Suche löschen...
Ottendorfer Zeitung : 17.03.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-03-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191603176
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19160317
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19160317
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-03
- Tag 1916-03-17
-
Monat
1916-03
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 17.03.1916
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
franröfilcke Stimmungen. In Frankreich ist man noch immer bestrebt, Vas Volk über die bedrohliche Lage hinwegzu- täuschen, in die es der blinde Revanchegeist des regierenden Advokatenklüngels hineingestoßen hat. Und sonderbar, trotz der bedrängten mili tärischen und wirtschaftlichen Lage gelingt es immer wieder, die in den Köpfen der Masse aufdämmernde Erkenntnis einzulullen. Man füttert die' Menge mit Eitelkeitsbonbons, Paris ist immer noch das „Licht der Welt", Frankreich wird von der ganzen Welt verehrt und an gebetet, kurz, es darf und kann nicht unter liegen, da mit ihm alles Schöne und Gute auf der Welt unterliegen würde. So klingt es immer wieder aus denselben Zeitungsspalten, in denen sich vielleicht acht Stunden vorher die tiefste Niedergeschlagenheit breit gemacht hat. Es ist ein ewiges hin und her. Einmal steht man bereits die Ulanen lanzen auf den Boulevards, und dann schwelgt man wieder in Wonnen bei Betrachtung der verrückten Phantasien von den angeblichen deutschen Verlusten vor Verdun, wo schon das Halali über das feldgraue Ungetüm geblasen wird. Frankreich ist heute eine englische Provinz, oberes wird nach kosakischem Recht verwaltet. Eben so E es uns unmöglich ist, der Wahrheit Eingang nach Frankreich durch die von den Elyseediktatoren ausgerichteten Mauern zu erzwingen — wir müssen diese Aufgabe schon unseren Kanonen überlassen —, ebenso ist es auch fast unmöglich, sich ein klares Bild von den Zuständen in Paris oder gar in den Departements zu machen. Die französischen Zeitungen lügen, und sie werden um so mehr gezwungen zu lügen, als die Zensurstellen ganz genau wissen, daß die Boulevardblätter in Deutschland gelesen werden, während die angstschlotternden Herren Frankreichs die deutsche und möglichst auch die wirklich neutrale Presse fernzuhalten suchen. Die englischen Blätter, die sonst etwas ehrlicher sind, sagen uns über fran zösische Dinge absichtlich nur Unwahres. So können wir heute nicht wissen, ob und wieweit Poincarss oder Briands Stellung erschüttert ist; was im Parlament vor sich geht; wie die Stimmung in den maßgebenden Heereskreisen ist; wie weit die verschiedenen anti republikanischen Gruppen bei ihrer Wühl- abeit schon vorgedrungen sind; was wir von der Kriegsmüdigkeit oder Kriegsbegeisterung in französischen Landen zu halten haben; wie sich die Beziehungen zu England und zu Rußland gestalten usw. Nur aus Anzeichen können wir allerlei entnehmen und, wenn die Elysee-Regie- rung uns die innere Wahrheit ebenso wie ihren Untertanen die äußere Wahrheit verheimlichen will und muß, so läßt das allerdings tief genug blicken. Noch unklarer ist der Zustand der Beziehun gen zwischen Militär- und Zivilgewalt. Gallieni soll seine Abdankung angekündigt oder bereits vollzogen haben. Was bedeutet das in diesem Augenblick? Man wird sich erinnern, daß GenM Gallieni schon einmal vor ein paar Wochen in der Kammer die Ministerbank und den Saal verlassen wollte und daß Poincarä und das Ministerium