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ein Rückgang von über 2 Milliarden und gegenüber 1931/32 sogar von 3 Milliarden Mark. Die durch die Notverordnungen erzielten Ersparnisse bei Reich, Ländern und Gemeinden beziffert Graf Schwerin mit 4 Milliarden Mark. Deutschland sei damit aber völlig an der Grenze seiner Kräfte und Möglichkeiten angelangt. Die Ausgaben seien nicht mehr zu senken und neue Ein nahmequellen seien nicht mehr zu finden. 2m Gegenteil, die Steuereinnahmen zeigten weiter die Neigung, zu fallen. Man rechne mit Mindereinnahmen von 600 Millionen Mark, die durch die erhöhte Umsatzsteuer ausgeglichen wer den sollen. Gleichzeitig bedinge aber die Erhöhung der Ar beitslosigkeit und die Notwendigkeit, den Dienst der schwe benden Schuld des Reiches zu leisten, eine weitere Steige rung der Ausgaben im Haushaltsjahr 1932/33. Das Schick sal des kommenden Haushalts hänge ganz von der weiteren Entwicklung der wirtschaftlichen Lage und den Auswirkun gen der Notverordnung ab. Am Freitag beginnt die allgemeine Aussprache über den deutschen Reichshaushalt. Erklärung des Kanzlers vsr Her ausländischen Presse. Berlin, 11. Dezember. Reichskanzler Brüning hat nach einer Meldung Berliner Blätter aus London am Donnerstag in Berlin die Berichterstatter der ausländischen Presse empfangen. Er erwähnte „gewisse Interviews", die kürzlich der ausländischen Presse gegeben worden seien und betonte, daß die Regierung mit der größten Energie dafür sorgen werde, daß die gesetzmäßige und verfassungsmäßige Regierung in Deutschland an der Macht bleibe. Wenn die Welt der Ansicht sei, daß der Nationalsozialis mus in Deutschland eine so große Gefahr für sie sei, dann müsse sie auch anerkennen, daß diese Ge fahr nicht existieren würde, wenn man Deutsch land diejenige Unterstützung und diejenige Hilfe zuteil werden lasse, die man Deutschland wenn aus keinen anderen Gründen, so doch aus Gründen der Menschlichkeit leisten sollte. Weiter sprach der Reichskanzler über die Not verordnung und gab als ihre Hauptursachs die Deflation an. Mit starker Betonung habe er der Behauptung wider sprochen, daß die deutsche Regierung Staatskapitalismus oder Planwirtschaft betreibe. Ihre Absicht sei lediglich, eine Verkrampfung der Wirtschaft zu.ver meiden, die zu Staatswirtschaft oder Planwirtschaft führen könnte. Wir seien auf dem besten Wege, daß jedes Land für sich seine eigene Finanz- und Wirtschaftspolitik treiben werde. So gingen die Dinge nicht weiter. Von be sonderer Bedeutung waren die Erklärungen Brünings über die Neparationsfrage, zu der er u. a. sagte: „In dem Augen blick, wo Deutschland nichts mehr geliehen bekommt und dis Reparationen durch Warenüberschuß bezahlen mutz, werden die Reparationszahlungen entweder die ganze Weltwirt schaft durcheinanderbringen oder es wird sich die Unmöglich keit der Zahlungen erweisen. Meine Hoffnung ist", so schloß der Reichskanzler, „datz die Welt, wenn sie alle Systeme dnrchprobiert haben wird, sich zu einer großzügigen Lösung wird entschließen müssen." — Auf die Frage eines der Be richterstatter, was der Reichskanzler zu französischen Presse äußerungen sage, die aussprechen, daß man Deutschland im Rahmen desPoungplanes helfen könne, erwiderte der Reichskanzler, er hoffe, daß die bevorstehende inter nationale Reparationskonferenz anders entscheiden werde. Auf die Frage, ob er seist an der Reparationskonferenz teilzunehmen gedenke, antwortete der Reichskanzler: „Za, wenn die anderen Außenminister