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6 war die Rinde vom Holz geschält, Federvieh war auf einer Seite der Federn beraubt und sah aus, als wenn es gerupft worden wäre. Ein zweijähriges kleines Kind fand man zwei Meilen von New Houston im Walde nur ganz leicht be schädigt. Der Tornado hatte es meilenweit mit fortgeführt und es dann sanft niedergelassen. Freilich, das war eine wunderbare, seltene Ausnahme. Seine meisten Opfer hatte der Orkan schaudererregend verstümmelt. Vielen war der Schädel gespalten; einige der Todten sahen aus wie skalpirt: sämmtliche Haare waren ihnen vom Kopfe gerissen. Auch von fernher hatte der Wirbelwind seine Opfer entführt. Fremde, die Niemand kannte, fanden sich unter den Getödteten, ja sogar Reisende, die auf der Prärie von dem Tornado überrascht worden waren. John Freeman und Fritz Hammer hatten sich einer der Expeditionen in der Umgegend angeschlossen. Dem jungen Deutschen blutete das Herz. Das Entsetzen, in das ihn das so plötzlich hereingebrochene elementare Ereigniß versetzt, ging unter in dem tiefen Mitleid, mit dem ihn der Anblick der erschütternden Scene erfüllte. All sein Empfinden, seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten waren von dem einen Drange beherrscht, zu helfen. Allen voran eilte er vorwärts. Ein schwerfälliger Landwagen, der mit zerbrochenen Rädern umgestürzt am Wege lag, hemmte seine Schritte. Kutscher und Pferde fand er zerschmettert wenige Schritte davon. Aber unter dem Gefährte selbst lugte ein Frauen- gewand hervor. Vielleicht kam hier noch Hilfe rechtzeitig. Doch so sehr er sich auch anstrengte, es war ihm nicht mög lich, den Wagen auch nur einen Centimeter weit von der Stelle zu bewegen. „Halloh!" rief er dem langsamer nachkommenden Grocer zu, ihn zur Eile anspornend. Ihren vereinten Bemühungen gelang es endlich, den Wagen aufzurichteu. Der Frauenkörper lag auf dem Gesicht, und gab nicht das geringste Lebenszeichen von sich. Die Todte war über und über mit Staub und Holzsplittern be deckt. Ihre Kleider waren in Streifen gerissen. John Freeman bückte sich herab, um den Leichnam um zuwenden. Erstaunt wandte er sich nach seinem Genossen um, der keine Miene machte, ihm dabei hilfreiche Hand zu leisten. Was hatte der Fremde nur! Starr, wie gelähmt stand der junge Mann da, leichenblaß und zitternd, die stieren, weit aufgerissenen Augen auf ein zierliches, ledernes Täschchen ge richtet, das in vergoldeten Buchstaben das Monogramm ö. X. trug und das an einem langen Riemen um die Taille der Todten geschlungen war. „Halloh, Fremder!" rief John Freeman halb erstaunt, halb mitleidig. „Was haben Sie denn? Ist Ihnen übel von all dem Entsetzlichen?" Aber keine Antwort kam, nur ein leises, unverständliches Flüstern. Kopfschüttelnd beugte sich der Grocer von neuem herab, um das traurige Geschäft allein zu verrichten. Aber kaum hatte er einen Blick auf das Gesicht des leblosen Körpers geworfen, als er mit allen Anzeichen eines tiefen Entsetzens zurücktaumelte. Auch ihm war alles Blut aus dem Antlitz gewichen. Und als er nun, sich gewaltsam aufraffend, aber mals forschend zu der Todten herabsah und sich überzeugt hatte, daß es kein Jrrthum war, kein Schreckbild seiner fieberisch erregten Sinne, da sank er mit dem Aufschrei: „Kate, meine liebe Kate!" auf seine Knie nieder. Die Thränen rannen stromweise über die eingefallenen, bleichen Wangen. „Meine Kate," murmelte er unablässig, „meine Kate!" Er streichelte ihr das Gesicht, als glaubte er, sie mit seinen Liebkosungen wieder ins Leben erwecken zu können. Wie der furchtbare Tornado sie entstellt hatte! Die Todesangst hatte ihre Gesichtszüge verzerrt, in ihren Wangen hatte der ent setzliche Wirbelwind Steine und Splitter festgetrieben. Lautlos stand Fritz Hammer neben dem lautklagenden alten Grocer. Eine tiefe Erschütterung ging durch seine Seele. Wohl hatte er keinen Grund zu weinen und zu jammern, im Gegentheil, der plötzliche Tod Bessies machte ihn