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Ottendorfer Zeitung
- Erscheinungsdatum
- 1916-08-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191608274
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19160827
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19160827
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-08
- Tag 1916-08-27
-
Monat
1916-08
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung
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Rußland, England und Persien. Es war nachgerade ein öffentliches Geheim nis, das; England sorgenerfüllt auf die russische Offensive in Persien sah, und die Diplomatie am Newa- und Themsestrand hatte alle Hände voll zu tun, um die Verstimmung gewisser Kreise nicht offensichtlich werden zu lassen. Nicht um sonst haben die Regierungen Englands und Ruhlands es zweimal in wenigen Tagen für nötig befunden, durch das russische amtliche LclegraPhenbureau eine Nachricht in die Welt zu senden, die den Zweck hatte, die aufgeregten Ge müter in London zu beruhigen. Die öffentliche Meinung in England war nervös, als das russische Vorgehen in Persien in rascher Folge über Teheran hinaus an die persisch-türkische Grenze führte. Als dann eine Meldung kain, daß be reits Fühlung zwischen dem englischen und russischen Heere bestehe, ließ die Eingeweihten nur die fast aussichtslose Lage der Engländer bei Kut el Amara schweigen. Die dann ein- tretende ungünstige Wendung der Lage machte die an der Themse trotz der Kapitulation der Armee bei Ktesiphon gewissermaßen aufatmen. Dem Vorrücken der Russen wurde in der Folge wgar energisch von den Türken Halt geboten; namentlich an den Pässen von Ehanikin, wo sie der Bagdadbahn uahezukommen drohten. Die sich entwickelnde türkische Gegenoffensive hat be reits weit ins Innere Persiens geführt. Trotzdem war man in London noch nicht ganz beruhigt und die englische Negierung kam deshalb auf den alten Gedanken einer Teilung des Landes zurück. Wenigstens meldete die Petersburger Telcgraphenagentur, daß zwischen Persien, Rußland und England am 6. August ein Einvernehmen erzielt worden sei, das die freundschaftlichen Beziehungen der beteiligten Ne gierungen endgültig beseitige, verschiedene Streit fragen der finanziellen mid militärischen Orga nisation Persiens seien für alle Teile dauernd gelöst. Es werde für die Zukunft in militärischer Hinsicht in Nordpersien mit Hilfe russischer In struktoren eine persische Brigade geschaffen nnd in Südpersien mit Hilfe englischer Instruktoren eine gleiche aufgestellt werden. Noch einmal hat England so dem drohenden Nusseneinbruch am Indischen Ozean Halt geboten; denn sicherlich ist dieser neue Vertrag sür England bedeutend günstiger als jene Verständigung vom Jahre 1907. nach der die englische Regierung nur deu Osten Persiens für sich hatte retten können. Damals behielt Rußland den ganzen Norden nnd halte am Süden des Landes mit England gemeinsamen Anteil. Es liegt aber im Interesse der englischen Politik, sowohl den Osten als auch den Süden Persiens nicht in den Besitz seines Nebenbuhlers fallen zu lassen; vor allem nicht den Süden, ans den Rußlands indisches Programm, das heißt die Erwerbung eines Hafens im Indischen Ozean, hinweist. Über raschend ist es, daß das neue Abkommen zwischen England nnd Rußland in mancher Beziehung Gedanken wieder ausnimmt, die bereits in dem deutsch-russischen Abkommen vom 19. August 1911 zum Ausdruck gekommen waren. Freilich handelt es sich damals nm handelspolitische Abmachungen. Deutschland hatte sich damals