieser Brauch fast verschwunden. Unentbehrlich aber ist dem Bauer die Tabakspfeife, die er vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, auch während der Arbeit, nicht aus dem Munde bringt; ein Bauer ohne solche ist ein wahres Phänomen. Den Tabak baut er selbst; der Uckermärker ist im Vergleich mit diesem Gewächs der feinste Havannah. Allein für den Finnen ist dieser Drcimänuer- knaster das größte Labsal und über Geschmack ist bekanntlich nicht zu streiten. Die hauptsächlichsten Nahrungszwcige des Finnen sind Fischerei und Ackerbau; erstere ist aber zurückgcgangen, seitdem der Fischreichthum der Seen nachgelassen hat. Man baut besonders Roggen und Gerste, obgleich in vielen Gegenden der Boden keineswegs ergiebig ist und häufig genug der Frost einer einzigen Nacht alle Mühe des Bauern vernichtet. Um letzterm Ucbelstande möglichst vorzubeugen, säet er lieber seinen Roggen statt in die Thälcr auf die Hügelrücken. Den Wald, der für ihn mehr ein Hinderniß als eine Quelle des Reich - thums zu sein scheint, mißachtet er, er fällt ihn, brennt ihn ab, rodet den Boden aus, um sich Ackerland daraus zu machen, das er mit einem sehr primitiven Pfluge in Art eines Schweine rüssels und mit einer noch primitiven! Egge aus Tannenrcisern bearbeitet. Ein cigenthümlichcr Anblick, ein solches neuge wonnenes Feld! Zwischen schwarzqebrannten Baumstümpfen und unzähligen Steinen stehen hier und da dünne Achren ohne Ordnung, die man sonst kaum beachten, am allerwenig sten für ein Feld nach deutschen Begriffen ansehen würde. Ein solches Feld bringt meist bloß das erste Jahr Frucht, die die darauf verwendete Arbeit vergütet, das nächste aber bereits so wenig, daß man cs wieder liegen läßt und ein andres Stück Wald auf obige Weise ausrodet. So wird mehr Wald verwüstet als wieder aufwächst, und häufig ent stehen dabei noch große Waldbrände. Die Zeit der Ernte ist für den Finnen ein Fest: häufig versammelt sich dann die ganze Bevölkerung auf einmal zum Schnitt und dann ist die Ernte oft an einem Tage eingeheimst. Man schneidet das Korn mit Sicheln, seltner mit Sensen. Nach Sonnenunter gang sammelt sich das Volk der Schnitter und eilt znm Tanz, der in der Bauernstube beim Scheine eines Talglichts und unter den Klängen einer Ziehharmonika oder von Fiedeln in der Form von Walzern und Polkas exerziert wird. Die Cavaliere rufen ohne alle Zeremonien die Dirnen zn sich heran und kehren ihnen nach dem Tanze wieder den Rücken zu. Die alten Nationaltänze sind im Aussterben begriffen. Die bisherige Schilderung bezog sich besonders auf das Tavastland, sie gilt aber mehr oder minder auch für das ganze übrige Finland und vor allem für Karelien. Nur ist hier die Natur noch etwas wilder und imposanter, die Berge sind höher. Der Karelier zeigt auch einen andern Typus als der Tavastländer. Er ist lang, schlank und weniger stark gebaut als dieser; das Gesicht ist mehr oval, lang und schmal, die Nase lang, spitzig und oft schön geformt, die Augen sind dunkelblau oder braun, der Bartwuchs nicht sonderlich stark, die Hautfarbe ziemlich dunkel, das Haar lockig, kastanienbraun. Von Charakter ist der Karelier munter, offen und gesprächig, er hat eine würdige, noble Haltung und ist mehr graziös und geschmeidig, aber weniger zähe und ausdauernd. Im ganzen sind die Karelier ein schöner Volksschlag und überall gern gesehene Gäste. Die karelischen Weiber sind meist sehr schön. Besonders ausgebildet ist bei dem Karelier der Sinn für Musik und Poesie. Hier hat sich die Kantele und der Runcngesang bis in die jetzige Zeit erhalten. Hier hat Lönnrot aus dem Munde des Volkes die merkwürdigen mythisch-epischen Gesänge gesammelt, die er unter dem Namen Kalewala hcraus- gab (der Name ist hergenommen von dem Wohnsitz Kalewa's, l l des Ahnherrn der Helden, deren Thatcn und Abenteuer in den Gesängen behandelt werden), hier hat er den alten Volks liedern gelauscht, denen wir die große Sammlung der Kantc- letar verdanken, so genannt nach dem alten Saiteninstrument, zu dem die Lieder gesungen wurden. Einsamkeit und Sorgen sind die Quellen, aus denen das finnische Volkslied cmpor- sprudelt, die Natur lehrte den Finnen singen. Deshalb heißt es in einem solchen Liede: Singen lernt ich von der Woge, Frohen Sinn vom grünen Walde. Ihre Lieder sang die Heide, Sang der Busch dem kleinen Knaben, Wenn er einsam auf der Weide, Auf den honigreichen Wiesen, Auf dem sonnigen Bergesgivfel Zog einher vor seinen Schafen. Singen lernt ich von dem Sturme, Der in tausend Weisen heulte Und ivie Meereswasserbrausen Wiederklang in meinem Herzen. Eine wunderbar ergreifende Macht ist es, die im finnischen Liede zu uns spricht. Es liegt in demselben eine Wchmuth, die uns unwiderstehlich ihre Stimmung mittheilt, zugleich aber auch eine anspruchslose Natürlichkeit, eine Wahrheit des Ge fühles, die alle die »erkünstelte Salonpoesie weit hinter sich läßt. Hier noch ein kleines Beispiel davon. Warum tönen denn nicht mehr Wie vordem die schönen Lippen? Warum trillert denn nicht mehr Sorglos wie vordem die Zunge? Darum tönen jetzt nicht mehr Wie vordem die schönen Lippen, Darum trillert jetzt nicht mehr Sorglos wie vordem die Zunge, Weil mein lieber Freund von hinnen, Weil mein Herzgeliebter wandert Weit von mir in fernen Landen, Weit von mir in weiter Welt. Nicht mehr seh' ich, o des Schmerzes! Wie vordem die theuren Züge, Schön wie Frühlingsmorgendämm'rung, Lieblich wie die Morgenröthe. Würde wieder er erscheinen, Meines Herzens Lust und Wonne, Meine liebe Morgenröthe, Würd' ich wie ein kleiner Zeisig Wie vor Zeiten fröhlich trillern, Würde singen in sel'ger Lust. Oder wen sollte nicht aufs Tiefste erschüttern das Wiegen lied eines verzweifelten, brechenden Mutterherzens? Schlaf, schlaf, mein bleiches Kind, In der schwarzen Wiege! Niedrig, dunkel ist die Stube, Schlaf, schlaf! Mutters Hand ist schwarz und schwielig, Schlaf, schlaf! Schlummre, schlummre, bleiches Kind, In der schwarzen Wiege. Schlaf, schlaf, mein bleiches Kind, Die grüne Wiese wartet! Gras das ist so grün und weich, Schlaf, schlaf! Kind das ist so trüb und bleich, Schlaf, schlaf! Schlummre, schlummre, bleiches Kind, Die grüne Wiese wartet! Schlaf, schlaf, mein bleiches Kind, Schlaf in Todes Armen! Bald dich Mana's Jungfraun wecken, Schlaf, schlaf! Tuoni's Kinder die Hand dir reichen, Schlaf, schläf! Schlummre, schlummre, bleiches Kind, Schlaf in Todes Armen! 10»