Fünftes Kapitel. Vers und Farbe. Das Jahrhundert, in welchem der Noman die herrschende Gattung der Poesie geworden ist, wird den Vers nicht mehr für ein unentbehrliches Element des dichterischen Schaffens halten. Auch sind mehre Dramen hoheü Stils, beliebte Re pertoirestücke unserer Bühnen, in ungebundener Rede gedichtet. Wenigstens bei dramatischen Stoffen aus neuerer Zeit ist, so sollte man meinen, die Prosa das angemessenste Material für Ausdruck solcher Gedanken und Empfindungen, welche aus einem uns wohl bekannten wirklichen Leben auf die Bühne versetzt werden. Aber das ernste Drama wird sich doch nur schwer entschließen, die Vortheile, welche der Vers gewährt, aufzugeben, um die der Prosa zu gewinnen. Es ist wahr, die ungebundene Rede läuft flüchtiger, müheloser, ja in mancher Hinsicht dramatischer dahin. Es ist leichter, in ihr die verschiedenen Charaktere zu unter scheiden, sie bietet von der Satzbildung bis zu den mund artlichen Klängen hinab den größten Reichthum an Farben und Schattirungen, Alles ist zwangloser, sie schmiegt sich behend jeder Stimmung an, sie vermag sogar leichtem Ge plauder und humoristischem Behagen eine Anmuth zu geben, welche dem Verse sehr schwer wird; sie erlaubt größere Unruhe, stärkere Gegensätze, heftigere Bewegung. Aber diese Vortheile