verpflichtet, nörd lich der Linie Kasri-Schirin—Jspahan—Jesd— Khakh—Gashik keine Verkehrskonzessionen nach- zusnchen, wofür Rußland versprach, die Linie Teheran—Ehanikin zu bauen nnd so den An schluß der persischen Bahnen an die Bagdad strecke vorzubereiten, dafür gab man den bis herigen Widerstand gegen die Endstrecke des deutschen Eisenbahnnnternehmens endgültig auf. Seit jenem deutsch-russischen Abkommen war es Englands heißestes Bestreben, seine Fest setzungen hinfällig zu machen, und man kann sich leicht denken, wie wenig erbant man an der Themse von dem russischen Vorrücken war. Durch deu neuen Vertrag glaubt England das Tor nach Indien hinreichend gesichert zu haben. Für Rußland aber ist der Vertrag bezeichnend. Man gewinnt znr neuesten russischen Politik erst die richtige Stellung, wenn man sich vor Augen hält, daß dem Abschluß des Abkommens über Persien der Vertrag mit Japan vorangegangen ist. Rußland verzichtet damit ans einen großen Teil seiner alten asiatischen Pläne und richtet die ganze Wucht seiner Politik nach — Westen. Konstantinopel, der Balkan, die Ostsee und Schweden verdrängen als Ziele die seit zwei hundert Jahren in folgerichtigem Ausbau der asiatischen Stellung Rußlands erstrebten großen Pläne im Osten. Ganz freiwillig ist diese Änderung der politischen Richtung Rußlands gewiß nicht. Rußland räumt das Feld vor England. Es bezahlt mit gewaltigen Tributen aus seiner Wcltstellung die Finanzdienste der englischen Geldmacht. So bezahlt jetzt schon Rußland seine Niederlage im Weltkriege, die selbst ein Erfolg auf den europäischen Schlacht- seldern nicht mehr aufzuwiegen vermag. Eng land aber hat aufs neue bewiesen, daß es die Verlegenheit, in die es seine Bundesgenossen mit dem Weltkrieg stieß, klug zu benutzen ver steht. Es bleibt nun abzuwarten, wie sich ein sreies Persien zu dem neuen englisch-russischen Abkommen stellt. v. d-„VeurIcklanä" keimgekekrt. Nun ist allen feindlichen Anschlägen zum Trotz ^-„Deutschland" wieder auf der Weser vor Anker gegangen. Die amerikanische Re gierung hat sich dem Schiffe gegenüber, wie jetzt bestätigt wird, durchaus korrekt verhalten. Dem entsprechend hat die amerikanische Motte streng darauf gesehen, daß der Hoheitsbereich der Ver. Staaten nicht verletzt, die Dreimeilengrenze von unseren Feinden, den Engländern wie den Franzosen, streng respektiert wurde. Diese Vor sichtsmaßnahmen wurden besonders verschärft, nachdem englische Kreuzer nachts heimlich in die Bucht eingedrungen waren. Bei der Ausfahrt der „Deutschland" be fanden sich nicht weniger als acht englische Kriegsschiffe ans der Lauer; ihre Scheinwerfer i blitzten schon die Nächte vorher ununterbrochen auf, und man konnte deutlich erkennen, wie eine Menge kleiner Fahrzeuge, anscheinend vom Typ amerikanischer Fischdampfer, als Patrouillen boote dazwischen umherfuhren. Trotz dieses ge waltigen Apparates gelang die Ausfahrt. Damit war die einzig mögliche Schwierigkeit überwunden. Die Ozeanfahrt selbst mußte sicher gelingen, auch wenn sich das Welter noch so ungünstig zeigen sollte. In der Tat war dies zunächst der Fall. Schwere Stürme herrschten, und fast jede Welle schlug über das ansgetauchte Schiff hinweg. Später war die See weniger bewegt; auch wurden keine Eisberge passiert. An der englischen Küste wurde starker Nebel angetroffen. In der Nordsee ließ das Wetter wieder zu wünschen übrig; der See gang war schwer, wenn die Wellen auch nicht so hoch gingen wie zu Beginn der Fahrt. Alle diese Umstände haben die Seetüchtigkeit der „Deutschland" auf eine fast