Suche löschen...
Ottendorfer Zeitung : 17.11.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-11-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191611178
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19161117
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19161117
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-11
- Tag 1916-11-17
-
Monat
1916-11
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 17.11.1916
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Sm seltsamer fall. Ein Kopfschuß, von dem der Verletzte nichts merkte. Selbst der üppigste« Phantasie würde es schwer fallen, einen Mordanschlag so darzu stellen, datz das Opfer ohne Bewußtsein dieses doch immerhin ziemlich einschneidenden Vor ganges, der im vorliegenden Falle durch einen Schädelschuß dokumentiert ist, mit dem Atten täter einträchtiglich nach Hause geht und den Attentäter sogar noch die erste Hilfe bei der da bei erlittenen Verwundung tun läßt. Trotzdem konnte dieser unglaublich klingende Fall in unseren Tagen einem Gericht überwiesen werden. Der Sachverständige bei dem in Frage stehenden Prozeß Dr. I. Härtl, dessen medizinisches Be legmaterial den Sachverhalt zweifelsfrei macht, legt den Hergang dieses einzigartigen Vor kommnisses dar. Die Gelegenheit zum Mord sollte sich bei der Besichtigung eines angeblich zu verkaufenden Gutes bieten. Der Attentäter konnte sich da durch als Besitzer und Derkäufer des betreffenden Gutes ausgeben, daß er selbst mit dem wirk lichen Besitzer in Verhandlung getreten war und sich so ein Anrecht zur Besichtigung erworben hatte. Er führte also seinen gutgläubigen Muser unter verschiedensten Vorwänden bis in eine Schonung und ließ ihn auch dort wie an anderen Stellen mit einem Untersuchungsstock, der in die Erde gebohrt werden muß, operieren. Die dabei sich ergebende gebückte Haltung seines Opfers benutzte er, um ihm einen Schuß in den Kopf zu versetzten. Der bloß Verletzte hatte die Empfindung, daß ihm im Genick etwas geplatzt wäre, verlor aber scheinbar in keinem Augenblick das Be wußtsein vollständig. Er fiel nicht zu Boden, sondern richtete sich mit einem lauten Aufschrei hoch auf, taumelte aber. Seine ganze Auf merksamkeit war von dem Gefühl wachsenden Dröhnens im Kopfe erfüllt, das in eigentüm lichen Schwingungen zu- und abnahm. Er hörte auch den Attentäter deutlich einen Aus spruch über sein lautes Schreien tun, von dem er jedoch selbst nichts wußte. Er gab nur zu verstehen, daß er glaube, eben einen Schlag anfall erlitten zu haben, welcher Ansicht der Täter eifrigst beipflichtete. Obwohl er am Nacken aus einer kleinen Wunde heftig blutete, verfiel er nicht im geringsten darauf, beschossen worden zu sei». Auch die Sorgsamkeit, mit welcher der Attentäter das Dorf vermied, an geblich, damit die Leute nicht sähen, wie sehr der Verletzte blute, erregte keinen Verdacht bei diesem. "Der Attentäter brachte sein Opfer sogar bis nach Berlin und dort in seine Wohnung, wo er bis zum Erscheinen des Arztes verblieb. Auch dieser wurde ihm nicht zum Verhängnis, da er die kleine strichförmige Wunde um Nacken weiterer Untersuchung nicht für wert hielt, son dern sie mit einer Schürfung durch einen Ast erklärte. Der Verdacht, der zur Aufklärung des Sachverhaltes