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Ur^sbs^sckNrckutr, ^»fvvSilr-Vsrlog 6. m. b. X, ksrtm LV/LS lOs Nachdruck verboten. Er bat: „Entschuldige mich eine Viertelstunde, Onkel Konrad, oder begleite mich. Du kannst mir beistehen, helfen, du kennst ja hier im Orte jeden." „Fängst du schon wieder an mit der Verdrehtheit, mein lieber Gerhard!" schalt der alte Musiker ärgerlich. „Das Md wirst du sicherlich nicht wieder erhalten. Bettina Hochwald erklärte vorhin, es wäre für einen Rahmen be stimmt, den eine Kundin bei ihnen im Geschäft kaufte. Mit welchem Recht sollte man dir denn das Bild ausliesern?" „Wenn es nicht anders geht, werde ich es mir mit Ge walt holen oder durch die Polizei", trumpfte Dr. Dien dorf auf. Konrad Wilderling machte eine beschwichtigende Hand bewegung. «Mein lieber Junge, du glaubst ja selbst nicht, daß du auf solche Weise etwas erreichen wirst. Nur Aerger würdest du haben. Werde jetzt doch endlich etwas ruhiger. Letze dich vor allem wieder und denke auch an deine arme Rutter, die sich deinetwegen sehr sorgt." Er drückte den Lungeren wieder auf den Stuhl zurück. „Deine Mutter hat mir nämlich geschrieben. Sie bat mich, dich etwas auf- Suheitern, und nun läßt du mich gar nicht dazu kommen, "iitzest mich als 'ne Art Krankenwärter aus." Er neigte sich leicht über ihn. „Bist töricht, mein lieber Junge. Vor allem laß dir eins sagen: Rache muß kalt genossen werden, sonst fügt man sich selbst größeren Schaden zu, als dem anderen. Weil du mich gerade zur Mittagszeit um meinen Besuch gebeten hast, nahm ich übrigens an, mit einer Ein ladung zum Esten rechnen zu dürfen, und jetzt scheinst du gar nichts davon zu ahnen, daß meine Wirtin mir nichts locht, weil ich hoffte, du würdest mich einladen." Er sagte es drollig vorwurfsvoll, und um Gerhard Diendorfs Mund geisterte flüchtig der Schatten eines Lächelns. Er fragte erstaunt: „Meine Mutter schrieb dir?" „Ja, sie hat mir geschrieben, und ihretwegen solltest du bich zusammenreißen, deine Haßgedanken in den Rhein werfen und lieber mit mir eine gute Flasche leeren." Gerhard Diendorf sagte leise: „Mutter nimmt an, ich käme mich nur um Wallys Tod, sie weiß ja nicht, daß Aally mich nie geheiratet hätte, daß sie, schon halb auf b" Flucht mit einem anderen Manne, überfahren wurde." Er erhob sich wieder. „Ich will mich nur ein wenig zurecht wachen, Onkel Konrad, und dann führe mich irgendwohin, wo es behagliche Eckchen gibt." Dem Himmel sei Dank, er scheint wieder leidlich normal! bachte Konrad Wilderling und nahm sich vor, gut auf Erhard Diendorf aufzupassen. Er schlug vor, hinüber an bas andere Ufer zu fahren. Schräg gegenüber diesem Städtchen lag ein anderes, in dem gab es eine Wirtschaft, bis war berühmt am ganzen Rhein. Viel besucht war sie, Wunsch gab es dort stille Zecherecken. Als beide Herren über den Ritterplatz gingen, schauten ihnen von einem der "bersten Fenster des Eckhauses zwei hellbraune Mädchen- "ugen nach. Fünfzehnter Kapitel Eine Aussprache Nach Tisch, als der Kaffee getrunken wurde, der hier Aeich der Mahlzeit zu folgen pflegte, lächelte Johannes Hochwald seine Tochter an. «Du, Mädel, ich habe mich sehr gefreut, daß der Methystanhänger im Schaufenster fehlt. Wer hat ihn b°nn gekauft?" Bettina dachte an Dr. Diendorf und die Angst um Hans ^yden bemächtigte sich ihrer wieder. Sie gab Antwort: „Ein Fremder hat ihn gekauft als Mitbringsel, wie er sich ausdrückte." Sie lenkte zu dem Miiber, was ihr so wichtig war. „Gretel Syden hat heute Zmittag einen Silberrahmen gekauft, doch soll etwas ^»graviert werden. Vielleicht kannst du das nachher gleich Vater, ich möchte nämlich, wenn ihr mich nicht braucht, "n Rahmen diesen Nachmittag ins Waldschlößchen