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Ottendorfer Zeitung : 01.01.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-01-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191601012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19160101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19160101
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-01
- Tag 1916-01-01
-
Monat
1916-01
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 01.01.1916
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Kabinettskrise in England? Nach der großen Unterhaussitzung, m der der Unlerstaaissekrctär Tennant die Mitteilung machte, daß an den Dardanellen etwa 200 000 Mann der englischen Armee und ihrer Hilfs- voller vcrlorcngegan^n sind, nach jener be deutsamen Sitzung, in der daS HauS mit leb- hajtsm Beifall die Mitteilung entgegennahm, das? die unter ungeheuren Verlusten errungene Stellung an der Suwlabai bei Nacht und Nebel nor den anrückenden Türken geräumt worden war, verstärkten sich zugleich im Lande die Ge rüchte, das; im englischen Kabinett bemerkens werte Vereinbarungen bevorstünden. Eingeweihte sprechen sogar van dem Rücktritt des Minister präsidenten Asquith und fügen hinzu, daß in diesim Falle auch Sir Edward Grey nicht auf seinem Posten bleiben werde. Da der Kriegs- Minister Kitchener in Kürze nach Ägypten geht, dürfte der jetzige „stille" Mitarbeiter imKriegs- mit, Lord Haldane, bald Gelegenheit finden, ein früheres Amt wieder zu überehmen. Damit wären aber die Umwandlungen im Kabinett nicht beendet. In ernst zu nehmenden, einflußreichen Kreisen Londons wünscht man, daß Lord Fisher wieder in sein früheres Amt als Erster Seelord eintrete. Die Verantwortung der Negierung wird täglich größer, aber ebenso breitet sich immer mehr die Ansicht aus, daß die bisherige Negierung dem Lande in diesem Kriege stets neue Enttäuschungen gebracht hat. Die Schwierigkeiten des Kabinetts werden — worauf die der Regierung nahestehende ,Daily News, hinweist — erhöht durch die augenschein lich unbefriedigenden Ergebnisse des Werbe- seldzugs Lord Derbys. Unbefriedigend ist daS Ergebnis vor allem deshalb, weil sich auf fallenderweise weit mehr verheiratete Männer als Junggesellen zum Dienst gemeldet haben — eins Erscheinung, die übrigens kein sehr günstiges Licht auf das Eheglück des Durchschnitts- EngländerS wirst. Alle die Millionenziffern, die in letzter Zeit als Ergebnis der Werbung Lord Derbys angegeben wurden, haben sich wieder als „Bluffs entpuppt. Warum die eng lische Regierung so offensichtlich lügt, ist klar. Noch immer glauben die leitenden Männer Englands an irgendeinen Zufall, der ihnen SiegrSaussichten bescheert und meinen, sie hätten alles gewonnen, wenn sie Zeit gewinnen und ihre Bundesgenoffen zum Ausharren ermutigen. Allerdings, im Ministerium weiß man nur zu gut, daß die Stunde immer näher rückt, wo England gezwungen sein wird aus mancherlei Gründen nicht nur die finanzielle, sondern auch die militärische Last dieses Krieges von den Schultern der Verbündeten zu nehmen: man ist inne geworden, daß es um Englands Macht stellung in der Welt, nicht mehr um seinen Einfluß auf dem Festland geht. Darum hat auch Ministerpäsident Asquith gedroht, daß der Dienstzwang eingeführt werden würde, falls sich nicht eine bedeutende Anzahl Junggesellen freiwillig meldete. Dazu schreibt der parlamen tarische Mitarbeiter der .Daily Newsst „Kann sich das Kabinett nicht Gewißheit über die An zahl der Junggesellen verschaffen, die für die Dienstpflicht in Betracht