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Lührg. 1. Heft. Der Jahrgang erscheint in Wölf Monatsheften von vier Sogen, das Heft 80 Pf. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des Zn- u. Auslandes, sowie Postämter. Redakteur: vr. Otto Delitsch, Professor an der Universität zn Leipzig. Skiffen aus den südlichen Abrufen und dem obren LieistlM. Von Htto Radke. „Leeo mgnori, siamo giunti" sagte Felice, unser Kntscher, ein flotter junger Bursch mit sonncngcbräuuten Wangen nnd großen, schwarzen Augen, die unter dem breiten, braunen Filzhut verschmitzt in die Welt schantcn, als er plötzlich die Pferde anhielt, schnell vom Bock sprang und den Kutschcn- schlag öffnete. Vor uns lag, von Kastanien und Linden beschattet, das große herrschaftliche Wohnhans mit dem thurm artigen Balkon über dem flachen Ziegeldach. Hier und da lachte ein blütenbcschneiter Obstbaum aus dem frischen grünen Laube, und aus der Ferne hörte man das Rauschen eines Wasserfalls. Der Besitzer des freundlichen Landsitzes kam uns mit der größten Liebenswürdigkeit entgegen und bat uns in den kühlen, hochgewölbtcn Speisesaal einzutretcn, in dem uns ein herrliches Mahl erwartete, das uns, nebenbei bemerkt, nach des Tages Last und Hitze sehr erwünscht war. Wir hatten unsern Wagen in Ceprano mit der Weisung vorausgeschickt, uns in Isola zu erwarten, und waren dann langsam in die Gebirge hineingewandert. Aus dem schönen Thal zwischen den Volskerbergcn und dem Apennin, das sich von Rom bis Neapel und Nocera in manigfachen Windungen dahinzieht, aus der überaus reizvollen Gegend von San Germano und Monte Cassino wanderten wir den südlichen Abruzzen zu. Die glühende Luft der vorhergehenden Tage wurde hier in den höher gelegenen Gegenden durch eine kühle Brise gemildert, und die Landschaft entfaltete vor uns alle Reize des erwachenden Frühlings. Da lag vor uns, rechts am Bcrghang, das alte Rocca, und darüber in schwindelnder Höhe auf einem steilen Felskegcl das altersgraue Arce, ein Ueberrcst noch aus der Römcrzeit. Weiterhin reihten sich die gnt knltivirten Vorbirge der Apcn- ninenkcttc in manigfachen Verschlingungen hintereinander; sic wurden von den schneebedeckten Gipfeln des westlichen Höhen zuges des Apennin überragt, die im hellsten Sonnenschein Au« allen WelttheUe». IX. Jahrg. glänzten. Die eigenthümlichsten Kontraste vereinigen sich in der italiänischen Landschaft zu einem wunderbaren Gesamt bilde. Das farbensatte Thal, in das der blühende Frühling so eben eingezogen ist, wird von dem fast vegetationslosen Apennin umfaßt. Im Thale haben wir das üppigste Leben. Die hohen Pyramidenpappeln, welche man in Norddeutschland jetzt überall so unbarmherzig auszuroden beginnt, sind hier ein Hauptschmuck der Landschaft. Aber man kennt die alten Bekannten aus der Heimat kaum wieder, so verschieden sind sie von ihnen in der Astbildung und der Farbe der Blätter. Ihr Helles, frisches Grün sieht man augenblicklich, soweit das Auge reicht. Und welche Fülle vou Farbcu offenbart sich bei jedem Blick! In welcher Beleuchtung zeigt sich das alles! Wie viele Schattirnngen derselben Farbe wechseln vor dem Auge, je nach den Vegetationsformen und dem Lichte, welchem sie aus gesetzt sind! Bon dem Schwarzgrün der Cypresse führt eine vollständige Farbenleiter hinüber zu dem Graugrün des zarten Laubes der Oelbäume, zu dem bläulichen Grün der Weiden, und zu dem noch zartern, fast gelben Kolorit der Maulbeer bäume. Dazwischen mischen sich die verschiedenen Farben- abstufnngen der Saaten nnd Gemüse. Die Pinie, dieser charakteristische Schmuck der italiänischen Landschaft, steigt nur vereinzelt bis zu dieser Höhe hinan; dafür besitzt aber das Land herrliche Eichen- und Kastanienwälder. Hier oben ist die Natur in ihrer Entwickelung überhaupt, wenn auch nach nordischen Begriffen für den April weit vorgerückt, so doch bedeutend hinter der Entfaltung zurück, welche sie be reits um den Golf von Neapel gewonnen hat. Dort fängt die Rebe im Anfang des Mai an zu blühen; hier treibt sie erst jetzt die ersten Blätter. Die breite, schöne Landstraße folgt von Ceprano aus den verschiedenen Windungen des Liris auf dessen linkem Ufer bis Avezzano am Fuciner See. Fast überall ist sie in 1