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Am zwischen all den Kostbarkeiten, die durch die Be leuchtung des Salons von ihrem Glanz viel einbüßten, die richtige Wahl zu treffen, begab sie sich mit ein paar Pracht stücken an das große Bogenfenster, durch das in Heller Flut das Tageslicht hereinströmte. Das war ein Glitzern und eine Eleganz! Nein — diese Strümpfe! Da plötzlich! Mit einer jähen Bewegung ließ sie . . . Der Verkäufer sah es! Er hatte sich gerade umgedreht. Rot wurde er und ließ vor Schreck eine große Hutschachtel zu Boden fallen, denn Frau von Lingen, Gattin des Mini sterialdirektors Erich von Lingen, versteckte soeben in dem Ausschnitt ihres Kleides — ein Paar Seidenstrümpfe! Was aus der Sache wurde? Fragt den Verkäufer! Er schwieg. Er gewann dadurch die Dankbarkeit einer schönen Frau und wurde auf diese Weise in kurzer Zeit Leiter eines führenden Modehauses in Budapest. vef Lingkampf mit äem Laren. Skizze von Heinrich Riedel. Seit zehn Jahren reiste der Clown Morris, genannt „Virginia Gull" — auf Deutsch also: der virginische Dumm kopf—, mit einem Wanderzirkus in der Union von Stad! zu Stadt, und nie noch in dieser Zeit hatte er gegenüber seine: jungen und hübschen Frau Gladys, die als Seiltänzerin ein« gute Nummer verkaufte, Grund zur Eifersucht. Bis diese: verdammte Mike O'Connel, mit dem Z:rkusnamcn „Hanni bal der Große", in Coney Island, wo sie seit vierzehn Tagen in einem Zirkus auftraten, als Ersatz zu ihnen stieß „Hannibal der Große" war ein Tierbändiger jener Schlages, wie ihn sich nicht nur der kleine, sondern zuweilen auch der große Moritz gern in dem geheimen Wunschbilder buch ihrer Seele vorstellt: gut sechs Fuß groß, athletisch gebaut, blitzschnell und von der Biegsamkeit einer Stahlfeder Vor allem kennzeichneten ihn kohlschwarze, dämonische Augen, in denen eine ständige, beleidigende Drohung lag; sie hieß kurz: Duck' dich, oder ich schlage zu! Virginia Gull bemerkte, daß zwischen dem „Großen Hannibal" und seiner Frau Gladys etwas vorging. Nichts Ernstliches, nein, das nicht. Noch nicht. Aber es war, als wenn ein überstarker Sender in einem empfindlichen Zmpfangsapparat durch alle Sicherungen und Kopplungen durchgeschlagen und nicht mehr herauszubekommen sei . . . Und Virginia Gull selbst fühlte fast greifbar diese Wellen, di: ihn zu verdrängen und auszulöschen schienen. „Gladys", sagte er eines Tages nach der Vorstellung, „was ist mit diesem Hannibal? Liebst Du ihn?" Gladys zog die schön geschwungenen Augenbrauen er staunt in die Höhe. „Du bist verrückt, er bedeutet mir nicht soviel Wie eine Balancierstange. Wenn er sich mehr einbildet, so laß ihn; er wird davon nicht viel klüger werden, als er ist." Wahrscheinlich glaubte sie selbst, was sie sagte. Gull aber glaubte es nicht. Es war Gewaltliebe, das fühlte er. Und bald würde keiner mehr etwas dagegen tun können. Ost überfiel den Clown mitten in der Arbeit, wenn den Leuten vor Lachen die Tränen die Backen hinunterliefen, plötz lich das Verlangen, hinweg zu rennen und wie der Teufel zwischen die beiden zu fahren. Und doch wußte er, daß sie noch nie mehr als zwei Worte miteinander gewechselt hatten. Eines Tages schließlich ging er zu Mike O'Connel: „Finde, Ihr seht meine Frau ein bißchen zu viel an, Sir." „Eure Meinung, aber nicht besonders wichtig", ant wortete der „Große Hannibal" lächelnd, indem er die schwere Peitsche, die er stets bei sich trug, mit der Hand auf ihren Zug ausprobierte. „Ich verbiete Euch, meine Frau weiterhin anzustarren!" schrie der Clown, rot im Gesicht. „Verbietet, was Euch Spaß macht und wem Ihr wollt, aber nicht nur. Andernfalls bestellt Euch rechtzeitig Eure Grabrede. Habe eine etwas schwere Faust, schätze ich, Sir." Hannibal schnippte sorgfältig einige Fädchen von seinem Rock, drehete sich um und ließ den Clown stehen. Virginia Gull hatte sich zuerst auf ihn stürzen wollen. Er kochte vor Wut. Aber er sah die Peitsche und wußte, der andere würde ihn ohne Umstände zu Boden schlagen. Was tun? In seinem Gehirn brannte es. Er haßte diesen aufgeblasenen Freibeuter, der ihm das Liebste rauben wollte. Was tun? Gull schlenderte mit gesenktem Kopf langsam durch die Gänge der Stallungen, brütend. Dann stieß er plötzlich einen Pfiff aus — und sah sich gleich darauf scheu um, ob ihn Wohl jemand belauscht hätte. Hannibal führte zwei gute Nummern vor. Erstens eine wundervoll dressierte Gruppe von acht