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Ottendorfer Zeitung : 10.11.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191611107
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19161110
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19161110
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-11
- Tag 1916-11-10
-
Monat
1916-11
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 10.11.1916
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Das Römgreick Polen. In einem Manifest des Kaiserlichen General- gouverneurs von Warschau wird den Bewohnern des Generalgouvernements milgeteilt, daß der Deutsche Kaiser und der Kaiser von Österreich übereiugekommen seien, aus den vonfihrcn tapferen Heeren ^rter schweren Opfern der russischen Herr schaft entrissenen Gebieten einen selbständigen Staat mit erblicher Monarchie und konstitutio neller Verfassung zu bilden. Mit diesem Erlaß ist das befreite Polen als selbständiges König reich erklärt. Es wird nach Bestimmung seiner Grenzen eine eigene Armee haben und'm An lehnung an die Mittelmächte einer freien und glücklichen Zukunst etttgegengehen. Hundert Jahre sind vergangen, seitdem die europäischen Mächte im Wiener Kongreß den Hauptköiper Polens aus dem westlichen Kultur kreis herausgsnommen und Rußlands Händen anvertraut hatten. Nicht die „Beschützer der kleinenNatiouen" sind es, diejetzt dieses Laud seiner nationalen Entwicklung zurückgeben, sondern die Leiden Mächte, gegen die fälschlich im Namen »er kleinen Nationen der Laß der ganzen Welt aufgerufen worden ist. Die Westmächte haben Polen mancherlei äußerliche Sympathien bezeugt. Gar manches zu keiner Tat verpflichtende „Es lebe Polen" erklang aus dem Westen. Jedesmal, wenn sich die Polen im Vertrauen auf Hilfe aus London und Paris in den Kampf um ihre Unabhängig keit begaben, zeigte es sich, das; sie auf leere Worte gebaut halten. Von dieser Seite konnte ihnen die Freiheit nicht kommen. Wären heute die Entscheidungen anders gefallen, wären im Osten die russischen Waffen siegreich, so hätte wiederum für hundert Jahre ohne Einspruch der Westmächte die Bevölkerung Kongreßpolens ihre Ketten von Versprechung zu Versprechung geschleppt. Die Befreiung Polens ist mit dem Siege Deutschlands und seiner Verbündeten verknüpft. Nur sie, nicht Rußland und nicht die West mächte, haben an dem Bestand eines freien Polens ein eigenes Lebensinleresse. Die Er- kennlnis dieses Interesses, zu der die Ent wicklung Europas im 20. Jahrhundert drängt, ist noch nicht überallinDeutschland durchgedrungen. Uber allem Für und Wider aber steht be herrschend der Satz, daß wir um unserer eigenen Zukunft willen Polen nicht an Rußland zurück fallen lassen dürfen. Deutschlands Sicherheit verlangt für alle kommende Zeit, daß nicht aus einem als militärisches Ausfallstor ausgebauten Polen russische Heere, Schlesien von Ost- und Westpreußen trennend, in das Reich einbrechen können. Nicht immer wird ein gütiges Geschick uns einen Hindenburg zur Verfügung stellen, um trotz solcher Grenzen die Russenflut einzu dämmen. Um drei Millionen wächst alljährlich die Bevölkerung des Riesenreiches im Osten. Kürzere, stark geschützte Grenzen werden das festeste Fundament eines ruhigen Verhältnisses zu unserem russischen Nachbar sein. Wir werden es als einen großen Gewinn anzusehen haben, wenn wir auch bei den Entwicklungen und Auf gaben kommender Friedensjahre die Polen an unserer Seite haben, die nach Kultur, Religion und Geschichte in der Vergangenheit zum