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Ottendorfer Zeitung : 17.06.1931
- Erscheinungsdatum
- 1931-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-193106177
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19310617
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19310617
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1931
-
Monat
1931-06
- Tag 1931-06-17
-
Monat
1931-06
-
Jahr
1931
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 17.06.1931
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Ms M M-Mr des SrdeMOes. Hindenburg in Marienburg. Marienburg, 14. Juni. In Marienburg fand am Sonntag die 700-Jahrfeier des deutschen Ordenslandes statt. Die alte Ordensstadt war über und über mit Flaggen und Girlanden geschmückt. Eine Ehrenkompanie der Reichs wehr, Danziger Korporationen, die Kreiskriegerverbände aus Marienburg und den Nachbarkreisen, der Stahlhelm, die Wehrverbände, Schützen, das Reichsbanner, Vereine und Innungen hatten am Vormittag mit ihren Bannern Aufstellung genommen, um Hindenburg zu erwarten. Ilm 11 Uhr begannen die Glocken zu läuten und pünktlich rollte das Auto mit dem Reichspräsidenten flankiert von sämt lichen Reitervereinen, durch das Marientor ein. Auf der Fahrt von Neudeck nach Marienburg war Hindenburg unterwegs allenthalben stürmisch begrüßt worden. Vor dem Rathaus hatten die 320 Schauspieler des Festspieles „Bartolomäus Blume" in ihren Trachten Aufstellung ge nommen und der Schauspieler Karl Wüstenhagen vom Deut schen Schauspielhaus in Hamburg, der Träger der Titel rolle, begrüßte Hindenburg mit einigen Versen. Sodann überreichte die Tochter des ersten Bürgermeisters, Pawelzik, dem Reichspräsidenten die goldene Festspielmedaille Am Abstimmungsdenkmal legte Hindenburg einen Kranz nieder. Der erste Bürgermeister Pawelzik begrüßte den Reichspräsidenten als denVater desVaterlandes. DerReichs- präfident dankte für die Begrüßung und sprach dann längere Zeit mit dem Danziger Senatspräsidenten Dr. Ziehm, der aus Danzig nach Marienburg gekommen war Weiter ging die Fahrt zum Schloß. Im inneren Schloßhof hatte eine zweite Ehrenkompanie Aufstellung genommen und unter den Klängen des Präsentiermarsches schritt der Reichspräsident die Front ab. Inzwischen versammelten sich in des Meisters großen Remter die Vertreter der ost preußischen Behörden, der Wirtschaft und der Wissenschaft zu den: Festakt. Im Anschluß sprach Reichspräsident von Hindenburg noch mit verschiedenen ostpreußischen Vehördenvertretern und Vertretern von Verbänden. Unter den Ehrengästen sah man den Reichsminister Treviranus, den Oberprüsiden- ten, den Landeshauptmann, den Regierungspräsidenten der Provinz, den Wehrkreiskommandeur, die Bürgermeister und Landräte aus ganz Ostpreußen, zahlreiche Abgeordnete. Der Reichspräsident fuhr dann nach Freystadt, um hier an der 600-Jahrfeier der Stadt teilzunehmen. In den Gastkammern der Marienburg fand ein Früh stück statt. Hier begrüßte Landeshauptmann Dr. Blunk die Festgäste und brachte ein Hoch auf Ostpreußen aus. Sodann ergriff Reichsminister Treviranus das Wort und führte u. a. aus. Als 1231 der Landmeister Hermann Balk mit dem Kreuz von der Weichsel bis über die Memel hinaus zog, wurde der Grundstein für den künftigen Bau des heu tigen deutschen