systematische Probe gestellt, die sie glänzend bestanden hat. Das Schiff hat sich als Seeschiff in jeder Weise be währt. Das gleiche gilt von den Maschinen; sie haben tadellos gearbeitet, ohne jede Störung. Es ist im Grunde selbstverständlich, aber es klingt doch überraschend, daß nur 100 See meilen Unterwasserfahrt gemacht wurden, während die gesamte Entfernung bekanntlich 4200 See meilen beträgt. Da so fast beständig die volle Kraft der Dieselmotoren ausgenutzt .werden konnte, war es möglich, die Fahrt in der verhältnismäßig kurzen Zeit zurückzulegen. Mit stürmischem Jubel, wie er selbst in diesen an großen deutschen Siegesfeiern so reichen Jahren in Deutschland selten ertönte, begrüßt unser Vaterland das glücklich von seiner Fahrt über den Ozean zurückgekehrte Unterseehandels boot, das seinen Namen trägt. Millionen von deutschen Herzen haben der Rückkehr dieses kleinen Schiffes mit so fieberhafter Spannung entgegen- gebaugt wie der Wiederkehr eines über alle Maßen teueren Menschen aus großen Gefahren, weil uns dies Schiff ein Symbol ist, ein Symbol für die Unerschütterlichkeit einer Überzeugung, ohne die wir in diesem Kriege längst hätten ver zweifeln müssen, für die Überzeugung nämlich, daß alle Mächte der Welt, wenn sie sich auch zu gemeinsamen Anstürmen auf allen unseren Grenzen verbinden und alle Schätze der Erde in ihren Dienst stellen, wenn sie auch gemein ¬ sam und gleichzeitig die Schranken immer höher aufeinander türmen, die unS von der ganzen Welt absperren, dem deutschen Völk nie und nimmer ihren Willen aufzwingen werden. ^-„Deutschland" ist im sichern Hafen und Heller Jubel empfängt sie. Ihrem Führer, ihrer wackeren Besatzung, ihren genialen Erbauern und ihren weitausschauenden Reedern, vor.allem dem Präsidenten der Ozean-Reederei, Herrn Lohmann, diesem wahrhaft königlichen Kauf mann, der den Bau der „Deutschland" angeregt und ihn mit allen Mitteln gefördert hat, ist der Dank des Vaterlandes sür alle Zeiten sicher. Möge das Gelingen der ersten Fahrten der „Deutschland" ein glückliches Vorzeichen sein zu den weiteren Fahrten, zu denen sie und ihre Schwesterschiffe sich rüsten. verschiedene Rrlegsnachrichten. Frankreichs Verluste. In einem spanischen Blatte macht ein fran zösischer Journalist interessante Angaben über die französischen Verluste, die amtlichem Material entstammen. Die französische Negierung hat ihre Verluste mit ängstlicher Sörfalt ver borgen. Indessen sind sie bei Berücksichtigung aller Umstände und aller Verhältnisse viel größer als dre d eutschen Verluste, obwohl die deutsche Armee auf mehreren Fronten zn gleicher Zeit kämpfen muß. So bricht denn die seit langer Zeit in Frankreich dem Publikum gegenüber verbreitete Theorie in sich zusammen, daß die Deutschen ihre Mannschaften unnütz zum Opfer bringen, währenddem das französische Oberkommando es verstehe, sehr sparsam mit den seiuigen umzugehen. Die Verluste der französischen Armee sind die folgenden: Gefallene Offiziere 19 620 Verwundete Offiziere 39 240 Gefallene Soldaten ...... 1063000 Verwundete Soldaten 2126 000 Verluste vor Verdun an Toten und Verwundeten 200 000 Verluste während der Offensive an der Somnre Tote und Verwundete 100 000 Gefangene in Deutschland .... 350 000 Anderwärts Gefangene. . . . . 