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Vor Aufrollung der Reparationsfrage? Reichsbankpräsident Dr. Luther hat gestern in der Ceneralversammlung der Anteilseigner der Reichsbank Ausführungen über die Eoldverteilung in der Welt ge macht, die weit über unsere Grenzen hinaus ein aufmerk sames Echo gefunden haben. Desgleichen haben die kürzlichen Besprechungen des Reichskanzlers und des Reichsautzen ministers mit dem amerikanischen Botschafter in Berlin, backe tt, im Ausland einige Unruhe hervorgerufen. Man glaubt dort, aus diesen und einigen anderen Anzeichen darauf jchlietzen zu müssen, datz die Reichsregierung den Boden für eine Aufrollung der Reparationsfrage vorbereiten wolle. Der Reichsbankpräsident hatte in seiner gestrigen Rede u. a. folgendes ausgeführt: Nicht von der Währungsseite her könne die grohe Not der Weltwirtschaftskrise geheilt werden, sondern die Verteilung des Goldes über die Erde hin sei falsch. In Deutschland sei der Goldbestand, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet, von 64 Mark Ende 1913 auf 36 Mark Ende 1930 zurückgegangen, in England von 93 Mark auf 66 Mark, in Frankreich dagegen von 150 Mark auf 214 Mark und in den Vereinigten Staaten von 86 Mark auf 161 Mark gestiegen. Frankreich habe damit den bei weitem größten Goldbestand von allen Ländern der Erde, wahrend vor dem Kriege sein Goldbestand das zweiein- vi'brtslfache der deutschen Kopfquote ausgemacht habe, machte er Ende 1930 das Sechsfache der deutschen Kopfquote aus. Die Hauptursache der Eoldverschiebungen seien die Re parationszahlungen Deutschlands und die internatio nalen Kriegsschuldenzahlungen. Der Ausgleich müßte seitens der Empfängerländer durch Einfuhr ausländischer Wertpapiere oder durch Kapital export herbeigeführt werden. Das geschehe aber nicht, beson ders seitens Frankreichs, sondern der Ausgleich werde zum größten Teil durch Eoldeinfuhr vollzogen in einer Zeit, wo die ganze Welt und besonders Deutschland an Hunger nach langfristigem Kapital leide. Der große Fehler sei, datz der Weltgoldbestand seiner monetären, natürlichen Funk tion entkleidet und infolgedessen sterilisiert sei. Sodann wies Dr. Luther auf die hohe, kurzfristige Auslandsver schuldung Deutschlands hin, die das deutsche Wirtschafts leben lähme. Das Echo der Lutherrede in Paris. Paris, 2. Mai. Die Rede des Reichsbankpräsiden ten D r. L u t h e r auf der Generalversammlung der Reichs bank hat in der Pariser Presse ein sehr lebhaftes Echo ge funden. Sie wird von sämtlichen Blättern in großer Auf machung wiedergegeben und allgemein als die Einleitung eines neuen scharfen Propagandafeld zuges gegen die Reparationen angesehen. Das „Journal" wirft die Frage auf, ob diese Ausführungen die Informationen bestätigen, nach denen die Reichsregierung nicht den Monat Juni vorübergehen lassen werde, ohne die gesamte Reparationsfrage aufzurollen. In diesem Zusammenhang zeigt man sich in Frankreich auch über die Besprechungen beunruhigt, die Reichskanzler Dr. Brüning und Reichsaußenminister Dr. Curtius mit dem amerikanischen Botschafter in Berlin hatten und in denen man den Versuch d e r Reichs- regierung erblickt, Amerika an der Revi sion d e r R ep a r a t ionenzu interessieren. Sacketts Besprechungen in Amerika. London, 2. Mai. In diplomatischen und finanziellen Kreifen, so meldet der diplomatische Korrespondent des „Daily Telegraph", legt man der bevorstehenden Be- sprechungs des amerikanischen Botschafters in Berlin, Sackett, mit Präsident Hoover und dem Staatsdepartement in Washington große Bedeutung bei. Man glaube, datz der Botschafter im Namen von Dr. Brüning und Dr. Curtius der amerikanischen Regie rung die Bitte unterbreiten werde, Amerika möge die Initiative ergreifen, eine internationale Aussprache über die Erleichterung der Lasten des Poungplanes her beizuführen. Deutschlands stärkster Beweisgrund sei, daß die Er höhung des Goldwertes und der Sturz der Preisedie Lasten der Reparationen und auch aller inter nationalen Schulden um 30 v. H. erhöht haben. Unter diesen Umständen sei es ganz richtig, datz Deutschland zunächst an die grötzte Gläubigermacht und den Besitzer des größten Eoldvorrats herantrete, um sich dessen Mitarbeit zu ver gewissern. Schweres Erdbeben in Armenien. Moskau, 2. Mai. Im Laufe des Mittwochs sind die ersten amtlichen Nachrichten über ein schweres Erd beben bei Nachitschewan in Armenien eingetroffen. Nach den bisherigen Feststellungen haben über 700 Personen den Tod gefunden. 