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Das Mel der deutschen Antwortnote. Das Bekanntwerden des Inhaltes der deutschen Antwortnote an Frankreich hat in den politischen Krei sen zu sehr lebhaften Erörterungen geführt, so daß die außenpolitische Debatte im Reichstag — wie man schon jetzt übersehen kann —einen ausgedehnten Umfang an nehmen wird. Schon beim ersten Studium der deutschen Note gewinnt man den Eindruck, daß sich die R e i ch s- regierung in der Darlegung ihres Standpunktes erhebliche Beschränkungen auferlegt hat in dem Ziel, die Vorbereitung zu direkten Ver handlungen nicht durch das Hineinziehen allzuvieler Streitfragen zu erschweren. Auf der anderen Seite hat jedoch die Reichsregierung auf die ursprüngliche Absicht verzichtet, nur kurz und flüchtig auf die Eedankengänge der Briandnote einzugehen, sondern sie ist dazu übergegangen, auf die wichtigsten von Briand ange schnittenen Fragen ganz präzise Antworten zu geben. Dabei scheint das Reichskabinett von der Er wägung ausgegangen zu sein, daß eine klare Situation schon jetzt geschaffen werden muß, um wenigstens die jenigen Punkte in den Vordergrund zu stellen, die für die deutschen Interessen von ausschlaggebender Bedeu tung sind. Es handelt sich dabei um folgende drei Hauptfragen: 1. Die Rückwirkungen, die ein Sicherheitspakt auf die Verhältnisse des besetzten Nheinlandes aus- üben mutz, und zwar o) hinsichtlich des Nheinlandabkommens, b) hinsichtlich der Dauer der Besetzung und der Näumungsfrist. 2. Den deutschen Standpunkt zur Frage der Schiedsverträgs. 3. Die Stellungnahme Deutschlands hinsichtlich des Eintritts in den Völkerbund. Diese drei Fragen stehen unmittelbar im Zu sammenhang mit den Richtlinien, die die französische Note enthalten hat und sie können daher als eine klare eindeutige Antwort Deutschlands betrachtet werden. Wenn die Reichsregie rung in der Note darauf hinweist, daß das Zustande kommen eines Sicherheitspaktes eine so bedeutsame Neuerung darstellen würde, daß sie nicht ohne Rück wirkung auf die Verhältnisse in den besetzten Gebieten und überhaupt auf die Frage der Besetzung bleiben kann, so gibt sie damit den Strömungen Ausdruck, die in allen deutschen politischen Parteien des Schicksals der besetzten Gebiete entstanden sind. Für die künftigen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich würde es von ausschlaggebender Wirkung sein, wenn die Frage der Besatzung in einem für Deutschland erträg lichen Rahmen eine Lösung finden würde. Zurzeit hat man davon Abstand genommen, den deutschen Stand punkt in dieser Frage zu skizzieren, da man sie auf dem Verhandlungswege zur Erörterung bringen wird. Dar über hinaus war es auch wichtig, die Tatsache hervor- zuhcben, daß ein Sicherheitspakt absolut nicht die Mög lichkeit ausschlietzen dürfe, auf dem Wege friedlicher Vereinbarungen eine Aenderung der bestehenden Frie densvorträge zu erzielen. Was den deutschen Standpunkt in der Frage der Schiedsveriräge anbetrifft, so kommt es der Neichsregierung darauf an, auf die Gefahren hin zuweisen, die sich aus einer einseitigen Lösung der Schiedsverträge ergeben könnten. Deutschland hat be reits mit anderen Mächten solche Schiedsverträge vor bereitet, die den Interessen der beteiligten Staaten in weitgehendstem Matze Rechnung tragen und sowohl eine juristische wie eine politische Lösung der schwebenden Fragen ermöglichen. Diesen Weg hält die deutsche'Re- gierung auch hinsichtlich der Schiedsverträge mit den Westmächten, die im Zusammenhang mit dem Sicher heitspakt abgeschlossen werden könnten, für einzig und allein gangbar. Beispielsweise vertreten die Alliierten den Standpunkt, datz den Earantiemüchten das Recht ge geben werden soll, im Falle einer angeblichen Verletzung des Schiedsvertrages durch Deutschland Sanktionsmatz nahmen zu ergreifen. Niemals kann die Reichsregie rung jedoch irgendwelche Vereinbarungen eingehen, die neue Gefahren von Sanktionen oder gewaltsamen Ein griffen in die Rechte Deutschlands ergeben könnten. Die wichtigste Frage ist der von Frankreich angeschnittene Punkt des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund. Die Alliierten