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Wilsdruffer Tageblatt I r. vlatt. Nr 98 - Sonnabend, den 23. April 1932 8 Der Haselstrauch. Der Haselstrauch im Frühlingswind, Die Troddeln lang und weich, Sie schaukeln hin und her geschwind In ihrem Luftbereich. Worm eingehüllt, am Zweige ruht Das Weibchen, schaut empor, Im Angesicht die Liebesglut, Ob einer sie erkor. Di« Troddeln streun den Goldstaub hin, Dem Weibchen -mm Genuß, Aus dieser Liebe als Gewinn Entsteht die Haselnuß. G. Zieschang. Lin Wahltag erster Ordnung. Die Wahlordnung in Preußen. Der 24. April wird ein Kampftag erster Ordnung sein. An ihm werden Neuwahlen für fünf Länderparlamente vorgenommen werden, und zwar werden in Preußen, Bayern, Württemberg, Anhalt und Ham burg die Wähler an die Urne gerufen, um darüber zu entscheiden, wer künftig an der Spitze der Landesregie rungen stehen soll. Darüber hinaus haben diese Wahlen aber auch ihre Bedeutung für die Führung der Reichs- Politik, denn jedes Land entsendet je nach seiner Größe seinen Vertreter in den Reichsrat. Diese Reichsratsvertreter sind bei ihrer Haltung und Stimmführung selbstverständ lich in der Hauptsache abhängig von den Weisungen, die sie von ihrer Landesregierung erhalten. Von den Ländern, die am 24. April wählen, verfügt Preußen im Reichsrat über 26 Stimmen, Bayern über tt, Württemberg über 4, Hamburg über 2 und Anhalt über eine Stimme. Jede Änderung in der Zusammensetzung einer dieser Länder regierungen hat auch Änderungen in der Zusammensetzung des Reichsrates zur Folge, dessen Einfluß um so stärker ist, je seltener der Reichstag zu ge setzgeberischer Arbeit zusammentritt. Be rücksichtigt man bei den Wahlen also auch diese in der Reichsverfassung niedergelegtcn Bestimmungen, so wird man klar erkennen können, daß es sich bei den kommenden Wahlen nicht allein um die Zusammensetzung der Länder parlamente und Länderregierungen handelt, sondern in gleichem Maße auch um Einflußnahme auf oiepolitischeFührungder Reichsgeschäfte. Die ausschlaggebendste Stellung im Reichsrat hat, wie man aus den oben mitgeteilten Zahlen ersehen kann, Preußen, wo bisher die sogenannte Weimarer Koali tion, bestehend aus Sozialdemokraten, Zentrum und Deutscher Staatspartei, seit 12 Jahren beinahe ununter brochen regiert. In Preußen wird seit Wochen ein heftiger Kampf der Oppositionsparteien gegen die jetzige Regie rung geführt, um in der Politik dieses größten deutschen Landes einen völligen Kurswechsel herbeizu- sühren und die Negierungsgewalt in die Hände von Männern zu legen, die der nationalen Rechten angehören. In Preußen werben etwa 19 Parteien um die Gunst der Wähler. Neben den alten Parteien treten gerade immer kurz vor Neuwahlen neue Organisationen und Gruppen und Grüppchen auf den Plan, um mit Irgendeinem politischen Schlagwort Wähler für sich ein zufangen. Diese neuen Gruppen müssen vom Landeswahl leiter zugelassen werden, wenn sie den Bestimmungen der Wahlordnung entsprechen. Immerhin müssen die Wähler «s sich überlegen, ob es überhaupt einen Zweck hat, diesen neuen kleinen Gebilden ihre Stimme zu geben. Die Wähler, die das trotzdem tun, laufen nämlich Gefahr, daß ihre Stimme bei der Auswertung der Wahl voll kommen verlorengeht. Eine solche Partei kann Unter Umständen Hundertlausende von Stimmen erhalten, ohne daß sie in die Lage kommt, a u ch n u r ei n e n ein zig en Abgeordneten in den Landtag zu schicken. Die Mandatsverteilung für den Preußischen Landtag ist nach den bestehenden Bestimmungen ziemlich kompli ziert. Ganz Preußen ist in 23 Wahlkreise eingeteilt, und, um überschüssige Stimmen zu verwerten, in neun Wahlkreisverbänden zusammengefaßt. Etwa noch vor handene Reststimmen kommen dann der Landeslifte der betreffenden Partei zugute. Die Aufrechnung dieser Stimmen soll einmal an