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Ottendorfer Zeitung : 12.04.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-04-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191604122
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19160412
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19160412
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-04
- Tag 1916-04-12
-
Monat
1916-04
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 12.04.1916
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Vas 6cko äer Xan^lerreäc. Wohl selten ist eine Rede des deutschen Reichskanzlers so Wenin umstritten gewesen, als die letzte große Rede über Deutschlands Kriegs- und Friedensziele. Mit ganz wenigen Aus nahmen steht die gesamte deutsche Presse ge schlossen hinter dem leitenden Staatsmann, dessen Worte somit für das neutrale und für das feindliche Ausland doppelte Be deutung gewinnen. Die Rede des Kanzlers, so schreibt der .Staatsanzeiger' (Stuttgart), atmet die ruhige Zuversicht, zu der uns sowohl unsere militärischen Erfolge als unsere glänzend bewährte und noch dazu vom Himmel gesegnete wirtschaftliche Kraft in vollem Matze berechtigen. Die Rede des Reichskanzlers atmet aber auch unerschütterliche Entschlossenheit, und darin ganz besonders wird das ganze Volk wie ein Mann binter ihm und hinter dem Kaiser stehen, diesen Kampf sortzuführen, bis unsere Feinde zur Ein sicht in die Vergeblichkeit ihrer Anschläge kommen, bis sie sich der Macht der durch den Krieg ge schaffenen Tatsachen beugen, bis sie uns wieder geben, was sie uns auf überseeischen Kriegs schauplätzen entreißen zu können glauben. Zum ersten Male hat der Reichskanzler auch gesprochen über die Sicherheiten, die das deutsche Volk an seinen Grenzen sowohl im Osten als im Westen gegen eine Wiederholung des frevel haften Versuchs seiner militärischen Über wältigung und wirtschaftlichen Erdrosselung ver langen muß. Der Reichskanzler hat darüber in Andeutungen gesprochen, die, in der Sache selbst bestimmt, in der Form alles Nähere noch der Zukunft überlassen, und es liegt wohl für niemanden im deutschen Volke Be dürfnis und Anlaß vor, über diese durch die Lage der Dinge von selbst gezogenen Grenzen jetzt schon hinauszugehen. Es genügt, daß wir aus dem Munde, durch den die ein heitliche Leitung der militärischen und politischen Angelegenheiten zu der Volksvertretung spricht, die bestimmte Versicherung der festen Ent schlossenheit haben, aus der Lage, in die uns mit diesem Kriege unsere Feinde gebracht haben, die unerläßlichen Folgeningen zu ziehen. Nicht aus Eroberungssucht und Ländergier, nicht um uns zu bereichern, dringen wir auf die Veränderung an unseren Grenzen, sondern um uns Ruhe und Sicherheit zu schaffen und einen dauernden Frieden, der seine wohltätigen Wir kungen von Deutschland aus auf ganz Europa nusstrahlen wird. Mit vollem Rechte durfte daher der Reichskanzler ein neues Ziel für die gesamte europäische Politik auf stellen: statt dem englischen „Gleichgewicht der Kräfte", das zu nichts anderm führt, als zu einem fortwährenden Ausspielen der Mächte gegeneinander, das Ideal eines fried lichen Europas der gemeinsamen Kulturarbeit. Welcher Abstand zwischen den von Unwahr heiten und von prahlerischen Redensarten strotzenden Äußerungen der Staatsmänner in Paris, London und Petersburg einerseits und den ebenso kraft- als maßvoll, von höchstem sittlichen Ernst getragenen Darlegungen des fahrenden deutschen Staatsmannes. Natürlich werden — je nach dem Partei standpunkt — hier und da in der deutschen Presse hinsichtlich der