kommen, ohne daß es seine Zuflucht zu Zwangsmaßregeln nimmt?" Das ist di« schlimmste Schwierigkeit dieses auS bis zum Kriege feindlichen Elementen zusammen gesetzten Kabinetts. Die Minister sind sich un einig über die Frage der Zwangseinführung der Dienstpflicht. Die ,Daily News' meint, es sei noch ungewiß, ob daraus eine Kabinettskrise hervorgehen werde, eine solche werde jedoch jedenfalls bis nach Neujahr verschoben werden. Vis zum 4. Januar, wo das Parlament wieder zusammentritt, hat das Kabinett noch eine Gnadenfrist. Wird eS diese Frist zu nützen ver stehen, kann es sie überhaupt zu irgendeinem entscheidenden Schritte nutzen. Asquith und Grey sind in die Vorbereitung, den Verlauf, und die immer schwieriger werdende Organi sation dieses Krieges so verstrickt, daß ihr Rück tritt eins Katastrophe für sie selbst, wie für dis innerpolitische Lage des Landes bedeuten würde. Schon heute aber läßt sich mit Gewißheit sagen, daß England vor der schwersten inneren Krise fest Cornweels Tagen steht, wenn nicht ein Sieg ohne gleichen den gigantischen Kampf beschließt. Heute wektz England, daß di« An nahme der leitenden Minister, England könne nicht mehr riskieren, wenn es den Ereignissen fernbleibt, als wenn es eingreift (wenn nicht eine heuchlerische Markierung geheimer Ziele), der schlimme Irrtum war, der das Ansehen des Weltreiches an der Suvlabai auf das schwerste erschüttert hat. England hat seit Ausbruch des Weltkrieges nur diplomatische und militärische Mißerfolge gehabt. Möglich wäre es immerhin, daß das Volk die großen Versager an der Spitze loS sein will und daß die leitenden Männer — unfähig einen neuen operativen Plan zu ersinnen, der jenen Erfolg verheißt — die verfahrene Karre gern anderen Leuten zur Weiterbeförderung überlassen wollen. verschiedene Uriegsnachrichten. (Von der mil. Zensurbebörde zugelaffens Nachrichten) Di- schreckliche Maschine. Der englische Munitionsminister Lloyd Ge orge hielt in Glasgow vor 3000 Vertretern von Gewerkschaften und Werkmeistern eine Rede, in der er auf die unbedingte Notwendigkeit derVer - Wendung ungelernter Arbeiter neben gelernten hinwies. Er sei gekommen, um Vorschläge zu machen, von deren Annahme nicht nur der Sieg, sondern auch die Rettung zahl loser Leben abhänge. Es wäre ihm ganz un möglich, durch das Parlament dem englischen Heere mitzuteilen, daß die gelernten Arbeiter sich weigerten, die Gewerkschaftsregeln aufzuheben, um das Leben ihrer Genossen auf dem Schlacht felds zu retten. Er könne nicht glauben, daß der englische Arbeiter weniger patriotisch sei, als der französische, dessen Aufopferung es Frankreich ermögliche, der schrecklichen Maschine Widerstand zu leisten, die mit Hilfe der deutschen Arbeiter den großen Sieg über die Russen errungen habe. Die Zeit sei kostbar, und die Hilfe müsse ohne Verzug kommen. England hofft «och immer auf das Gold. In einem der englischen Regierung nahe stehenden Blatt wird aüsgesührt: Die schwierige Aufgabe, für das laufende Finanzjahr 1 Mil liarde 600 Mill. Pfund (32 Mill. Mark) aufzubringen und für das nächstfolgende Finanz jahr 1 Milliarde 800 Mill. Pfund, wird von der Nation ohne weiteres gelöst werden, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Dann ist auch der siegreiche Ausgang desKrieges nicht mehr zweifelhaft. Weihuachtsgrusi des englische« Königs. Wie das Bureau Reuter bekanntgibt, erließ der König am Weihnachtsmorgen an das Heer und dis Flotte einen Tagesbefehl, in dem er seinen Dank und sein Vertrauen für die Zukunft ausspricht. Wiederum gehe, so