Westen gehörten und auch für die Zukunft dorthin ge hören sollen. Den von der russischen Herrschaft befreiten Polen bieten wir die Möglichkeit, sich in einem eigenen Staate an die Mittelmächte anzulehnrn und in festem Verbände mit ihnen ihr politisches, wirtschaftliches und kulturelles Leben frei zu führen. Dabei werden sie namentlich für die nächste Zeit auf unsere. Hilfe starken Anspruch machen. Die russische Herrschaft hat polnisches Beamtentum, polnische Lehrerschaft, polnische Wehrkraft nicht anfkommcn lassen. Sie hat das aufstrebende Land nicderzuhalten, zu trennen, zu verwirren gewußt. Bahnbau und Wasserstraßen sind vernach lässigt. überall sind die Grundlagen staatlicher Verwaltung erst zu schaffen. Mancherlei ist während der Okkupation bei verständnisvoller Mitarbeit der Polen bereits geleistet worden. Auch militärische Kräfte sind von den Polen sür die Befreiung vom russischen Jochs eingesetzt worden. Dle Polnischen Legionen haben be reits in mancher Schlacht an der Seile der Mittelmächte ruhmvoll gegen Rußland gestritten. Die Errichtung einer polnischen Wehrmacht ist also an sich nichts Neues. Indem die Mittel mächte den Polen dru allmählichen Ausbau einer eigenen Wehrmacht gestalten, erfüllen sie ihnen einen brennenden Wunsch, der bei dieser militärisch so begabten Nation besonders be greiflich ist. Schritt sür Schritt wird der Ausbau des polnischen Staatswesens weitergeführt werden. Harte mühevolle Arbeit wird zu leisten sein. Über alle Schwierigkeiten hinweg wird die alte staaienbildende Kraft unseres Volkes das große Ziel erreichen und erreichen helfen. So werden wir mit der Zeit im neuen polnischen Staate einen tüchtigen befreundeten Nachbarn erhalten, Deutschland nach Osten sichern und der Zukunft Europas einen wertvollen Genossen gewinnen. verschiedene Uriegsnachrichten. Die Fahrt der „Deutschland". Nach englischen Berichten hat Kapitän König in Amerika einen Artikel über die dritte Ozean fahrt des Handels-O-Bootes „Deutschland" ver öffentlicht. Danach hat das Schiff 8000 See meilen zurückgslegt, davon nur 190 unter Wasser. Er schildert lebhaft die Schrecken des Golfstromes und erzählt von einem Fest mahl auf dem Grunde des Ozeans. Einmal tauchte das Schiff zu schnell, so daß es ganz senkrecht stand; aber die Ladung blieb in der richtigen Lage. Die Erfahrungen der „Deutsch land" unterscheiden sich sehr wenig von denen der letzten Reise. Sie entging mehrmals mit genauer Not fe in dl i ch e n Kri e g ss ch i ffeu. — Nach anderen englischen Berichten hat die englische Admiralität zur Verfolgung der „Deutschland" eine große Flotte nach dem westlichen Ozean beordert. 14 französische Kriegsschiffe wurden ebenfalls zur Verfol gung des Handelstauchbootes auf- geboten. * Churchill über die Kriegslage. Der einstige englische Marineminister Chur chill, der sonst immer — den Mund etwas voll nahm, wenn er an Deutschlands Vernichtung kam, hat (unter anderem Namen) eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, in denen es u. a. heißt: „Wie stehen die Dinge? Deutschland hält den Druck auf seiner 1000 Meilen langen Front aus und wurde auch nicht gezwungen, ernstlich zurückzugehen. Seine Armee hält sich auf normaler Stärke. Deutschland hat noch zahlreiche Reserven, die hin reichen dürften, auch für die nächsten Jahre seine Armee ungeschwächt im Felde zu halten, und Während die deutschen Munitionsfabriken die Armee gut bedienen, verfügt es auch über eine große Menge erbeuteten Materials. Es sind keine Zeichen da, daß