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Ein europäischer London, 20. Juli. „Daily Herald" berichtet, daß in Paris die Idee einesFünfjahresplanesfürdie Befreiung Europas gefaßt worden fei, wobei nicht nur Deutschland, sondern auch die anderen Staaten ein Ver sprechen abgeben sollten, daß sie in dieser Zeit nichts tun würden, was den Frieden Europas stören könnte. Soweit Deutschland in Frage käme, handele es sich um die Verlang samung des Vautempos der beiden ersten Panzerschiffe und darum, daß bis zum Abschluß der Abrüstungskonferenz keine weiteren Gelder für Neubauten genehmigt werden. Hinsichtlich einer Anleihe begünstige man fetzt solche Bedingungen, wie sie schon bei denPoung- anleihenin Anwendung gewesen seien und Deutsch land könne sicherlich ohne Prestige Verlust diese Bedingungen annehmen. Die „Times" erklärt, daß die neuen Abkommen eine dauernde Grundlage haben müßten. Wenn die Pariser Kommuniques die Auf gabe der Londoner Konferenz dahin auslegten, Laß sie sich auf die Nachprüfung der finanziellen und wirtschaftlichen Krise in Deutschland beschränken sollte, so sei diese Auf fassung nicht ausreichend und nicht vollständig. Es sei ihre Aufgabe eine dauernde Lösung zu finden, die eine Garantie gegen die Wiederkehr solcher Ereignisse biete, wie man sie jetzt erlebt habe. Sauerwein über die Besprechung Brüning — Laval. Paris, 20. Juli. Der außenpolitische Berichterstatter des „Matin", Sauerwein, stellte in einer Betrachtung über die deutsch-französischen Unterhaltungen fest, daß die Atmosphäre sich von Grund aus geändert habe. Brüning und Laval hätten sich schätzen ge lernt. Man würde überzeugt sein, daß alle Meinungs verschiedenheiten politischer Natur, die zwischen den beiden Ländern auftauchen könnten, schon heute viel le'chter zu regeln seien als früher. Ein weiteres bedeutsames Er gebnis sei die Tatsache, daß die beiden Regierungen fest entschlossen seien, ihre gegenseitigen Meinungsverschieden heiten unter sich zu regeln und sich nicht mehr von dritten lenken zu lassen. Brüning habe bereits anerkennen müssen, daß er nichts für die finanzielle Wiederaufrichtung seines Landes tun könne ohne die Hilfe Frankreichs. Er werde sich in einigen Tagen auch klar darüber werden, daß das französische Angebot das einzige sei, das einige Aussicht Fünsjahres-Plan? auf durchgreifende Wirksamkeit habe. Was die Londoner Konferenz angehe, so werde die französische Regierung i n der Frage der Abrüstung eine Denkschrift aus arbeiten, die sie davon entbinde, andere Erklärungen vor der Eröffnung der allgemeinen Abrüstungskonferenz ab zugeben. Das „Echo de Paris" sagt, in London müßte sich unweigerlich die Erörterung auch auf politischem Gebiet begegnen, da das Finanzproblem zu weitgehend sei. Der „Populaire", das Blatt der Sozialisten wirft Laval vor, Deutschland politische Forderungen aufzwingen zu wollen. Die Verhandlungen hätten ohne diese Forderungen sicherlich ein erheblich günstigeres Ergebnis gehabt. M MÄstm Meise mch Mm. Paris, 20. Juli. Reichskanzler Brüning, Außen minister Dr. Curtius, sowie die übrigen Herren der deutschen Delegation haben heute vormittag um 10 Uhr mit dem Nordexpreß Paris verlassen. Die Delegation trifft heute nachmittag um 16 Uhr in London ein. Mit Lein gleichen Zuge reiste die französische Delegation, die aus dem Ministerpräsidenten Laval, Briand, Flan - din.Pietri, Francoit, Poncet und Betelot bestand, ferner der italienische Außenminister Grandi, der belgische Außenminister Hymans, der englische Bot schafter in Paris, Tyrrell nach London. Sämtliche Minister bestiegen einen Salonwagen, in dem sie gemeinsam Platz nahmen. Die Fahrt nach London wird somit