führte, wurde erst durch den Argwohn Unbeteiligter erregt, denen die Um stände des angeblichen Schlaganfalles nicht ge fallen wollten. Ein bald darauf erfolgter Mord unter gleichen Umständen brachte die Sache endlich vor den Staatsanwalt, dem eine Röntgen untersuchung die zweifellose Unterlage für einen, dem Opfer zwar selbst unbekannten Schädel schuß bot. Die Richtung der Geschoßbahn be wies, daß der Schuß dem über mittelgroßen Mann nur iu gebückter Stellung beigebracht werden konnte. Die Erinnerung des Mannes ging trotz aller Aufklärung lückenlos bis zum und vom Verletzungsaugenblick ab, vom Schuß selbst Weiß er jedoch nichts. Von Mb uneL fe^n. Hamsterjagd auf Bahnhöfen. Eine fatale Überraschung wurde zahlreichen Hamstern aus Berlin am Sonntag auf verschiedenen Bahn höfen der Ost-, Nord- und Schlesischen Bahn zuteil. Beamte erschienen und prüften den In halt der Gepäckstücke, wobei Butter, Fleisch, Eier, sogar Wurst und Schinken neben vielen Lebens mitteln, wie Käse, Bohnen, Erbsen usw. zum Vorschein kam. In Landsberg z. B. mußten zahlreiche Fahrgäste ihre Adressen angebeu und konnten dann ohne die gehamsterten Waren mit recht langen Gesichtern weiterfahren. Briefsenduugen an internierte Deutsche in Afrika. Nach zuverlässigen Mitteilungen, die von verschiedenen Seiten eingegangen sind, verweigern die englischen Zensurstellen in Afrika die Aushändigung von Briefen an internierte Deutsche, wenu sie in deutscher Schrift geschrieben sind. Diese Briefe gehen zurück mit dem Ver merk : „Lateinische Schrift in deutschen Briefen". Angehörigen von in Afrika befindlichen Deutschen wird daher empfohlen, sich nur lateinischer Schriftzeichen zu bedienen. Der Tod unter dem Balkanzrkg. Die Ursache des schweren Unglücks, das sich auf der einstimmig folgenden Beschluß gefaßt: Zur Förderung der Ansiedelung von Kriegsteilnehmern im Kreise Leer sollen diesen Darlehen bis zu fünf Sechsteln des Wertes gegen 3"/o Zinsen und 2«/» Amortisation mit der Maßgabe ge währt werden, daß Zins- und Tilgnngslauf erst zwei Jahre nach Empfang des Darlehens beginnen. Zu diesem Zwecke werden dem Kreis ausschuß aus laufenden Mitteln 200000 Mark zur Verfügung gestellt. Aufdeckung eines graften Diebstahls nach sechs Jahren. In den Pfingstfsier- tagen des Jahres 1010 waren der Aachen- Münchener Feuerversicherungsgesellschast in Aachen aus dem Geldschrank 50 000 Mark ge stohlen worden. Alle Bemühungen zur Er- Sm äeutlcbes Unterseeboot im trafen. Unsere Unterseeboote sind der Schrecken unserer Feinde, sie sind unsere wirksamste Waffe im See- trica. - Es ist daher ganz erklärlich, daß unser Hauptseind, England, alle Mittel und Hebel in Be wegung setzt, um gegen diese Waffe Stimmung bei den Neutralen zu machen. Das hilft den Eng ländern aber nichts, unsere Unterseeboote sind über all, wo es gilt, unseren Feinden Schaden und Ab ¬ bruch zu tun. Der Aktionsradius unserer Unter wasserboote hat sich in geradezu märchenhafter Weise vergrößert; sie fahren über und unter dem Atlanti schen Ozean und halten sich lange Zeit in den un wirtlichen Meeren der nördlichen Zone auf. Auf unserem Bilde sehen wir ein deutsches Unterseeboot im Hafen, das sich rüstet, eine neue Ausfahrt zu machen. Strecke zwischen Rahnsdorf und Wilhelmshagen (in der