Reichs gelegt. Drei Jahrhunderte der Fremd herrschaft, in dem das einst blühende Land der Hochmeister in wirtschaftlichen Verfall geriet, haben nicht vermocht, die deutsche Kultur zu vernichten. Die Wiedervereinigung mit dem deutschen Mutterlande Ende des 18. Jahrhunderts brachte neuen Ausstieg. Es ist die tiefe Tragik des Schick sals unserer Tage, daß mit dem Abschluß des Weltkrieges ein Keil in dieses Land getrieben und die Landbrücke zum Reich zerrissen wurde. Um so fester ist das unvergängliche Gefühl des einzelnen geworden. Es ist undenkbar, daß jemals eine deutsche Reichsregierung, eine preußische Ctaatsregierung dieses Land preisgegen kann oder wird. Ostpreußen ist kein verlorener Posten, sondern ein Eckstein des Reichsbaues, dessen Unversehrtheit die Grundlage Unseres nationalen Daseins ist. Es sprachen sodann Oberpräsident Eiehr und Kammer herr von Oldenburg-Januschau, der als letzter Redner der verlorenen Provinz Westpreußen gedachte und ein Hoch auf die Jugend Deutschlands aüsbrachte, der es vergönnt sein möge, den Tag der Wiedervereinigung zu erleben. Ms WWlt Ns die MW MWMM MmW Berlin, 14. Juni. Wie die Telegraphenunion erfährt, 'st am Sonnabend die deutsche Antwort auf die polnische Beschwerdenote wegen der Stahlhelmtagung in Breslau überreicht worden. Die Aufnahme der deutschen Note in Warschau. Warschau, 15. Juni. In einer Meldung aus Berlin veröffentlicht das Regierungsblatt „Gazeta Polska" eine kurze Inhaltsangabe über die deutsche Antwort auf die pol nische Veschwerdenote wegen des Stahlhelmtages. Nach dem genannten Blatt heißt es in der Note, die Reichsregie rung stehe auf dem Standpunkt, daß der Stahlhelm eine Organisation privaten Charakters sei. Die Reichsregierung verwahre sich gegen die Einmischung eines fremden Staates in das Verhältnis der deutschen Regierung zu Organisa tionen solcher Art. Die deutsche Note stelle im übrigen die Breslauer Kundgebung der polnischen Nationalfeier vom 3. Mai in Kattowitz gegenüber. Die „Gazeta Polska" macht sich darüber lustig, daß der Stahlhelm als Privatorganisa tion bezeichnet werde, obwohl die Satzungen, die Presse erklärungen und seine Manöver dauernd den „frontmäßig- deutschen" Charakter dieser Organisation hervorheben. Die Erklärungen Curtius müßten, da die Reichsregierung der innerpolitischen Lage entweder nicht Herr werden wolle oder könne, als wertlos betrachtet werden. Zum Beweis, daß der Stahlhelm eine Kampforganisation sei, zitiert das Blatt eine Erklärung des früheren preußischen Innen ministers Erzesinski im preußischen Landtag vom 16. Ok tober 1929. Den Vergleich des Stahlhelmtages mit der Auf- ständischen-Feier in Kattowitz lehnt das Blatt mit der Be gründung ab, daß es sich in Kattowitz um die Feier eines Nationaltages ohne irgendwelche aggressiven Ausfälle gegen Deutschland gehandelt habe. Der Stahlhelm habe da gegen einen aggressiven Charakter gehabt und sei gegen den Bestand des polnischen und anderer Staaten gerichtet gewesen. Aehnliche inspirierte Erläuterungen bringen auch andere Regierungsblätter. Zu dieser Meldung der „Gazeta Polska" erfährt die Telegraphenunion von zuständiger deutscher Stelle in Berlin, daß die Note von deutscher Seite in Berlin nicht veröffentlicht worden ist. Das Blatt kann also über den Inhalt der deutschen Note nur von der Berliner polnischen Gesandtschaft verständigt worden sein. jiMMMWl MW Ms MimWMM. Mehrere Schwerverletzte. Berlin, 14. Juni. In den frühen Morgenstunden des Sonntag ereignete sich im Osten Berlins ein neuer kommu nistischer Uebcrfall auf Nationalsozialisten. Als SA.