ringen." »Natürlich werde ich die Arbeit sofort machen, Bettina," ^sprach der alte Goldschmied und eine Stunde später ?"nte Bettina schon ihr Fahrrad besteigen. Heute reizte der weite Spaziergang nicht. Je schneller sie bas Wald- ^'"ßchen erreichte, um so bester. » Hoffentlich traf sie Hans Syden zu Hause an und fand ^egenheit, ihn kurze Zeit allein zu sprechen. Und ihr ^nsch schien die Kraft der Erfüllung in sich zu tragen, M sie sah Hans Syden auf derselben Bank am Waldes- . "be sitzen, wo sie ihn letzthin getroffen, als sie nach Hause ^Mgen. Ex träumte vor sich hin, und Bettina gab mehr- ein scharfes Glockenzeichen, um ihn auf sich aufmerk. j-w zu machen. Sie mochte nicht plötzlich vor ihm stehen, '" vielleicht erschrecken. ^,Msts Syden hob den Kopf, erkannte sofort die Rad- die ungefähr noch zwanzig Schritte von ihm ent- war. Bettina trug ein blaues Tuchkleid und darüber Kkik weißes Strickjäckchen. Eine Baskenmütze aus °"r Wolle saß schräg auf dem Hellen Haar. Dicht vor Hans Syden sprang Bettina vom Rad, und wenn auch ihr Herz pochte, grüßte sie doch so ruhig, als handle es sich bei dem Zusammentreffen für st« um die gleichgültigste Sache der Welt. In seinen Augen aber war es wie Wetterleuchten. Weshalb fuhr Bettina Hochwald, wenn sie glaubte, schon wieder Besuch im Waldschlößchen machen zu müssen, nicht wenigstens mit kurzem Gruß an ihm vorüber? Das hätte doch vollkommen genügt, nachdem er so überdeutlich hatte merken lasten, daß sie ihm gleichgültig war. Bettina lehnte das Rad an einen Baum und grüßte. „Ich bringe den Silberrahmen, den Gretel heute vor mittag bei uns gekauft hat. Vater hat die Inschrift an- gebracht." Er erwiderte sehr kühl: „Der Rahmen hatte doch Zeit, Gretel würde ihn schon rechtzeitig geholt haben. Sie hätten deshalb nicht den weiten Weg zu machen brauchen." Bettina biß sich aus die Lippen, aber nur eine Sekunde dauerte ihr Schweigen, dann sagte sie anscheinend ruhig: „Ich wäre auch bestimmt nicht gekommen, Hans, aber es handelt sich gar nicht um den Rahmen. Der Grund ist nur ein Vorwand. Ich wollte Sie sprechen, allein sprechen, weil ich Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen habe. Ich glaube wenigstens, es dürfte für Sie wichtig sein." Seine Augen wurden spöttisch, drückten deutlich aus: Törichtes Mädel, was könntest du mir wichtiges mitteilen! aber er jagte nur: „Darf ich dann also um die wichtige Mitteilung bitten." Sie antwortete leise: „In unserem Städtchen hält sich zur Zeit ein Herr Dr. Diendorf aus Berlin auf. Er kaufte etwas in unserem Geschäft und sah dabei zufällig Ihr Bild, Herr Graf. Gretel hatte es in den Rahmen gesteckt und darin gelassen. Der Rahmen aber lag noch auf dem Ver kaufstisch, als Dr. Diendors kam, um etwas zu kaufen. Das heißt, da kannte ich ihn noch nicht. Doch sein Name würde mich auch nicht interessiert haben, wenn er sich beim Anblick des Bildes nicht so sonderbar erregt und zornig benommen hätte. Seinen Namen erfuhr ich kurz darauf durch Zufall vom Lehrer Wilderling, der mit ihm verwandt ist, und den er im Städtchen besucht." Hans Syden gedachte jener Begegnung an Wally Walds Hügel. Keine Ahnung hatte Dr. Diendors damals gehabt, wem er gegenüberstand, und er hatte geglaubt, der würde niemals anders an ihn und die Begegnung zurückdenken, als an etwas Unverständliches. Woher wußte er nun an scheinend, daß er eine wichtige, nein die wichtigste Rolle in Wallys Leben gespielt. Er erwiderte mit nervös spielenden Fingern. „Dr. Diendorf hieß der Verlobte meiner Braut. Denn meine Braut war Wally, wenn der andere sie auch noch nach ihrem Tode für die seine hielt." Er dachte, es mutzte irgend etwas geschehen sein, wo durch Dr. Diendorf erfahren, was Wally vorgehabt. Erst jetzt, in