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Ottendorfer Zeitung : 08.09.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-09-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191609082
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19160908
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19160908
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-09
- Tag 1916-09-08
-
Monat
1916-09
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 08.09.1916
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In äer ^ickmükle. > Der russische Ministerpräsident Stürmer hat jüngst in einer Unterredung mit dem Moskauer Bürgermeister erklärt, es sei durchaus unrichtig, aus seiner Übernahme des Ministeriums des Äußeren zu folgern, daß man dem in Moskau so sehr gefürchteten Sonderfrieden näherkomme. Das strikte Gegenteil sei der Fall, und seine und der leitenden Männer wie des Zaren Treue gegenüber der Sache des Vierverbandes sei unter allen Umständen unerschütterlich. Daß Stürmer eine solche Erklärung abge geben hat, ist bei den Gerüchten, die im Zaren reiche und auch weit außerhalb dessen Grenzen umgehen, nicht weiter befremdlich. Denn er ist ja der Vertreter der russischen Regierung, und die muß natürlich so reden, auch wenn sie, was hier nicht untersucht werden soll, ganz andere Absichten hegen mag. Was aber, durch keinen Zweifel getrübt, unerschütterlich wahr in Stürmers Auslassung ist, das ist die Angst vor den Folgen des Friedens in einem großen Teil der Gesellschaft Rußlands, mag er nun ein allein oder mit den Verbündeten gemeinsam ge schlossener sein. Doß die Folgen des Friedensschluffes unbe rechenbar sind, darüber ist sich seit langem jeder denkende Russe klar, und daß man in Moskau den Friedensschluß am nieisten fürchtet, ist be zeichnend. Denn diese Stadt ist der Wohnsitz des ureingesessenen steinreichen, vornehmen russischen Kaufmannstums. Und da ja, be sonders in Väterchens Reich, Geld Macht ver leiht, ist der Bürgermeister nicht der Vertreter des Proletariats, an dem ja Moskau auch keinen Mangel hat, sondern gerade des vor nehmen Kausmannstums. Also die Kaufleute Moskaus, denen doch naturgemäß der Friede Nutzen bringen würde, da sie ihn für ihre ge schäftliche Tätigkeit unerläßlich brauchen, fürchten ihn so, daß zu ihrer Beruhigung vom Minister präsidenten Stürmer erklärt werden muß: Er beabsichtige 'nicht, ihn getrennt von den Ver bündeten zu schließen. Die Moskauer Kaufleute verkörpern den Stand des soliden Besitztums Rußlands. Von diesen Kreisen wird also die Beendigung des Krieges, trotzdem er doch das Erwerbsleben und zwar aufs schwerste schädigt, gefürchtet. Der Grund dafür ist die Angst, wie es nach Friedens schluß mit der Sicherheit des Eigentums und wohl auch des Lebens bestellt sein wird. Denn die Rückkehr der Kriegsgefangenen und die Ent lassung der noch lebenden Soldaten von der Fahne muß unbedingt die Revolution bringen. Und da das wohlhabende Bürgertum, übrigens sehr im Gegensatz zu der vielfach weit über ihre Mittel lebenden Beamtenschaft, in keinem Zusammen hang mit den Kreisen des Umsturzes steht und vom Kommenden nichts zu erhoffen hat, so lebt es eben in beständiger und wachsender Furcht vor dem Frieden. Aber auch die Fortführung des Krieges bringt lein Heil für Rußland, da auch sie gleichfalls unabwendbar Schreckliches nach sich zieht. Das erklärt sich aus der langen Dauer des Weltbrandes und der Heftigkeit der Offen siven dieses Sommers. Ganz ungeheure Menschenmassen wurden