20000 Gcsamtvcrluste der franz. Armee S 917 860 * Die Italiener in Saloniki. Die Italiener haben nach langem Sträuben doch noch eine Anzahl Truppen nach Saloniki entsandt, um ihre Stellung im Orient zu wahren und zugleich um die Ansprüche der Serben auf die Adria zurückzuweisen. Nach dem ,Secolo' ist das italienische Korps, wie die übrigen Truppen der Verbündeten in Saloniki, die Russen, Serben, Franzosen und Engländer, dem Oberkommando des Generals Sarrail unterstellt. Der unmittelbare Zweck der Aktion sei die Niederwerfung der Bulgaren und die Unterbrechung der Verbindung Deutsch lands mit der Türkei. * Seuchen im Heere Sarrails k Wie die,Köln. Ztg.' meldet, bestätigt das ,Echo de Paris' die bereits aus zuverlässiger Quelle bekannt gewordenen Meldungen, daß das Heer des Generals Sarrail schwer unter der Verbreitung von Malaria, Dysenterie und Typhus zu leiden habe, deren Be kämpfung der höchst mangelhafte Sanitätsdienst des Heeres nicht gewachsen ist. Wenn man weiß, wie vorsichtig die französische Presse Ver fahren muß, wenn sie derlei Dinge berührt, um nicht der Zensur zu verfallen, so sagen diese französischen Meldungen bei aller Zurückhaltung mehr als genug. Wie vorher Gallipoli, so sind heute die Niederungen des Wardar das Grab von Tausenden, die den durch die Moskitoplage verbreiteten Seuchen sowie dem Mangel an ärztlicher Hilfe erliegen. * Tas Geheimnis um Hindenburg. Die militärischen Fachkritiker der italienischen Presse beschäftigen sich andauernd mit den kom menden Ereignissen auf der deutschen Ostfront und versuchen, in langen Artikeln den un durchdringlichen Schleier zu lüsten, der über den Absichten der deutschen Heeres leitung liegt. Ein Artikel des römischen Ver treters des ,Eorricre della Sera' befaßt sich ausführlich mit den „geheimen Plänen" des Generalfeldmarschalls V.Hindenburg. Die Zeitung ist freundlich genug, Herrn v. Hindenburg vor der Wiederholung seiner Taktik zu warnen, die ihm zugestandenermaßen vor einem Jahre allerdings einige Erfolge brachte. Die jetzige Kriegslage hat sich, wie das Blatt erklärt, jedoch vollkommen verändert, und Hindenburg steht jetzt anderen Tatsachen gegenüber. Der Schlüssel der Situation liege jetzt bei Rumä n i e n (? ?), und dieses Land wird sich diesmal nicht mehr durch die blendende Vorspiegelung Hinden- burgischer Geniepläne verführen lassen. * Ein schwarzes Arbeitcrbataillon für die Entente. Nach der südafrikanischen .Volksstcm' soll ein Bataillon von Kapnegern abreisen, das auf Ersuchen der englischen Regierung in Kapstadt, Moffelbai und Port Elizabeth an geworben ist. Sie sind sür Hafen arbeiten in den Ländern des Vierverbandes bestimmt, um die englischen usw. Hafenarbeiter für den Militärdienst freizumachen. Das Bataillon vom Kapgolf steht unter militärischer Disziplin und unter dem Befehl von weißen Offizieren und Unteroffizieren. Politische Kunäschau. Deutschland. *Wie amtlich mitgeteilt wird, soll die N e i ch s f le i s ch k a rt e am 2. Oktober ein- gesührt werden. Die Karte soll im ganzen Reichsgebiet Geltung haben, wenn sie auch von den einzelnen Bundesstaaten oder den Ge meinden aüsgegeben wird. Wahrscheinlich wird in einer Übergangszeit bis zur vollständigen Regelung die auf den Kopf entfallende Menge noch" nicht ganz gleich sein, später soll dann überall die Höchstmenge 250 Gramm für die Woche betragen. Kinder unter sechs Jahren er halten nur 125 Gramm. *Von den deutschen P o st a n sta lt e n im Gebiet des Brüsseler Generalgou vernements und im Etappengebiet hat die Reichsdruckerei ein neues Verzeichnis nach dem Stande vom 1. August hergestellt. Die Liste zeigt die Ausbreitung, die die deutsche Post in dein Lande genommen hat. Es werden über 1900 Postanstalten aufgeführt, etwa 1500 im Bereich des Generalgouvernements, über 400 im Etappengebiet. Die größeren Städte haben alle eine