den deutschen Kabinettsministern von neuem Gelegenheit geben, persön liche Unterredungen mit den französischen Ministern und den italienischen und belgischen Außenminister zu führen. Kurz vor der Abfahrt sah man im Salonwagen Brüning in lebhafter Unterredung mit Laval sowie Dr. Curtius mitGrandi und Lord Tyrrell. Auf dem Bahnhof drängten sich Journalisten, Kinooperateure, Photographen und zahlreiches Publikum. Die Abfahrt ver lief in voller Ruhe. Nur vereinzelt wurden Rufe wie: „Es lebe Laval!, Es lebe der Friede!" laut. Als Laval und Brüning gemeinsam am Fenster erschienen, um sich photographieren zu lassen, rief diese ostentative freund schaftliche Geste im Publikum stark anhaltenden Beifall und Händeklatschen hervor. Die Menge brach in Rufe „Es lebe der Präsident, es lebe der Kanzler!" aus. versieht, wird, sofern die Tat nicht nach anderen Vor schriften mit höherer Strafe bedroht ist, mit Gefäng nis bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. 2. Wer eine der in Abs. 1 bezeichneten Handlungen fahrlässig begeht, wird mit Gefängnisstrafe bestraft. 8 4. 1. Wer vorsätzlich, ohne die passive Scheckfähigkeit zu besitzen, einen Scheck mit einem Bestätigungsvermerk ver sieht, wird, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit höherer Strafe bedroht ist, mit Gefängnis und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. 2. Wer die in Abs. 1 bezeichnete Handlung fahrlässig begeht, wird mit Geldstrafe bestraft. '. Artikel 6: Diese Verordnung tritt am 19. Juli 1931 in Kraft. -Berlin, 18. Juli 1931. ' Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichs- Minister der Finanzen (gez.) H. Dietrich. Der Reichs minister der Justiz, mit Wahrnehmung der Geschäfte be auftragt Dr. Joel, Staatssekretär. Der Reichstvirtschafts- minister, mit Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt (gez.) Dr. Trendelenburg. MMmg des WWWnteii M die WblW einer EeW für wlnndsreisen. Auf Grund des Artikels 48, 2 der Reichsverfassung wird verordnet: 8 1- Für jede Reise eines Reichsangehörigen, der im Inland feinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, in das Ausland, wird e i n e G e bühr von 10 0 R M. erhoben. Die Gebühr ist vor Antritt der Reise bei der zu ständigen Paßbehörde zu entrichten, die die Entrichtung in dem Paß vermerkt. Die Gebühr fließt in die Landeskasse. Die Vorschriften des Absatzes 1 finden auf den kleinen Grenzverkehr keine Anwendung. . § 2. ' Ein Reichsangehöriger, der ohne Gebühr (8 1) aus dem Reichsgebiet ausreist, wird mit Geldstrafe nicht unter 1000 Reichsmark oder mit Gefängnis bestraft. 8 3- Die Reichsregierung ist ermächtigt, Bestimmungen zur Durchführung dieser Verordnung zu erlassen. Hierbei kann sie die Erhebung der in 8 1 bezeichneten Gebühr anderen als den zuständigen Paßbehörden übertragen und in diesen Fällen Zuschläge zu der vorgeschriebenen Gebühr bis zu Hundert vom Hundert vorschreiben. 8 4. Diese Verordnung tritt am 22. Juli 1931 in Kraft. Sie tritt am 1. Oktober 1931 außer Kraft. Die Reichsregierung ist ermächtigt, die Verordnung zu einem früheren Zeitpunkt außer Kraft zu setzen. Berlin, 18. Juli 1931. gez. v. Hindenburg; gez. H. Dietrich; gez. D r. W i r t h. Aus aller Welt. * Vorübergehende Zahlungseinstellung bei der Schröder-Bank in Bremen. Von der I. F. Schröder-Bank Kommanditgesellschaft auf Aktien in Bremen wurde am Sonntag gegen Mitternacht ein-Kommunique ausgegeben, nach dem das Unternehmen mit Hinsicht auf die allgemeine schwere Wirtschaftskrise gezwungen ist, seine Kassen für den Lauf dieser Woche zu schließen. Es sind ernste Verhand lungen mit bremischen und auswärtigen Wirtschaftskreisen Zur Durchführung einer