Kriegs- und Friedens ziele, die der Kanzler nur kurz umrandete, be sondere Wünsche laut. Im allgemeinen aber findet der leitende Staatsmann, — das muß noch mals hervorgehoben werden — einmütige Zu stimmung. Die österreichsschen Blätter würdigen die Ausführungen des Reichskanzlers als ein Zeugnis von mächtiger geschichtlicher Bedeutung, weil darin die Umrisse des zukünstigen Friedens und des neuen Europa gezeichnet und die Grundlinien für jene Neuordnung gezogen werden, welche von den Zentralmächlen im Verein mit ihren getreuen Verbündeten geschaffen werden wird. Ähnlich schreiben die führenden ungarischen Zeitungen. Die holländischen Blätter widmen der Kanzler rede eingehende Vesprechungen. Einige erklären, daß die Äußerungen über Belgien nicht deutlich genug seien. Im übrigen erkennen die wirklich neutralen Zeitungen Deutschlands Recht auf Vergeltungsmaßnahmen gegen Englands Aus f)exengolä. 1) Roman von H. CourthS-Mahler.*) Graf Rudolf von Ravenau schritt, in tiefes Sinnen verloren, in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Sein vornehmes, etwas bleiches Greisengesicht war wie im Schmerz getrübt. Auf der Stirn lag eine scharfe, eigentümlich ge- zeichneie Falte — die Trötzsalte der Rauenaus — ein charakteristisches Zeichen seines Ge schlechts. Endlich blieb er an einem der hohen Fenster stehen, dessen tiefe Nischen mit schweren Arokat- vorhängen dekoriert waren. Sein Blick schweifte über den geräumigen, mit mächtigen Stein platten gepflasterten Schloßhof, zwischen denen feines graugrünes Moos hervorquoll. In der Mitte des Hofes erhob sich auf an steigendem Rasenrondel ein älter Brunnen aus Sandstein. Vier groteske Drachenleiber wanden sich um das runde Becken. Die Köpfe dieser steinernen Ungeheuer strebten über den Becken rand der Mitte zu, als wollten sie gierig den Wasserstrahl aussaugen, der aus der Mitte des Wasserspiegels emporstieg. Graf Navenaus Blick haftete an diesem Brunnen, der unzertrennlich zur Geschichte des Haules gehört. Die Navenaus, ein altes, stolzes Geschlecht, gehörten zu U'n wenigen Adelsfamilien, die ihren Glanz und Reichtum bis in unsere Zeit zu wahren gewußt hatten. Durch Graf Rudolfs Heirat mit der Reichsfreiin Ulrike von Schönrode war auch das etwa eine Stunde entfernte Schloß KochinlS »KL verfolgt^ hungerungskrieg an, so lange sich diese auf er laubte Mittel beschränken und die berechtigten Interessen der Neutralen berücksichtigen. Das große Publikum, das mit Spannung der Rede des Kanzlers entgegensah, begrüßt dessen Worte als ersten Schritt zur Verständigung aller Kriegführenden und meint, daß der Zeitpunkt für den Vierverband jetzt gekommen sei, eben- jalls in Umrissen seine Forderungen aufzustellen. Deutscher Reichstag. (Orig.-Bericht.) Berlin, 8. April. Die Besprechung des Haushalts für das Reichskanzleramt und das Auswärtige Amt wurde am Donnerstag zu Ende geführt. Als erster Redner kam Abg. v. Payer (Vp.) zu Worte, der der Kundgebung des Kanzlers über den ein wenig gelüfteten Schleier der Kriegsziele erhebliche Bedeutung beimaß, die zugleich zeige, wie wenig berechtigt die Vor würfe der Kraftlosigkeit gegen die Reichsleitung waren. Die Erklärungen des Kanzlers ent sprachen im wesentlichen dem, wovon sich die Fort schrittliche Volkspartei überzeugt habe, daß eine andere Lösung nicht möglich sei. Gegenüber Holland müsse zum Ausdruck gebracht werden, daß wir uns nicht bloß stammverwandt fühlen, sondern auch empfinden, daß Holland auch für uns zu denken habe. Tiefen Respekt müsse man es seiner starken Kraft, mit der es sich seiner Bedränger erwehrt, empfinden. Gegen über den Ver. Staaten vertraue das deutsche Volk ungeachtet aller Verstimmungen dem Ge rechtigkeitssinne des amerikanischen. Was die inneren Frage« anlange, so müsse dafür gesorgt werden, datz unsere Krieger als volle Staatsbürger heim kehren; deshalb solle die Änderung des Reichs vereinsgesetzes bald kommen. Die politische Tragweite dieser Änderung solle die Regierung nicht verkennen. Abg. Dr. Stresemann (nat.