Nähe Berlins) zugetragen hat, ist noch nicht einwandsrei festgestellt worden. Sie muß erst durch die gerichtliche Untersuchung festgestellt werden. Die Kosten der Beerdigung der 19 jungen Streckenarbeiterinnen, die vom Balkanzuge über fahren und getötet worden sind, trägt die Gesell schaft, die den Slreckenbau ausführt. Weitere Verhaftungen wegen Getreide- schiebungen. Wegen der Getretdeschiebungen in Westpreußen wurde durch Berliner Kriminal beamte der Mühlenbesitzer Wölcke (Ohra bei Danzig) verhaftet. Weitere Verhaftungen sollen noch bevorstehen. Grofte Weischverschiebungeu. In Re gensburg wurde ein nach Leipzig ausgegebener großer Dienstbotenkosser geöffnet, in dem sich ein ganzes geschlachtetes Schwein im Gewicht von 115 Kilo befand. Aus anderen nach Sachsen aufgegebeuen Gepäckstücken kamen 120 Kilo geschlachtete Gänse zum Vorschein. Römische Altertumsfunde im Taunus. Bei Grabungen auf den Haderheckswiesen bei Königstein im Taunus in der Nähe kürzlich freigelegter Gräber aus dem ersten Jahrhundert fand man unter Asche und Kohlenresten eine Bronze vom Kaiser Augustus, Vronzezangen und Bronzelöffel, einen Feuerstein, ein Hufeisen sür Maultiere und einen dreieckigen behauenen Backstein mit dem Legionsstempel der 21. rö mischen Legion. Ansiedelung von Kriegsteilnehmern. Der Kreistag des Kreises Leer m Friesland hat Mittelung des DiebeS waren erfolglos. Jetzt, nach 6V- Jahren, ist der Täler durch einen Zu fall in der Person des Kassenboten Herpers ver haftet worden. Ter weibliche Husarenlentnant. In einem Kaffeelokal in Hameln wurde die be rüchtigte 26jährige Schwindlerin Elsbeth Schüne-. mann aus Braunschweig verhaftet, die vor längerer Zeit in Bielefeld, dann nach Begehung neuer Schwindeleien in Bad Eilsen aus dem Gefängnis in Bückeburg ausgebrochen wär und seitdem steckbrieflich verfolgt wurde. In Hameln trat sie in männlicher Kleidung als Husaren leutnant Hans v. Gellermann auf und verstand es, sich das Vertrauen der Lokalinhaberin zu erwerben. Dort stahl sie eine'Handtasche mit etwa 800 Mark Inhalt und ging dann zur Verübung weiterer Diebstähle und Betrügereien nach Hannover. Nachdem sie einen Gastwirt um 400 Mark geprellt hatte, kehrte sie nach Hameln zurück, wo ihre Verhaftung erfolgte. Höhenrekord eines italienischen Flie gers. Wie ,Secolch aus Turin meldet, hat der Pilot-Leutnant Ingenieur Guido Guidi einen neuen Wclthöhenrekord aufgestellt, indem er in einer Stunde 57 Minuten die Höhe von 7950 Meter erreichte. Der Abstieg geschah iln Gleilslug in zehn Minuten. Eine Epidemie in Norwegen. In ver schiedenen Ortschaften Norwegens ist eine bisher unbekannte, epidemisch auftretende Krankheit ausgebrochen, die besonders Mund, Nase und Augen angreift. Über die Ursache und die gemalt. Folgen dieser Krankheit, an der beispielsweise an einem Tage 115 Arbeiter einer Waffenfabrik erkrankt sind, sind sich die Arzte noch nicht klar. Vermischtes. Ein kostspieliges Festessen. Anläßlich des letzten Festessens im Hause des Londoner Bürgermeisters, das zu Betrachtungen über kost spielige englische Festessen Anlaß gab, erinnert der .Daily Chronicle' daran, daß das kostspieligste Festessen jenes war, das der Bürgermeister von London, Domville, am 18. Juni 1814 anläßlich des Sieges über Napoleon