Stützungsaktion im Gange. Um den gesetzlichen Bestimmungen zu genügen, wird formell der An trag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens bei der Schröderbank gestellt werden. Die Stützungsoerhandlungen sind, wie verlautet, bisher ziemlich günstig verlaufen. * Kurzer Aufenthalt Shaws in Berlin. Bernhard Shaw ist auf der Durchreise nach dem Osten am Sonntag srüh in Berlin eingetroffen, wo er gegen 18 Uhr nach Warschau weiterfuhr. Vermischtes. Geschichten um Mellon. Der amerikanische Finanz- winister Mellon, der bekanntlich eine hervorragende Rolle bei den Pariser. Verhandlungen über die Inkraftsetzung des Hoover-Planes spielte, ist ein leidenschaftlicher Liebhaber der europäischen Kunst. Er besitzt eine der besten Privat- Vildersammlyngen Amerikas. Während seiner früheren Besuche in Europa pflegte er stets durch Vilderausstellun- gen und Malerateliers zu wandeln, um eine Anzahl von Bildwerken zu erwerben. Diesmal aber war Mellon durch die schwierigen Verhandlungen mit der französischen Re gierung so sehr in Anspruch genommen, daß er für seine Passion keine Zeit mehr übrig hatte. Die zahlreichen Kunst sachverständigen und Bilderhändler, die seine Wohnung bestürmten, mußten sich unverrichteter Sache zurückziehen. Die Pariser Blätter berichteten, daß Mellon, obgleich er prinzipieller.Gegner des Alkoholverbotes ist, loyalerweise ass Mitglied der amerikanischen Regierung auch auf euro päischen Boden von Alkoholgetränken keinen Gebrauch Wachte. Sogar die besten französischen Weine, für die Mellon seit seinen Jugendjahren eine Vorliebe hatte, bliehen in den Weingläsern stehen. Dafür gibt sich Mellon Wit Leidenschaft dem Rauchen hin. Er raucht stets nur eine besondere Zigarrensorte, die speziell für ihn auf den süd- awerikanischen Tabakplantagen hergestellt wird. Während der diplomatischen und politischen Unterhaltungen ver schwindet Mellon fast in Rauchschwaden. Der Gibraltar-Tunnel soll gebaut werden. Die spa- nische Regierung beauftragt einen technischen Ausschuß, schleunigst ein Projekt für den Bau des Gibraltar-Tunnel Huszuarbeiten. Das Projekt soll in Kürze der spanischen Nationalversammlung zur Genehmigung vorgelegt werden, dieses große Werk des neuen spanischen Regimes soll in späteren Jahren als Denkmal des neuen Spaniens fort leben. Seit Jahren beschäftigen sich europäische Wirtschafts politiker und technische Experten mit der Frage, des Tunnelbaues unter der Gibraltar-Straße. Vor einigen fahren wurde ein Komitee zur Begutachtung des Problems wngesetzt, das aus 50 Mitgliedern, unter der Leitung des Generals Rubio y Belloc, bestand. Der von diesem Komitee Husgearbeitete Tunnelplan wird von der neuen spanischen Legierung als Grundlage weiterer Arbeiten betrachtet. Der Abstand zwischen Gibraltar und Tanger an der afrika- wschen Küste ist ungefähr halb fo groß wie der Kanal * Flugzeuge im Dienste der Kriminalpolizei. Im Auf trage der Staatsanwaltschaft Bochum verfolgten am Sonn tag vormittag gegen 11 Uhr zwei Sportflugzeuge des Luft fahrtvereins Essen-Oberhausen eine Brieftaube, die zu er presserischen Zwecken einem Bochumer Bürger zugesandt worden war. Das Unternehmen gelang glänzend. Von beiden Flugzeugen aus konnte der Schlag festgestellt und photographiert worden, in den die Taube einflog. Der im Kraftwagen folgenden Polizei gelang es dann, an Hand einer abgeworfenen Skizze die sofortige Verhaftung des mutmaßlichen Täters vorzunehmen, der von einem Bochumer Bürger 200 Mark erpressen oder andernfalls seinen Bauernhof in Brand stecken wollte. * Ei» Gerichtsgcbäude in Brand. Am Freitagabend ging über Stargard ein schweres Gewitter nieder, bei dem der Blitz auch den Dachstuhl des