stellen hier geradezu die Voraussetzung auf, datz Deutschland in den Völker bund eintreten müsse, bevor ein Sicherheitspakt zustande kommen könne. Die deutsche Regierung hat keine grund sätzlichen Bedenken dagegen, diese Bedingung der alliier ten Regierungen anzunehmen, aber sie betont ausdrück lich in ihrer Antwort, daß vorher noch einige wichtige Fragen geklärt werden müßten. Sie verweist dabei auf die Note, die Deutschland im September an die zehn Völkerbundsmächte gerichtet hat und in der die einzelnen Vorbehalte Deutschlands enthalten sind. Diese Vor behalte betrafen erstens die Frage eines Sitzes Deutsch lands im Völkerbundsrat und zweitens eine Beteiligung im Völkerbundssekretariat. Durch die Antworten der Völkerbundsregierungen können diese beiden deutschen Wünsche als erfüllt angesehen werden. Offen steht da gegen noch die Frage der Auslegung des Arti kels 16, ferner der Bestimmungen über die Aufrecht erhaltung sämtlicher Friedensverträge und die von Deutschland angeschnittene Frage der Uebernahme eines Mandats für die ehemaligen deutschen Kolonien. Die Reichsregierung wird versuchen, bei den münd lichen Verhandlungen eine möglichst befriedigende Lösung für Deutschland zu erzielen, ohne daß sie in der Note selbst irgendwelche Bedingungen aufgestellt hat. Was den Artikel 16 der Völkerbundssatzungen betrifft, so verlangt die deutsche Regierung nicht etwa die Auf hebung des Artikels 16, sondern sie wünscht nur, daß solche Abmachungen getroffen werden, die die politische und geographische Lage Deutschlands berücksichtigen. Deutschland kann nicht in den Völkerbund eintreten, wenn es sich dadurch der Gefahr aussetzt, im Falle eines militärischen Streitfalles des Völkerbundes als Durchzugsgebiet fremder Truppen be nutzt zu werden. Ganz offen wirft daher Deutschland die Frage auf. was geschehen würde, wenn ein Krieg zwischen den Westmächten und Rußland zum Ausbruch käme. Deutschland würde sich der Gefahr einer russischen Kriegserklärung aussetzen, wenn es die Zusage geben würde, fremden Truppen den Durchmarsch durch deut sches Gebiet gegen Rußland zu gestatten. Daß mit Rücksicht auf die Entwaffnung Deutschlands eine solche Möglichkeit gar nicht erst in Erwägung gezogen werden dürfe, erscheint nach der übereinstimmenden Auf- i sassung der politischen Kreise als ganz selbstverständlich. Wie schon betont, erschöpft die Antwort der Reichs regierung keineswegs alle mit dem Sicherheitspakt im Zusammenhang stehenden Fragen. Völlig ungeklärt ist, was aus dem Entwafsnungsproblem und der Räu mung der nördlichen Rheinlandzone werden soll. Die Reichsregierung hat es unter lassen, diese beiden Fragen in der Note ausdrücklich an zuschneiden, denn sie ist der Meinung, daß man dem Beispiel der Londoner Konferenz folgen und in Paral lelverhandlungen außerhalb der Sicherheitskonferenz über diese Angelegenheiten diskutieren könne. Man er innert daran, datz'in London die Frage der Räumung des Ruhrgebietes immerhin gütlich gelöst werden konnte, nachdem es der deutschen Regierung gelungen war, außerhalb der offiziellen Konferenz neue Verhandlungen zustande zu bringen. Das Iollkompromitz zustande gekommen. Das Zollkompromiß ist, wie wir aus parlamentari schen Kreisen hören, gestern endgültig zustande gekommen und wird in der Mittwochsitzung des Handelspolitischen Ausschusses in Form von sechs An trägen zur Beratung gestellt werden. Die hauptsächlich st en Grundlinien des Zollkompromisses bestehen darin, daß die Min - destzölle für Getreide fallen gelassen worden sind und daß mast sich über eine untere Grenze für Handelsvertragsverhandlungen einige. Als untere Verhandlungsgrenze sind 3 Mk. für Roggen, 3,50 Mk. für Weizen vereinbart, ferner 1 Mk. für Futtergerste und 2 Mk. für Mais. Die Verhandlungs- grenze für Fleisch und Vieh ist etwas erhöht. Sie liegt ungefähr 50 v. H. über den Vertragszöllen der Vorkriegszeit. Für die gleichen Erzeugnisse in bezug auf das Gefrierfleisch wurde nach langwierigen Aus einandersetzungen eine Einigung dahingehend getroffen, datz im nächsten Jahre ein Kontingent Ge frierfleisch zollfrei eingeführt werden wird, und zwar bis zur Höhe der vorjährigen