diesem Augenblick, fiel ihm ein, Wally hatte kurz vor der Abreise mit ihm einen Brief an Dr. Diendors in den Kasten werfen wollen, hatte ihm am vorletzten Tage erzählt, der Brief läge schon versandbereit in ihrem fertig gepackten Reiseköfferchen, und das Köfferchen hätte sie bei der Schneiderin, Frau Hahn, abgegeben, bis zur Abholung. Gerade, als sie zu Frau Hahn gefahren, war ja das Unglück geschehen. Ein paar Stunden später hatte man sich am Anhalter Bahnhof treffen wollen, um dem großen Glück entgegenzufahren. An dar Köfferchen mit dem Brief hatte er seltsamer weise nie gedacht bis heute, wo ihm zugleich klar wurde, Dr. Diendors mußte nach jener Begegnung am Grabe den Brief gelesen haben. Er war kein Feigling, aber er gestand sich ehrlich ein, ihm war sehr unbehaglich zumute bei dem Gedanken, vielleicht heute oder morgen Dr. Diendors gegenübertreten zu müssen. Das Heimliche von damals, in dessen Mittel punkt ein von zwei Männern geliebtes wunderschönes Mädchen stand, hatte jetzt ein völlig verändertes Aussehen Damals lebte Wally, und falls Dr. Diendors nach der Flucht irgendwelche Rechenschaften gefordert, hätte er mit lächelndem Mund geantwortet: Wally liebt mich und ge hört mir, man kann niemand zur Gegenliebe zwingen! Jetzt lief ihm ein Frösteln den Rücken hinunter, wenn er an eine Begegnung mit Dr. Diendorf dachte. Das spöttische Glimmern in seinen Augen war erloschen. Er fragte kurz: „Wird Dr. Diendors hierherkommen, weiß er, wo ich wohne?" Sie schüttelte den Kopf und berichtete nüchtern und fast sachlich, auf welche Weise sich Dr. Diendors das Bild an geeignet und wie sie es wieder an sich gebracht, ehe er sich hatte erkundigen können, um wessen Fotografie es sich handelte. „Und wird Herr Wilderling dicht halten?" fragte er. Sie nickte. „Für ihn stehe ich ein, er hat vollkommen begriffen, daß er mit der Namensnennung eine Kata strophe heraufbeschwören könnte." „Und warum haben Sie das für mich getan?" fragte er wieder sehr kurz. Sie sah ihn ernst am „Ich bin mit Gretel seit unseren Schuljahren befreundet und Ihre beiden Großchens waren stets gütig gegen mich. Ich weiß, wie sehr alle drei an Ihnen hängen und möchte nicht, daß die alten Damen und Gretel Ihretwegen Sorgen und Kummer haben sollen. Der aber bliebe nicht aus, wenn Dr. Diendorf Ihren Namen wüßte. Er ist geladen mit Haß- und Rachegedanken, er ist wie toll vor Wut. Das mindeste, was bei einem Zusammentreffen heraus käme, wäre ein Skandal, der nicht nur Ihren Verwandten und Ihnen, sondern auch der Toten schaden würde." Hans Syden fragte in der kurzen Art von vorhin: „Was raten Sie mir zu tun?" Bettina antwortete ohne Besinnen: „Ich rate Ihnen, so rasch wie möglich die Gegend zu verlassen. Am besten noch heute. Wenn Sie eine Begegnung mit Dr. Diendorf vermeiden können, dürfte die Gefahr einer solchen für immer beseitigt sein. Der Mann wird allmählich ruhiger werden, und nach Jahren geht er, falls er Sie wirklich noch einmal trifft, sicher still an Ihnen vorbei, ohne sich noch für Ihren Namen zu interessieren." Hans Syden fand, Bettina Hochwald sprach sehr ver nünftig zu ihm, und klug wäre es, wenn er ihrem Rat folgen würde. Er sah sie dankbar an. „Ein lieber Mensch sind Sie, Bettina, ich bin froh, daß Sie mich gewarnt haben. Ich kneife nicht gern, und wenn ich damals nicht zu Dr. Diendors gegangen bin und ihm offen gesagt habe, er solle Wally Walb sreigeben, geschah es, weil ich fürchtete, Wally dabei doch noch zu verlieren. Ich würde mich jetzt der Verantwortung aber nicht ent ziehen, wenn nicht ein Skandal drohte. Keinem Menschen ' wäre damit geholfen." Bettina schüttelte den Kopf und wiederholte: „Keinem Menschen wäre damit geholfen." Sie blickte in das