die äußersten Mittel an- wandtcn, um ihn zum Bleiben zu veranlassen. Der' sogenannte „Sieger von der Marne" gilt nun einmal, ob mit Recht oder Unrecht, als der stärkste und aussichtsreichste Vertreter der hohen Offizierspartei, von der niemand so recht sagen kann, was sie eigentlich im Schilde führt — was um so ungemütlicher für die Republik ist, als ins Generalhauptquartier heute die wahre Macht im Staat verlegt ist. Ein Bruch zwischen Poincarismus und Generals partei müßte also um jeden Preis so lange als möglich vermieden werden. Sind nun unter dem Eindruck von Verdun die Dinge so weit gekommen, daß jener Bruch heute nicht mehr vermieden werden kann? Geht Gallieni (wenn er geht) freiwillig oder hat er im Sturz von Douaumont sein eigenes Prestige verloren, so daß man ihm das Gehen nahegelegt hat, da man ihn nun nicht recht zu fürchten braucht? Gallieni galt bisher den Franzosen als der Diann mit der eisernen Faust, dessen Tatkraft alles schaffen könne, was er wolle. Jetzt wirst man auch diesen Eisenmann zum alten Eisen. Wir können den Vorgängen, die da geschehen oder noch kommen werden, mit derselben ge lassenen Ruhe zuschauen, wie den wechselnden Stimmungen unserer Feinde im Westen. Ob Poincarö, ob Clemenceau, ob Gallieni oder Joffre, ob Pötain oder Humbert, der Name tut nichts zur Sache. Es handelt sich um das System, und da wird kein neues Mittel ver fangen, aus dem immer morscher werdenden Staatskörper neue Riesenkräfte hervorzuzaubern. Stimmungen und Meinungen werden ihn nur weiter schwächen und erschöpfen. Verschiedene Uriegsnachrichten. (Von der mil. Zensurbehörde zugelassene Nachrichten.) Beschießung von St. Diö. Der Lyoner „Nouvelliste" erfährt, daß Saint Diö seit dem 26. Februar durch deutsche Ar tillerie beschossen wird. 256 Geschosse sielen in die Stadt. Eine Anzahl Personen wurden ver wundet, fünf erlagen ihren Verletzungen. Mehrere Gebäude wurden niedergelegt. Der Schaden ist sehr beträchtlich. Infolge der Beschießung verließ ein Teil der Bevölkerung die Stadt. Der ,Petit Parisses meldet aus Rouen, daß zwei mit Munition für die englischen Truppen beladene Eisenbahnwagen explodierten, wodurch mehrere Bahnarbeiter verwundet wurden. O Die Eroberung Mittelatvanieus. Seit der Einnahme von Turazzo haben die österreichisch-ungarischen Truppen in unwegsamen Gelände 70 Kilometer hinter sich gebracht und sind, nachdem sie die Italiener bis über den Vojusafluß zurückgeworfen haben, nun kurz vor Valona angelangt. Zwischen Durazzo und Va- lona laufen drei größere Flüsse von Osten her der Adria zu: der Schkumbi, der Semem und der Vojusa. Sie überqueren den Weg, den die k. u. k. Truppen südwärts nach Valona zu nehmen haben. Der Vojusa ist die letzte dieser Flußjchranken. Vom Vojusafluß nach Valona ist nur noch eine Strecke von einigen Kilo metern. Auch in Valona also reift die Ent scheidung heran. * Italiens „große Offensive". * Wie die Kriegskorrespondenten des ,Corriere della Sera' und der ,Stampa' ankündigen, stehe eine große italienische Offensive bevor, vor der die Österreicher, wie die Korrespondenten sagen, gewisse Angst empfinden dürften. Italien könne trotz der Jahreszeit in seiner Offensive keine Pause eintreten lassen, da es sich nm eine gewaltige Hilfeleistung für das heroische franzö sische Heer bei Verdun handle. * Portugal als Englands Sklave. Der portugiesische Gesandte in Rom sagte einem Mitarbeiter des Mornale d'Jtalia', eng lische Mechaniker seien bereits am Werke, die