ausgehoben und dem wirtschaftlichen Leben entzogen. Das hat als natürliche Folge die Hungersnot gebracht, die im kommenden Winter die schrecklichsten Formen annehmen muß. Und daß sich hier im Berechnen des Zeitpunktes der Katastrophe kein Irrtum eingeschlichen hat, geht aus der dies jährigen vollständigen Mißernte hervor, die nur eine Folge des Menschenmangels ist. Das alles weiß man im Zarenreich selbst verständlich. Die Leute dort fürchten den Friedensschluß, der die Männer, die die Schrecken des Krieges am eigenen Leibe gekostet haben, nicht zuletzt wegen der Unfähigkeit und Unred lichkeit der Regierenden, wieder frei werden läßt und damit die Revolution beinahe un vermeidlich macht. Aber auch darüber gibt man sich natürlich in Rußland keiner Täuschung hin, daß auch das Fortführen des Krieges, dank der unerläßlich diesen Winter eintretenden furcht baren Hungersnot, die schlimmsten Regungen des Voltes zur Siedehitze, zum llberschäumen bringen muß. So befindet man sich denn in einer bösen Zwickmühle und führt sozusagen ein Leben von Tag zu Tag. Allerdings noch eine leise Hoff nung lebt: die Hoffnung auf einen großen un geheuren Sieg, der alle Volkskreise mit Be geisterung erfüllt. Mer es ist nur eine leise Hoffnung . . . Verschiedene Nriegsnachrichten. F-riedensPhantasicn. Die englandsreundliche .Tribüne' in New Aork bringt einen Artikel, in dem der Sieg des Vierverbandes für das Jahr 1918 angekündigt wird. Das Blatt meint, der Friede kann nur an Oder und Rhein diktiert werden; wenn heute ein Frieden zustande käme, so wäre es ein deutscher Friede. „Deutschland hat die Fabriken und die industriellen Werkstätten Frankreichs, Belgiens, Rußlands und Polens vernichtet. Es hat die Hilfsmittel für die Schiffahrt seines einzigen bedeutenden Wettbewerbers zur See ernstlich geschädigt, und hierbei ist es imstande gewesen, seine eigene Industrie vollständig auf recht zu erhalten, und seine Handelsflotten haben nicht im gleichen Verhältnis wie die englischen gelitten. Wenn der Friede morgen käme, würden die Fabriken, Werkstätten und die Schiffahrt Deutschlands mit Bezug auf den Welthandel in einer weit besseren Lage sein als im August 1914. Gleich allen anderen großen Nationen würde Deutschland gewaltige Schulden gemacht haben, aber während es die Mittel der andern für die Bezahlung der Schulden lahmgelegt hätte, würde es die seinigen bewahrt haben." * Die Kämpfe bei Delville. Der Reuter-Korrespondent in Frankreich meldet: Der in der Donnerstagnacht von den Deutschen im Abschnitt des Delvillewaldes unternommene Gegenangriff war der heftigste seit Beginn der englischen Offen sive. Er wurde durch ausgewählte Truppen ausgeführt, und die Hartnäckigkeit der Sturm läufe zeigt, welchen großen Wert die Deutschen auf den Erfolg in dieser Gegend legen. Der Feind stürmte bis viermal in dichten Reihen, und jeder Angriff wurde durch heftiges Sperr feuer eingeleitet. Dis vom Feinde eroberten Schützengräben boten keine Deckung mehr dar. * Die englischen Verluste. Schweizer Blättern zufolge betragen nach amtlichen Angaben die Verluste d er eng lischen, kanadischen und australi schen Truppen im August 162 620 Manu, 5210 Offiziere. Die Gesamtverluste seit dem Juli sind 814 530 Mann, darunter 22410 Offiziere. Rumäniens Bedeutung für die Kriegslage. Der Militärkritiker des ,Berner Bund' schreibt: Ein gemeinsames Vorgehen bulgari sch- türkischer Streitkräfte an der rumä nischen Südfront kann für Rumänien verhängnis voll werden. Wenn es rasch genug einsetzt, so