-Leute in der Warschauer Straße Werbematerial verteilten, wur den sie plötzlich von Kommunisten angegriffen und be schossen. Dabei wurden drei Nationalsozialisten durchSchüsse schwer verletzt, so daß sie in be denklichem Zustande dem Krankenhaus zugeführt werden mußten. Ferner wurde auch ein Polizeibeamter verletzt. Es gelang der Polizei, als Haupttäter einen 20jähr. Mann, namens Stribling, zu verhaften. Außerdem wurden weitere sieben Kommunisten verhaftet, bei denen man mehrere neue Revolver fand. Wie die Polizei dazu mitteilt, handelt es sich zweifel los um einen Angriff kommunistischer Elemente auf Na tionalsozialisten. Von einem Kommunisten wurden vier Schüsse abgefeuert, doch blieb der Beamte, der rechtzeitig zur Seite springen konnte, unverletzt. Er griff seinerseits nicht zur Waffe, um nicht Ausflügler zu verletzen, die sich in größerer Zahl auf der Straße befanden. Riesenseuer äschert Brotfabrik ein. Voraussichtlich 1 Million Reichsmark Schaden. Gollnow, 15. Juni. Sonntag früh, kurz nach 4 Uhr, wurde in der Mühle der Gollnower Brotfabrik ein Feuer bemerkt, das sich mit rasender Geschwindigkeit trotz der Windstille ausbreitete. In wenigen Minuten schlugen be reits die Flammen aus dem hohen Gebäude heraus. Die Freiwillige Feuerwehr rückte mit Grotzalarm an und setzte sofort zwei Motorspritze» an. Es gelang, das anschließende Wohnhaus zu halten, während aus dem Mühlwerk auch nicht ein Stück gerettet werden konnte. Die stärksten Eisen träger bogen sich in der Gluthitze, und mit Getöse stürzten die Maschinen in die Tiefe. Die Ursache des Feuers ist noch nicht geklärt. Immerhin ist eine Mchlstaubexplosion möglich. Später flammte das Feuer noch einmal auf und erfaßte, obwohl die Feuerwehr mit zwei Motorspritzen eingrisf. auch die umfangreiche Bäckerei. Der Schaden, der durch Versicherung gedeckt sein soll, dürfte eine Million Reichsmark betragen. Die Gollnower Brotfabrik befindet sich zur Zeit in Konkurs. Die Mühle sollte am Montag zur Zwangsver steigerung kommen. Durch den Brand werden die Gläu biger voraussichtlich nicht stärker geschädigt werden. Nächtliche Barrikadenkämpfe in Noubaix. Paris, 14. Juni. Am Sonnabend, nach Eintritt der Dunkelheit kam es in Roubaix zu schweren Straßen kämpfen. Plötzlich traten Arbeitergruppen auf die Straßen. Auf ein Pfcifensignal bildeten sich Demonstrationszüge, die die Internationale sangen und unter Vorantritt von Frauen und Mädchen in die Mitte der Stadt marschierten, wo ein Kommunist eine Ansprache hielt, Der Zug griff eine Polizeisperre an. Bei dem Gegenangriff der Polizei wurden viele Demonstranten verwundet. Die Arbeiter er richteten darauf eine Barrikade aus Pflastersteinen, Sta cheldraht usw. und leisteten der Polizei mit Spitzhacken heftigsten Widerstand. Als aus Befehl des Präfekten die Polizei scharfe Patronen lud, zündeten die Streikenden die Barrikaden an. Die Straße war bald ein einziges Flammenmeer, da auch die zerrissenen Gasleitungen Feuer fingen. Bevor die Polizei den Angriff fortsctztc, mutzte die Feuerwehr löschen. Beim Vorgehen der Polizei flüch teten die Streikenden. Ein Polizeiosfizier wurde verwundet. Bei den Unruhen ist es zu Plünderungen von Lebensmittel geschäften und Fahrradläden gekommen. Am Sonntag ist es bei Tage ruhig geblieben. Zu den nächtlichen Unruhen in Roubaix. Paris, 15. Juni. Bei den letzten Unruhen in Roubaix sind drei Polizisten verwundet worden. Zwei Feuerwehr leute erlitten leichte Verletzungen. 