-lib.) ge dachte des Jubiläums Hindenburgs; das ganze deutsche Volk erscheine als Gratulant. Was das deutsche Heer in zwanzig Kriegsmonaten geleistet habe, stelle sich würdig den großen Taten der alten Griechen und Römer zu Seite. Hoffentlich höre die Jugend in Zukunft mehr von Moltke und Hindenburg als von Caesar und Alexander. Gegenüber den Plänen unserer Gegner sei Deutschland gezwungen, alle Macht mittel in vollem Umfange anzuwenden und England in seinem Lebensnerv zu treffen. Unberechtigte Ansprüche Neutraler müssen zurück gewiesen werden. Zu hoffen sei, daß der ll-Bootkrieg im Sinne des Ausschußantrages geführt werde. Im deutschen Volke herrsche eine tiefe Entrüstung über die amerikanische Auffassung der Nentralität. Die internationale Völkergemeinschaft vor dem Kriege könne nicht wieder aufleben. Deutsch land könne aber die geistige Isolierung leichter ertragen als andere Völker, denn es habe der Welt mehr gegeben als empiangen. Ein un angreifbares Deutschland sei die stärkste Friedens bürgschaft. Bezüglich Belgiens müsse die poli tische, militärische und wirtschaftliche Vorherr schaft Deutschlands gesichert werden. Nicht nur ein erweitertes Deutschland sei zu erstreben, sondern auch ein freies. Die hingebungsvolle Opferfreudigkeit des Volkes sollte belohnt werden durch Freiheit nach außen und nach innen. Abg. v. Westarp (k.) hielt es für geboten, alle Arbeit und alle Gedanken auf ein Ziel zu vereinigen: Die Durchführung des Krieges und Erringung des Sieges. Deshalb müsse alles, was die Einigkeit und den geschlossenen Kampfes willen stören könne, zurücktreten, abgesehen da von, daß z. B. die Gestaltung des Wahlrechts Sache der Einzelstaaten sei. Wie das gesamte Volk, so leide auch die Landwirtschaft außer ordentlich. Es sei ungerecht zu sagen, daß sie nur ihren pekuniären Vorteil suche' dadurch werde ihre Arbeitsfreudigkeit nicht erhöht. Zu den Verbrauchern müsse man das Vertrauen haben, daß sie lieber alle Schwierigkeiten ertragen, als einen Frieden haben wollen, der den Opfern nicht entspreche. Da der Vernichtungs wille der Feinde fortbestehe, müssen wir die Zähne zusammenbeißen und den Kampf fort setzen. Die Notwendigkeit, den Aushungerungs krieg der Engländer mit allen Mitteln zu been digen, werde durch kein noch so berechtigtes In teresse eines Neutralen überragt. Äei den Friedenszielen werde sich schließlich doch eine größere Einmütigkeit herausstellen als gegen wärtig. Belgien dürfe nie wieder ein Bollwerk, ein Vasallenstaat unser Feinde werden, was aber nicht durch Verträge erreicht werden könne, sondern nur dadurch, daß wir es fest in unserer Hand behalten. Dank gebühre Hindenburg, Dank unserem Volke in Waffen. Bei allem Tun und Lassen müsse das eine maßgebend sein: alles, was hier geschehe, sei ein Gruß des Volkes an seine Truppen, der beweise, daß das deutsche Volk in einmütiger Entschlossenheit hinter ihnen stehe. Abg. Dr. Werner- Gießen (Dt. Fr.) ver langte Schutz der Landwirtschaft und des Mittel standes gegen unberechtigte Angriffe und Schutz der Neichsgrenzen gegen die jüdische Ein wanderung von Osten. Abg. Haase (soz. Arbeitsg.) sprach wie üblich gegen jede Annexion und wünschte die Befragung