sämtlichen beschlagnahmten deutschen Dampfer wieder seetüchtig zu machen. Hilfstruppen brauche Portugal der Entente keine zu schicken, dagegen liefere eS Frankreich bereits viele Ge- Geschütze , Gewehre und Munition. Ferner könne Portugal auch den Engländern bei der Überwachung der Meerenge von Gibraltar helfen. Vorerst freilich müsse Portugal die eigenen Häfen gegen etwaige deutsche Hand streiche schützen. * H-Boots-Erfolg bei Saloniki. Nach Athener Meldungen gelang es trotz der außerordentlichen Sicherung Salonikis zur See, die der Vierverband getroffen, einem deutschen Tauchboot, ein großes Lastschiff bei Katherina zu torpedieren. Das Schiff strandete, wobei das mitgeführte Vieh und wahrscheinlich auch ein Teil der eingeschifften Truppen umkam. Arachtennot in Genua. Die Frachtsätze von Newcastle und anderen Häfen des Tyne nach Genua und den italieni schen Häsen stiegen Mitte der Woche auf 95 Schilling per Tonne, und ein Preis von 100 Schilling wird demnächst erwartet. -k- Keine Amerikaner im Kriegsgebiet? Wie die ,Wiener Allgemeine Zeitung' meldet, verbietet die amerikanische Negierung dieAusstellung von Pässen an Amerikaner in das Gebiet krieg führender Staaten mit der Begründung, das solche Reisen nur bei Angaben und Nachweis persönlicher Gründe zugelassen werden können. — Augen scheinlich handelt es sich bei dieser Stellung nahme der amerikanischen Regierung um keine Neuerung, da bereits seit einigen Monaten amerikanische Pässe nach kriegführenden Ländern nur' ausnahmsweise ausgestellt werden. Oie Keickstagstagung. Die am 15. beginnende Tagung des Reichs tages darf, vom innerpolitischen Standpunkte aus betrachtet, als die wichtigste angesehen werden, die wir seit Kriegsbeginn gehabt haben. Es handelt sich diesmal nicht darum, Stellung zu allgemeinen Kriegsverordnungen oder der gleichen zu nehmen, auch nicht um eine ge schlossene Kundgebung nach außen hin. Dies mal stehen andere Dinge auf der Tagesordnung, die tief einschneidend in unser innerpolitisches Leben sowohl wie in unser Wirtschaftsleben überhaupt sind. Die Verhandlungen über den Neichsetat werden politische Fragen aufwerfen, und man wird sie diesmal wohl etwas eingehender zu be handeln suchen als man sonst in Kriegszeiten getan hat. Natürlich werden die Ernährungs debatten einen breiten Naum einnehmen; denn in der Kartoffel- und Bntterangelegenheit gibt es manches, zu dem auch im Plenum ein Wort gesagt werden muß. Etwa bis zum 15. April wird man sich also mit dem Reichshaushalt be schäftigen, um dann zu dem Hauptpunkte der neuen Tagung, den neuen Steuervorlagen, über zugehen. Leicknet ctte vierte Kriegs anleihe! Herr Helfferich, dem bisher die schwere Arbeit zugefallen ist, den deutschen Haushaltsplan im Gleichgewicht zu erhalten und seine großen finanztechnischen Kenntnisse zur Herbeischaffung der notwendigen Mittel zur Kriegführung zu nutzen, tritt nun vor den Reichstag, um, nach dem Etat, eine Summe von 480 Millionen Mark durch neue Steuern zu decken. Eine schwierige Aufgabe ohne Frage. Unser Reichsschatz- sekcetär ist Fachmann und Politiker genug, um zu Wissen, daß diese seine Forderung nicht überall auf begeisterte Zustimmung rechnen konnte. Mit einem Widerspruch, ja sogar mit einem scharfen Widerspruch wird er gerechnet haben. Steuer pläne, auch die besten und gerechtesten, haben ja die Eigenheit, daß sie immer noch auf irgend welche verletzte Interessen stoßen. Je nachdem diese mehr oder minder groß sind, ist der Wider stand