schließt der König, ein Jahr zu Ende, wie es begonnen habe, unter Mühseligkeiten, Blutver gießen und Leiden. Wer es tue ihm wohl, zu wissen, daß das Ziel, nach dem sie strebten, näherrück e. Englands Verluste. In London wird amtlich bekannt gemacht, daß die Verluste der Engländer auf allen Kriegsschauplätzen bis zum 9. Dezember betrugen: an Mannschaften 119923 tot, 338738 verwundet, 69 546 vermißt, an Offizieren 7367 tot, 13 365 verwundet, 2149 vermißt. — Der Gesamtverlust des englischen Heeres beträgt demnach 551108 Mann. Griechenlands Haltung. Wie englische Blätter aus Athen berichten, hat die griechische Negierung erneut Einspruch gegen die Überschreitung der griechi schen Grenze durch die Bulgaren erhoben. Sie habe das getan, um dadurch ihre Unpar teilichkeit, zu beweisen. Anderseits habe sie von den MrttemSchten entsprechende Ver sicherungen erhallen, daß das besetzte Gebiet nach der Einstellung der Feind seligkeiten unvermindert zurüägegeben werden wird. Verbot einer Landung in Kawalla. Der bulgarische Ministerpräsident Rado slawow erklärte in einer Unterredung, die griechische Regierung werde eine Landung in Kawalla nicht zulassen und habe hiervon bereits die Regierungen der Verbands mächte verständigt. * Was will Italien in Valona? Griechenland beauftragte seinen Gesandten in Nom, bei der italienischen Regierung einen freundschaftlichen Schritt zu unternehmen, um Umfang und Ziel der italienischen Unter- nehm ungen bei Valona kennen zu lernen. Die italienische Negierung gab die be" Versicherungen ab und erbat sogar die Mitwirkung Griechenlands, um das begonnene Werk zu einem guten Ende zu führen. Nach Blättermeldungen werden die Verhandlungen zwischen beiden Regierungen fortgesetzt. Es be stehe Einigkeit darüber, daß die von Griechen land erworbenen Rechte in der Gegend von Valona sichergestellt werden müßten. * Englischer Rückzug an der ägyptisch-tri- politanischen Grenze. Eine Meldung des. ,Temps^ ans Nom er gänzt die frühere Meldung über Kämpfe zwischen den Engländern unter Oberst Gordon und Arabern in der Gegend von Matruh östlich Tripolis dahin, daß Sollum in folge der Angriffe arabischer Aufständischer von der englischen Garnison geräumt werden mußte. .. Oie russische „(Überraschung". Das russische Hauptquartier hat wieder ein mal gewaltige Vorschußlorbeeren gesammelt, und durch eine Verlautbarung über seine Rüstungen und Plane Deutschland „erschreckt". In der Verlautbarung des russischen Hauptquartiers wird darauf hingewiesen, daß in kurzer Zeit eine Überraschung kommen werde, durch die die ganze Welt in Erstaunen gesetzt werden werde. Die Munitionsversorgung sei in glänzendster Weise gelöst worden, Rußland verfüge über weit mehr Reserven, als jemand ahne und sei jetzt vollauf gegen Überraschungen geschützt, die das Nussenheer von Mackensen bei Tarnow- Gorlice erleben mußte. Rußland hat schon früher bei dem völligen Mangel an wesentlichen Erfolgen stets drohend darauf hingewiesen, daß es über ein gewaltiges Milliönenheer verfüge und Deutschland zerschmettern wolle. Im' russischen Hauptquartier hat man aber anscheinend aus der Geschichte dieses Krieges nichts gelernt, denn sonst wäre dort zum Be wußtsein gekommen, daß diese große zahlen mäßige Überlegenheit, von der man in früheren Erlassen ruhmredig sprach, auf das Ergebnis der Kämpfe keinen Einfluß gewinnen konnte. Trotz der Überlegenheit an Menschen hat Ruß land ganz Polen und einen großen Teil von Rußland selbst eingebüßt. Wenn jetzt das : russische Hauptquartier davon spricht, daß die