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6 Uhr überschritten wir die kleine Brücke vor der Porta Fiumera, um die eigentliche Reise anzutreten. Die ganze Gesellschaft bestand aus zwei Reisenden, zwei Führern oder Pferdetreibern, einem Maulthiertreiber und der Trägerin des Handgepäckes. Der Maulthiertreiber eilte uns jedoch mit seinen beiden Maulthieren, deren jedes mit zweien unserer großen Mchlsäcke belastet war, raschen Schrittes voraus, um das Reiseziel früher zu erreichen und den Rück weg eher antreten zu können. Der Weg, so lange er sich auf österreichischem Gebiete hinzieht, ist sehr gut. Es ist eine neu angelegte, unseren Chausseen ähnliche Kunststraße, welche in Zickzackwendungen ganz allmählich bis zu jener Stelle cmporsteigt, wo das österreichische Gebiet sich von dem montenegrinischen scheidet Je höher wir kamen, um so mehr erweiterte sich der Blick über die zu unseren Füßen liegende Stadt und ihre Umgebung. Besonders schön ist das Bild, wenn man etwa in gleicher Höhe mit den bereits oben erwähnten, beim Steigen zu unserer Rechten gelegenen Festungswerken von San Giovanni sich befindet und nun rückwärts schaut. Links ziehen die stattlichen Festungsmauern sich von tief unten bis oben an der steilen Felswand hin; zu Füßen liegt die Stadt mit ihrer Meeresbucht, der sogenannten Bocca di Cattaro, an deren von hohen und kahlen Felsbergen umrahmten Ufern noch weithin gar manche kleinere Ortschaft zu sehen ist. Cattaro gegenüber überschaut das Auge den nach Nordnordwest lang gestreckten Berg Vermaz, welcher mit seinem fast kahlen weit ausgedehnten Rücken dem gesamten Bilde nach Osten hin seinen Abschluß gibt. Endlich hat man noch ganz zur Linken in südsüdöstlicher Richtung den Einblick in den Anfang des zwischen Cattaro und Budua gelegenen ziemlich breiten Zupa- oder Luppa-Thales. Es bildet zwischen den südlichsten Ab hängen des Vermaz und den südwestlichsten Ausläufern des auf montenegrinischem Boden gelegenen 1030 m. hohen Lowtschin oder Monte Sella, d. i. dem Sattelberg, gleichsam die ausgetrocknetc südliche Fortsetzung der Bocca di Cattaro und besteht meist aus fruchtbarem Ackerland. Das Wort Zupa*) bedeutet auf deutsch: „sonniges Land". Der Boden, zwischen welchem unser Weg uns hinführte, ist meist mit größeren und kleineren Bruchstücken von fast schneeweißen Kalkfelsen bedeckt, zwischen denen jedoch eine freundliche Pflanzenwelt selbst zu heißer Jahreszeit noch immer Raum findet: es sind niedere Gewächse, meist aus der Klasse der wohlriechenden Thymiane und Satureikräuter, welche mit ihren schönen Blüten oft die herrlichsten Blumenpolster bilden. Aber auch an anderen Pslanzengattungen fehlt es nicht, und namentlich ist es die hochstengelige Pyramiden-Glockenblume, welche den Wanderer gar freundlich mit ihren schönen blauen Blumen augen anblickt. Schon in Cattaro hatten wir unser Ver gnügen an dieser durch ihre Schönheit jedem Fremden so gleich in die Augen fallenden Pflanze; denn an dem der Seeseite zugekehrten Theile der Stadtmauer wächst sie in großer Menge und in üppiger Fülle aus dem Gemäuer empor. Unseren Führern, die nach Landessitte vollständig mit ihren beiden langen Pistolen und ihrem Handschar bewaffnet waren, so wie der Trägerin waren die fortgesetzten Zickzack wendungen des Weges meist zu langweilig; sie suchten sich, wo es anging, von einer Wegbiegung zur andern eine Bahn mitten durch Felsen und Gestein hinauf; jeder so gewonnene Vorsprung an Zeit ward von unserer Trägerin gewissenhaft zu nutzbringender Arbeit verwendet: sie setzte sich auf einen Stein, nahm ihre Handspindel zur Hand und begann zu spinnen, bis wir auf unseren Pferden wieder in ihre Nähe gekommen waren. Ueberhaupt muß in allen diesen Gegenden, schon in Istrien und Dalmatien, dem Fremden der große Fleiß des weiblichen Geschlechtes in die Augen fallen. In *) lies Dschuppa, fast so weich wie das französische üouM. Fiume sahen wir fast alle