der Volksstämme, wie Belgier und Polen über ihre fernere Zugehörigkeit. Der jetzige Krieg sei entstanden aus der Niederlage Frankreichs 1871, deshalb dürfe der jetzige Krieg keine Annexion zur Folge haben, denn daraus entstehe nur ein neuer Krieg. Die deutsche Re gierung müsse ein Friedensangebot machen; das deutsche Volk dürfe nicht andere Völker durch einen dauernden Krieg zum Weißbluten bringen. Staatssekretär v. Iagow führte aus, daß die Erklärung vom 4. August 1914, daß Bel giens Neutralität verletzt sei, vom Kanzler ab gegeben wurde, ohne daß bekannt war, daß damals die Neutralität nicht mehr bestand. Wenn nun der Ahg. Haase dieselbe Bemerkung mache, so wolle er (Redner) nur auf eine Äuße rung eines französischen Mattes über Haases letzte Rede Hinweisen: „Die letzte Rede Haases komme einem Siege gleich. Ein Abgeordneter in Frankreich, der so etwas sagte, würde von einem Kollegen gesteinigt werden." Abg. Scheidemann (Soz.) meinte, daß aus den Worten des Kanzlers jeder etwas anderes herauslesen könne. Aber das müsse ein Kindskopf sein, der glaube, daß dieser ge waltige Krieg nicht imstande sein solle, auch nur einen Grenzstein zu verrücken, den irgend ein vermoderter Diplomat vor langer Zeit gesetzt habe. In der Frage des Unterseebootkrieges stimmten sein Freunde dem Ausschusantrag zu. Gegenüber dem Aushungerungkkriege gegen unsere Frauen und Kinder müsse jedes Mittel angewendet werden. Das Volk müsse größere Freiheiten erhalten; die Zusage der Regierung, das Vereinsgesetz zu ändern, müsse schleunigst erfüllt werden. Die Sozialisten Frankreichs treten nach wie vor für den Krieg ein, kein Wort vom Frieden komme herüber. Kein Deutscher habe Haß gegen Frankreich, aber dem französischen Standpunkt: „Erst Belgien und Frankreich von deutschen Truppen befreien" könnte man entgegensetzen: erst die deutschen Kolonien heraus! Auf diese Art dauerte der Krieg Jahrhunderte lang. Die Rede des Kanzlers klang anders wie die Reden Briands und Sasonows; wir müssen ihm dafür danken. Aber der Kanzler sei im De zember mit seinem Friedenswillen viel weiter gegangen, als die feindlichen Staatsmänner. Abg. Scheidemann schloß, daß die Hoffnung der Gegner auf der Uneinigkeit Deutschlands beruhe. Seine Freunde werden ihre Pflicht er füllen als Deutsche und als Sozialisten. Darauf wurde ein Schlußantrag angenommen, wogegen die Abg. Ledebour und Lieb knecht protestierten. Der Haushalt'wurde an genommen, ebenso der Ausschußantrag, während der Antrag der sozialdemokratischen Arbeits gemeinschaft abgelehnt wurde. Bei den Petitionen zur V-Boolfrage legte Abg. Ledebour (soz. ArbeitSgem.) seinen und seiner Freunde Standpunkt dar. Abg. David (Soz.) trat ihm entgegen. Dor Eintritt in die Tagesordnung erklärt Ministerialdirektor Dr. Lewald, daß die Zweifel des Abg. Scheidemann betr. die Ein lösung der Zusage der Negierung betreffend Einbeziehung der Gewerkschaften in den Begriff der politischen Vereine ungerechtfertigt seien, die Zusage dex Negierung werde eingelöst werden. Eine Novelle zum Reichsvereiusgesetz werde dem Reichstag noch in dieser Tagung zugehen. Es folgt die Erledigung kleiner Anfrage»,. wobei Unterstaatssekretär Frhr. v. Stein er-' klärt: Von den 45 000 Tonnen Getreide, dis vertraglich der Kornspirituszentrale überwiesen waren, waren im März rund 12 500 Tonnen gebrannt. Der Vertrag wurde dahin geändert, daß statt der 45 000 Tonnen nur 20 000 Tonnen zu Brennzwecken zur Verfügung gestellt werden dürfen, alles übrige ist der Volks ernährung zuzuführen. Dann beginnt die zweite Lesung des Militäretats. Berichterstatter Abg. Rogalla