Munitionsversorgung nun gesichert sei, so rechnet es mit der allgemeinen irrtümlichen Anschauung, daß daS russische Heer früher nur aus Mangel an Munition geschlagen worden sei. Diese An schauung, die nicht nur in den seindlichen und neutralen Staaten, sondern auch - bei uns Ver breitung gefunden hatte, war nichts destoweniger trotzdem falsch. Es wurde bereits mehrfach von maßgebendster Stelle erklärt, daß von einem Mangel an Munition im Laufe der Kämpfe Rußlands keine Rede sein konnte. Die Niederlagen, durch die das russische Heer zum Rückzug gezwungen wurde, hat es vielmehr lediglich durch die mo ralische Überlegenheit unseres Heeres und die geistige unserer Führung erlitten. Die Stär kung durch den Munitionsüberfluß, der jetzt in Rußland herrschen soll, ist darum nur sehr fraglich. Auch an dem Beispiel der lebten Offensive im Westen, wo Engländer und Franzosen die ungeheuerste Munitiönsverschwendung betreiben konnten, kann man erkennen, daß der Hinweis des russischen Hauptquartiers auf seine Munitions versorgung nur ein Trost im Unglück für den so vielfach geschlagenen Viervsrband ist. über die weiteren Worte des russischen Hauptquartiers, welche die ungeahnt großen Reserven betreffen, schweigt man am besten völlig. Zwar hat auch der eben abgssetzte russische General Rußki vor e>iigen Tagen erst dein Mitarbeiter der fran zösischen Zeitung ,Petit Parisiech erklärt, daß derjenige den Krieg gewinnen werde, der die meisten Soldaten haben werde. Da der ganze Verlauf des .Krieges aber gezeigt hat, daß die Anbetung der Zahl ein ungeheurer Irrtum ist, so geht man am besten über diese lächerlichen Mitteilungen ohne Kritik hinweg. Der einzige Einwand, den man machen könnte, wäre der, daß auch wir und unsere Verbündeten wohl noch über starke Re serven verfügen, wie sich das russischeHauptquarlier eigentlich selbst sagen könnte. Wenn das russische Hauptquartier seinen Erlaß damit schließt, daß jetzt eine so gewaltige Überraschung kommen werde, daß die ganze Welt darüber in Erstaunen ge raten werde, so hoffen wir zuversichtlich, daß dieses wirklich der Fall sein wird, aber in ganz anderer Weise, als das russische Hauptquartier hofft. (Z-nNert- O. «. 1. d. Mo ! ! r. m.„—m Politische Kunäkkau. Deutschland. * Nach der Mannheimer Volksstimme' hatte der Vorsitzende der Generalkommission, der Gewerkschafter Legien, in der Reichstagsfraktion der sozialdemokratischen Partei die Auf hebung der Fraktionsgemein schaft mit den 30 Abgeordneten, die gegen die Kreditvorlage gestimmt haben, beantragt. Der Antrag wurde indes gegen 18 Stimmen abgeleht und beschlossen, dem Ende Januar zu sammentretenden Parteiausschuß die Frage der Trennung zu unterbreiten. Frankreich. * ImSenat erklärte Finanzminister Rib ot bei der Besprechung der Ergebnisse der „Sieges anleihe", das französische Volk habe alle Erwartungen übertroffen, denn es Habs 14V» Milliarden, davon 5 Vz Milliarden bar aufgebracht. Das zeige" dis ungeschwächte Finanzkraft Frankreichs, während sie in feind lichen Ländern bereits schwächer werde. — Herr Ribot ist sehr bescheiden. Er ist mit einem Barbeirag von 5^ Milliarden Frank schon be friedigt. Das deutsche Volk hat inzwischen 26 Milliarden Mark in bar aufgebracht. Von Sieg ist demnach auf französischer Seite wenig zu spüren. England. * In der letzten Nachtsitzung des Unterhauses vor der Vertagung sprach der Liberale Dalziel über die Unfähigkeit hoher Militär- stellen. Er ftagle, ob diesen Stümpern eine neue Million Soldaten anvertraut werden solle. In der Schlacht bei Loos habe