gab. Unter den Ein geladenen befanden sich der König von Preußen, der Zar, der Prinzregent, Wellington, Blücher und andere. Auch viele hohe Offiziere und Diplomaten nahmen an diesem Festessen teil. Sämtliche Gerichte wurden auf schweren Silber platten gereicht, die einen Wert von mehr als vier Millionen hatten, das Essen selbst kostete eine halbe Million. Das italienische Spielzeug im Stall. Ein Gegenstand, der besonders vor Weihnachten den Vierverband immer wieder sehr beschäftigt, ist die Spielzeugsrage. „Frankreich," so erzählt der,Corriere', „hat sich bereits früher mit der Herstellung „nationalen Spielzeugs" beschäftigt. Umso erstaunlicher ist es, daß im Jahre 1914 noch Us des Bedarfs durch Deutschland gedeckt wurde. In Italien müßte die freie Kleinindustrie der Spielsachen in den Ställen geschaffen werden, d. h. die Bauern sollten sich im Winter während ihrer Mußestunden mit der Anfertigung be schäftigen. Es müßten auch Verbände gegründet werden wie in Frankreich, und auch Bildhauer, Maler, Zeichner, Karikaturisten sollten es nicht verschmähen, sich des Spielzeugs anzunehmen." Die nuftvcrstnndcne Zuckeraufnahme. In Schweden hat die Zuckerknappheit zu einer Bestandsaufnahme geführt. Bei diesem Anlaß sollte auch ein Lunder Student älteren Jahr gangs „auf Ehre und Gewissen" angeben, wie- viK Zucker er Hütte, damit man ihm eine ent sprechende Zuckerkarle ausstellen könne. Das Antwortschreiben lautete: „Angeblich 3 °/o. Hängt im übrigen noch von dem Ergebnis der nächsten ärztlichen Untersuchung ab." Der erfinderische Hundebesitzer. Ein Tierfreund, der anscheinend seinen Hund vor den Unannehmlichkeiten des in Paris vorgeschriebeneil Maulkorbtragens bewahren wollte, kam zu diesem Zweck auf eine sehr originelle Idee. Seit Tagen wurde nämlich in einer Straße des Pariser Montmartre ein Hund beobachtet, der sichtbar- lich einen Maulkorb trug, jedoch jedes Mal, wenn er gähnte oder aus einem anderen Grunde das Maul öffnete, sich zur größten Verblüffung aller Zuschauer Plötzlich als maulkorblos erwies. Der Besitzer — ein Maler — hatte dem Hunde nämlich den Maulkorb auf die Schnauze — GericktskaLLe. Elberfeld. „Edel-Weinkäse" nannte ein hol ländischer Käsereibcsitzer ein schauerliches Gemisch, das er sür 1Mark das Pfund in den Handel brachte. Es bestand aus alten, ungenießbaren, hartgewordenen Holsteiner-, Tilsiter- und Holländer-Käsen. Dieser alte unverkäufliche Käse war in Wasser eingeweicht unter Zusatz von etwas Wein, meist Apfelwein, Wasser und Nelkenöl zu einem Brei verarbeitet und danach in kleine Kaschen zerschnitten worden. Der Schwindler wurde zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Leipzig. Zwei Frauen in Biebrich wurden am 21. Juni 1916 vom Landgericht Wiesbaden wegen schwerer Urkundenfälschung zu je einer Woche Ge fängnis verurteilt. Sie verkauften Wohlfahrts- Postkarten, deren Ertrag in der Hauptsache der Marinestiftung zuflicßen sollte, und ginge» zuerst in das Rathaus, um dort eine Zeichnung Ses Ober bürgermeisters in ihre Listen zü erhalten. Sie hofften, damit Reklame machen zu können. Der Oberbürgermeister war jedoch verreist. Da bei der artigen Gelegenheiten -andere Bürgermeister namhafte Beträge gezeichnet haben, glaubten die Angeklagten, daß der