kann es in Rumänien zu entscheidenden Schlachten kommen. Fallen diese zugunsten der Mittel mächte aus, so ist die strategische Lage Ruß lands, die sich in letzter Zeit günstig gestaltet hatte, mit einem Schlag in das Gegenteil ver kehrt und die beßarabische Flanke bloßgelegt. Jedenfalls ist das Gelingen des rumänischen Feldzuges viel mehr an rumänische Erfolge an der Südfront als an der Nordfront geknüpft. Die Operationen in Siebenbürgen entbehren der strategischen Bedeutung, solange die österreichisch-ungarische Verteidigung in der Lage ist, auf die Haupt widerstandslinie zurückzugehen, ohne eine Um fassung der verlängerten Front zu erleiden. * Bulgarisch-rumänische Seekämpfe. Aus Bukarest wird dänischen Blättern be richtet, daß eine rumänisch-russische Flotte Varna bombardiert habe, daß jedoch auf der Höhe von Burgas eine türkische Flotte plötzlich erschienen sei, durch die dem Bombardement ein Ende bereitet worden sei. * Rumänen in der Saloniki-Armee. Der Saloniki - Armee wird, nach Londoner Berichten, eine rumänische Ab teilung angegliedert, gebildet aus rumänischen Militärpflichtigen, die sich in den Ländern der Verbündeten aufhalten. Es soll dadurch die Möglichkeit, daß diese Rumänen sich ihrer Militärpflicht entziehen, vermieden werden. — England setzt auch alles daran, die Saloniki- Armee so stark wie möglich zu machen, um die Lage auf dem Balkan von Grund aus um zugestalten. Prm2 Z^eopolä von Bayern. Führer an derO st front. Durch die Ernennung des Generalfeldmar schalls von Hindenburg zum Chef des General stabes des Feldheeres ist eine weitere Neuordnung des Befehlsbereiches an der Ostfront notwendig geworden. Aus dem letzten Generalstabsbericht geht hervor, daß der Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern zum Führer der bisher von Generalfeldmarschall von Hindenburg ge leiteten Ostfront ernannt worden ist, wie Prinz Leopold von Bayern auch, ein vielbewährter Feldherr, die schwere Nachfolge Hindenburgs über nommen. Zum ersten Male hörten wir den Namen des Prinzen in diesem Kriege am 4. August 1915 erwähnen, also ungefähr ein Jahr nach Beginn des Weltkrieges. Es war die gewaltige Zeit, in die das Ringen der Niesenheere um den Besitz der mächtigen Festung Warschau fiel. Am 4. August 1915 berichtete unsere oberste Heeresleitung, daß die Russen vor Warschau aus der Bloniestellnng geworfen worden seien, und daß die Armee des Prinzen Leopold von Bayern sich im Angriff auf die Festung selbst befinde. Der Name dieses neuen Heerführers gewann sofort das allgemeine Vertrauen, hatte er doch im Heere auch während der Friedens zeiten einen ungewöhnlichen Klang. Die kommenden Ereignisse zeigten, daß auch das hohe Alter der Tatkraft und Geistesfrische des Prinzen nichts hatte anhaben können. Schon am 5. August wurde von der Annee des Prinzen Leopold von Bayern die äußere und innere Frontlinie durchbrochen und ge nommen. Die Stadt wurde daraufhin am Vormittag von unseren Truppen besetzt. Eine der gewaltigsten Festungen der Welt wurde in verhältnismäßig sehr kurzer Zeit vom Prinzen durch Waffengewalt gebrochen. Trotz heftigsten Widerstandes der Russen, der sich auch in einer Beschießung von Warschau zeigte, gelang es der Armee des Prinzen Leopold voi? Bayern am 8. August das östliche Ufer der Weichsel zu ge winnen. Bei der Breite des Flusses und dem Mangel an verbindenden Brücken, die von den Russen in die Luft gesprengt worden waren, war auch dies ein bedeutender Erfolg. Am 10. August war Prinz Leopold östlich