24 Demonstranten wur den festgenommen. Ueber die Verluste der Demonstranten ist nichts bekanntgegeben worden. Man rechnet damit, daß in der Nacht zum Montag neue Unruhen ausbrechen. In der Nähe eines Polizeipostens wurde eine Bombe mit Zün der gefunden. Auf der Präfektur ist ein wahrer Kriegsrat zusammengetreten, um weitere Maßnahmen der Polizei im Fall neuer Angriffe festzulegen. Aus aller Well. * Einbrecher schießt auf Polizeibeamten. Aus Hagen wird gemeldet: In der Nacht zum Sonntag stellte eine Polizeistreife im Stadtteil Haspe einen verdächtigen Mann, der den Hilfswachtmeister Steinbach durch einen Kopf schuß tötete. Ein anderer Polizeibeamter wollte die Ver folgung des Täters aufnehmen, wurde aber von drei weiteren plötzlich aus dem Dunkel auftauchenden Gestalten ebenfalls beschossen. Es gelang den Verbrechern, zu ent kommen. * Schwerer Unfall durch betrunkenen Autoführer. — Zwei Personen schwer verletzt. Als der Reisende Nothmann aus Hanover, der Sohn des Garagenbesitzers Noell, Mar burg, und der Autoschlosser Hellmann aus Marburg damit beschäftigt waren, eine Panne an dem Auto des Reisenden auszubessern, fuhr ein Marburger Geschäftsmann so scharf mit seinem Auto an dem unter einer Straßenlaterne stehen den Wagen vorbei, daß die drei mitgerissen und etwa 20 Meter weit mit geschleift wurden. Nach kurzem Halten fuhr der rasende Fahrer weiter, ohne sich um die Ver letzten zu kümmern. Nothmann erlitt doppelte Schenkel- brüche sowie eine Gehirnerschütterung, so daß an seinem Aufkommen gezweifelt wird. Noell trug einen Schenkelbruch sowie Quetschungen davon. Der Führer des Autos ist be trunken gewesen. * Schweres Unglück am Bahnübergang. Aus Nürn berg Wird gemeldet: Am Sonntag nachmittag ereignete sich an einem Bahnübergang bei Kronach ein schweres Unglück. Ein Lastkraftwagen wurde vom O-Zug 80 Mün chen-Berlin ersaßt und aus das Gleis geschleudert. Der Benzintank explodierte. Die beiden Insassen des Wagens Verbrannten bei lebendigem Leibe. Das Lastauto gehörte einer Firma Kremer aus Krefeld. Die Schranke soll nicht gesch ossen gewesen sein. * Hochwasser in Innsbruck. Wie aus Innsbruck ge meldet wird, haben die Fluten des Inn und seiner Neben flüsse die Straßen zum Teil 30 bis 40 Zentimeter hoch überflutet. Zahlreiche Gehöfte stehen unter Wasser. Fünf Menschen sind in den Fluten ums Leben gekommen. Zu den Rettungsarbeiten wurde Militär herangezogen. Roman von Eddy Beuth. 