Oberbürgermeister ebenfalls mindestens 10 Mark zeichnen würde und nahmen die Ein zeichnung selbst vor. Die Revision der Angeklagten führte beim Reichsgericht zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vor instanz, da, wie auch der Neichsanwalt ausführte, das Urteil die Absicht der Urkundenfälschung nicht genügend klarstellt. Vor der Tür und als habe sich der Schlüssel gedreht, gerade als wollte einer durchs Schlüssel loch sehen. Sie stand regungslos. Man sollte sie hier nicht finden; denn das würde sofort Gerede geben. Sie horchte; aber es blieb still draußen. Eine kurze Weile wartete Gesine noch; dann ging sie leise zur Tür und legte vorsichtig die Hand auf die Klinke. Nun ein kräftiger Ruck l Den Lauscher wollte sie doch erschrecken, wenn er noch da war. Aber die Tür rührte sich nicht. Gesine rüttelte mit aller Gewalt an der Klinke. Die Tür wich nicht. Es blieb kein Zweifel, sie war eingeschlossen. Sofort stieg Gesine die Gewißheit auf, daß es nur einer sein konnte, der ihr den Schabernack gespielt hatte — Krischan. Der lauerte hinter ihr her, spionierte im Hause herum, naschte aus den Töpfen und stahl wie ein Nabe, wenn einmal ein Groschen offen liegenblieb. Natürlich war auch dieses Mal Krischan der Übeltäter. Eine stumme Wut überkam Gesine. Nun saß sie hier oben eingeschlossen. Sie konnte lärmen und rufen — die halbtaube Hanne würde sie nicht hören. Mit einem Male fiel ihr das Kind ein, das sie im Wohnzimmer allein gelassen hatte. Nun mar ihr, als hörte sie den Jungen schreien, und eins gräßliche Angst befiel sie. Wenn das Kind Vie Schachtel mit den Streichhölzern gefunden hätte? Oder wenn gar der Krischan ihm etwas autäte? Sie stürzte in namenloser Furcht vor einer unbekannten, aber doch geahnten Gefahr ans Fenster und riß es auf. Dabei warf sie den dreibeiniaen Tisch um. der wacklia war und sich an die Wand lehnte. .Die Schublade des Tisches fiel ihr entgegen, und ihr Inhalt zer streute sich auf den Fußboden. Erschreckt stand Gesine da. Mit Zeichnungen bedeckte Blätter lagen auf den Holzdielen herum. Und Plötzlich wußte Gesine, was der Knecht hier des Abends trieb. Er saß am Tisch und zeichnete. Die Neugier ließ sie das beklemmende Angst gefühl vergessen. Mitten zwischen dem Papier kniete sie nieder und raffte die verstreuten Blätter zusammen. Da fiel ihr Blick auf eins, das wohl zu oberst gelegen hatte, denn es war am weitesten geflogen, und ihre Lippen preßten sich fest zusammen. Voll Haß blickte sie auf das Bild ihrer Nebenbuhlerin, das sie in der Hand hielt. Sie! Und immer wieder sie! Warum hatte sie ihn damals nicht festgehalten, als es vielleicht in ihrer Macht gestanden? Nun hatte die andre ihn für sich gewonnen — nun war es zu spät! Ihr eifersüchtiges Herz erriet mit dem feinen Instinkte des Hasses, mit welcher Liebe das Bild gezeichnet wär, das jene Glück liche darstellte, wie sie zwischen Hecken dahin schritt, jung und schön. Sie wußte jetzt, daß der Mann, den sie liebte und den sie besitzen wollte, unwiederbringlich der andern gehörte. Wie hatte Gesine einst des schwächlichen Dings mit den blassen Wangen gelacht! Mit der konnte sie sich wohl alle Tage messen! Und heute? Das Bild ließ ihr keinen Zweifel dar über: Liese Rickmann war eine Schönheit ge worden in den