pon Warschau schon bis an die Bahnlinie Stanis- lowow—Novo Minsk gelangt. Und nun ging der Siegeszug gen Osten unaufhaltsam weiter. Am 11. August wurde er der Führer einer besonderen Heeresgruppe, da die Größe des Unternehmens eine Teilung der Ostarmee in Heeresgruppen notwendig ge macht hatte. Am 12. August wurde Siedler genommen und der Vormarsch gegen den Bug fortgesetzt. Am 14. August wurden bei Losice die feindlichen Linien durchbrochen und mehrere tausend Gefangene gemacht, woraufhin in der Nacht vom 15. zum 16. August der Übergang über den Bug von dem linken Flügel der Heeresgruppe des Prinzen erzwungen wurde. Die Mitte, die den Durchbruch bei Losice ge macht hatte, warf am gleichen Tage den Feind aufs neue, der noch einmal Widerstand versucht hatte. Fast täglich konnten von nun an größere Erfolge des Prinzen berichtet werden, der viele tausend neuer Gefangener machte. Am 24. August näherte er sich bereits dem Bialo- wieska-Urwald, in den sich die Russen zurück ziehen mußten. „Der schwer geschlagene Feind flüchtete sich in den Bialowieska - Forst", so meldete unser Heeresbericht. Es begannen nun die Verfolgungskämpfe in diesem Wald, die siegreich und schnell verliefen, trotzdem ein unge- § wöhnliches Schlachtfeld große Anforderungen an Führung und Mannschaften stellten. Am Sedan tage war der Austritt aus dem Nordostrand des Urwaldes erkämpft. Es folgten nun sieg reiche Kämpfe im Sumpf- und Flußgebiet der Rozanka und anderer Flüsse. Nachdem Prinz Leopold nun die deutschen Fahnen bis tief in das Innere Rußlands ge tragen hatte, begann der Stellungskrieg, in dem sich die Heere des Prinzen noch befinden. Politische Aunäschau. Deutschland. * Der Reichskanzler hat die Führer der Karteien zu einer Besprechung der politischen Lage eingeladen. *Jn einem Erlaß des preußischen Ministers des Innern wird die Mithilfe der Spar kassen an der finanziellen Rüstung des Reiches rühmend hervorgehoben. Der Minister gibt dem Vertrauen Ausdruck, daß dem Ruf des Vaterlandes auch diesmal von allen Sparkaffen ohne jede Ausnahme einmütige und freudige Folge geleistet werde, wie bei den ersten vier Kriegsanleihen. Bei diesen sind durch Ver mittelung der Sparkassen allein in Preußen über 6500 Millionen Mark gezeichnet worden, darunter über 1860 Millionen Mark sür eigene Rechnung der Sparkassen. * Die Generalkommission der Freien Ge werkschaften hatte in Gemeinschaft mit dem sozialdemokratischen Parteivorstand eine Ein gabe an den Reichskanzler gerichtet, in der Wünsche und Vorschläge zur Volks- ernährung gebracht wurden. Der Kanzler hat jetzt eingehend darauf geantwortet. Danach wird weiter gearbeitet in dem Bestreben, die vorhandenen Nahrungsmittel gleichmäßig zu verteilen und die Preise einiger wichtiger Lebensmittel nach und nach herabzusetzen. Bei Brot und Kartoffeln könne an eine Herabsetzung der Preise zurzeit noch nicht gedacht werden. Die diesjährige Ernte gibt uns die Sicherheit, daß der Aus hungerungsplan Englands auch ferner erfolglos bleiben wird. Österreich-Ungar«. * Demnächst sollen für ganz Österreich drei fleischlose Tage angeordnet werden. An diesen Tagen sind Fleischspeisen mit Aus nahme einiger Wurstarten verboten. Schweiz. * Wie ans Bern gemeldet wird, haben die Verhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland, die jetzt beendet wurden, einen guten Verlauf genommen. In einer amtlichen Mitteilung darüber heißt es: Es steht zu hoffen, daß alle Schwierigkeiten der letzten Zeit eine die beiderseitigen Interessen