der wirtschaftliche Druck Deutschland zwingen werde, die Waffen niederzulegen, wenn auch zweifellos das rührend willige Volk schwer geprüft wird und sich nach dem Frieden sehnen. dürste. Vom materiellen Gesichtspunkt aus ist Deutschland noch immer der mächtigste unter den kriegführenden Staaten." — Churchill hat also gelernt! * Die Einheitsfront, ein Mißerfolg. Die italienische Presse gesteht unumwunden ein, daß die Berufung des Kriegsrates des Vierverbandes nach Paris und die Teilnahme des englischen Botschafters in Petersburg, Buchanan, und des rumänischen Generals Avarescu am Kriegsrat im russischen Hauptquartier beweisen, daß die Einheitsfront seit dem Pariser Kriegsrat im April ein völliger Mißerfolg geblieben ist. Die Hoffnungen auf Besserung sind nur ganz gering, da eine Unter ordnung unter einem Willen, wie beim Vier bund, ausgeschlossen ist. Unwetter an der Somme. Londoner Blätter melden aus dem englischen Hauptquartier: Obwohl das Wetter sich aufge- geklärt hat, herrscht an der Sommesrout noch immer große Nässe. Die Granattrichter haben sich in Weiher und die Laufgräben in Bäche verwandelt. Eine größere Jnfanterieunterneh- mung ist deshalb ausgeschlossen. Nur die Ar tillerie bleibt immer in Tätigkeit. OeMlcker Asicbstag. (Orig.-Bericht.) Berlin, 4. November. Das Haus beschäftigt sich zunächst mit dem Regierungsantrag auf Vertagung des Reichs tages bis zum 13. Februar 1917. Dazu erklärt Staatssekretär des Innern Dr. Helfferich: Die Vertagungsorder ent hält eine Klausel, die den Zusammentritt der Budgetkommission auch während der Vertagung ermöglicht. Ist ein früheres Zusammentreten des Reichstages erforderlich, so kann ihn der Kaiser jederzeit berufen. Der Vertagungsantrag wird darauf gegen die beiden sozialdemokratischen Fraktionen an genommen. Es folgt die Beratung des Schutzhaftgesetzes, wonach über Beschwerden das Reichsmilitär gericht entscheidet, die Haft nach dreimonatiger Dauer nur nach erneuter Prüfung durch das Reichsmilitärgericht verlängert werden kann. Der Verhaftete hat das Recht auf einen Ver teidiger, dem die Akteneinsicht zusteht, Selbst beköstigung und Bewegung in freier Luft wird gesichert, ebenso abgesonderter Transport von anderen Häftlingen. Die Schutzhast kann auf Strafhaft ungerechnet, Entschädigungsanspruch zugestanden werden. Das Gesetz gilt auch für Aufenthaltsbeschränkungen. Ministerialdirektor Dr. Lewald: Die zu gesagten Ermittelungen sind in vollem Gange. Solche Fälle, wie die hier vorgebrachten, werden nicht mehr Vorkommen. Nach kurzer Debatte wird das Gesetz ein stimmig angenommen. Abg. Scheidemann (Soz.) fordert als Vorsitzender der Schutzhaftkommission die Re gierung auf, dem Gesetz baldigst die Zustimmung zu erteilen, damit sich Vorkommnisse, wie die hier erörterten, nicht wiederholen. Ein Antrag, in den nächsten Etat einen an gemessenen Betrag zur Förderung der Leipziger Messe einzustellen, wird nach kurzer Debatte gegen die Stimmen der Soz. Arbg. angenommen. Das Haus wendet sich nun zu der Ernährungsdebatte. Abg. Herold (Zentr.) meint, die Kar toffelpreise dürfen nicht wieder geändert werden. Die in diesem Jahre nur mäßig geratenen Kartoffeln müssen in erster Linie für die mensch liche Ernährung dienen. Abg. Schmidt-Berlin (Soz.) rügt, daß in dieser ernsten Zeit 900 000 Tonnen Gerste zu Bier verbraut werden. Er verlangt, daß der freie Wettbewerb aufhöre. Abg. Hoff (Fortschr. Bp.): Die Ernte ist günstiger als im Vorjahre. Aber Brauerei und Brennerei sind in weitem Umfange ein