mit einem Male frei und bewahrte ihn vor den vielen Widerwärtigkeiten und Aufregungen, die mit einem Skandalprozeß in jedem Falle verknüpft gewesen wären, aber es war trotz alledem doch ein Gefühl von Wehmuth und Mitleid, das ihn beschlich. Wie rasch und unerwartet der Tod die kaum Zwanzigjährige überfallen, die mit so leidenschaftlichem Begehren an dem Leben und seinen Freuden gehangen hatte! .... Als bei dem alten Grocer der erste Paroxismus des Schmerzes vorüber war, gab ihm Fritz Hammer vollen Auf schluß über sich und die Persönlichkeit der Todten. John Freeman hörte mit wortloser Ueberraschung zu. Erst als der Andere geschlossen, machten sich seine Gefühle in dem Ausruf Luft: „Das ist nicht wahr, das ist ja gar nicht möglich. Sie irren sich, Fremder, Sie müssen sich irren." Fritz Hammer öffnete die bei der Todteu vorgefundene Ledertasche, die er seiner jungen Frau einst in New Port vor ihrer Reise nach St. Augustine zum Geschenk gemacht hatte. Unter anderen Papieren fand sich ein Brief, den Mrs. New man an ihre Tochter gerichtet hatte. Das kurze, charakteristische Schreiben brachte volle Aufklärung über die Gründe von Bessies Reise. Es war das böse Gewissen und die Furcht vor der Strafe, die sie nach New Houston getrieben. „Liebe Bessie," so hatte die Boardinghauswirthm an ihre Tochter geschrieben, „Deine Mittheilung, daß der Dutchman argwöhnisch geworden, hat mich sehr erschreckt. Ich bin ganz äiseoursZöä H. Wenn er nur nicht dahinter kommt! Die Geschichte, mit Deinem zweiten busbimä-) kann Dir viel troublo^ bereiten. Leider ist Jack in Blackwell's Island. Der äruQÜarä!^ Er hat sich vollgesoffen und einen pollas- manst durchgebläut. Du mußt schon selbst nach New Houston gehen. Ich kann meine Boarders nicht im Stich lassen, und Jack ist eiugespunnt. Reise also selbst und sieh' zu, daß Du die dumme Geschichte settelst?) Bitte John Freeman, Dir keinen troublo zu machen. Was hat er davon, wenn er Dich nach Sing-Sing bringt. Daß nur der Dutchman nichts erfährt! Das ist die Hauptsache. Schreibe bald an Deine Mutter Elizabeth Newman." Angesichts dieses Dokuments konnte John Freeman aller dings nicht mehr zweifeln. Seine vergötterte, heißgeliebte Kate war eine Verbrecherin, sie hatte sich der Bigamie schuldig gemacht, und ein größeres Anrecht als er hatte der Fremde an sie.. Es war ein halb scheu verlegenes, halb ärgerlich eifersüchtiges Gesicht, mit dem John Freeman zu Kates erstem Gatten hinübersah. Aber Fntz Hammer that nicht das Ge ringste, um seine Empfindungen zu verletzen und ihn in seiner Trauer um die so früh Verlorene zu stören. Er überließ ihm völlig alle weiteren Anordnungen und hatte nichts dagegen einzüwenden, daß die Getödtete mit den anderen Opfern des Tornado in dem Friedhof New Houstons in feierlichem Leichenbegängniß mit allen kirchlichen Ehren beigesetzt wurde Er begnügte sich mit dem gerichtlichen Dokument, das ihm den Tod seiner Frau Bessie, geborene Newman, be scheinigte und verließ am Tage nach der Beerdigung New Houston, deren Bewohner mit der den Amerikanern eigenen Energie schon wieder daran gingen, die in Trümmer gelegten Häuser in aller Eile neu aufzubauen. XIX. Als der Eisenbahnzug, mit dem Fritz Hammer von New Houston zurückkehrte, in die Nähe von Pittsburg kam, erstaunte der Heimkehrende nicht wenig. Er war nur andert halb Wochen fortgewesen, und nun bot sich ihm ein ganz un gewohnter Anblick, lieber Pittsburg, der Eisenstadt, lagerten wieder dicke Rauchwolken. Seit Monaten, seit der Einführung des Naturgases, hatten alle Pittsburger Schornsteine gefeiert, und nun sah er, wie eine große Anzahl von Fabriken aus ihren Riesenschornsteinen dicke, dunkle Wollen gen Himmel entsandten. Was war geschehen? Schon auf dem Bahnhof hörte er die niederschmetternde Kunde, die in aller Munde war und das Tagesgespräch bildete und die ihn wie ein Blitzstrahl traf: „Das Naturgas st muthlos, st Gatte, st Unruhe, st Trunkenbold, st Schutzmann, st beilegst.