drei Jahren. Und Hinnerk Meyer hatte Augen für so etwas. Er war ja ein Künstler. Sonderbar, daß sie bas plötzlich wußte. Sie hatte sonst nie daran gedacht. Aber mußte sie deshalb auf ihn verzichten, ihn ohne Kampf der andern lassen? Nein! Nein! schrie die Stimme des Haffes in ihr, als sie sich erhob und das Bild mit den Füßen trat. Nun gerade nicht! Nun erst recht nicht! Schritt sür Schritt mußte sie ihr Ziel erreichen — nicht zu früh wollte sie ihn stutzig werden lassen. Er sollte sich an das Leben auf dem Hofe gewöhnen, das stolze Gefühl in sich Wurzel schlagen zu lassen, daß er hier fast der Herr war. Dann wollte sie doch einmal sehen, ob er freiwillig auf das alles verzichtete, um als Tagelöhner an Liese Rick manns Seite zn leben. Vorsichtig sammelte sie die verstreuten Blätter auf und legte sie wieder in die Schublade. Den umgestürzten Tisch stellte sie wiederaus Fenster, und nun erst fiel ihr ein, was sie ganz vergessen hatte — daß sie eingeschlossen war. Da hörte sie schwere Tritte auf der Treppe. Wie versteinert stand sie an der Tür und horchte. Nun bewegte je mand die Klinke; dann drehte jemand den Schlüssel um. Die Tür öffnete sich: Hinnerk Meyer stand vor ihr. Einen Augenblick fanden Leide kein Wort. Dann schob ihr die Nöte in die Wangen. »Ich wollte nachsehen, ob hier alles in Ordnung ist," stammelte sie. „Und da hat mich der Krischan hier eingeschlossen." Damit drängte sie sich an ihm vorbei und floh die Treppe hinab. Bei Tische saßen sie sich schweigend gegen über. Der Einfachheit halber wurde in der Küche gegessen. Um den großen Tische saßen außer der Bäuerin und dem Großknecht noch die Mägde, die alte Hanne und der Pferde knecht. Langsam und bedächtig genoß man das einfache Mahl, bei dem die Kartoffeln die Hauptrolle spielten. Jeder stand auf, wenn er gesättigt war, und ging, um noch ein kurzes Weilchen zu ruhen. Denn die lange Mittags rast wie im Sommer gab es jetzt nicht; man mußte früh mit der Arbeit fertig werden. Als Hinnerk auf den Flur trätf fuhr gerade ein leichter Breakwagen vor, von dem ein Herr herunterkletterte. Hinnerk ging ihm bis zur Tür entgegen. Ob Frau Siemers zu sprechen wäre. Der Knecht rief sie. Lie fettigen Finger as der Schürze abwischend, kam sie. Der Fremde dienerte und erklärte mit großem Wort schwall, wfe sehr er sich sreue, Frau SiemerK anzutreffen. Schweigend führte sie ihn in die gute Stube. Hinnerk ging auf die Diele hinaus, nach dem Vieh zu sehen. Ein Teil der Kühe blieb auf der Weide, die sie den ganzen Sommer über Tag und Nacht bezogen hatten. Die schwächeren Tiere waren schon' hereingeholt und wurden an nassen Tagen wie heute auch tags über nicht mehr Hinausgetrieben. Das gab in der Wirtschaft neue Arbeit, und Hinnerk wachte sorgfältig, daß gerade jetzt in der Übergangszeit nichts in der Stallpflege versäumt wurde. Während er an den Viehständen entlang ging, zerbrach er sich den Kopf darüber, wo er den Fremden schon gesehen Hütte. Mit den verküm merten Ohrmuscheln, der stark gekrümmten Na.se, dem kurzen Wollhaar von tiesschwarzer Farbe und den mandelförmigen braunen Augen, über denen das obere Lid trcmmschwer zu lasten schien, kam ihm der Mann so bekannt vor. (Forljetzung jotgk.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)