zuschränken. Redner verlangt Abschlachtung des unausgemästeten Viehs wie in Friedenszeiten. Erfolgt eine Abschlachtung auch nur im Friedens umfang, dann könnte die wöchentliche Fleischration auf mindestens 400 Gramm erhöht werden. Die hohen Vieh- und Fleischpreise .sollten baldigst abgebaut werden, sonst wird bei Friedensschluss ein sür die Landwirte verhäng nisvoller Preissturz eintreten. Denn daran ist nicht zu denken, daß diese hohen Preise über den Frieden hinaus zu halten sind. Würde die Landwirtschaft das versuchen, ein Entrüstungs sturm im Volke würde die Folge sein. Wir brauchen scheunige Maßnahmen, denn die Not brennt uns jetzt auf den Nägeln. Abg. Dr. Böhme (natl.): Freies Schalten und Walten des Handels ist jetzt unmöglich, das haben wir gelernt. Besonders schwer leiden jetzt die Festangestellten, Mittelständler und Arbeiter, die nicht durch die Kriegsverhältnisse begünstigt sind. Sie halten unter Entbehrungen durch. Was sind das für Zustände, daß sür ein Huhn 14 Mark gefordert werden. Dem Wucher muß ernster zu Leibe gerückt werden. Die Rindviehbestände müssen stärker abgeschlachtet werden. Besser wenige fette Schweine als viele magere. Abg. Graf Schwerin-Löwitz (kons.) stellt fest, daß die Preisfrage im Vergleich zu andern Ländern bei uns glänzend gelöst sei. Redner erklärt sich gegen den landwirtschaft lichen Produktionszwang. Alle Fragen müssen hinter der Beschaffung von Munition und Nah rungsmitteln zurücktreten. Präsident des Kriegsernährungsamts von Batocki: Die Sorge des Vorredners vor einem Nachgeben gegenüber politischen Rich tungen ist unbegründet. Ich muß den Weg zwischen zwei Polen suchen und werde ihn hoffentlich finden. Mit dem neuen Kriegsamt arbeiten wir einheitlich zusammen, um die Ernährung des Volkes und des Heeres miteinander in Einklang zu bringen. Der Kar toffelbedarf ist gegen den Frieden verdreifacht, und solche Mengen können nicht erst im strengen Winter transportiert werden. Im Winter wollen wir die Obst- und Gemüseversorgung besser vorbereiten als sie war. Frische Fische lassen sich kaum beschlagnahmen, da ist eins Preisherabsetzung kaum möglich, denn dann käme nichts urehr auf den Markt. Voir einer Ver mälzung von 900000 Tonnen Gerste ist keine Rede mehr. Der Städler kennt das Land nur von Sommerausflüglern; er hat vielfach das Letzte zusammengekauft. Das hat die Be ziehungen zwischen Stadt und Land nicht ver bessert. Aber auch der Landwirt beurteilt die Stadt nur nach Sonnlagsbesuchen und beurteilt sie nach der Lebewelt. Wir können nur be stehen, wenn wir einig und geschlossen sind. Helfen Sie uns dabei. Nach kurzen Bemerkungen der Abgeordneten v. Gamp (Dtsch. Frakt.), Wurm (Soz. Arbg.), Schirmer (Zentr.) wird die Aus sprache geschlossen. Die Resolutionen zur Erhöhung der Familien unterstützung werden angenommen. Präsident Dr. Kasm Pf gibt in einem Schlußwort der ungebrochenen Siegeszuversicht und dem Dank an das Heer Ausdruck. Dann vertagt sich das Haus. Politische Aunälckau. Deutschland. * Sicherem Vernehmen nach wird der Hauptausschuß des Reichstags bereiis in diesen Tagen wieder zusammentreten, um Mitteilungen des Reichskanzlers über Fragen der auswärtigen Politik entgegen- zuuehmen. *Am 1. Dezember 1916 findet im Deutschen Reiche eine kleine Viehzählung statt, die sich auf Pferde, Rindvieh, Schafe, Ziegen und Federvieh . erstreckt. Der 1. Dezember ist schon längere Jahre hintereinander als Stichtag für Viehbestandsaufnahme benutzt worden. Die durch den Krieg bedingten Änderungen der