Gerichtsgebäudes des Amts- und Landgerichtes entzündete. In kurzer Zeit stand der Dachstuhl in Flammen und brannte über einem Seitentrakt vollkommen aus. Die Decke stürzte in den in diesem Flügel liegenden Schwurgerichtssaal, dessen Ein richtung ebenfalls em Opfer der Flammen wurde. An den Löscharbeiten beteiligten sich die Freiwillige Feuer wehr, die Werksfeuerwehr der Reichsbahn und Abteilungen des Stargarder Bataillons des Infanterieregiments Nr. 4. Bei dem Brand ist auch ein großer Teil Akten, die im Boden lagerten, mit verbrannt. Die Feuerwehr mußte die Akten schließlich auf die Straße Wersen und dort ab- löschen. Es soll sich um Akten älteren Datums handeln. Ber dem Einsturz des Dachstuhles wurde auch das Dach gestänge für Telephonleitungen der Reichspost vernichtet. Nach etwa dreistündiger Arbeit war die Hauptgefahr be seitigt. zwischen Dover und Calais und beträgt 32 Kilometer. Der Tunnel wird in einer Tiefe von 250 bis 500 Meter an gelegt werden müssen. Die Arbeiten sollen etwa fünf Jahre in Anspruch nehmen. Nach der Berechnung des Generals Rubio y Belloc würden zirka 1200 Personen- und Lastzüge täglich in beiden Richtungen den Tunnel passieren können. Jeder Lastzug würde ca. 100 To. verschiedener Ladung mit führen können. Somit würde sich der tägliche Wagen verkehr zwischen Europa und Afrika auf etwa 12 000 Tonnen belaufen. Die neue direkte Eisenbahnverbindung ist natürlich nicht nur als Handelsweg zwischen Europa einerseits, Marokko, Senegal und anderen afrikanischen Gebieten gedacht, sondern gleichzeitig als eine prachtvolle Touristenroute, die das Herz des europäischen Kontinents mit dem schwarzen Erdteil verbinden soll. Auf der Suche nach einem Bett in Moskau. Der Mos kauer Korrespondent der großen amerikanischen Tages zeitung „New Pork Herald" berichtet über die Abenteuer dreier in einem Sowjetwerk angestellter amerikanischer Ingenieure, die in Moskau den kühnen Entschluß faßten, ein zusammenlegbares Ruhebett zu kaufen. Nach drei Tagen mühevollen Suchens überzeugten sich die Amerikaner, daß ein solches Bett heute in Moskau nicht zu haben ist. Es wurde ihnen zwar ein Eisenbett ohne Federmatratze für 200 Mark angeboten, und auf einem Markt fanden sie einen alten Divan, für den 300 Mark verlangt wurden. Sie ver zichteten darauf. In einem staatlichen Antiquitätenladen wurde den Amerikanern ein altertümliches Bett zum Kauf angeboten für den Preis von 1000 Mark. Dasselbe Bett kann man in Neuyork für höchstens 80 Mark bekommen. Voller Verzweiflung wandten sich die amerikanischen In genieure an das Auswärtige Amt mit der Bitte, ihnen zu sagen, wie und wo in Moskau ein Bett aufzutreiben sei. Der liebenswürdige Beamte des Auswärtigen Amtes er wirkte die Zustimmung seiner vorgesetzten Behörde und händigte den Amerikanern nach langen Verhandlungen ein Schreiben aus, das an eine staatliche Möbelfabrik adressiert war. Von dort aus wurden die Amerikaner an den Ver walter eines Lagers verwiesen. Der Verwalter schickte sie zu einem anderen Verwalter. So vergingen zwei Wochen. Endlich war das Glück da. Die Amerikaner bezahlten dcn staatlich festgesetzten Preis von 71,15 Mark und konnten das mühevoll erstandene Ruhebett in ihre Wohnung trans portieren. In den Straßen Moskaus blieben die Leute stehen und fragten in höchster Bewunderung: „Genossen, * Eine Kirche niedergebrannt. Aus Sofia wird ge meldet: In Pilipvopel brannte die katholische Kirche des Heiligen Ludwig, in der die Königinmutter von Bulgarien, Maria Luisa, begraben liegt, fast bis auf die Grund mauern nieder. Die Löscharbeiten waren durch den Herr schenden Wassermangel erschwert. Nur mit Mühe konnte die Grabstätte selbst vor den Flammen bewahrt werden. W EMM durch ein Feuer MNiM Sechs Tote, 20 Schwerverletzte. Prag, 19. Juli. Der Brand, der fast die ganze Ortschaft Waszecz vernichtete, wütete ununterbrochen bis Sonnabend abend. Er hat sechs Menschenleben gciordert. Vier Kinder, die allein zu Hause waren, verbrannten, ebenso zwei Männer» die bei den Rettungsarbeiten ohn mächtig wurden und in die Flammen fiele». 