2V VVV Menschen haben ihre Wohnstätte verloren. Ihre Loge wird dadurch besonders erschwert, datz starke Regengüsse eingesetzt haben. Das Vollzugskomitee der Republik Georgien hat eine mit besonderen Vollmachten ausgestattete Kommission im Flugzeug nach Nachitschewan entsandt, um Hilfsmaßnah men für die Bevölkerung einzuleiten. In Nachitschewan sind sechzig Häuser zerstört worden. In den Städten Kersu und Oschnubar sielen insgesamt 380 Häuser dem Erdbeben zum Opfer. Da im Erdbebengebiet großer Mangel an Lebensmitteln und besonders an Brot herrscht, wurden auf dem Bahnhof Tiflis 6000 Tonnen Getreide be schlagnahmt und nach dem Erdbebengebiet abtransportiert. In dem Erdbebengebiet spielten sich erschütternde Szenen ab. Auch der Rat der Volkskommissare der Sowjetunion hat eine Hilfsaktion eingeleitet. Die Zerstörungen im kaukasischen Erdbebengebiet. Moskau, 2. Mai. Nach ergänzenden sowjetrussischen Berichten aus dem kaukasischen Erdbebengebiet sind die Zerstörungen, die in mehreren Gebieten zu gleicher v Zeit angerichtet wurden, sehr groß. Das Erdbeben, dessen eigentlicher Herd in der Republik Nachitschewan liegt, wurde auch in Tiflis und in Eriwan verspürt und hat sich auf größere Gebiete von Armenien und Aserbeidschan erstreckt. Im letzten Gebiete sind bis her 220 Tote und über 200 Verletzte identifiziert worden, in Nachitschewan 160 Tote und über 500 Verletzte. Un ermeßlich ist der Verlust an Vieh, wovon die kaukasischen Eebirgsvölker besonders hart betroffen wurden. Der Be völkerung hat sich eine Panik bemächtigt. Die Hilfe, die die örtlichen Sowjets leisten können, reicht nicht aus, um auch nur die Obdachlosen zu ber gen. Da fast gar keine Medikamente vorhanden sind, wird der Ausbruch von Seuchen befürchtet. Die Erdstöße waren so stark, daß auch in dem vom eigentlichen Herd weit ent fernt liegenden Eriwan Häuserrisse entstanden sind. Kin WM» WMchPg Mt in Biand. Viele Tote und Verletzte. London, 2. Mai. Einer Meldung der Exchange- Telegraph Co. aus Kairo zufolge fing am Mittwochnach mittag der Alexandria—Kairo-Expreß Feuer. 38 Personen, darunter 10 Kinder, fanden dabei den Tod. Drei starben nach ihrer Einlieferung in das Krankenhaus und 36 Per sonen wurden schwer verletzt. Viele Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Der Zustand einer Reihe von Verwundeten ist sehr ernst. Unter den Toten befindet sich nur ein Europäer. Das Feuer, das wahrscheinlich durch das Heitzlausen eines Lagers entstanden war, erfatzte drei hölzerne Wagen dritter Klasse älteren Typs. Der Zugführer hatte den Ausbruch des Brandes nicht bemerkt, sondern wurde erst während der Fahrt durch einen Streckenwärter auf die ausbrechenden Flammen aufmerksam gemacht. Da keine Notbremse und überhaupt kein Mittel vorhanden war, um mit dem Zugführer in Verbindung zu treten, blieben die Bemühungen, ihn aufmerksam zu machen, lange Zeit fruchtlos. Infolge der raschen Fahrt des Zuges griffen die Flammen rasch um sich. Drei Personenwagen verwandel ten sich in eine fahrende Hölle, Männer, Frauen und Kin der» soweit sie nicht im Qualm erstickten, stürzten sich aus dem brennenden Wagen und blieben zerschmettert neben den Schienen liegen. Halbverkohlte Leichen, Sterbende und Wehklagende bezeichnen den Weg des Unglückszuges. Als der Zug endlich zum Stehen kam, nachdem der Zugführer durch einen Streckenwärter auf die Flammen aufmerksam gemacht worden war, war in den drei vom Feuer erfaßten Wagen nichts mehr zu retten. Bisher 61 Tote — 41 Verwundete. London, 2. Mai. Nach einer Reutermeldung e- trägt die Zahl der bei dem Unglück des Alexandria—Kairo- Expreß Verunglückten 61 Tote und 61 