dementsprechend stärker oder geringer. Vollen Beifall hat noch nie ein Steuerplan gefunden. Das Prinzip der neuen Vorlage, Zinsen nicht durch neue Schulden zu decken, ist ent schieden gesund, und wenn nur irgend eine Möglichkeit besteht, nach ihm zu verfahren, läßt es sich auch in Kriegszeiten anwenden. Die Schwierigkeiten für den Reichsschatzsekretär wie für die politischen Parteien liegen in der Wahl der Steuern. Auch hier mutz man dem Prak tiker Helfferich volles Vertrauen entgegenbringen. Er wird wissen, wie unbeliebt Lerkehrssteuern sind; er wird weiter wissen, wie schwer sie in der Tat unser Wirtschaftsleben treffen, und Wird sich endlich auch klar darüber sein, ob unser durch den Krieg mit seinen hohen Anforderungen so stark belastetes Erwerbsleben neue Verkehrssteuern überhaupt vertragen kann. Herr Helfferich ist sicher nicht der Diann, der im dunkeln tappt oder seine Forderungen vom grünen Tisch aus stellt. Er wird seine Entschlüsse wohl nach eingehenden Erkundigungen und reiflichsten persönlichen Über legungen getroffen haben. Wenn er also, alles dies vorausgesetzt, dennoch keinen anderen Aus weg gefunden hat, so wird der Reichstag ja Gründe dafür kennen lernen. Auf der anderes Seite steht die Öffentlichkeit mit ihren Wünschen. Daß sie ein Recht hat gehört zu werden, bedarf der Darlegung nicht. Politische Kunäschau. Deutschland. *Die Kriegstrauung des Prinzen Joachim von Preußen mit der Prin zessin Marie Auguste von Anhalt hat im Schlosse Bellevue bei Berlin in Gegenwart der Kaiserin und des Herzogs und der Herzogin von Anhalt sowie der nächsten Angehörigen des Hohen Brautpaares stattgefunden. Der Kaiser war durch die Anwesenheit im Felde an der Teil nahme verhindert. * Dem preußischen Abgeordnetenhause ist ein Gesetzentwurf zugegangen, der weitere Mittel bereitstellt für die durch Gesetz von 1905 an geordneten Wasserstraßenbauten. Die Staatsregierung wird unter Abänderung des § 1 des Gesetzes vom 1. April 1905 ermächtigt: 1. für Herstellung eines Schiffahrtskanals vom Rhein zur Weser und Nebenanlagen ausschließ lich der Kanalisierung der Lippe van Wesel bis Datteln und von Hamm bis Lippstadt statt 206150 000 Mark die Summe von 239 590 000 Mark; 2. für Verbesserung der Wasserstraße zwischen Oder und Weichsel sowie der Warthe von der Mündung der Netze bis Posen statt 21175 000 Mark die Summe von 23 935 000 Mark, im ganzen statt 227 325 000 Mark die Summe von 263 525 000 Mark, also zusammen 36 200 000 Mark mehr, zu verwenden. England. *Eine Eiklärung Asquiths, daß Eng land bei der Pariser Wirtschafts konferenz keine bestimmten Vorschläge machen werde, bringt der Londoner Presse eine arge Enttäuschung. Man hatte sich bereits an den vielen Worten begeistert und merkt, daß die Durchführung bereits in der Theorie uüüber- windliche Schwierigkeiten bereitet. .Morning Post' äußert unter der Überschrift: „Nach uns die Sintflut" ihre Unzufriedenheit über As quiths Erklärung: „Dies ist," sagt das Blatt, „ein vorsätzliches, im eigenen Parteiinteresse vor genommenes Ausweichen von der glänzendsten Gelegenheit, die ein britischer Staatsmann je hatte". Dagegen schreibt der Oxforder Pro fessor Vernon Bartlet in »Daily News', daß das Aufgeben des Freihandels die Aussicht auf einen neuen zukünftigen Krieg zwischen Eng land und Deutschland in gewaltiger Weise ver größern würde. * Wie der ,Corr!eiB della Sera' aus Rom meldet, wird das sogenannte internatio nale kleine Parlament demnächst in London zusammentreten. Es