auch zur Reparationskonferenz erscheinen." Aus Msr Wett. - Bayern betreibt Senkung des Vierpreises. Aus Mün chen wird gemeldet: Der Haushaltausschuß des Bayrischen Landtages nahm einstimmig die Anträge der Bayrischen Volkspartei und des Bayrischen Bauernbundes an, wonach die bayrische Regierung ersucht wird, bei der Rsichsregierung dafür einzutreten, daß die Reichsbier st euer baldigst und mindestens um den Betrag der letzten Erhöhung g e - senkt wird. Ferner soll auf eine Senkung des Brauer- und Wirte-Nutzens auch durch Verhandlungen mit den ent sprechenden Organisationen der Brauindustrie und ferner auf einen Abbau der gemeindlichen Biersteuer hingewirkt werden. Man ist in Bayern der Auffassung, daß durch diese Maßnahmen der Bierpreis um insgesamt zehn Pfennig pro Liter gesenkt werden könne. Der Liter Bier kostet in Bayern augenblicklich 56 Pfennig. Da anerkanntermaßen das Bier zösische Postflugzeug, das den regelmäßigen Dienst zwischen Marseille und Algier versieht, ins Meer gestürzt ist. Einzel heiten über die Ursache und den Ausgang des Unglücks fehlen noch. Blutige Zusammenstöße mit Streikenden in Spanien. Aus Madrid wird gemeldet: Der Generalstreik in Gijon nimmt immer größere Ausmaße an. Die Syndikalisten ter rorisieren die übrige Arbeiterschaft und weigern sich, die Fabrik zu verlassen. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei, die von der Schußwaffe Gebrauch machte und dabei einen Arbeiter tötete und elf verwundete. Die Bäckereien sind geschloßen, die Zeitungen erscheinen nicht. Ein großes Polizeiaufgebot ist zur Aufrechterhaltung der Ruhe zusam men gezogen worden. In Saragossa und in Alkoy wurde ein 24stündiger Generalstreik als Protest gegen die Ein führung der Mutterschutzversicherung erklärt. - Zwei Neger gelyncht. Zwei des Doppelmordes ver dächtige Neger wurden am Donnerstag in Lewisburg im Staate Westvirginia von der empörten Bevölkerung aus dem Gefängnis geholt und außerhalb der Stadt gelyncht, in Bayern zu einem der wichtigsten Volksnahrungsmittel gehört, soll durch die Senkung des Vierpreises ein Aequi- valent für die neuen Lasten der vierten Notverordnung ge schaffen werden. * Neichstagsabgeordneter Stöhr von einem Schlag anfall getroffen Wie das Naumburger Tageblatt" meldet, hatte die Ortsgruppe der NSDAP. Naum burg für ihre Versammlung im Ratskeller als Redner den Reichstagsabgeordneten Stöhr gewonnen, der aber seinen Vortrag nicht zu Ende führen konnte, da ihn kurz nach Beginn ein Schlaganfall traf, der ihn links seitig lähmte und ihm die Sprache nahm. * Elli Beinhorns Fernflug. Elli Beinhorn hat Koma in Kleinasien erreicht, nachdem sie am Morgen bei Jstambul gestartet war. Nach mehrstündigem Flug traf die Fliegerin am Ziele ein. Hunderte von Einwohnern strömten auf dem freien Feld zusammen, das sie sich zur Landung aus ersehen hatte. Bei der Landung erfuhr sie, daß auch das letzte hier gelandete Flugzeug ein deutsches gewesen war. Der Weiterflug nach Aleppo am Abend mußte unterbleiben, da die Brennstoffaufnahme längere Zeit in Anspruch nahm. Die Fliegerin beabsichtigt heute über die Taurus-Berge weiterzufliegen. Schulkinder im Dienste der Winterhilfe. Die Schüler eines Berliner Gymnasiums sammeln im Schulkeller Lebensmittel für die Armen. Die Kaiser-Friedrich-Schule in Charlotten burg hat unter ihren Schülern eine vorbild liche Organisation zur Unterstützung der Winterhilfe geschaffen. Zeder Schüler bringt täglich eins Kartoffel oder eine Preßkohle mit, wodurch im Laufe einer Woche schon ein beträchtlicher Vorrat zusammenkommt, der der Winterhilfe überwiesen wird. Dis bayerischen Kronjuwelen in London unter dem Hammer. Das Krondiadem König Ludwig I. von Bayern wird im nächsten Monat zusammen mit an deren überaus kostbaren Juwelen aus dem Besitz der Wittelsbacher in London verstei gert werden. Bei dem oben dargestellten Krondiadem handelt es sich um eine fran zösische Arbeit, die 1832 von König Lud wig I. erworben wurde. Die Glücksspinne. Roman von Felix Neumann. 