einem Beispiel dargestellt wer den: In Preußen entfällt im neuen Landtag auf je 50 000 Stimmen ein Abgeordneter, gegenüber 40 000 im alten Landtag. Wir wollen nun an einem Beispiel die Verrechnung der Stimmen erläutern. Die Wahlkreise 7, 8 und 9 bilden zusammen den Wahlkreisverband lV. Die Partei ä erlangt im Kreis 7: 84 000 Stimmen, im Kreis 8: 102 000, im Kreis 9: 70 000. Sie erhält im Kreis 7 einen Abgeordneten, auf 50 000 Stimmen und es bleiben 34 000 Reststimmen. Im Kreis 8 zwei Abgeord nete und 2000 Reststimmen, im Kreis 9 einen Abgeordneten und 20 000 Reststimmen. Es bleiben also 56 000 Rest stimmen für den Wahlkreisverband. Das ergibt noch einen Sitz, der dem Kreis 7 zugute kommt, der den höchsten Rest hat. Es bleiben noch 6000, die dann aus der Landesliste der Partei verrechnet werden. Allerdings ist vorgesehen, daß auf der Landesliste einer Partei nicht mehr Mandate zugeteilt werden können, als sie bereits in sämtlichen Wahlkreisverbänden zusammen erreicht hat. Hat also eine Partei in den Wahlkreisverbänden nur sechs Abgeordnete bekommen, so werden ihr von der Landesliste aus auch nur weitere sechs Abgeordnete zuerkannt, 'wofür 300 000 Stimmen not wendig sind. Selbst wenn diese Partei beispielsweise über 500 000 Stimmen auf der Landcsliste verfügen würde, könnte sie nicht mehr als sechs Abgeordnete erhalten, so daß 200 000 Stimmen unter den Tisch fallen. Wenn aber eine Partei in keinem Wahlkreis 50 000 Stimmen erreicht, dann fallen alle Stimmen unter den Tisch. In folge dieser Bestimmung können bei kleineren und mitt leren Parteien unter Umständen sehr viele abgegebene Stimmen verlorengchen, so daß für den politisch denkenden Wähler also eine Stimmabgabe für kleine Parteien von vornherein ausscheiden sollte. * Die Lage m Bayern. ' Auch in Bayern finden am 24. April neue Wahlen ;nm Landtag statt. Dort ist auf Gruud der letzten Wahlen vom-20. Mai 1928 die Bayerische Volkspartci mit 46 Man daten von 128 die stärkste Partei. Die Sozialdemokratische Partei hatte bisher 34 Mandate, doppelt so viel wie der Bayerische Bauern- und Mittelstandsbund, mit dem die Deutsche Staatspartei zusammenhängt. Die Deutsch- nationale Volkspartei versüate über 13 Mandate, die V.U.VP. MMW P. st. MR rkMUkl kk. u.p.v. V.V.D. NE-P. ^.;.v.^.p. Der Preußische Landtag vor der Wahl. !—l. .. HM Lopzkrlxkt d> Barlin keucktwsnser, UaU« (Saals) s36 Und heute abend würde er sie sehen, würde sie er nennen I Seit sie wußte, daß er hier war, hatte sie ihre unauf fälligen Erkundigungen eingezogen, hatte mit größter Ab sicht das heutige Bekanntwerden mit seinem Freunde her- f beigeführt. Jawohl, so weltgewandt und sicher war die kleine Eva geworden. Eva lächelte ihrem strahlenden Spiegelbild wehmütig zu. .Was nützt aller Ruhm, alle Schönheit der Welt? Was Mützen Reisen und Verehrer? Solange mir die Liebe meines Gatten unerreichbar, ist alles andere wertlos, das jhabe ich einsehen müssen, als ich das erstemal wieder sein «eliebtes Gesicht sah", dachte sie. Die Familie von Volkmar war in Evas Geheimnis itingeweiht, und die erfahrene Frau Volkmar konnte Evas Plan nur gutheißen. Niemals war ein Mann wie Kardorf mit Tränen und Bitten zu gewinnen. Niemals würde er tn ein Heim zurückkommen, wo eine abgehärmte Frau auf Ihn mit Vorwürfen wartete. Er mutzte ganz anders an- tzefaßt werden. Und sein kluger, gütiger Vater hatte recht daran getan, Eva den Weg zu zeigen, auf dem allein sie Aen Gatten für sich gewinnen konnte. Frau von Volkmar hatte in diesen Monaten alles ge- itan, um Eva zu einer vollendeten Dame von Welt zu machen. Sie war mit dem Resultat sehr zufrieden. Und was das beste war: Eva hatte die tiefe Innigkeit ihres Wesens behalten; sie war durchaus nicht oberflächlich ge worden, trotzdem sie nun eine schöne, elegante Frau war, die die Mode