die Armee in- folge der Fehler des General st abcs 80 000 Mann verloren. Booth erklärte, lebhaft zu bedauern, daß er dem Parlament angehört habe, als der grobe Lreubruch anSer - bien geschah. Italien. * In seiner Weihnachlsansprache an die Kardinale sagte der Papst u. a.: „Wir sind von dem Anblick der Menschenschlächterei er schüttert, und wir müssen die maßlose Hart näckigkeit beklagen, die durch mörderische Vor- kommnisse verschlimmert, die aus der Erde ein Hospital und ein Beinhaus gemacht und den anscheinenden Fortschritt der Zivilisation völlig umgewandelt haben. Amerika. *Vei der Besprechung der zweiten „Ancona"- Note der Ver. Staaten an Lsterrcich-Ungarn heben die Blätter hervor, daß sie die letzte Stellungnahme Washingtons be deutet und daß die Entscheidung nunmehr bei Österreich-Ungarn liegt. Die ,New Imker Staatszeitung, sagt: Das amerikarische Volk kann nur allgemein hoffen, daß der Wien offen gelassene Weg eingeschlagen werden wird. Ein beklagenswerteres Ereignis als einen Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Amerika, der vielleicht Deutschland in den Streit hineinziehen würde, könnte man sich kaum vorstellen. Nur der ,New Jork Hevrld' meint: Dis Note ist nicht eine Botschaft an Österreich- Ungarn allein, sondern an die aon-e Welt. 6oläene Schranken. Roman von Dd DierS. (Forts-HllnqN Jede Bewegung von ihm hatte etwas reiz volles für sie. Ein heißes Entzücken an seiner Gegenwart beherrschte in ihr jedes andere Ge fühl. Als die jungen Leuts sich erhoben, sich auf die Veranda und in den Garten zerstreuten, blieb er in einer teilnahmslosen Unterhaltung neben dem Flügel stehen. Magda schritt an ihm vorüber, aber er sagte nichts, mit keinem Wort hielt er sie zurück. Er hatte sie noch nicht einmal begrüßt. Langsam folgte sie den andern. Ein Gefühl weher Bitterkeit saß ihr im Herzen. Wie hatte er zu ihr gesprochen, damäls — Weihnachten. Hatte er das, was sich in ihr Herz wie mit Flammenschrift gegraben hatte, vergeßen? So einfach wieder vergessen? So leicht also wurden ihm die Bekenntnisse, so wenig, wogen sie ihm! Er machte sie zu seiner Tischnachbarin, mit der ihn der Zufall zu- saMmemübrte — und dann vergaß er sie. Wie vielen mochte er sie nun schon gemacht haben! Und wie hoch hatte sie sie gehalten! Wie war ihr das Erleben dieser Stunde so groß geworden, daß alles, was nachher kam, die Welt um sie her mit allen Erscheinungsformen ihr klein erschienen war dagegen. Brennend schlug die Scham ihr ins Gesicht. Erst setzt meinte sie zu wissen, wie ihr ganzes, geheimes Leben, all diese Monats hindurch, sich ««dreht batte um diesen einen Punkt. Und die empfindliche Scheu ihres Wesen litt unter dieser Demütigung, die doch nur sie kannte, wie unter einer maßlosen Schmach. Als m« Gesellschaft zurückkehrte, war Hans Reuthner nicht mehr da. Er hatte sich bald nachdem verabschiedet und war forigeritten. Unter den pikierten und forschenden Bemerkungen der jungen Mädchen behielt Frau Bertram eine merkwürdig reservierte und zum guten redende Art. Nur ein verstohlener Blick traf Magdalene. Und was keines von den unbekümmerten jungen Leuten bemerkt hatte, das fiel ihrem gereiften, sorgenvollen Blick sofot auf: der Ausdruck innerer, mühsam bekämpfter Verstörtheit in dem blaß gewordenen Gesicht. - Frau Bertram stand ratlos. Sie sah ein Spiel menschlichen Lebens und Leidens unter ihren Händen Hingehen, was sie nicht verstand und was ihrem Eingriff, so gern sie hier ge glättet und geordnet hätte, widerstand. Aber ihr ganzes Empfinden war da zu sehr