Doggen. Zweitens, Ns Clou, einen Ringkampf mit einem Zimtbärcn, jenet gefährlichsten Art des amerikanischen Grisly. Das war ein Zugstück, wie es nicht in jedem Jahrzehnt in einem Zirkus .u sehen ist. Das Tier war von riesiger Größe, wog über reun Zentner, und wenn es sich auch nur um einen Schein- ampf handelte, so war doch die Leistung des Dompteurs schon cein kraftmäßig außerordentlich, von der Gefährlichkeit — 3ären bleiben immer unberechenbar — nicht zu reden. Eines Abends nun, nach der Vorführung der Doggen, stng Hannibal, stolz und prächtig anzuschauen wie immer, 'n den runden Vorführungskäfig, in dem Old Ephraim, der Grisly, schon herumschunkelte. Der Tierbändiger war als Gladiator gekleidet, halbnackt. Die starken Muskeln bewegten ich, als er mit tänzerischer Leichtigkeit dahinschritt, gleich Zchlangen auf dem herkulischen Gerüst des schimmernden ikörpers. Das Untier, eine belebte, tückische Fleischmasse, üchtete sich langsam auf. Tusch der Musik, jäh abbrechend. Da gingen die Ringer aufeinander los, und Hannibal stemmte sich dem Tier entgegen, das ihn beträchtlich über ragte. Totenstille legte sich über die Menschenmenge. Niemand wagte eine Bewegung. Da, während Hannibal die Brust des Bären zu umfassen versuchte und hinwiederum der Bär ihm wie in nachlässigem Wohlwollen die gewaltigen Branten auf die Schultern legte, brach plötzlich ein Toben aus, als ob das Tor der Hölle sich geöffnet hätte. Mit aufgerissenen Rachen stürzte eine Rotte von acht Doggen mit vor Wut überschnappendem Gebell auf den Käfig zu, in dem sie ihren Herrn von ihrem eigenen Todfeind angegriffen sahen. Old Ephraim ließ, als er die Hunde gegen sich an stürmen sah, ein kurzes, tiefes Brummen hören. Er Preßte mit seinen plumpen Vorderbranten Hannibal, den prächtigen, muskelschwellenden Athletenkörper — wie eine Puppe, die ihn genarrt — an sich, daß die Rippen knackten. Und dann fegte er ihn mit einem Hieb an den Kopf aus dem Weg. Der Mann floa klirrend an die Eisenstanaen. Er war tot. Zu dem eigentlichen Kampf zwischen dem Bären und der Doggen kam es glücklicherweise nicht. Man warf den Hundei das schnell herbeigeschasfte Trainingsnetz der Trapeztruppi über. Es war fast grausig anzusehen, wie sie im Netz nock in Blutgier schnappten und bellten und geifernd zappelten Hannibal zog man mit großer Mühe mit einem Eisen haken aus dem Käfig. Der Clown Gull wurde ziemlich schnell erwischt. E: leugnete nicht sehr umständlich. Mit einem Nachschlüssel hatte er den Hundezwinger aufgeschlossen, und die Tier« waren natürlich der Spur ihres Herrn gefolgt. An der bekannten Zweiminutenhandlung mit Hochspan nungsstrom kam Gull knapp vorbei; aber Sing-Sing sah iHv lange in seinen Mauern. Der rettende Gartenschlauch. Ohne die Geistesgegenwart seines Vaters und das zu fällige Zurhandsein eines Gartenschlauches würde heute der junge Bauunternehmer Walter Köster aus St. Louis (Nord amerika) zu den Toten zählen. Die beiden Männer be sichtigten gerade die Ausschachtungsarbeiten für einen Neubau, als Plötzlich Erdmassen abbröckelten und den Sohn bis an die Hüften begruben. In der nächsten Sekunde mußten weitere Mengen Herunterbrechen und den jungen Bauunternehmer be graben. Ein Gartenschlauch lag zufällig neben dem Vater. Ohne einen Augenblick zu überlegen, Packte der alte Mann das eine Ende und warf es seinem Sohne zu. Dieser verstand sofort und drückte den Gartenschlauch an den Mund. In der nächsten Sekunde stürzte die Erde ab und begrub Walter Köster zweieinhalb Meter tief unter sich. Die Feuerwehr war wenige Minuten später mit einem Sauerstoffgerät zur Stelle und versuchte nun, dem Verschütteten Luft durch den mit Draht umwickelten Schlauch zuzuführen. Der Versuch gelang, nach dem ein etwa zwei Minuten währender Widerstand un bekannter Art überwunden war. Mehr als dreitausend Men schen sahen mit Spannung den Rettungsarbeiten zu. Polizei und Feuerwehr arbeitete mit Ablösung fieberhaft, um den Verschütteten zu befreien. Als dies endlich gelang, war der junge Mann Wohl ein wenig mitgenommen, aber sonst Wohl auf. Nur über einen Punkt schimpfte er: „Der Gartenschlauck war voller Wasser. Er enthielt mindestens fünf Liter, und die habe ich erst schlucken müssen, bevor ich Euren Sauerstof' bekam." Daher also der Widerstand! Immerhin eine Leistung, sich in zwei Minuten und noch dazu in einer so ungemütlicher Lage fünf Liter Wasser einzuverleiben. cc ccr