Volltext Seite (XML)
WWW.MM 1. Beilage zu No. 18. Freitag, den 2. März !888. Tngesgefchickte. Der nach San Remo berufene Professor Kußmaul aus-Straßburg, eine der hervorragendsten Autoritäten auf dem Gebiete der inneren Medizin, hat den Kronprinzen auf den Zustand der Lunge hin untersucht, da der mit Auswurf verbundene Husten des hohen Kranken Anlaß zu erneuten Besorgnissen bot. Nach wiederholter genauer Untersuchung ist nun von Prof. Kußmaul festgestellt worden, daß die Lungen des Kronprinzen voll ständig gesund sind, daß also der Auswurf nicht aus der Luftröhre, sondern nur aus dem kranken Kehlkopf herrühren kann. Leider muß letzterer Um stand als ein beunruhigendes Symptom angesehen werden und es wird denn auch versichert, Prof. Kußmaul soll sich hinsichtlich des allgemeinen Zustandes des Kronprinzen sehr ernst ausgesprochen haben, zugleich heißt es, die deutschen Aerzte hätten in dem Auswurfe des Kronprinzen untrüg liche Anzeichen von Krebs entdenkt, während bekanntlich Prof. Virchow noch in seinem jüngsten Gutachten das Vorhandensein dieser bedenklichen Gebilde nicht zu konstatiren vermochte. Dr. Mackenzie hält nun, wie Mitthcilungen aus San Remo besagen, an den Ergebnissen der Virchow'- schen Untersuchung fest und sollen daher die aus dem Auswurf des er lauchten Patienten angefertigten mikroscopischen Präparate noch anderen pathologischen Anatomen zur Begutachtung vorgelegt werden. Jedenfalls sind diese neuerlichen Berichte nicht geeignet, das deutsche Volk aus dem Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung um den allgeliebten Kaisersohn Herauszureißen. Das neueste Telegramm des „Rcichsanzeigers" über das Befinden des Kronprinzen lautet: „San Remo, 29. Februar. Die Nachtruhe Sr. Kaiser!, und König!. Hoheit des Kronprinzen war anfänglich unterbrochen, später befriedigend. Auswurf etwas reichlicher. Fürst Bismarck hat in der großen Rede vom 6. Februar d. I. die Nothwendigkeit wiederholt betont, die Sicherung vor Gefahr von außen in erster Linie in der Entwickelung der eigenen Kraft zu suchen und sich bei aller Werthschätzung unserer Bündnisse mehr auf die eigene Kraft als auf auswärtige Hilfe zu verlassen. Dasselbe gilt von dem nationalen Er werbsleben. Auch in wirthschaftlicher Beziehung wird sich Deutschland mehr und mehr von dem Auslande unabhängig machen und sich ganz auf eigene Füße stellen müssen. Das ist der Natur der Sache nach nur bedingungsweise und mit gewissen Einschränkungen möglich. Eine Anzahl von Rohstoffen der Industrie, von NahrungS- und Genußmitteln vermag Deutschland seiner geographischen und klimatischen Verhältnisse wegen gar nicht zu erzeugen, so weit es deren, sei es für seine Industrie, sei es zum Verbrauch, bedarf, müssen sie nothgedrungen vom Auslande bezogen werden. Soweit aber Deutschland zur Erzeugung von Rohstosfen in hinreichender Menge sich eignet, verfolgt die Schutzzollpolitik neben der Absicht, der bestehenden Produktion den erforderlichen Schutz gegen den übermächtigen Mitbewerb des Auslandes zu gewähren, mit Recht auch das weitere Ziel, die heimische Produktion in den Stand zu setzen, den Bedarf Deutschlands selbst zu decken. Insbesondere hat dieser Gedanke bei der Einführung und neuerdings erfolgten Erhöhung der landwirthschaftlichen Zölle in hohem Grade mitgewirkt. In noch höherem Maße ist die For derung, sich vom Auslande unabhängig zu machen und die Versorgung des einheimischen Marktes allein zu bewirken, für die Industrie gerechtfertigt und zugleich wichtig. Es giebt heute kaum einen Zweig der Industrie, in welchem Deutschland sich nicht mit den besten Leistungen des Auslandes messen könnte. Dies gilt gleicherweise von der Kunst, wie von der Nutz industrie. Selbst der Bau der großen überseeischen Schnelldampfer, welcher lange Zeit als eine Art von Monopol des britischen Schiffsbaues galt, wird Aute auf deutschen Werften in einer dem letzteren ebenbürtigen Weise betrieben und es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß die großen Rhe- dereien und Schisifahrtsgesellschasten in den Hansestädten, welche ihre Schiffe bis vor Kurzem noch ausschließlich auf englischen Werften bauen ließen, jetzt mehr und mehr dazu übergehen, auch den Bau von