erhebliche Anzahl von Postämtern, so Antwerpen und Lüttich je 10, Brüssel 9, Mecheln 4, Löwen 3 usw. Selbst kleine Orte, Ivie Jumet haben 4, Lp Louviere 3 Postämter. Englauv. * Auf eine Anfrage im Unterhause erklärte Ministerpräsident Asquith, die deutsche Regierung habe bisher keine G e n e igt- heit zu einem Frieden bekundet außer unter Bedingungen, die sür einige der Ver bündeten unerträglich oder eine Demütigung sein würden, es sei vollständig unrichtig, daß der Vierverband durch irgendwelchen Druck von England beeinflußt worden sei. — Die deutsche Regierung hat mehrfach erklärt, daß sie zn Friedensbesprechungen bereit ist unter der selbst verständlichen Voraussetzung, daß die Grundlage dazu die Lage auf den Kriegsschauplätzen bildet. Das bedeutet natürlich, wie von deutscher Seite ost genug hervorgehoben ist, nicht, daß Deutsch land alle jetzt besetzten Gebiete Leim Friedens schluß behalten will. Die leitenden Männer des Vierverbandes begehen eine bewußte Un wahrheit, indem sie das behaupten, um dann scheinheilig erklären zu können, daß ein solcher Friede, der Deutschland die unbedingte Vor herrschaft in Europa sichern würde, für sie nicht annehmbar sei. *Jm Oberhause kam es zu einer lebhaften Debatte über die Änderung des Wahl rechts. Lord Crewe, der sür die Negierung sprach, sagte dabei, das Land sei nicht reif sür einen gewaltigen Umsturz, wie das Wahlrecht für sämtliche Erwachsene es darstellt. Dabei würden die Frauen natürlicherweise in der Mehr heit sein. Sine L,üge. 28j Roman von Ludwig Rohmann. (Fortsetzung.) „Aber zum Donnerwetter,' rief er, „Sie sind ja verrückt! Lassen Sie mich hinein, oder ich verschaffe mir gewaltsam Eingang. Die Kinder dürfen doch durch Ihre Tollheit nicht in Gefahr kommen!" „Meine Kinder gehen Sie nichts an und ich lasse Sie nicht herein — so lange ich lebe, dürfen Sie mir nicht mehr ins Haus." Das Geschrei hatte uun auch die Nachbarn ousmerksam gemacht; sie kamen heraus, um zu scheu, was es gebe. Horst wandte sich nun an die Leute. „Linseler hat mich zu den Kindern gerufen. Allem Anschein nach handelt's sich um Diphtheritis, aber Frau Linseler will mich nicht zu den Kindern hineinlassen." Er sah in der Runde umher. „Das ist doch Wahnsinn, das ist fast Mord!" Aber die Leute unterstützten ihn nicht. Die einen wandten sich achselzuckend ab, die andern machten unklare Bemerkungen; nur ein junger Bursche meinte kurz, da sei nichts zu machen. Tie Rose sei die Mutter und wenn die keinen Doktor wolle — Er wandte sich ab und unterdrückte den Rest. Horst erfaßte die Situation und so wandte er sich wieder aü Rose und Linseler direkt. ^Nun zum letzten Male: Lassen Sie mich hinein! Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie kein Recht haben, mir den Eintritt zu ver wehren. Krankheiten dieser Art bekämpft der Staat und Sie setzen sich unter Umständen schwerer Strafe aus, wenn Sie dem Arzt die Türe weisen und die armen Kinder zu Tode quacksalbern." Ein fanatisches Leuchten klomm in den Augen der jungen Frau auf. „Das ist einerlei," stieß sie rauh hervor; „wenn die Kinder sterben, geh ich mit ihnen." Und dann setzte sie still und ein wenig ver innerlicht hinzu: „Aber vielleicht sterben sie nicht — der gute Gott kann noch nicht wollen, daß sie sterben!" Nun verlor Horst die Geduld. Er trat ent schlossen auf Rose zu und suchte sie von der Tür wegzudrängen. Rose aber klammerte sich kreischend fest und sofort kamen ihr die Leute zu Hilfe. Männer und Weiber griffen Horst von hinten an, sie griffen zu, wo sie ihn zu fassen vermochten und zogen