werden sich diesmal auch 25 italienische Senatoren und Deputierte an demselben beteiligen. Zum Vor sitzenden der Gruppe wurde Luigi Lnzzatti er nannt. Italien. *Die parlamentarische Lage ist verworrener denn je. Die Jnterveniisten haben ihre oppositionelle Haltung gegenüber dem Ministerium noch verschärft. Es scheint nun, daß dieses der Forderung, einige seiner Mit glieder auszuschiffen, um einigen Jnterveniisten Platz zu machen, Gehör schenken will. Ob aber, wenn Bissolati und seine Gefolgsmänner im Ministerium Salandra vertreten sein werden, dieses nicht erst recht den Todeskeim in sich trägt, ist mehr als fraglich. Jedenfalls spitzt sich die Entscheidung darüber zu, ob Salandra sich bereitfinden lassen wird, Deutschland den Meg zu erklären, um sich die Stimmen der Inter ventionisten zu erhalten. Amerika. * Villas Anhänger lassen das Rauben nicht. 200 von ihnen üherfiel eine Farm in Osborn Jun etion in Arizona, tötete einen Amerikaner und stahl das Vieh. Sechs Eskadrons Kavallerie sollen bereits die Ver folgung Villas ausgenommen haben. Auf eigner SckoUe. 21j , Roman von Guido Kreutzer. , (Fortsetzung.» Tas war es eben I Was kam dann? Nach der Pistolenkugel, wenn er mit ihr den Albrecht Grona auch wirklich auf den Rasen legte? — Dann kam das Nichts, der große Sprung ins Dunkle. Und zu all dem noch dieses verflixte Ding in der Brust, das sich nicht zur Ruhe bringen lassen wollte, das immer wieder aufbegehrte und störrisch verlangte, gehört zu werden. Mberne Sentimentalität, nichts weiter! — Aber erst mußte man doch mal über sie hinweg Kin, ehe man mit klaren Augen wieder vorwärts sehen und sich den einzig richtigen Weg suchen tonnte. Ging's heute nicht — vielleicht ging's morgen I.... Und so hatte er sich vom Kommandeur drei Tage Urlaub geben lassen, „zur Regelung seiner Gutshypotheken", und war nach Berlin gefahren. Wo hätte er sonst auch hin sollen? Im Grunde genommen war es ja total gleichgültig, wo man diese drei Tage tot schlug, um dann ebenso verworren und ebenso unentschlossen nach Herzogswalde zurückzukchren. Aber die Neichshaxptstadt besaß doch nun schon einmal, altem Herkommen gemäß, ein festgefügtes Renommee . . . Hans Scharrehn war erst vor einer guten stunde angekommen, mit dem Nachtzug, der wz nach zehn in Berlin eintrifft, und im Hotel B Potsdamer Platz abgestiegen. Auch 'S, « all« Fimmel aus seiner Neun karriere — diese allerersten Hotels! Dann hatte er sich Zivil angezogen und war die Potsdamer Straße heruntergebummelt bis zur Brücke. Dann ein paar warme Happen mit einer halben Flasche Wein. Noch nachträglich schämte er sich über seine Geschmacklosigkeit: Sekt zu einem ein spännigen Souper abends um halb elf. Aber das waren eben diese kleinen Garnisonen: in denen verbauerte man, ehe man sich's recht versah, und die Kellner hielten einen dann für einen Ladenschwung oder einen vom Hausvoigteiplatz I Jetzt aber wurde die Geschichte äußerst flau. Inzwischen war es nämlich so langsam Geister stunde geworden, wovon man allerdings hier in Berlin wenig merkte. Theater und Konzerte längst geschlossen, auch der Frühschoppen im „Prinzen Wilhelm" wegen Mangels an Betei ligung schlafen gegangen. Und bei Siechen an den großen runden Ecktischen traf man alle möglichen Leute, nur nicht Uniformen. Blieb also noch zweierlei; entweder die Kabaretts . .. aber den Zauber konnte man wahrhaftig schon zur Genüge und erwischte außerdem mit tödlicher Sicherheit dasselbe Nepcrtoir und dieselben „Stars", wie vor zwei Jahren . . . oder man konnte auch den Spruch beherzigen: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei!" Diese Aussicht war noch weniger verlockend. Denn mit solcher geistvollen Lady stundenlang umher ziehen und „Kavalier" spielen der Ulan schüttelte sich unwillkürlich. Also gut, seien ir solide und genehmigen wir als ein einziges Vergnügen im Cafe Bauer noch einen Schlummerpunsch! — dekretierte er und wollte aerade über den Fahrdauun. als sich plötzlich eine Hand unter seinen Arm schob und jemand neben ihm flüsterte: „Gehen Sie ruhig weiter und erregen Sie kein Aufsehe:.!" — Freches Frauenzimmer! — dachte er, drehte den Kopf herum und sah in die Augen der Erlaucht. „Ausgerechnet!" sagte er überrascht und blieb stehen. „Wer hat Sie denn bis hierher ge ritten ?" Luhn-Alwas zog ihn weiter. „Mein guter Geist, Verehrtester, und das Zigeunerblut, das meine allzu seßhaften Vorfahren alles für mich aufgespart haben. Ich bin schon seit mindestens zehn Minuten hinter Ihnen her; dachte immer, Sie würden hier irgendwo 'rum ein kleines Techtelmechtel anfangen und hatte mir schon genau zurechtgelegt, wie ich Sie gerade im interessantesten Moment dabei stören wollte. Aber Sie sind ja geradezu beleidigend tugendhaft." ' Arm in Arm schlenderten sie die Friedrich straße hinunter, ließen sich von der Menge, die die ganze Breite des Bürgersteigs füllte, willig vorwärtsschieben und empfanden wohlig, wie die millionenstimmige' brausende Sinfonie der Welt stadt mit ihren: nie ruhenden Leben.und ihrer jagenden Hast ihnen die Sinne auspeitschte. In ein weiches Meer flutenden taghellen Lichts ge- tauch', reckte sich die Straße vor ihnen. Autos fegten über den feuchtglitschigen Asphalt; Motor omnibusse suchten sich fauchend und schüttelnd ihren Weg; Hupen eleganter Privatwagen warnten dröhnend: Trappeln von Pferdehufen; irgendwoher die abgerissenen Klänge einer Cafe- kapelle: die weißen Glühlichttransparente lohte» durch die Nacht; aus einer vorüberfahrenden offenen Droschke jauchzten ein Pear Helle Frauen stimmen übermütig . . . Und die Erlaucht sagte nachdenklich: „Sehen Sie, Scharrehn, das alles muß ich von Zeit zu Zeit für ein paar flüchtige Stunden um mich haben. Mitschwimmen in diesem großen Meer von systematischer Nervenzerrüttung und sinnlosem Augenblicksgenutz. Andern ist's ein Vergnügen, mir ist's ein befreiendes Aufatmen. Als ob ich auf einer Düne stehe und mir der Sturm um die Schläfen fegt. Nachher, dann geht's schon wieder ein paar Wochen in Herzogswalde. Aber wenn die Sehn sucht nach diesem Berlin über mich kommt, dann muß ich weg. Schlimmstenfalls bei Nacht und Nebel. Und ginge es um Existenz und Karriere." Ein fleckiges Not war auf seinen Wangen. Ordentlich jung sah er aus. „Sie sind natürlich wieder ohne Urlaub hier?" „Natürlich!" — Luhn-AlwaS nickte vergnügt. „Aber ich Hobe erst morgen nachmittag wieder Dienst. Und wenn ich früh den 6-Uhr-Zug vom Stettiner Bahnhof nehme, schaffe ich's glänzend." „Und was treiben Sw sonst hier?" „AlleS und nichts! — Vorhin war ich im Melropol, dann hab' ich mit ein paar Theaterleuten zusammen im „Treppchen soupiert, hab' auch noch bei Niche und im Kasino meinen Leuten guten Abend gesagt und war jetzt eigentlich ge rade dabei, in meinem Asyl unterzuschlüpfen, als Sie mir über den Weg liefen. Sehen Sie, Scharrehn, so verbringe ich meine Berliner Nächte. DaS mag alles ei» wenig geistlos und
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)