Einfuhr. Das Kompromiß sieht auch Sätze für Futtergerste und Mais und sonstige Getreidearten vor. Schließlich wurde vereinbart, die E ll l t i g k e i l s d a u e r der gesamten, jetzt vorliegenden sogenannten kleinen Zollnovelle auf zwei Jahre zu beschränken. Auf Grund der gestern erzielten Einigung rechnet man damit, daß die Zollvorlage in der vom Ausschuß geänderten Form in der nächsten Wgche ins Plenum gelangt. VorderRegierungserklärung im Reichstag. Tic heutige Sitzung des Reichstages verspricht ein großes politisches Ereignis zu werden, da die angekündigten Erklärungen der Regierung Luther über die Sicherheits- und Völkerbundsfrage wesentlich neue und zum Teil außerordentlich wichtige Gesichtspunkte enthalten werden. Tie große Bedeutung der außen politischen Debatte geht schon daraus hervor, daß man im Auswärtigen Amt über eine Woche lang an der Formulierung der deutschen Regierungserklärung gear beitet hat, und daß das Gesa mtkabinett Luther für die Festlegung des deutschen Stand punktes verantwortlich zeichnet. Von unter richteter Seite erfährt man, daß die Regierungserklä rung jeden Zweifel darüber beseitigen wird, wie sehr es dem Reichskabinett darauf ankommt, zu direkten Ver handlungen mit der Gegenseite zu gelangen, deren Ziel es sein muß, für Deutschland eine klare und ein deutige Situation zu schaffen. Nach deutscher Auffas sung soll der Sich erheits palt den euro- püi schen Frieden auf unbegrenzte Zeit hinaus garantieren, indem die beteiligten Mächte stick ihren territorialen Besitzstand gewährleisten und dis Verpflichtung eingehen, gegenstitige Streitfragen auf schiedsgerichtlichem Wege auszugleichen. Tabei ist es für Teutschland eine Selbstverständlichkeit, daß das besetzte rheinische Gebiet in Zukunft nicht mehr als so genanntes ,,Sicherheitspfand" für die westlichen Nach barstaaten gelten darf, sondern daß ein Vertragszustand cintritt, der das System der Okkupation allmählich über flüssig macht. Würde es beispielsweise gelingen, die Freiheit der besetzten Gebiete durch vertragsmäßige Ver pflichtungen zu erkaufen, so würde ein SicherlMspakt für Deutschland selbstverständlich viel mehr bedeuten, als die bloße Uebernahme neuer Garantieverpflichtungen. Darüber hinaus muß der Sicherheitspakt unbedingt einen Zustand schaffen, der es gestattet, allmählich die von rein militärischen Grundsätzen diktierten Klauseln des Versailler Friedensvertrages überflüssig zu machen, die mehr oder weniger den Charakter von Strafbestimmungen haben, und die nunmehr durch einen politischen, auf juristischer Grundlage beruhenden Ver trag zum größten Teil ersetzt werden könnten. Die deutsche Regierungserklärung wird den klaren Weg vorzeichnen, den Deutschland beschreiten will, um sich selbst die Möglichkeit zu seinem friedlichen Wiederaufbau zu sichern. Zur Erreichung dieses Zieles besteht absolut die Bereitschaft, den anderen Mächten alle erdenklichen Zusicherungen zu geben, soweit sie mit den Erfordernissen und den Interessen Deutsch lands in Vereinbarung gebracht werden können. Darüber hinaus verlangt jedoch Deutschland seinerseits die An- erkennung seiner lebenswichtig st en Be dürfnisse, und aus diesem Grunde wird die Reichs regierung nicht umhin können, an den Bedingungen sest- zuhalten, die sie in der deutschen Antwortnote an Frankreich aufgestellt hat. Dabei beruft sich die deutsche Regierung auf den einheitlichen Willen der überragenden Mehrheit des deutschen Volkes, das den Frieden wünscht, und dessen Bestrebungen nur darauf gerichtet sind, mit den anderen Völkern in Frieden zu leben und unter Aus schaltung jeglicher gewalttätiger Eingriffe in die deutsche Freiheit den Wiederaufbau seines Landes und seiner Wirtschaft zu vollziehen. Cs ist sehr wahrscheinlich, datz die Regierungserklärung bei den Parteien spontane Kund gebungen der Zustimmung finden wird. Zur Befreiung Westfalens. Ende der Kontrolle der Besatzung über die geräumten Gebiete. Essen, 21. Juli. Bei der Stadtverwaltung Essen ist folgendes Schreiben des Generals Braquet, des Kom mandeurs des Bezirkes Essen, eingegangen: In Aus führung der Vorschriften des Oberkommissars der Nhein- armee