be- sriedigende Lösung finden werden. Insbesondere Würde dann auch eine ausreichende Versorgung der Schweiz mit Kohle und Eisen eintreten. Vermehrte Lieferungen haben bereits eingesetzt. Balkanstaaten. * Die Vergewaltigung Griechen lands durch den Vierverband ist nun mehr vollendet. Im Piräus, dem Hafen von Athen sind 42 Kriegsschiffe eingelausen, damit „die innere Umwälzung in Griechenland die Operationen vor Saloniki nicht störend beein flussen könne". Griechenland wird also mit brutaler Gewalt zu der Rolle gezwungen, die Grey von vornherein sür das unglückliche Land bestimmt hatte. Der erkrankte König wird kaum länger Widerstand leisten können. Und wenn er es versuchte, so wäre es offenbar angesichts der brutalen Gewalt des Vierverbandes nutzlos. Griechenland ist durch England vernichtet. So beschützt Albion die kleinen Staaten. *Jn ganz Bulgarien ist ein Manifest König Ferdinands an die bulgarische Nation öffentlich angeschlagen worden, in dem der treulose Verrat Rumäniens vom Jahre 1913 noch einmal scharf gegeißelt und darauf hinge wiesen wird, daß auch jetzt wieder Rumänien durch einen Überfall die Einheit Bulgariens verhindern wolle. Das Heer wird aufgesordcrt, den Feind aus den Landesgreuzen zu verjagen und den treubrüchigen Nachbar zu vernichten. Ick will. Ss Roman von H. Courths-Mahler. (Fortsetzung.) Ehe sie den Salon verließ, flog noch ein flüchtiger Seitenblick zu Letzingen hinüber. Dieser plauderte in seiner kühlen, gelassenen Art mit Fräulein von Brachstetten. Sie flüsterte ihm einige hämische Bemerkungen über Renate zu, die er jedoch ignorierte. Ge wandt wechselte er das Thema. Tante Josephine kam eben mit der Gräfin Frankenstein und Ursula Ranzow aus dem Wintergarten, wo auch im Sommer kostbare Palmen nntergebracht waren. Diese hatten zum Teil neue Blätter angesetzt, und die Gräfin, die sich dafür interessierte, hatte sie betrachtet. Nun hörten die drei Damen von dem ge planten Ritt. Tante Josephine sah sich so fort etwas ängstlich nach ihrem Bruder unr. Aber er hatte gleichfalls das Zimmer verlassen, um sich für den Ritt fertig zu machen. Tante Josephine seufzte. Wenn sie anwesend ge wesen wäre, hätte sie den Ritt zu verhindern gesucht, denn sie fürchtete immer, ihrem Bruder oder Renate könnte dabei ein Unfall zustoßen. Aber Renate war wie toll auf die „dumme Reiterei". Konnte sie nicht ebensogut Tennis oder Krokett spielen, wenn sie sich Bewegung im Freien machen wollte? Freilich — stolz und vornehm sah Renate zu Pferde aus — da gab es keine, auch von den adligen Damen, die ihr gleichkam. Und in der Kühnheit nahm sie es mit den Herren auf. Aber ihr Bruder! Der ritt ungern, sie wußte es! Er ließ sich's nur vor Renate nicht merken, um ihr die Freude am Reiten nicht zu stören. Tante Josephine hörte nur mit halben Ohren auf die Unterhaltung. Die Gräfin und Ursula hatten sich zu den anderen Damen gesetzt. Dort nahm auch Tante Josephine Platz und quälte sich, mit Hilfe eines modernen Stil-Lorgnons, recht vornehm auszusehen. Sie spitzte den Mund und neigte zuweilen lächelnd den Kopf. Die Gräfin Frankenstein und Gräfin Brach stetten waren innerlich erbost über Renate, weil sie einfach die Herren sür sich in Anspruch nahm. Nun konnte man inzwischen sehen, wie man fich mit Tante Josephine und der kleinen stillen Ranzow langweilte. Sie äußerten jedoch nichts von ihrem Arger, sondern sagten Tante Josephine viel Schmeichelhaftes über ihre reizende, entzückende Nichte. Währenddem maß Gräfin Frankenstein mit prüfendem Blick