beherrschte und sich anbeten ließ. * * * . j An demselben Abend nun gingen die beiden jungen jDamen in Begleitung Georgs von Volkmar in die Spiel säle. Frau von Volkmar konnte das Nachtleben nicht gut vertragen. Sie mutzte etwas Rücksicht auf ihre Gesundheit nehmen, wollte aber doch die jungen Damen nicht um das Vergnügen bringen und schickte sie in Begleitung ihres Neffen Georg fort. Auf den konnte sie sich verlassen. Der wachte wie ein Zerberus über die beiden ihm anvertrauten jungen Geschöpfe. Eva, in einem silbern schimmernden Kleide, das sich wie ein schillernder Panzer um ihre schlanke Gestalt legte, erschien Wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Eingläser und Lorgnetten richteten sich aus sie, die wie die Elfen königin selbst unter den Menschen stand. Das goldblonde Haar sprühte auf im Licht der vielen elektrischen Kerzen. Die kostbare Kette um den schlanken Hals fchmiegte sich an diefe Frauenschönheit, und die wundersamen blauen Augen waren weit geöffnet. Eva wußte nicht, welches Aussehen sie erregte. Ihre Blicke suchten die Reihen ab, glitten zum Spieltisch hinüber. Dort saß die schöne, rotblonde Frau; doch Harald Kardorf war noch nicht da. Aber er würde kommen; denn wo die Rotblonde war, war er doch sicherlich auch. Ein paar Bekannte gesellten sich zu ihnen. Man hatte sich an der gemeinsamen Tafel angefreundet. Eva stand da, plauderte in ihrer liebenswürdigen Art, die so sehr bezauberte. Und immer mehr Menschen drängten sich heran. Eva lachte einmal hell auf über eine drollige Be merkung. Gerade in diesem Augenblick betraten zwei Herren den Saal. Der eine blickte sich suchend um. „Oh, Frau Eva Hellberg ist schon anwesend. Wir sind doch zu spät gekommen", sagte Vanderfelde. Kardorf sah hinüber und — zuckte im gleichen Augen blick heftig zusammen. Das war doch — Narrte ihn denn ein Spuk? Das war doch Eva? Aber sie konnte es doch nicht sein? Diese schöne schlanke Frau dort? Dicht schritt er an Vanderfeldes Seite dahin. Jetzt waren sie angelangt. NationalsoziäUsten über neun und die KömmtlnistAKK» fünf. Dazn kommen noch vier Abgeordnete der Dcu'tWW Völkspartei. Bei den Ncichstagswahlcn vom 14. September 19M zeigte sich in Bayern aber schon eine große VerschiebuM im Stärkeverhältnis der Parteien. Während die BayeAfM Volkspartei ihren Besitzstand ungefähr wahren konnH die Kommunisten stark Mischwollen, gingen die Stimmen der Sozialdemokratie, der Deutschnationaleu und de? Volkspartei zurück. Die Nationalsozialisten konnten 1930. ihre Stimmen mehr als verdreifachen, da auch die Deutsche Volkspartei stark an Stimmen verlor. Bisher bestand im Bayerischen Landtag eine Regier ungskoalitio« formeller Art zwischen Bayerischer Volkspartei, Deutsch nationaler Volkspartei und Bauernbund, doch war dies« Mehrheit in letzter Zeit durch den Austritt der Deutsch- nationalen und durch die wohlwollende Unterstützung durch die Sozialdemokraten wesentlich verändert wordek. Die Wahlen in Württemberg. Im benachbarten Württemberg, das gleichfalls am 24. April den Landtag wählt, war bisher unter dH 80 Abgeordneten die sozialdemokratische Partei mit A Mandaten die stärkste Fraktion. Das Zentrum folgte Mit !6 Mandaten und beinahe ebenso stark war der aus deutsD- nationalem Boden stehende Württembergische Bauetk- und Weingärtnerbund, der aus seinen Reihen den Staats präsidenten Bazille gestellt hatte. Die Nationalsozialist?« hatten bei den letzten Landtagswahlen im Mai 1928 nm ein Mandat erringen können, konnten aber bei den ReiM- tagswahlen im Dezember 1930 mit 128 000 Stimmen dM Sechsfache der früheren Zahl erreichen. Der Württem- bergische Bauernbund ging nicht unerheblich zurück. Eine starke Vermehrung hatte in Württemberg der Christlich- Soziale Volksdienst erfahren. Bisher bestand in Württem berg eine Regierung, die offiziell von der Zentrums partei, dem Württembergischen Bauernbund, den Demo!