20j (Nachdruck verboten.) Und er spürte nur zu deutlich, datz sein Gefühl für Sigbrit noch nicht erloschen war. Langsam und zögernd gab er das Bild zurück und räusperte sich verlegen. „Legen Sie großen Wert auf diese Aufnahme?" Frau Jensen wehrte lächelnd ab. „Ich habe viele Bilder von meiner Tochter — —" „Dürfte ich dann darum bitten? Als kleine Erinne rung " Seine Stimme senkte sich und wurde merkwürdig unsicher, Frau Jensen entging das nicht. Sie wußte, wie es nm die beiden stand Als er die Photographie mit Dank in die Brieftasche schob, faßte er den Entschluß, Sigbriis liebes Bild heraus zuschneiden und das so peinliche Drum und Dran, be sonders den Galan, zu entfernen. Während man sich noch über die Porzellanmalerei unterhielt, und Frau Jensen eine Tasse zeigte, die ihr die Tochter kürzlich schickte, eilte plötzlich am Hause der Tiburtiussche Diener vorbei Magnus erhob sich „Man sucht mich anscheinend!" Gleich daraus trat der Bote ein „Verzeihung, Herr Tiburtius, die Damen von Gnadenfrei sind früher ge kommen Fräulein Brain will nach Tisch eine Segelpartie machen. Es soll gleich gegessen werden " „Danke, ich komme sofort —" Nicht einmal diese Stunde konnte er ungestört ge nießen. Er war gar nicht mehr Herr seiner Zeit Man be legte ihn förmlich mit Beschlag. Sie und immer sie! Sie kommandierte und befahl; zwischendurch erstickte sie ihn mit Küssen, so daß er der Ketten vergaß, die er trug. Wie sie die Dienerschaft, den Vater, die Mutter in ihre Dienste zwang, so mutzte er ebenfalls jedes ihrer Winke ge wärtig sein. Als er die Strandpromenade entlang ging, verrauchte sein Ärger. Einer Braut, besonders wenn sie solch quir liges Ding ist wie Sybille, mutz man manches Nachsehen Dieses Kapriziöse, Sprunghafte war ja gerade das Reiz volle an ihr, und wenn die Freunde Fräulein Beckum auf der Promenade mit bewundernden Blicken streiften oder sie auf den Bällen umschwärmten, war er doch stolz Als er ins Haus trat, wartete mau schon im Speise saal. Er küßte Frau Beckum die Hand und wollte auch die Braut herzlich begrüßen, als diese ibn kühl zurückfchob Um ihre Augen lag ein Zug, den ei noch uichi kanure „Es war dir wohl sehr unangenehm, daß wir früher kamen?" Spitz und scharf stieß sie die Worte heraus „Aber — durchaus nicht, nur bedauere ich, daß ich euch warten ließ. Ich wäre nicht so unhöflich gewesen, wenn — —" Sie unterbrach ibn, während die Mutter mit dem alten Tiburtius etwas abseits stand. „Was hast du bei Jensens zu suchen? Spukt dir das Mädel noch immer im Kopf?" Er biß die Zähne zusammen. Halblaut, aber sehr fest, sagte er: „Es gibt gesellschaftliche Verpflichtungen, denen man sich nicht entziehen kann Ich bin dein Ver lobter, mein liebes Kind, nicht dein Sklave Ich weiß selbst sehr wohl, was ich zu tun und zu lassen habe Ich bedarf dazu deiner Vormundschaft nicht" Sie starrte ihm mit maßlosem Staunen ins Gesicht So halte noch nie jemand mit ihr zu sprechen gewagt, die allen Herrschaften riefen zu Tisch, so sagte sie nur