20s (Nachdruck verboten.) Schwer war vas, unendlich schwer. Kam sie nach Hause, so fand sie die Ihrigen auch so verändert, so still. Vater war alt geworden in den paar Tagen und Mutters Augen sahen aus. als ob sie immer geweint habe. Die Kleine aber hatte das Ringelchen mit dem roten Stein nicht mehr am Finger, und trotzdem sie mit ihr nicht davon sprachen, fühlte sie es auch, die litten genau so wie sie an der zu Grabe getragenen Hoffnung. Und eines Abends, sie war gerade aus dem Geschäft gekommen und holte sich die Kaffeekanne vom kalten Herd, da kam sie doch, die Isa, gerade da, als keiner sie mehr erwartet hatte. Ihr schlug das Gewissen der Schwester wegen. Sie war bei der Meunier gewesen und die hatte es ihr gesagt, wie blaß und vergrämt die Erna sei. Morgen ging es wieder ins Ausland, da konnte sie einmal ohne Konsequenzen die reuige Tochter spielen. Draußen im Auto warteten Moldenhauer und Freund lich. Eine halbe Stunde hatte sie sich ausbedungen, um von oen Ihrige» Abschied zu nehmen, mehr nicht. Und lächelnd sahen die beiden auch dieser Laune zu. Sie trat >n die Küche, da stand der wacklige Tisch mit der Wachs tuchdecke, da hingen die Töpfe an Nägeln über dem Herd, und die Erna stand da, den Kaffeebecher in der Hand, aus dem in schwarzen Buchstaben stand: „Wohl be komm's!" Mit großen, erschreckten Augen sah Erna ihrer Schwester entgegen Ehe sic nach den andern fragte, bat Isa die Schwester nochmals, mitzukommen und den dort Zu vergessen, gerade wie er sie vergessen habe Aber Erna schüttelte nur den Kopf Hier aus Berlin weg konnte sie uicht, denn wenn er wiederkam, mutzte sie da sein. „Hast du denn gar nichts gehört von der indischen Expedition?" fragte sie zaghaft. Isa verneinte, aber draußen im Auto saß der Freundlich, der wußte vermut lich Bescheid. Und sie beschloß, es dem schlauen Fuchs zn überlassen, die Schwester ganz von dem Unsinn abzu bringen. Nun erst ging sie zu der Mutter herein. Da saß die kleine Frau in dem alten Stuhl am Fenster; an den Wänden der kleinen weißen Mädchenstube standen immer noch die drei Feldbettstellen, da hingen immer noch die Bilder, welche die drei Mädels von Jugend auf kannten: die Katzenfamilie und drüber die Dackelfamilie. Da stan den die Vasen mit den selbstgemachten Blumen und all der kleine Krimskrams, der Mädchenherzen erfreut. Isa sah sich um, als sähe sie ein Motiv für einen neuen Film. Wie fremd war ihr dies Milieu und wie entsetzlich. War's möglich, daß sie hier ihre Jugend verbracht hatte? Dann aber ging sie auf die kleine blasse Frau zu, deren zitterndes Mutterherz plötzlich alles vergessen hatte, was die verlorene Tochter ihr angetan hatte. Sie wußte nur das eine: ihr Mädel kam wieder, ihre Älteste, um die Mutter zu sehen Scheu strich sie ihr über die feinen Kleider, während Kläre in der Ecke stand, unschlüssig, ob sie rauslaufen oder der vornehmen Dame um den Hals fallen sollte. Und dann packte die Isa ihre Pakete aus, für jeden etwas Lauter unnützes Zeug, das in die ein fachen Stuben gar nicht paßte. Sie hatte die Distanz verloren. „Wo ist Vater?' fragte Isa endlich. Aber niemand fand den alten Behneken vorn in der Budike. Als er die große Dame hatte aussteigen sehen, die einstmals seine Tochter war, halte er Reißaus genommen. Er konnte ihr nicht gegenübertreten, er konnte die große Enttäuschung nicht verwinden, daß sie ihre Eltern verleugnet hatte. Mutier, ja, die hatte ein weiches Herz, die verzieh, vie ließ sich schinden und treten, aber er, er war aus anderem Holz. Ein oller Berliner krümmte sich nicht, wenn er ge treten wurde, der biß zu, aber feste. Ziellos rannte Gustav Behneken durch die Straßen, niemals früher hatte