v. Bieber- stein teilt mit: Beanstandungen an den Etats sätzen seien von der Kommission nicht vorge nommen worden. Hinsichtlich der Munitions- Vorräte wurde in der Kommission festgestellt, daß wir mit der Munition und auch mit sonstigen Rohstoffen ausreichen, wie lange auch der Krieg dauern möge. Abg. Davidsohn (Soz.): Leider häufen sich in letzter Zeit die Klagen über die Feld briefzensur. Die Soldaten fürchten, ohne Zensur mit Reichslagsabgeordneten überhaupt nicht mehr verkehren zu können. Wir fordern, daß den Arbeitern in den Reichsbetrieben, soweit es nicht schon geschehen ist, eine Erhöhung ihrer Bezüge gewährt werde. Das Beschwerderecht muß reformiert werden, das jetzige System ist veraltet. Auch die Frage des Urlaubs ist anders zu behandeln. Abg.Co h n - Nordhausen(Soz.Arbeitsg.) befür wortet eine Reihe von Anträgen, die sich auf Reform des Beschwerdewesens, Änderung im Urlaubswesen und bei der Beköstigung sowie Änderung des Militärgerichtsverfahrens beziehen. Erfreulich ist es, daß sich die Mobilisation alko holfrei vollzogen hat. Im Laufe seiner weiteren Ausführungen wird der Redner zur Ordnung ge rufen, weil er von barbarischer Kriegführung spricht. Präsident Dr. Kaempf erhält nun die Er mächtigung dem Generalfeldmarschall v. Hinden burg anläßlich seines 50jährigen Dienstjubiläums die Glückwünsche des Reichtages auszusprechen. Stellvertreter Kriegsminister v. Wandel: Es wird vielfach vergessen, daß wir uns im Kriege befinden, Millionen von Menschen im Felde stehen und die Vorgesetzten, die Verpfle gungsbedingungen, das Wetter und alles andere einem ständigen Wechsel unterliegen. Daraus ergibt sich, daß naturgemäß die schärfsten Ver fügungen nicht immer zur Durchführung ge bracht werden können. Aus dem Bestehen von Mängeln kann man nicht folgern, daß bei uns alles faul ist; auf Einzelheiten brauche ich nicht einzugehen. Die Verpflegung der Soldaten stößt unter den gegenwärtigen Verhältnissen vielfach auf Schwierigkeiten, sie ist aber immer noch ausreichend. Elsaß-Lothringen ist Opera tionsgebiet, es muß daher dafür gesorgt werden, daß nicht überflüssiger Zuzug von Personen dorthin erfolgt. Darauf wird ein Antrag auf Schluß der Debatte angenommen. Der Etat wird bewilligt und die Resolutionen der Kommissionen ange nommen. Angenommen wird weiter eine Reso lution der Sozialdemokraten auf Gewährung von Teuerungszulagen für Arbeiter in den Neichsbetrieben und eine Resolution der Soz. Arbeitsg. auf Entlassung dauernd kranker und dienstunlauglicher Mannschaften. Nach kurzer Debatte wird dann der Etat des Reichsmilitärgerichts bewilligt. Auch zum Etat des Neichsmarineamts wurde nur wenig gesprochen. Er wurde erledigt, nachdem dem Abgeordneten Dr. Liebknecht (wild), der er neut die 17-Bootfrage aufzurollen versuchte, das Wort entzogen war. Darauf vertagte sich das Haus. auch das der Frau war, die Schuld trug am Tode seines Sohnes, die ihm Schmach und Schande gebracht und seine Lebenskraft gebrochen hatte. Hans-Georg hatte gegen den Willen seines Vaters eine Schauspielerin geheiratet, die Tochter eines verarmten polnischen Edelmannes, die er in Paris kennen gelernt. Er war der koketten Sirene mit den schwarzen Augen und dem rotgoldenen Haar ins Netz gegangen. Sein Vater hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diese Heirat zu verhindern, aber es war nutzlos. Und so mußte Graf Ravenau, wenn er sich nicht für immer mit seinem Sohne entzweien sollte, dessen im Auslande geschlossenen Ehe sanktionieren. Zwei Jahre ungetrübten Glückes verlebte Hans-Georg mit seiner schönen Gattin. Sie wohnten im Schloß Schönrode, und dort wurde nach einem Jahre Jutta geboren. Daß das Kind kein Knabe war, verstimmte den alten Graf Ravenau sehr. Er blieb über haupt gegen Gwendoline fremd und zurückhal tend. Nachdem diese zwei Jahre in Schönrode die Schloßherrin gespielt, wurde ihr das stille Leben langweilig. Sie bestimmte ihren Gatten, den Winter mit ihr in Nizza zuzubringen. Dort traf sie mit einem entfernten Ver wandten, Henry de Clavingy, zusammen, der die Zuneigung der schönen Gwendoline aus beutete. 