nimmt die Kontrolle der Besatzungsbehörden an folgenden Tagen ihr Ende: am 2V. Juli mitternachts für die besetzten Gebiete der Provinz Westfalen und am 31. Juli mitternachts für den Nest der seit dem 11. Ja nuar 1923 besetzten Gebiete. Nach der Räumung Bochums. Aus Anlaß der Räumung haben Städte und Gemeinden des ehemals besetzten Gebietes reichen Flaggenschmuck angelegt. In Recklinghausen richtete der Eemeinderat an die Bevölke rung die Aufforderung, aus Anlaß der Befreiung der Stadt Bochum zu flaggen. Diesem Wunsche wurde allseitig entsprochen. Am nächsten Sonntag wird in Recklinghausen ein großes Be freiungsfest gefeiert. Regierungspräsident Dr. Haß lind aus Münster hat an die Bevölkerung von Recklinghausen folgendes Schreiben gerichtet: „Am heutigen Tage, an dem die Stadt Recklinghausen ge rettet wurde rufe ich der nunmehr befreiten Bevölkerung ein herzliches Glückauf zu. Hiermit verbinde ich schon heute den aufrichtigen Dank der deutschen Regierung für die hingebende und opferfreudige Treue, die die gesamte Bevölkerung in schwer ster Zeit stets erwiesen hat." Der Landeshauptmann der Provinz Westfalen, Dickmann aus Münster, richtete an die Stadtverwaltung Bochum folgendes Glückwunschtelegramm: „Herzliche Glückwünsche zur Befreiung. Möge der Stadt Bochum durch die nunmehr ungehemmte Schaffenskraft ihrer an Tatkraft und Treue erprobten Bevölkerung ein baldiger glück licher Aufstieg beschieden sein." Deutscher Reichstag. Sitzung vom 21. Juli 1925. Der Reichstag trat heute nach einer dreitägigen Ai beitLunterbrechung, um den Ausschüssen Zeit zu Ver handlungen zu lassen, wieder zu einer Vollsitzung zu- sammen, um eine Reihe kleinerer Vorlagen zu erledigen. Dabei blieb der Sitzungssaal meistens fast ganz leer obgleich der Aufenthalt in den künstlich gut gekühlten Räumen des Wallotbaues bei der tropischen Hitze die draußen herrschte, noch einigermaßen erträg lich war. Auch die Zahl der Abgeordneten, die wegen Krcnkheit oder wegen sonstiger Gründe entschuldigt fehlten, war unverhältnismäßig groß, obgleich morgen die große politische Aussprache beginnen soll. Aus dem Platze des Zentrumsabgeordneten Herold, der heute seinen 77. Geburtstag feiern konnte und zu den ältesten Mitgliedern des Hauses zählt, lag ein großer Blumenstrauß, und der Präsident sprach dem Jubilar unter dem Beifall des Hauses die herzlichsten Glückwünsche aus. Zu einer längeren Aussprache kam es bei dem Ab- änderungsgesetz zum Reichsversorgungs gesetz, wobei es einige kleine Zusammenstöße zwischen der Rechten und dem sozialdemokratischen Redner Roh mann gab, der die Regierung davor warnte, das Ver sorgung-gesetz in der bisherigen Weise weiter anzuwenden, wenn nicht eine vollständige Radikalisierung der Kriegs beschädigtenbewegung eintrcten solle. Auch der Reichs arbeitsminister Tr. Brauns griff in die Erörterung ein, indem er die Regierung dagegen in Schutz nahm, daß sie gegen Kritik unempfindlich sei. * Die Hindenburgamnestre im Reichsrat Ter Rcichsrat befaßte sich gestern mit dem Gesetz entwurf über die Gewährung von Straffreiheiten. Tie Ausschüsse haben der Vorlage zugestimmt. Sie sind dahin schlüssig geworden, daß bei Niederschla gung der Verfahren auf die Taten, die nach dem 15. Juni 1925 begangen worden sind, die Amnestie nicht eintreten soll. Vor der Abstimmung im Plenum haben die Vertreter Preu ßens und Bayerns Erklärungen abgegeben. Preußen beantragte auf gewisse leichtere Landesverratsfälle ein- zubcziehen, besonders der Mitteilung geheimzuhaltendcr Nachrichten. Bayern ließ erklären, daß es in Anbetracht der gegebenen Sachlage keinen Widerspruch erhebe, eine Ausdehnung aber ablehnen würde. Auch Staatssekre tär Joel wandte sich namens der Negierung gegen den preußischen Antrag. Ter Antrag wurde schließlich mit 33 gegen 22 Stimmen angenommen. In der Ge sa mt a bst i mmu n g wurde dem Gesetz mit 38 gegen 17 Stimmen zugestimmt. Tagegen stimmten Bayern, Thüringen, Mecklenburg, Schwerin, Oldenburg, Lübeck und die preußischen Provinzen Pom mern und Hessen-Nassau. * Umsatz- und Luxüssteuer. Ter Steu er aus schuß des Reichstages trat am Tienstag in die zweite Lesung der Umsatzsteuer ein.