die anwesenden Herren, die drüben am Fenster plaudernd zusammenstanden. Sie verglich sie mit ihren beiden Söhnen und rechnete alle Chancen für und wider aus. Rolf Ranzow hatte sich in letzter Zeit auf fallend von Renate zurückgezogen und fah etwas verstimmt aus. Sicher hatte ihm seine Schwester einen Wink gegeben, daß für ihn nichts zu hoffen war. Und der kleine Redwitz kam ernstlich nicht in Betracht. Renate war einen halben Kopf größer wie er — außerdem hatte er nur den einfachen Adel. Der Kommerzienrat wollte sicher mehr für eine Million. Da konnten ihre Söhne mit Grafentitel besser aufwarten. Außer dem waren sie rank und schlank gewachsen und sahen vornehm aus. Dolf stieß zwar ein wenig mit der Zunge an — lieblose Menschen nannten das Stottern — und Jürgen war kaum zwei Jahre älter wie Renate. Aber diese würde sich trotzdem nicht bedenken, Gräfin Frankenstein zu werden. — Und Brachstetten mit seiner wein roten Nase und der ziemlich deutlichen Glatze kam gar nicht in Frage. Der einzige, der ihr Sorgen hätte machen können, war Heinz Letzingen. Aber gottlob, der konnte Renate nicht ausstehen und sie ihn ebensowenig. Das konnte man oft genug be obachten. Nun — er brauchte sich auch nicht um eine reiche Frau zu bemühen. Sein Vater hatte ja den Kommerzienrat gut zu Ader ge lassen mit dem Stück Wald, das er ihm ver kaufte. Der hatte Glück gehabt und konnte lachen. Also konnte sie eigentlich ganz beruhigt sein. Ob Jürgen oder Dolf — einer von ihnen würde Renates Hand sicher erhalten. Aber es wurde Zeit, daß eine Entscheidung fiel, Frankenstein stand hart vor der Katastrophe. Lange war es nicht mehr zu halten. Es war gut, daß sie ihren Söhnen eingeschärft hatte, die nächste günstige Gelegenheit zu erfassen und mit ihrem Antrag herauszukommen. Jürgen sollte den Anfang machen. Während solche Gedanken die vornehm aussehende alte Dame beschäftigten und Tante Josephine ebenfalls nur halb bei der Unterhaltung war, plauderten die Herren sichtlich amüsiert, aber nur halblaut miteinander. Der kleine Redwitz machte sich lustig über die Reitkunst des Kommerzienrats. „Er wird wieder wie ein reifer Apfel im Sattel hängen, jeden Augenblick bereit, abzu fallen," sagte er spöttisch. „Tolle Idee von dem Alten, jedesmal mit« zuretten," warf Jürgen Frankenstein ein. „Er muß doch als Anstandswauwän fün gieren. Zum Vergnügen steigt er sicher nicht in den Sattel. Die Angst vor seinem lamu^ frommen Gaul treibt ihm den Hellen Schweifl auf die Stirn." „Still, Brachstetten — Tante Josephine steht herüber," warnte Nedwitz. „Pah — die ist mit ihrem Lorgnon be schäftigt. Sie hat's wieder mal mit der Vor nehmheit gekriegt, da hört und sieht sie nichts als sich selbst." „Laßt mir Tante Josephine ungeschoren. Sie sorgt immer für vortreffliche Menüs. Außerdem trägt fie wesentlich zu unserer Erheiterung bei. Ich führe sie heute zu Tisch — da amüsiere ich mich sicher," lachte Redwitz. „Er will sich bei ihr einschmeicheln, damit sie ihn bei ihrer Nichte herausstreicht," warf Dols Frankenstein ins Gespräch. Nur Letzingen enthielt sich, wie immer, jeder Äußerung. Er war ein zu vornehmer Charakter, um sich über Leute lustig zu machen, deren Gast freundschaft er genoß. L^ingen war cs heute besonders unan genehm, derartige Reden anzuhören. Renates anklagende Worte hafteten noch frisch in seinem Gedächtnis. Um nichts mehr zu hören, trat er zu Ursula Ranzow, die sich mit Dr. Bogenhart über Elek trizität unterhielt.
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