hinein-« gerissen, als daß sie es vermocht hätte, in voller Untätigkeit dieser Quälerei zuzusehen. Am Abend, als die Schatten länger wurden und ein leises Lüftchen durch die Zweige strich, zog sie Magdalenes Arm durch den ihren und ging mit ihr durch die stillen, einsamen Laub gänge. Was sie sagen und was diese Unter haltung ihr bringen würde, wußte sie selbst nicht. Sie hatte sich auch kein Programm ge macht. Es mußte von selbst kommen, oder es kam eben nichts, und sie durfte nicht dringen. Sie sprachen von allerhand, allerdings war es fast nur Frau Grctti, die sprach. Magda Zwana sich zu freundlichem Einaehn, aber es wurde ihr schwer. Und plötzlich, unter Gretlis fortwährendem Wunsche, der wie hypnotisch aus den Gang des Gesprächs wirkte, war die Unter haltung in Hohsn-Süllach. „Baroneß Erna hängt sehr an dein Hallers hauser. Es ist eine lang geplante Verbindung zwischen ihnen, der Vater soll es sehr gewünscht haben." Warum erzählte sie dis alte Geschichte noch einmal? Magda wußte sie ja längst. „Ja, ich hörte es," sagte sie. Daß ihre Stimme bebte, galt nicht dieser Mitteilung. Er hatte ihr ja selber gesagt, daß er unter der Lüge litt. Konnte das etwas anderem gelten als dieser Verbindung? Der bittere Schmerz wallte wieder heftig in ihr auf. Er wühlte in ihr und preßte Tränen in ihre Augen. In der Kehle würgte es ihr. Sie hätte so gern gesprochen, ein paar gleich- giftige, leichte Worte, um Frau Greift zu täuschen. Entsetzlich, wenn sie sich verriet! Ach, sie hatte sich ja längst verraten. Die junge Frau ließ wie spielend ihre Hand über das schmale, heiße Händchen des jungen Mäd chens gleiten, das in ihrem Arm lag und das ihr plötzlich so rührend erschien, so hilflos. „Die Klaussig ist auch sehr reich," sagte sie dann. . Sie hatte das dringende Bestreben, immer weiter zu 'reden. Dem armen jungen Tinge, das so stumm und tapfer neben sie her ging, diese unglückliche Neigung auszureden. Denn so sehr sie auch heitte noch den Hallers- Hauser bemitleidet hatte, so konnte sie den innern Zorn über ihn, daß er sich so gar nicht von dieser Baronesse loszumachen verstand, nicht unterdrücken. Es war auch nutzlos aus eine Änderung zu hoffen. Mochte der Endruck, den Magdalene auf ihn gemacht hatte, roch so stark sein, das Band, an dem Erna ihn hieft, war doch noch stärker. „Ja, es ist sichtlich nur der Reiütum," fuhr sie hastig fort, allmählich kopflos gcmacht durch die Entrüstung und den mitgcsühltm Schmerz. „Es ist eine Sache, die mich ausrcgt uno be trübt. Das Hallershaus steht ganz gut da, er brauchte nicht darauf zu sehen. Jh hätte es auch nie von ihm gedacht. Das ist nun meine Menschenkenntnis I Tief im Blut niuß ihm eins fülle Habsucht stecken, die so groß ist, daß er dies Mädchen, gegen das er sich sichtlich sträubt, wenn man Augen hat zu sehen, nun doch hei raten wird." „Er hat vielleicht tiefere Gründe —" stam melte Magdalene. Aber dann verstummte sie und ihre Lippen zitterten. Ja, an diese Gründe hatte sie geglaubt all diese Zeit her wie an etwas Tieies, Schweres» dessen Schleier selbst ein Gedenke nicht zart genug wäre, zu lüften. Nun war es doch Wohl nichts anderes, als was die erfahrene älteie Fremidin an ihrer Seite sprach. Ihre Phantasie hatte ihr um dies Erlebnis, um diese Menschengestalt wunder bare Verzierungen gewoben. Ilnd sie durfte ihn nicht anklagen, daß diese jetzt kraftlos ab bröckelten. Stumm kehrten sie ins Hotis zurück. Und die Nacht kam, die lange, Helle, ruhelose Nachts vor der sie sich fürchtete.
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