Wirtschaftslage, insbesondere die Schwierig keiten der Volksernährung, lassen eine öftere Vornahme von Viehzählungen dringend erfor derlich erscheinen. Österreich-Ungarn. * Kaiser Franz Joseph hat an den neuen Ministerpräsidenten ein Handschreiben ge richtet, indem er um Vorschläge ersucht zur Durchführung der Selbstverwaltung in Galizien. Galizien soll also das Recht er halten, seine Landesangelegenheiten wie die anderen Länder der österreichisch-ungarischen Krone selbständig zu regeln. England. * Auf einer Parade hielt Lord French eine Rede, in der er sagte: Die Gefahr eines feind- lichen Einfalls in England sei zwar fernliegend; er wisse aber nicht, was hinter der Flottenaffäre im Kanal, stecke. Es sei noch nicht heraus, ob nicht eine feindliche d. h. deutsche Transportflotte zum Vorschein komme. Er wolle nicht behaupten, daß dies wahrschein lich sei, unmöglich sei es keineswegs. Im Kriegs ereigneten sich die unmöglichsten Dinge. Auf alle Fälle müsse man gut bewaffnet 'und gut ausgerüstet sein. kunnerk, Zer Unecht. !1s Roman von Bruno Wagener. (Fortsetzung.) Ss schritt er denn die Hauptstraße entlang, nm durch das Wassertor ins Freie zu gelangen. Nichts hatte sich in den drei Jahren verändert. Dieselben Menschen wie einst begegneten ihm. Als er die Bahnhofstraße hinunterging, grüßte ihn vom Fenster seines Arbeitszimmers der Stadtrat Burmester heute wie einst mit ernstem Nicken des Kopfes, auf dem das schwarze Seidenmützchen saß. Und am Markte stand der Kaufmann Assemaun vor der Tür seines Ladens, in dem die Landbevölkerung Taue und Stricke, Peitschenschnüre und Wolle und tau senderlei anderes kaufte. Und ein sonderbares Gefühl der inneren Wärme überkam den jungen Reservisten. Er war in der Heimat! An der alten Nikolaikirche, neben der Till Eulenspicgels Grab von einer Linde über schattet unter kühlem Rasen liegt, ging es vor bei. Von einer niedrigen Anhöhe grüßte der klotzige Turm durch enge Nebenstraßen traulich herab. Ihn hatte Hiniierk Meyer schon lange liebgewonnen als ein malerisch schönes Wahr zeichen, das sich im blanken See spiegelte und über die Giebeldächer hinweg zum Himmel wies, der heute grau herniederblickte. Als Hinnerk eben das Wassertor auf breiter Drücke durchschritten und sich nach links zur Ratzeburger Chaussee gewandt hatte, hörte er einen Wazen hinter sich rattern. Er wich zur Sefte, inu ihn vorbei zu lassen. Flüchtig streifte u u Bück das Fuhrwerk. Aber er rückte zu sammen, als er die Insassin des Wagens er kannte. Gesine! Ihre Blicke hatten sich einen kurzen Moment gekreuzt. Auch sie hatte den Mann erkannt, der auf der regennassen Land straße demselben Ziele zustrebte wie sie selbst. Und jetzt hielt der Wagen. Hinnerk hatte ge sehen, wie die Frau aufgestanden war und dem jungen Menschen auf dem Bock ein paar Worte gesagt hatte. Nun hatte Hinnerk den Wagen eingeholt und wollte grüßend voröeischreiten. Da öffnete Gesine den niedrigen Wagen schlag und beugte sich unter dem halb herab gelassenen Verdeck hervor. „Guten Tag, Hinnerk — auch wieder da? Hier ist noch ein Platz im Wagen. Sie können mitfahren." Er war an den Wagen herangetreten. Sie streckte ihm die Hand entgegen, eine runde, Weiche Hand. Dabei grüßten ihn ihre prüfenden Augen — die schienen ernster geworden zu sein, aber doch noch immer begehrlich wie einst. Er hatte die Hand gleich wieder losgelassen. Nun schüttelte er den Kopf: „Danke, Frau Siemers, aber ich bin zu naß vom Regen. Es ist besser, ich gehe zu Fuß." Sie hörte die kühle Ablehnung heraus