Arbeiterinnen, welche sich in die dortige Tabaksfabrik begaben, auf ihrem Wege dahin mit Stricken beschäftigt, und ebenso bemerkt man in den dalma tischen Städten viele Frauen und Mädchen, welche auf offener Straße ihre Handspindel, die sie immer bei sich führen, während des Gehens drehen. Gegen 8^4 Uhr erreichten wir die Grenze. Kein Grenz pfahl, kein Schlagbaum waren sichtbar, durch welche dieselbe näher bezeichnet wäre. Auch in kein Grenzzollamt hatten wir einzutreten, um anzugeben, ob wir etwa Tabak, Cigarren oder sonstige steuerpflichtige Gegenstände bei uns führten; das einzige, wodurch das Ende des österreichischen und der Anfang des montenegrinischen Gebietes sich kennzeichnete, war das Aufhören der bisherigen guten österreichischen Straße. Anfänglich war dieser Unterschied freilich noch nicht so in die Augen fallend; denn die Straße führt oben auf der Höhe, wo die Grenze sich befindet, eine Zeitlang ziemlich eben dahin. Freilich fehlt hier schon die kunstgerechte Anlage, aber es unterbrachen doch noch nicht, wie späterhin, Steinmassen von allen möglichen zufälligen Gestaltungen und Größen den Weg, alles Reisen sei es zu Fuß oder zu Pferd, vielfach erschwerend. Der bessere Weg währte aber nicht lange. Sobald es wieder mehr bergauf ging, mehrten sich die Felsen und Felsentrümmer. So hinderlich und beschwerlich diese Urzustände sich aber für den friedlichen Reisenden auch darstellen, so haben sie für dies hohe Gebirgsland selbst doch auch ihre gute und vor theilhafte Seite; denn sie tragen nicht wenig dazu bei, ihm fremder Eroberungs- und Annektirungslust gegenüber die staat liche Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu wahren. Eine kleine Zahl von Vaterlandsvertheidigern ist hier im Stande selbst das größte Heer aufzureiben. Es war gegen 8^ Uhr, als wir am ersten Rastorte zwischen Cattaro und Cettinje anlangten. Es ist ein kleines Brünnchen dicht am Wege, dessen Wasser im Augenblick zwar nur spärlich floß, für uns alle aber doch ein Wahres Labsal war. Ein früherer Wladika, d. h. Fürstbischof von Montene gro, hatte aus Fürsorge für die Reisenden dieses Wasser, das wohl von weiterher aus dem Gebirge kommt, in eine kleine Brunnenröhre einleiten und darunter am Boden einen kleinen aus Stein gehauenen Wassertrog anbringen lassen. Die Hitze war bereits sehr groß, denn der angenehme Schatten, in welchem wir in der Frühe unsere Reise antraten, hatte uns verlassen. Wir stiegen von den Pferden und. gönnten uns hier kurze Zeit in der öden, kahlen und völlig schattenlosen Umgebung des Brünnchens einige Erholung. Alles um uns her trug das Gepräge einer wilden und rauhen Natur, ödes, steil abschüssiges, kahles Kalkgcsteiu und Felswerk in den manigfachsten und oft malerischesten Zerklüftungen und Zer spaltungen trug durch seine trübe hellgrauliche Färbung noch mehr dazu bei, den düstern Eindruck des Ganzen zu vermehren. Denn auch der frühere schöne Rückblick auf die Bucht war verschwunden, das Meer mit seinen Uferstädten hatte sich dem Blick bereits entzogen, und nur die Gipfel der es umgebenden höheren Gebirge waren noch sichtbar. Es ist, als ob man hier in dem ausgebrannten Krater irgend eines Mondvulkanes sich befände, so öde und trostlos ist alles rings umher. Zwischen den traurigen Felsenmassen windet sich der Weg von nun an meist ziemlich steil bergan, er ist an vielen Stellen so eng und schmal, daß es räthselhaft ist, wie be packte, bergauf und bergabgehende Pferde oder Maulthiere einander hier ausweichen mögen. Wegen der Steilheit des Weges ließen uns denn auch die Führer, nachdem wir die Weiterreise angetreten hatten, sehr bald wieder absteigen, um auf diese Weise ihre Thiere mehr zu schonen; aber die Hitze war so groß, namentlich anch durch das Zurückprallen von den nackten kahlen Hellen Felswänden, daß wir den Weg zu Fuß nicht lange fortsetzten, sondern wieder unsere Pferde bestiegen. So gelangten wir endlich in ein geräumigeres