Verwundete Die genaue Zahl steht aber noch nicht fest, da viele Fahrgäste versucht haben, sich durch Abspringen aus dem brennenden Zug zu retten, dabei aber infolge der großen Geschwindig keit ums Leben gekommen sind. MÄWMM die MsWWWW M dem BeWWgmU Leipzig, 2. Mai. Am Donnerstag trat das Reichs bahngericht im Reichsgericht zu Leipzig zum erstenmal seit seinem Bestehen öffentlich zusammen. Zur Behandlung steht der Streit um die Abgrenzung des Reichsbahnbezirks Leipzig. Den Vorsitz führt der Präsident des ersten Zivil senats Katluhn. Es handelt sich im wesentlichen um die Auslegung des § 43 des Reichsbahngesetzes und der Be ziehungen dieses Paragraphen zu dem betr. Staatsvec- trage zwischen Sachsen und dem Reich für die Uebernahme der sächsischen Staatsbahnen auf das Reich. Als Vertreter der Deutschen Reichsbahngesellschaft führte Reichsbahndirek tor Dr. Kittel aus, die Auseinandersetzungen hätten in Sachsen einen starken politischen Beigeschmack bekommen. Man habe versucht, die Reichsbahngliederung mit zu einem Programmpunkt der Neugliederung des Reiches zu machen. Der stärkste politische Faktor aber sei der kommunale Wi derstand der Städte Leipzig-Dresden und Leipzig-Halle. Die Reichsbahn müsse sich von der Politik bewußt fernhal ten. Schon bei der Auflösung der Reichsbahndirektionen Würzburg und später Magdeburg Habe man versucht, die Reichsbahn mit der allgemeinen Verwaltungsreform des Reiches zu verstricken. Die Reichsregierung habe damals im Jahre 1929 formell festgestellt, daß Reichsbahn und Reichsbank ihre Mittelbehörden nach den Bedürfnissen ihrer Betriebe abzugrenzen hätten und datz diese Abgrenzung auch abweichend von den Grenzen der politischen Verwal tungsbezirke laufen könnte. Es sei nicht so, datz die Reichs bahn in Mitteldeutschland eine Bresche schlagen mützte für die allgemeine Neugliederung des Reiches. Die Reichsbahn lehne es ab, sich zum Sturmbock der Politik machen zu lassen. § 218 und Krebskrankheiten. In der Sitzung des Haushaltausschusses im Säch sischen Landtag waren sehr interessant die Feststellungen des Präsidenten des Landesgesundheitsamtes, daß der stärkste Geburtenrückgang gegenüber frü her in der Arbeiterbevölkerung eingetreten sei und datz dies zusammenhänge mit der h äu fi g en Un te r- brechung der Schwangerschaft und der Aufklä rung über die Schwangerschaft. Damit stehe auch die S tei- gerung der Krebskrankheiten in Verbindung. Die sozialdemokratische Abg. Frau Thümmel bestreitet, datz in dem Kampfe gegen den Abtreibungsparagraphen eine Konkurrenz zwischen Sozialisten und Kommunisten bestehe. Die Sozialdemokratie propagiere nicht die völlig bedin gungslose Beseitigung dieses Paragraphen. Bei der Abstimmung wurde ein sozialdemokratischer An trag für Umbauten in Zwickau angenommen, lieber die Errichtung einer Frauenklinik in der Westlausitz wird eine Denkschrift von der Regierung gefordert, lieber Kapitel Die Würfel fallen... Historischer Roman von Dr. Serenus. 22j «Nachdruck verboten.) Aus dem Gemäuer der Kapelle fiel Heller Glanz über den Moosboden. Einige dunkle Gestalten huschten vorüber und ver schwanden im Inneren. Gragan drückte Berchta fester an sich. „Was bedeutet das?" Das Mädchen schwieg. So unheimlich war das alles. Da — plötzlich schlug etwas an Berchtas Ohr. Ganz leise und windverweht. „Kyrie eleison! Herr, erbarme dich! Kyrie eleison! Herr, erbarme dich!" Nun wußten sie, was da vor sich ging. Sie kannten diesen Gesang, diese Worte der Priester des Christengottes. Dort in der kleinen verfallenen Kapelle hielt man eine Messe ab. Wer war es? In Gragans Antlitz zuckte es. Er dachte an den Vater, der zum neuen Glauben über ging und von unbekannter Hand heimtückisch erschlagen ward. Und — der Leichnam verschwand und niemand fand ihn wieder. Ein düsteres Geheimnis wob sich um diesen Vorgang, der schon so lange zurücklag Der Sohn, in fremder Hui auferzogen, mußte den alten Göttern anhängen Aber im Innern seines Herzens blieb ein Zwiespalt, den er nichi zu überwinden vermochte. Täglich lehrte man ihn: Die Christen sind