und machte weiter keinen Versuch. „Na, dann fahr zu Haus," befahl sie dem Kutscher, während ein böser Blick den Mann traf, der ihr Anerbieten ausgeschlagen hatte. Sie nickte stolz» und gleich darauf schritt Hinnerk Meyer einsam auf der Landstraße dahin. Weit vor ihm entschwand der Wagen. Ein sonderbares Gefühl überkam den rüstig Ausschreitenden. Das also war das erste Wieder sehen gewesen I Hinnerk batte ein gewisses Bangen davor empfunden, und nun war es so rasch überwunden. Hatte er recht getan, die Frau durch seine Ablehnung zu verletzen? War es nicht eine Freundlichkeit gewesen, die sie ihm hatte erweisen wollen? Er war der Knecht auf ihrem Hofe gewesen, und er würde wieder bei einem andern Bauern in Dienst treten. Das hatte die stolze Bäuerin wohl ganz vergessen gehabt, als sie ihn einlud. Oder war es etwas andres gewesen? Nein, er hatte gutgetan, daß er nicht an ihrer Seite in Neuenfelde ein gezogen war — er, der Verlobte von Liese Rickmann. Deutlich vor seiner Seele stand noch die Hells Mondnacht, wie Gesine an seinem Halse ge hangen hatte. Wenig hätte damals gefehlt, und er hätte sich vergessen — vergessen den Unter schied zwischen dem Knecht und der Bauers tochter — vergessen, was er Liese Rickmann versprochen hatte. Aber daß er damas fest ge blieben war, daß er ihr standgehalten hatte, sie hatte es als tieje Beleidigung empfunden. Von dem Tag an war Feindschaft zwischen ihnen gewesen — ihre Liebe war in Haß umgeschlagen, und er hatte in seiner Brust begraben, was der eine Augenblick in Heller Liebesflamme hatte auflodern lassen. Sie hatten sich kaum noch angesehen in den wenigen Wochen bis zu seäiem Fortgang. Er hatte oft an sie gedacht, als er beim Militär war — mehr als an Liese Rickmann, die seine Braut war. Warum hatte er damals nicht das Glück bei der Hand ergriffen? Mit einem Schlage wäre er aus der Niedrigkeit hsraus- gehoben gewesen. Als Jnterimswirt auf dem Bolten - Siemersschen Hof, an der Seite des Weibes, das ihn liebte, wäre er ein gemachter Mann gewesen. Ein glücklicher Mann? Die Frage hatte er sich oft vorgelegt. Und auch jetzt wieder schüttelte er den Kopf. Nein, ein glücklicher Mann wäre er nicht geworden, wenn er der Liese sein Wort gebrochen Hütte. Daß. sie seit einem Jahre Witwe war, wußte er; Liese hatte es ihm geschrieben. Johann Siemers war schwach auf der Brust gewesen, und da war eines Tages aus einer Erkältung, dis er sich bei nassem Wetter zugezogen hatte, eins Lungenentzündung geworden und hatte ihn dahingerafft. Kaum zwei Jahre waren dis beiden verheiratet gewesen. Und auf einmal fiel es Hinnerk ein, daß Gesine nun frei war. Ob sie wieder heiraten würde? Das ging wohl nicht anders an. Der große Hof bedürfte einer starken Hand. Seine Gedanken waren auf einen toten Punkt gekommen. Sie fügten sich jetzt nicht mehr in feste Reihen. Immer kehrten sie zu dem einen Punkte zurück: Gesine war frei. Wen würde sie heiraten? — Und wie eins eifersüchtige Regung quoll es in ihm auf. Er hätte sie am liebsten niemand gegönnt. Ihm selbst war sie verloren, und doch — es würde ihm wehe tun, wenn sie jetzt wieder einem andern die Hand reichte. Er hatte sie vorhin kaum gesehen. Bei dem kalten Oktoberwetter hatte sie sich dicht in eine Decke gewickelt — eins teure, pelzgefütterte Wagendecke, wie sie sonst nicht in Bauern kutschen zu liegen pflegte; und um den Hals hatte sich ein breiter Umhang geschlossen. Nur l das Gesicht hatte aus der dichten Umhüllung
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