- rratcn, den Dentschnaüonalen und den VolksparleMÄl gebildet war. Die Neuwahlen m Anhalt. Von den 36 Mitgliedern des Landesparlamcnts P Anhalt, das gleichfalls zum letzten Male qm 20. Mai gewählt worden war, gehörten 15 der Sozialdemokratle an, die damit fast die Hälfte der Mandate besgß. NebHl zwei Demokraten haben zwei Mitglieder der Haus- und Grundbcsitzerpartei für das jetzt bestehende Ministerium Vie Mehrheit geschaffen. Aus den 4000 Stimmen tZr NSDAP, im Jahre 1928 ist bis zur Rcichstagswahl 1930 die elffache Zahl geworden. Nochmals Wahlen m Hamburg. Die Hamburger Bürgerschaft, die a« 24. April neu gewählt werden soft, ist überhaupt erst siebHl Monate alt; am 27. September 1931 haben in Hamburg Ire letzten Bürgerschaftswahlen stattgesunden. Mit 46 Man daten war die Sozialdemokratie zwar die stärkste FraktiM geblieben, aber die Nationalsozialisten hatten nur drei Mandate weniger errungen, und die Kommunisten ver fügten über 35 Sitze. Infolgedessen hatte sich eine arbeits fähige parlamentarische Mehrheit nicht züsammenfügen lassen, über die seitherige Entwicklung geben die Resul tate der Reichspräsidentenwahl einigen Ausschluß. Äm 13. März 1932 stellte es sich heraus, daß die Nationalsozia listen ungefähr über dieselbe Anhängerzahl verfügten Uzi« bei den letzten Bürgerschastswahlen, daß aber die K'ommF- nisten einen starken Rückgang zu verzeichnen hatten, ^i« Bürgerschastswahlen des 24. April werden daher Über dK Parteigliederung in Hamburg erst wieder ein klarerP Md schaffen. Die Regierung der Freien Stadt Hamburg sM sich heute entsprechend dem politischen Gesichte des MnM aus den Vertretern der Demokratie und der SozialdeüA kratie zusammen. Sayern organisiert den LuMch. Bei der Polizeidirektion München fand eine B«-' sprechung über die Errichtung des zivilen LufH» schütz es statt. Es kam dabei zum Ausdruck, daß d eA Staat nunmehr die Organisation des Luftschutzes üb»?- „Gnädige Frau, mein Freund KardorfI Kardorf, Fra« Eva Hellberg, von der ich dir heute so viel erzählt häbe.^i Eva reichte Vanderfelde die schmale Hand, an der nur der matte Goldreif war. Vanderfelde küßte diese HarUZ Kardorf aber blickte mit seinen dunklen Augen wii^ gebannt in das schmale, rosige Gesicht des jungen Weibes/ Dann ging sein Blick auf den Trauring. Das war doch der gleiche Ring, wie er daheim in irgendeinem Behälter' lag? Was war nur mit ihm? Wurde er vielleicht wahn-l sinnig? Das konnte doch Eva nicht sein? Er küßte die kleine Hand, die sich ihm entgegenstreckte.' „Ich freue mich, Sie begrüßen zu können, gnädige, Frau. Darf ich um ein paar kurze Worte unter vier Auge« ' bitten?" Milten in seine Gedanken hinein war jäh die Erkennt-/ nis gekommen: „Es ist ja doch Eva!" Ein winziges Leberfleckchen oberhalb des rechten Hand gelenks hatte ihn aus allen Zweifeln befreit. Es war Evas Wie aber sollte er das verstehen? Und er bat um diese Unterredung. Eva war darauf nicht gefaßt, hätte aber doch damit rechnen müssen, daß er sie erkannte. „Bitte!" Eva sagte es mit leiser Stimme und schritt in ihrer graziösen Anmut auf die Ecke zu, in der unter einer breit auslangenden Palme rote Korbmöbel standen. „Sie wollten mich etwas fragen?" Kardorf antwortete nicht. Zorn war in ihm. Wie kam Eva dazu, diese Komödie mit ihm zu spielen? Und Eva Hellberg? Wie kam sie zu dem Namen? Es war doch ganz unmöglich, daß sie die Verfasserin des Buches war? Und wenn? Dann war er es tatsächlich, der ihr das geistige Modell zu ihrem Werk gewesen war? Das Modell zu dem rücksichtslosen Gewaltmenschen? „Was soll die Komödie, Eva? Ich habe dich erkannt^ Die weißen Hände schlangen sich nicht verzweifelt in einander. Eva senkte auch nicht scheu den Blick. lFortsetzung folgte