lichtjunge Grün der Buche, unter der die Bank stand und meinte: „Ein Zusammenstoß mutz, wie ich schon einmal bemerkte, besonders um der Toten willen, vermieden werden, damit nicht ihr Name noch irgendwie laut wird und in ein Geklatsch oder einen Skan dal mit hineinklingt. Grabesruh soll man nicht stören." Sie erhob sich und legte ein flaches Päckchen aus die Bank. „Hier ist der Bilderrahmen, sagen Sie Gretel, Sie wären im Städtchen gewesen und hätten den Nahmen gleich abgeholt." Er war auch aufgestanden und nickte. „Das werde ich sagen — natürlich, es ist besser." Er sprach gleich weiter. „Ich will heute noch wegfahren. Eine Ausrede für die Meinen wird mir einfallen. Haben Sie vielen Dank, Bettina, und, bitte, wenn ich Ihrem Nat folge, halten Sie mich nicht für feige." Sie lachte kurz auf. „Was kann Ihnen daran liegen!" Sie faßte nach der Lenkstange ihres Rades und schob es ein Stückchen weiter. Jetzt rührte sich Hans Syden und war mit raschem Schritt bei ihr. „Geben Sie mir, bitte, die Hand, Bettina." Sie legte ihre Rechte in die seine und fühlte einen starken warmen Druck. „Nochmals Dank, Bettina, und aus Wiedersehen." Sie antwortete nicht und löste ihre Hand, schwang sich auf das Rad. Er lies neben dem Rad her. „Vergeben Sie mir das von letzthin, Sie wissen schon, was ich meine. Es war nicht hübsch von mir. Ihnen be wußt wehe zu tun." Ihre hellbraunen Augen schienen schwarz, als sie wieder vom Rad sprang und mit leichtem Beben in der Stimme sagte: „Sie, rieten mir letzthin, ich solle weder zuviel Mit leid, noch zu viel Liebe für Sie haben, Sie würden mir für keins von beiden Dank wissen. Heute möchte ich Ihnen daraus eine Antwort geben. Ich glaube, sie ist nötig. Deshalb hören Sie, Hans: Ich liebe Sie weder, noch empfinde ich Mitleid für Sie, und es gibt keinen Grund für Sie, sich bei mir zu entschuldigen für Dinge, die Sie gesagt haben, und die mir völlig gleichgültig sind. Keine Irrtümer, bitte, Gras Syden, keine für mich peinlichen Irr tümer. Ich empfinde weder Liebe noch Mitleid für Sie und ich tue auch nichts für Sie. Wie ich vorhin schon be merkte, kam ich heute nur, um Gretel und die lieben alten Damen vor Sorge und Kummer zu bewahren." Sie schwang sich aufs Rad und überhörte, daß er ihren Namen rief. Sie fuhr schnell und schneller, kein Ruf von ihm sollte sie mehr erreichen. Sie dachte nur: Jetzt war voraussichtlich alles gut. Hans Syden würde ja die Gegend verlasten und Dr. Diendors konnte ihm nicht mehr begegnen. Sie dachte weiter, jetzt war auch sonst alles in Ordnung, denn in ihrem törichten Herzen hatte sie gründ lich aufgeräumt. Sonderbar nur, daß sich plötzlich heißes Naß unter ihren Wimpern hervordrängte. Sie fuhr sich fast heftig mit dem Taschentuch über Augen und Gesicht und wäre dabei fast vom Rade gefallen, weil sie für den Bruchteil einer Sekunde vergessen hatte, daß sie aus ihrem Fahrrad saß. Sechzehntes Kapitel Geburtstag Hans Syden hatte wirklich gleich sortgewollt, aber plötz lich ward es ihm wieder leid. Töricht und feige schien es ihm doch, einfach auszureißen. Er brauchte ja nicht ins Städtchen zu gehen und in die Nähe des Schlößchens würde Dr. Diendors kaum kommen. Wally war tot, und ver langte Diendors Rechenschaft von ihm, dann sollte er sie haben. Man würde das unter sich abmachen, wie es sich für Männer gehörte. Ein Skandal war wohl zu umgehen. Eroßchen Jutta wäre ja außer sich gewesen, wenn er so dicht vor ihrem Geburtstag wieder wegfahren wollte. Er blieb also, erzählte Gretel, er. wäre im Städtchen gewesen und hätte den Nahmen gleich mitgebracht. Er freute sich, daß er hier allmählich doch etwas innere Ruhe zurllckgewonnen hatte und so kam der Geburtstag der Gräfin Jutta heran. (Fortsetzung folgt.)