'Sie verpfändete heimlich die Familien diamanten, um Clavingy eine große Summe einhändigen zu können. Hans-Georg wurde zum ersten Male miß trauisch gegen feine Frau, als er sah, wie sie Clavingy bevorzugte, und eines Abends glaubts Schönrode mit großem Grundbesitz an die Navenaus gekommen. Sie nannten sich seitdem Gmfen von Ravenau-Schönrode. Nun lebte nur noch ein einziger Ravenau, der Greis, der mit düsterer Miene am Fenster seines Arbeitszimmers stand. Wie lange noch — dann schlossen sich auch seine müden Augen für immer. Er wandte sich jetzt vom Fenster ab und ließ sich vor seinem Schreibtisch nieder. Mit bebenden Händen ergriff er einen Brief, der geöffnet vor ihm lag, und überflog noch einmal die energische Damenhandschrift. „Ich möchte Euer Hochwohlgeboren zu bedenken geben, daß Komtesse Jutta in den nächsten Tagen ihr 19. Jahr vollendet. Ihre Erziehung ist in allen Teilen harmonisch abge schlossen, so daß Euer Hochwohlgeboren zufrieden sein werden; Komtesse Jutta wurde eine Zierde unseres Institutes. So gern wir die junge Dame noch behielten, halten wir es doch für unsere Pflicht, daraus aufmerksam zu machen, daß alle Altersgenossinnen der Komtesse unser Institut bereits verlassen haben, um in die Welt eingeführt zu werden. Komtesse Jutta quält sich scheinbar mit der Frage, weshalb sie nicht heimgerufen wird. Deshalb bitten wir ganz ergebenst, diesen Ge danken in gütige Erwägung zu ziehen und uns mit Instruktionen zu versehen. Uns Euer Hochwohlgeboren ergebenst emp fehlend, zeichnen wir hochachtungsvoll Geschwister Leportier." Graf Ravenau legte den Bries seufzend beiseite. „19 Jahre alt," sagte er, wie in tiefes Sinnen verloren. Hatten die Jahre Flügel gehabt, diese für ihn so einsamen, schweren Jahre, in denen er erst mit Gott und Menschen hadern und dann allmählich in dumpfen Schmerz dahin lebte ? Komtesse Jutta! — Seine Enkelin, das ein zige Kind seines zu früh gestorbenen Sohnes. Komtesse Jutta I Warum hatte er sie aus seiner Nähe verbannt, warum sich nicht durch ihren Anblick über sein herbes Leid trösten lassen? Er blickte zu dem lebensgroßen Porträt seines Sohnes empor. Es zeigte die edlen Züge seines Vaters, die hohe Stirn mit der charakteristischen Trotzfalte. Aber dis Augen sahen lebensfroh, in sonniger Heiterkeit auf den einsamen Mann Hemieder. „Hans-Georg — dein Kind — dein Kind!" Fest haften die Augen des Greises an dem jungen, frohen Gesicht. All das war nun schon längst in Staub zerfallen. Nichts war dem Greis von ihm geblieben, der sein Stolz, sein Glück, seine Hoffnung war, nichts — als sein Kind, die Enkelin. Und dieses Kind, dieses heilige Vermächtnis, hatte er fremden Leuten übergeben, die es erziehen sollten. Nach dem Tode ihres Vaters war das damals 6 jährige Mädchen von Ravenau einem erst klassigen Genfer Pensionat übergeben worden. Nicht ein einziges Mal in all den Jahren hatte die Komtesse bei dem Großvater geweilt. Warum aber mußte Jutta in der Verban nung, fern vom Großvater aufwachsen. — Weil sie nicht nur das Kind seines Sohnes, sondern
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