kurz: „Wir werden uns darüber noch aussprechen " Eine merkwürdig frostige Stimmung lag über bei Tafel Sie stimmte so gar nicht überein mit den, Sonnen glanz, der durch die geöffneten Fenster flutete, mit dem köstlichen Rheinwein, der in den geschliffenen Gläsern leuchtete. MagnuS beherrschte sich und zwang sich sogar zu einigen Scherzworten Er war vielleicht doch wohl zu scharf gewesen. Aber — dieses ewige Gängeln hatte er satt. Die Kälte ging von Sybille aus, die wenig aß, da für um so mehr trank und über ein Ja und Nein, das sie zuweilen in die Unterhaltung warf, nicht hinauskam Endlich war die Oual vorüber Als man in die Veranda zum Kaffee ging, sagte der alte Tiburtius zu Mama Beckum: „Haben die Kinder was miteinander?" Die zuckte die Achseln „Gott. Mädchenlaunen! Das verfliegt bald wieder " Drunten an der Mole lag die Tiburtiussche Segel jacht. Um 3 Uhr wollte auch Herr von Osten-Sacken zugegen sein und an der Fahrt teilnehmen Schweigend gingen die beiden Verlobten zum Strande Während MagnuS alles herrichlete, erwartete Sybille den Gast, der pünktlich eintraf. Sie begrüßte ihn laut und fröhlich, als ob sie sagen wolle: „Ich zanke nur mit dir, Magnus, sonst ist meine Stimmung vortrefflich!" Er lachte hinter dem Segel in sich hinein. Weiber. Tann warf er den Rock ab, denn die Sonne branme. Herr von Osten half Sybille beim Einsteigen Das Einglas blitzte übermütig Daß ihm die Gnadenfreier Erbin entging, hatte ihn zwar tief geschmerzt, aber der alte Becknm entschädigte ihn, indem er ein kleines Kapital hergab, mit dem nun Osten für das Beckumsche Haus arbeitete Als Agent und Kommissionär. Es konnte nichts schaden, wenn die Firma einen Mann mit gutem, altem Namen in ihren Diensten hatte. Der Umsturz in den Nach kriegsjahren änderte hieran nichts. Sybille nahm im Heck der Jacht Platz. Osten wurde neben ihr verstaut, denn wenn er auch ein guter Gesell schafter war, vom Segeln verstand er nichts. Es war herrliches Wetter. Eine frische Brise wehte, die Möven kreischten, so hob sich die Stimmung, und da Fräulein Beckum ihre Worte an keine bestimmte Person richtete, Magnus überdies mit der Führung vollauf zu tun hatte, so war von der Mißstimmung am Mittag nichts zu spüren Man war weil yinausgekahren Der Leucht- inrm des Badeortes tauchte schon tief unter, die Häuser waren ganz verschwunden und rings sah man nur sprin gende Wellen und leuchtenden Sonnenglast. Ein bißchen müde vom Wein und vom Plaudern, wollte sich Sybille bequemer betten Sie griff nach Mag nus Jackett, denn die Kissen reichten nicht aus Während sie es zufammensaltete, fiel aus der Brusttasche das Porte feuille Osten hob es aus, während Magnus von dem Vor gang nichts bemerkte. Er legte es aus die Bank, aber das junge Mädchen griff neugierig danach, weil ein Bild daraus hervorragte. Osten neigte sich herbei und beide betrachteten die Photographie mit Interesse. Sybille war blaß bis in die Lippen geworden. Sie erkannte sofort Sigbrit Jensen Dann wendete sie um. Aus der Rückseite stand: „Zur Erinnerung an meine letzte Geburtstagsfeier mit vielen Grüßen." Osten grinste in sich hinöin, denn ihm entging die Be wegung seiner Nachbarin nicht Als guterzogener Mann sprach er kein Worr. Gleichgültig nahm er sein Zigaretten etui hervor und tat, als ob nichts geschehen wäre. Von Norden kommend, zog ein Schwedendampfer vor über Magnus rief: „Sybille, siehst du das Schiff?" Er erhielt keine Antwort, nur Osten sagte: „Famos, mindestens 2000 Tonnen!" (Fortsetzung folgt.)