er Zeit gehabt, an sich zu denken. Aber die Isa, vas Mädel, die lehrte es ihn. Ihm durfte sie nicht begegnen, ihm nicht. Er würde die feine Dame, die sie jetzt spielte, nicht schonen und ihr seine Meinung sagen. Er setzte sich in eine Vorstadtkneipc, in der er niemand kannte; ver Kollege an der Theke gab sich Mühe, ihn als Kunden cinzufangen. Genau so machte er es, er mußte plötzlich lachen, als sich der andere an seinen Tisch setzte und Schnäpse mittrank, die der „Neue" bezahlen mußte. Dar auf fielen bei ihm nur die Dummen rein. Genau so stickig war's in dieser Kneipe wie bei ihm, gewohnte Lust. Was ein echter Berliner Budiker ist, der konnte im Freien nicht atmen, der brauchte diese Atmosphäre. Endlich ging auch hier die Zeit rum und er machte sich auf den Heim weg. Ganz gut gelaunt war er von ven Schnäpsen unv den diversen Lagen, die er da spendiert hatte. Warum nicht? Die andern taten das ja bei ihm auch. In ver eigenen Kneipe mußte er den Kops oben behalten, heute aber wollte er aus andere Gedanken kommen. Und als er nun etwas unsicher auf den Beinen nach Hause kam und sich fest vornahm, der Ida ordentlich aus den Kops zu spucken, da stand da kein Auto mehr und alles war still. Geräuschvoll trat er in die Küche, Mutter war nicht drin, aber er hörte sie im Schlafzimmer nebenan. Er trank einen großen Schluck Wasser, er mußte erst seinen Brand kühlen; so ging er nicht gleich zu Muttern. Als er nach einer Weile ins Schlafzimmer kam, da tat Frau Lene, als wenn sie schliefe, die Decke hatte sie über den Kops gezogen und es war dunkel im Zimmer. Sein kleiner Schwips aber hielt ihn munter. Er lief im Zimmer herum und suchte sich bemerkbar zu machen. Denn er konnte noch nicht schlafen, er mußte irgendwo seinen Gefühlen Lust machen. Er fand aber doch den Mut nicht, so einfach drauflos zu toben. Der Brand! Der verdammte Brand! So ging er mit seinem inzwischen angezündeten Licht durch das Zimmer der Mädels nochmals in die Küche, in» sich Wasser zu holen. Da erst sah er, daß auch Ernes Bett leer war. Nun stieg die Wut in ihm hoch. Er kochte einfach. Er stampfte ins Schlafzimmer zurück und schüttelte vie Frau: „Wo ist das Mädel, die Erna?" Die kleine Frau steckte das verweinte Gesicht aus ven Kissen und gab Bescheid: „Sie ist mit der Ida mitgegangen, sie wollen zu sammen Abschied feiern, so bald kommt die Ida nicht wieder, Vater." „Verdammte Wirtschaft! Das paßt mir nicht," brüllte Behneken und seine Stimme überschlug sich förmlich vor Wut. „Erst wird die eine leichtsinnig und verleugnet ihre Eltern und dann steckt sie die zweite an. Ich schmeiße sie raus! Ich dulde keine Lottereien in meinem Haus Unv wenn du das Gehabe der dummen Jören unterstützt, fliegst du mit!" Ganz stille war die Mutter, und der Mann, der m den ganzen Jahren ihrer Ehe immer nüchtern und ordcui lich gewesen war, tobte weiter. Kläre kam mit schlaf trunkenen Angen und schmiegte sich an die Mutter. „Naus!" brüllte der Alte in maßlosem Zorn. „Raus! Ich dulde das Zusammengeklucke nicht mehr zwischen dir und den Mädels. Alle seid ihr gegen mich und lügt unv betrügt! Wann kommt nun die dritte dran, uns durch zugehen, damit die ganze Müllerstraße mit Fingern aus uns zeigt!" (Fortsetzung solgt.)
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