Schnelldampfern in Deutschland ausführen zu lassen. Gerade die Arbeiter haben das größte Interesse an einer solchen Entwickelung unserer Industrie, welche es ihr möglich macht, im In- und Auslande mit Erfolg den Mitbewerb der anderen Industrieländer zu bestehen. Denn alsdann fällt ihnen der Ar beitsverdienst zu, der andernfalls englischen oder französischen Arbeitern zu Theil geworden wäre. So gehen die Interessen der Arbeitgeber und der Arbeiter, weit entfernt, sich feindlich gegenüberzustehen, wie Agitatoren aus sprengen, vielmehr Hand in Hand; der Vortheil der Arbeitgeber ist zugleich der Vortheil der Arbeiter. Prosperiren jene, so geht es auch dem Arbeiter gut, leiden sie Noth, so fühlt auch der Arbeiter den Rückschlag empfindlich. Friedlich zur gedeihlichen Entwickelung ihres Fortgangs zusammenzuwirken, liegt daher im gemeinsamen Interesse beider Theile. Der „Börscnzcitung" geht von vertrauensvoller Seite folgende bedeut same Mittheilung zu: In konservativen Kreisen des Reichstags plant man einen Antrag des Inhalts einzubringen, der Reichstag wolle beschließen, dem Kaiser das ehrerbietige Gesuch zu unterbreiten, daß die Kosten, welche die gefährliche und langwierige Krankheit des Kronprinzen verursacht, aus Reichsmitteln bestritten werden mögen. Wir sind gewiß, fügt das genannte Blatt hinzu, daß sowohl im Reichstage wie in der Bevölkerung nur eine Stimme herrschen wird, daß sich das deutsche Volk durch dieses Vorgehen nur selbst ehren wird. Mehr als Worte würde diese That der begeisterten Liebe den würdevollen Ausdruck geben, welche ganz Deutschland für den siegreichen Helden und Förderer aller edlen Bestrebungen innerhalb der uns gegönnten Friedenscpoche empfindet. Wir nehmen darum mit Dankbarkeit von obiger Mittheilung Kenntniß. In Petersburg hat Prinz Hans Hohenlohe einen Selbstmordver such begangen; doch ist die von einigen Zeitungen gebrachte Mittheilung, daß der Prinz der Verwundung bereits erlegen sei, unrichtig. Der Prinz liegt zwar schwer verwundet darnieder, doch ist keineswegs die Hoffnung aufgegeben, daß er noch gerettet werden könne. Alles, was bisher über dis Motive der unglücklichen That gesagt worden ist, entbehrt jeder that- sächlichen Begründung; wahrscheinlich ist, daß der Prinz, der seit längerer Zeit bereits in Folge eines gastrisch-nervösen Leidens in sehr gedrückter Stimmung war, in einem heftigen Anfall den Versuch gemacht habe, seinem Leben ein Ende zu machen, wofür besonders auch der Umstand spricht, daß er noch bis kurz vor der That mit Vorbereitungen zur Abreise nach Deutschland beschäftigt war. Sofia, 27. Februar. Der Geburtstag des Fürsten Ferdinand ist festlich begangen worden; die Stadt war beflaggt, Abends Illumination. Die Bevölkerung jubelte dem Fürsten zu. Die „Bulgarie" sagt anläßlich des Geburtstages: das bulgarische Volk feiert zum ersten Mal den Geburts tag seines Messias, der die Freiheit und Unabhängigkeit Bulgariens sym- bolisirt. Die offiziöse „Swoboda" giebt der Pforte zu bedenken, daß die Bulgaren entschlossen seien, gegen Jedermann sich zur Wehr zu setzen, falls man ihnen die russischen Vorschläge aufzwingen wollte. Seitdem in Sofia die russischen Vorschläge bekannt geworden sind, macht sich in Hof- und Regierungskreisen eine große Regsamkeit bemerkbar. Wie die „N. Fr. Pr." hört, ist am Freitag ein Ministerrath gehalten worden, um das Verhalten der bulgarischen Regierung sür den Fall fest zustellen, daß ihr die russischen Vorschläge amtlich mitgetheilt werden. Man ist überein gekommen, die Forderungen Rußlands unter Berufung auf den Berliner Vertrag, die bulgarische Verfassung und den Willen des Volks, sowie unter Hinweis darauf, daß man keine Anarchie heraufbeschwören dürfte, entschieden abzulehnen. Von der Pforte befürchtet man keine Ge waltmaßregeln, da sonst Mazedonien sich der bulgarischen Erhebung an schließen würde. Sollte ein bewaffnetes Einschreiten von anderer Seite erfolgen, so wird das ganze Volk sich wie ein Mann erheben und bis znm Aeußersten für seine Unabhängigkeit kämpfen. WaterländifcheS. Wilsdruff. Heute verfehlen wir nicht, alle Musikfreunde auf das nächsten Montag im Hotel Adler allhier stattfindende Künstler-Con- cert aufmerksam zu machen. Es