18 Schwer verletzte wurden ins Krankenhaus gebracht. Die gesamte Habe der Bevölkerung, 130 Rinder, 120 Pferde und 1KO Schweine, außerdem viele landwirtschaftliche Geräte und Maschinen fielen den Flammen zum Opfer. Nach einer Schätzung der Vezirkshauptmannschaft beträgt der Schaden 35 Millionen Kronen, wovon nur 5 v. H. durch Versicherung gedeckt sind. Insgesamt sind 3400 Menschen obdachlos ge worden. Lebensmittel und 20 Eisenbahnwagen mit Holz für Wohnbaracken sind bereits an der Unglücksstclle ein getroffen. Ueber die Ursache des Brandes ist noch nichts bekannt, doch wird Brandstiftung angenommen, da an drei verschiedenen Ortsteilen zu gleicher Zeit Feuer aus- brach. Ein Feuerwehrauto stürzte auf der Fahrt zur Brandstelle in einen Graben, wobei fünf Feuerwehrleute leicht und zwei schwer verletzt wurden. wieso habt ihr ein Bett bekommen?" Erst auf Lie Ant wort hin, daß die erfolgreichen Bettbesitzer Amerikaner seien, zogen sich die Neugierigen achselzuckend zurück, ohne die Hoffnung zu haben, daß ihnen eine ähnliche Freude be schert werden könnte. Die unglaublich anmutenbe Geschichte erklärt sich ganz einfach daraus, daß die gesamte Sowjet industrie nur mit dem Bau von Produktionsmitteln be schäftigt ist. Es werden gewaltige Kraftwerke gebaut und Schächte angelegt, aber keine Möbel fertiggestellt Menschensiedlungen, die keine Regierung anerkennen. Es gibt Gegenden im nördlichen Sibirien, auf die die Auto rität der Sowjetregierung sich nure formell erstreckt. Die Bevölkerung dieser entlegenen Gegenden, die aus verschie denen finnischen und mongolischen Stämmen besteht, lebt heute noch, im Zeitalter des Flugzeuges und des Rund funks, in derselben Art und Weise wie ihre Vorfahren in alten Zeiten. Manche haben nichts davon gehört, daß eine gewaltige Revolution vor etwa 14 Jahren die Grund festen des russischen Reiches erschüttert hat und befinden sich immer noch in dem Glauben, daß in St. Petersburg der Zar regiert. Andere dagegen haben dunkle Gerüchte über die bolschewistische Revolution vernommen und von der Frei heit gehört, die dem Volke versprochen wurde. Sie deuten den Freiheitsbegriff auf eine eigentümliche Weise. In ihrer primitiven Vorstellung ist die Freiheit mit der Befreiung von allen Steuern und Abgaben sowie auch von jeder administrativen Gewalt gleichbedeutend. Manche finni schen Stämme in Nordsibirien kehrten zum Glauben ihrer Urahnen zurück und gaben den christlichen Glauben aus. In einigen weitentlegenen Orten verlernte man sogar die russische Sprache. Da die Verbindung mit den zen tralen Gebieten des Landes nur während der kurzen Som merwochen und auch dann nur sehr mangelhaft aufrecht erhalten werden kann, so stiegen die Preise für Tee, Zucker und Alkohol auf das Zwanzigfache. Eine Tauschwirtschaft im wahren Sinne des Wortes wird betrieben. Für ein Rentier bekommt man eine Flasche Wodka. Für Pulver und Patronen kann man alles mögliche verlangen, da die Jagd fast die einzige Einnahmequelle der dortigen Be völkerung ist. Die Sowjetbehörden machen zwar große An strengungen, um die Stämme des nördlichen Sibiriens zum Gehorsam zu bringen, stoßen aber dabei auf große Schwie rigkeiten. Viele Beamte, die zur Verwaltung dieser Gegen den ausgesandt worden waren, sollen spurlos verschwunden sein.