unsere Feinde, ihre Lehre ist falsch. Und doch war manches so schön, was dieser arme Gottessohn aus dem Morgenlande verkündete. „Liebet eure Feinde, segnet, die euch hassen!" War das nicht eine ganz andere Welt, die sich auftat? Wie war es jetzt? Man schlug sich tot um nichts und wieder nichts. Ein scharfes Wort schon machte die Klingen locker. Und den Armen gar blieb nichts als Not und Unter drückung. Warum haßten die Großen die neue Religion? Weil sie Menschenrechte denen schaffen wollte, die bis jetzt nur Sklaven waren Gragans Hand faßte Berchtas Rechte. Er zog sie mit sich fort über die Lichtung. „Was willst du tun?" „Komm!" Nun standen sie vor dem Eingang, der durch eine schlecht zusammengezimmerte Tür aus Tannenbrettern dürftig verschlossen war. Er lugte durch den Spalt. Da waren wohl an hundert Menschen dicht bei einander. Die Häupter tief geneigt, knieten sie am Boden. Im Hintergründe aber stand ein Mann in der Tracht der christlichen Priester und sprach zu seiner Gemeinde. Die Worte konnten die Lauscher nicht verstehen. Dicht aneinandergeschmiegt blickten sie durch die Tür. All mählich gewöhnte sich ihr Auge an das Dämmerlicht. Und nun erkannten sie auch einige Gesichtet. Das waren fast alles einfache Leute aus dem Volke, die da ihre Andacht verrichteten. Bauern, die den Acker bestellten, Torfbrenner vom Moor, Waldarbeiter, Baum- fäller, auch Fischer aus den Strandsiedlungen. Nur hier und da Gestalten, die den bevorzugten Ständen angehörten. Auch einige Kriegsleute erblickte man. Berchta sah verstohlen zu ihrem Begleiter auf. Der starrte wie gebannt auf dieses Bild. Was ging in Gragan vor? Was sollten sie nun beginnen? Heimreilen und Anzeige erstatten, daß hier eine Christengemeinde heimlich zusammenkam? Gegen das Verbot der Großen und Vornehmen? Sollte man wirklich diesen Ärmsten Vas Letzte rauben, woran ihr Herz vielleicht noch hing? Sie dem Gericht überliefern, das streng und grau sam war? Sie wies diesen Gedanken weit von sich. Da sah sie, wie Gragans Hand leise den Hebel der Tür drückte. Sie legte hastig den Arin aus seine Schulter. „Laß sie! Störe sie nicht! Komm!" Aber der Jüngling schüttelte den Kopf. Das Geheimnisvolle, das sich vor seinen Augen ent rollte, mußte er ergründen. Wer waren diese Menschen, die es wagten, gegen die strengen Verbote zu verstoßen? Welcher Mul gehörte vazu, sich trotz des drohenden Schwertes, das über ihrem Haupte hing, bereit, herab zufahren und die Abtrünnigen zu strafen, zum christlichen Glauben zu bekennen! Man wählte zu diesem heimlichen Gottesdienste die Sonnenwendnacht, weil um diese Zeit alle Welt feierte. Da brauchie man Auge und Ohr der Späher nichi so zu fürchten wie sonst. Wie die Christen im alten Nom sich in den Katakomben zusammenfanden, so scharten sich hier, gleich einer versprengten Herde, die Anhänger des Nazareners. Gragans Atem ging schnell. Alte, vergangene Zeit stieg nebelhaft vor ihm empor. Er sah des Vaters bärtiges, gütiges Antlitz. Ein starker Kriegsmann, aber das Herz erfüllt von Liebe zu seinen Mitmenschen. Eine seltene Erscheinung in jener rauhen Zeit. Und so war er unter den Großen einer der ersten gewesen, der sich zum Kult des Jesus aus Galiläa bekannte. Das war zu einer Zeit, wo der Sohn das alles noch nicht zu begreifen vermochte. Und dann? Gemordet von seinen heimlichen Feinden, starb er den Märtyrertod! Die Klinke senkte sich. Die Finger des Jünglings bebten. Welche Macht gewann plötzlich Gewalt über ihn, daß er alle Vorsicht vergaß? Auch das junge Mädchen wußte nicht, wie ihm geschah. Aber plötzlich standen sie in dem Raume und hinter ihnen schlug der wütende Sturm die Pforte zu. Die Stimme des Priesters schwieg. Fünfzig Häupter fuhren empor und wendeten sich den Ankömmlingen zu, die soeben ungebeten eintraten, ohne das verabredete Zeichen zu geben. Berchta wollte fliehen, aber im nächsten Augenblick hielten sie und ihren Begleiter zahlreiche Fäuste gepackt. Nun wurden auch die aufmerksam, die in dem ent fernteren Teil der Kapelle tief in Andacht versunken waren. (Fortsetzung folgt.)