ihn mit solcher Heftigkeit zurück, daß er taumelte und daß der Hut ihm vom Kopf fiel. Der junge Bursche, der vorher schon als einziger gesprochen halte, hielt ihm eine kurze Standrede. „Nein, Doktor," sagte er im breitesten Dialekt, „so geht das , nicht. Mit Gewalt lassen wir hier keinen kurieren und da kommen Sie nicht hinein. Die anderen Kinder sind gestorben, weil Sie dabei gewesen sind — vielleicht kommen die Linselers Kinder davon, weil Sie nicht da bei sind. — So, nun gebt dem Herrn Doktor seinen Hut und dann Gott befohlen, Herr Doktor — gehen Sie schlafen." Die Leute lachten und einer reichte Horst den Lut. Horst wußte das Entsetzen über die fürchter liche Erkenntnis dieser Stunde nicht gleich ab- zuschütteln. Er empfand leinen Zorn, sondern nur ein verzweifeltes Mitleid mit den Ver blendeten, die nicht einsehen wollten,, wie fürchterlich die abergläubische Furcht sich an ihnen rächen mußte. Aber dabei schüttelte er doch instinktiv die Hände ab, die auf seiner Schulter lagen und er reckte sich hoch auf. „Wag's noch einer, mich anzurühren!" rief er mit mächtiger Stimme. „Ich schlage jeden nieder, der mir nahe kommt!" Der Bursche sagte gelassen: „Ach nein, Herr Doktor, wie fürchten uns nicht. Ich gehe jetzt mit der Rose ins Haus und wer will, mag mitkommen. Dann wird die Türe zugemacht und keiner, dem's die Rose nicht erlaubt, kommt hinein. Verstanden, Herr Doktor?" Er trat in die Tür, während Rose willig in den Flur zurückging; ein paar Männer drängten nach und dann flog die Tür zu. Die anderen, die draußen geblieben waren, verliefen sich und Horst stand fassungslos, mit geballten Fäusten. Dann stürzte er wie gehetzt davon ins Lehrerhaus und dort brach er im Arme des Lehrers fast zusammen. Manders war tief erschrocken. „Aber mein Gott — was ist Ihnen denn geschehen — Horst, lieber Freund — so fassen Sie sich doch." Es währte einige Zeit, bevor Horst berichten konnte. Und da flammte Manders auf. „Wollen Sie mit mir kommen, Horst? Ich will doch sehen, ob man auch mir den Eintritt verweigern wird." Frau Manders intervenierte jedoch energisch. „Nein, Mann!/ Geh allein vielleicht kannst du nützen. Md' setz' ihnen den Kopf ziw recht, 'daß ihnen Hören' und Sehest vergeht. Den Doktor aber laß mir hier — der muß sich vor allem beruhigen und erholen." Manders ging und Horst und Frau Manders blieben allein. Sie wollte ihm einen Imbiß be sorgen, aber als sie wieder hereinkam, lag Horst schlafend auf dem Sofa. Sie betrachtete ihn voll Teilnahme, dann nahm sie die Lamps und ging leise hinaus: mochte er schlafen! Am Morgen kam der alte Linseler ins Lehrer haus. Er wollte melden, daß die beiden Kinder gestorben seien. Horst hatte bis in den Hellen Tag hinein ge schlafen. Als Manders wieder nach Hanse ge kommen war, hatte er dem Schlafenden vor sichtig die Stiefel abgezogen und ihn dann warm zugedeckt. Horst hatte davon nichts bemerkt. — Als er am Morgen den Tod der Kinder er fuhr, sprach er kein Wort. Die Szene vom Abend vorher wirkte gewaltig in ihm nach und er verzweifelte daran, daß er hier wirklich ein Helfer werden könne, nachdem der passive Wider stand zu offenem Widerstand geworden war. Die Leute mußten erst zu einer gesunden Lebens weise erzogen, es mußte Licht in die vom Aber glauben verdunkelten Köpfe gebracht werden und dazu brauchte es mehr als nur die Arbeit eines Lebens. Er war kaum dazu berufen; ihm ver baute das Mißtrauen der Leute den Weg und sein bestes Können, sein redlichstes Wollen wurden brach gelegt. — —
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