ist dem strebsamen Herrn Hotelier O. Gietzelt wieder einmal gelungen, eine Anzahl der uns bereits bekannt und lieb gewordenen Herren königl. Kammermusiker, sowie die gleichfalls be liebte Concertsängerin Frl. Ida Zimmermann und den königlichen Hof opernsänger Herrn Dörwald für ein Concert zu gewinnen. Die künst lerischen Leistungen der meisten dieser Herren und von Fräulein Zimmer mann sind hier genugsam bekannt und den anderen Herren gehl ebenfalls der ehrenvollste Ruf voraus. Es ist sonach wieder einmal ein musika lischer Hochgenuß zu erwarten, den zu genießen ein kunstsinniges Publi kum von hier und Umgegend sich gewiß nicht versagen wird. Im klebrigen verweisen wir auf das betreffende in heutiger Nr. d. Bl. ersichtl. Inserat. — Die im Nossener Kompagniebezirke aufhältlichen Landwehrleute, Reservisten, Dispositionsurlauber haben Behufs Abänderung ihre Pässe, die Ersatzreserve ihre Pässe oder Scheine zum Umtausch sofort an den Bezirksfeldwebel in Nossen einzusenden. Auch haben sich die Mannschaften der Landwehr zweiten Aufgebots — Jahrgang 1870/71/72/73 u. 74 — bis 13. d. M. daselbst anzumelden. — Der Milchtransport nach Dresden auf den sächsischen Staats- bahnlinicn ist ein von Jahr zu Jahr steigender. So ist der gesammte Milchempfang auf den drei Dresdner Bahnhöfen im Jahre 1887 mit 413,703 vollen Krügen im Gewicht von 10,319,190 gegenüber dem Vorjahr mit 372,991 Krügen und 9,187,860 KZ um nicht weniger als 40,712 Krüge und 1,131,330 IrZ oder über 12 Proz. gestiegen. 69 Verkehrsstellen trugen hierzu bei, die höchsten Ziffern erreichten Seitschen mit 35,655 Krügen, Pirna mit 29,658, Löbau mit 21,171 Stück rc. Der tägliche Eingang betrug durchschnittlich 1130 Krüge. — Ein junges Mädchen vom Lande, 17—18 Jahre alt, fuhr am Sonntag zum erstenmale auf der Eisenbahn, und zwar auf einer Neben linie unweit Freiberg. Ohne sich ein Billet gelöst zu haben, nahm „Auguste" in einem geöffneten Coupee dritter Klasse neben anderen Fahr gästen Platz. Bald darauf begehrte der Schaffner das Billet, aber unsere Schöne verstand das nicht, sondern blickte mit ihren Hellen Augen ver wundert um sich. Man hatte ihr gesagt: „Auf einer so kleinen Strecke, wie sie fahre, brauche man nichts, da verlange der Schaffner kein Billet!" Freundlichst wurde ihr die nöthige Belehrung und gern bezahlte sie ein Tourbillet. Von Erhebung der Strafe wurde in diesem Falle abgesehen. — Vorigen Sonnabend früh wurde der Gutsbesitzer Haupt aus Oberbobritzsch in seinem Walde auf einer Bank sitzend erfroren auf gefunden. — Zschopau, 28. Februar. Einen plötzlichen Tod fand am ver gangenen Sonnabend ein hiesiger Einwohner, Weber, erst 33 Jahre alt und Familienvater. Derselbe befand sich bei einem Vergnügen in dem an der bekanntlich außerordentlich steilen Chemnitzerstraße gelegenen Restau rant „Bergschlößchen" und wollte am Abend heimgehen, um seine Frau zu holen. Trotz strengen Verbotes ruschelten auf der Straße zwei größere Knaben und konnten den Schlitten nicht anhalten. Der Weber Weichart wurde von hinten angefahren, stürzte und erlitt so schwere Verletzungen, daß er bald darauf starb. Der traurige Vorfall unterliegt der staatsan waltlichen Untersuchung. — Wieder ein trauriger Vorfall zur Warnung. Dieser Tage wollte ein zehnjähriges Mädchen in Zöblitz Abends eine Lampe anzünden und begoß dabei ihre Schürze mit Petroleum. Sie versuchte das Oel mit einem Schwefelhölzchen zu entfernen, doch dasselbe entzündete sich, und im Nu stand das arme Kind in Flammen. Da dasselbe ganz allein zu Hause war, eilte es unter Hülferufen die Treppe hinab und auf die Straße. Zum Glück kam eben der Omnibus vom Bahnhof gefahren. Der den selben begleitende Postbote sah das brennende Kind, eilte ihm sofort zur Hülfe, hüllte dasselbe in Schnee und trug das beklagenswerthe Mädchen dann in die Wohnung der Großmutter, wo es nun fast am ganzen Kör per verbrannt, uuter unsäglichen Schmerzen bedenklich krank darniederliegt. — Stolpen, 28. Februar. Auf dem Bahnhofe Dürrröhrsdorf entführte heute früh der herrschende starke Wind eine beladene Kohlenlowry in der Richtung nach Pirna. Leider war es nicht möglich, den Wagen auszuhalten und wurde unterwegs von demselben ein Streckenarbeiter über-