Suche löschen...
Ottendorfer Zeitung : 08.10.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191610089
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19161008
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19161008
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-10
- Tag 1916-10-08
-
Monat
1916-10
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 08.10.1916
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
MmisterwLcblel m R,ri6lanä. Der Minister des Innern Chwostow hat ganz plötzlich seinen Posten verlassen. Ob er freiwillig gegangen oder einem höheren Einfluß zum Opfer gefallen ist, läßt sich nicht übersehen. Es ist kein'Geheimnis, daß in gewissen dem Zaren nicht fernstehenden Kreisen Chwostow wie der Ministerpräsident Stürmer in dem Rufe stand, der gegenwärtig wichtigsten Aufgabe, der rücksichtslosen Durchführung des Krieges, ein wenig kühl gegcnüberzustehen. Es ist nicht un möglich, daß ein dahingehender Wink den Zaren, dem die Durchführung- dieses Krieges und die endliche Eroberung Konstantinopels Ehrensache ist, gegen den Minister, der strenge Zucht im Innern hielt, wo sich die Bande der Ordnung lockern, eingenommen hat. Doch auch andere Gründe mögen den Ge stürzten nicht mehr als den geeigneten Mann für die innere Verwaltung des Zarenreiches haben gelten lassen. Arg verfahren ist die ge rade seinem Ministerium unterstellt gewesene russische Ernährungssrage, deren unzulängliche Lösung im gesamten Reiche einen so starken Notstand erzeugte, daß ihr gegenüber selbst das Interesse am Kriege zurücktritt. Die Not ist so groß, daß in Petersburg die Stadtverwaltung gegen 1500 Studenten dieser Tage in öffentliche Verpflegung nehmen mußte, weil sie der Gefahr des Verhungerns ausgesetzt waren. Auch haben die verordneten vier fleischlosen Tage in der Woche nicht genügt, zu ver hindern, daß in Moskau, Kiew und Charkow fast zwei Wochen hindurch überhaupt kein Fleisch zu erhalten war, und selbst das Heer muß das fehlende Fleisch und Fett durch asiatisches Baumwollöl ersetzen. Hinzu kommt die polnische Frage, deren Lösung für unbedingt notwendig gehalten wird, um die Wünsche des Polenllubs und seines Führers in der Rcichsduma, des Grasen Wielopolski, zu befriedigen. In ihr hatten sich Stürmer und Chwostow so weit gewagt, daß sie der kommenden Reichsduma den Entwurf eines Autonomiegesetzes für Polen vorlegen wollten. Davon ist aber keine Rede mehr. Während der Entwurf Stürmers und Chwostows wenigstens im Umfang einer provinziellen Selbst verwaltung eine polnische Selbständigkeit Her stellen wollte, soll nach dem Willen des Zaren .davon überhaupt nichts bleiben. Endlich aber werden die innerpolitischen Schwierigkeiten des Zarenreiches durch die Wirren in Zentralasien verstärkt, die dort durch den Aushebungsbefehl an die mohammedanische Bevölkerung im Gouvernement Turkestan ent standen sind. Ihnen gegenüber mußte selbst der rücksichtslose Nikolai Nikolajewitsch den Rückzug anlreten, eine Niederlage, die zwar der mit Land und Leuten vertraute Kuropatkin wieder gutzumachen verstand, die aber doch die Un fähigkeit des verantwortlichen Ministers des Innern zur Genüge darzutun schien. Doch auch rein persönliche Gründe können bei den: Rücktritt Chwostows milgewirkt haben, da es seit längerem bekannt ist, daß der Wundermönch Rasputin dein Gönner des Scheidenden, dem Ministerpräsidenten Stürmer, auf das äußerste feindselig gesinnt ist, weil dieser den besonderen Günstling Rasputins, den Mitarbeiter der ,Nowoje Wremja', Manuilow, wegen Lieferungsschwindels und ähnlicher Machenschaften verhaften ließ. Und zu dem allen muß mit dem erneuten Wachsen des den Freunden Stürmers feindlichen englischen Ein flusses gerechnet werden. Der neue Minister des Innern, bisheriger zweiter Präsident der Duma, Protopopow, ist wenig in die Öffentlichkeit getreten. An seiner streng absolutistischen Gesinnung ist nicht zu zweifeln. Genannt wurde sein Name kürzlich im Zusammenhang der Gerüchte, die fälschlich von Friedenserörterungen deutscher und russischer Kreise in Stockholm wissen wollten und als Führer der letzteren den jetzigen Minister des Innern, Protopopow, nannten. Der neue Mann ist aber durchaus kein Anhänger des Friedens. Er erklärte im Gegenteil dem Vertreter eines schwedischen Blattes, daß der Krieg, so schrecklich er wäre, bis zum Schluß ausgekämpft werden müsse. Die Begeisterung innerhalb aller Kreise Rußlands beweise, daß diese Überzeugung ganz Rußland im Willen zum Siege einige.— Diese Erklärung wird, wie schwedische Blätter berichten, von der gesamten russischen Presse mit Befriedigung begrüßt. verschiedene Uriegsnachrichten. Die Artillerieschlacht an der Somme. In einem längeren Artikel über die Kämpfe an der englischen Sommesront schreibt das Londoner Blatt .Daily News' u. a.: Besonders das Dorf Gueudecourt war äußerst stark be festigt. Die Engländer erlitten hier schwere Verluste. Von dem ungeheuren Ar tillerieduell kann man sich keine Vor stellung machen, über lausend Geschütze ver wendet der Feind gegen unsere Front; mindestens ebensoviel gegen die Franzosen. Da wir und unsere Verbündeten zum wenigsten ebensovieie Geschütze ins Feuer bringen, feuern täglich weit über 4000 Geschütze, wovon drei Viertel ununterbrochen Tag und Nacht ihre Arbeit verrichten .... Alles ist zu einem grauenhaften Gemenge von Holz, Steinen und sonstigen zu Trümmern gewordenen Gegenständen zusammeugeschossen, von denen sich nur einzelne Bäume wie Schiffsmasten abheben. Von Zeit zu Zeit feuern etwa 1000 Geschütze auf einmal, und dieses sogenannte Salvenfeuer dauert ge wöhnlich 30 bis 40 Minuten . . . * Amerikanische 38-Ze»1imeter-Geschütze an der Iront. Wie Schweizer Blätter melden, stehen an der Somme viertausend 38-Zenti- meter-Geschütze amerikanischer Herkunft, teils im Kampf, teils in der Reserve. — Um die belgische Front in Nordsrankreich zu ver stärken, beschloß, wie ,Matin' meldet, die Re gierung in Le Havre, im nächsten Frühjahr mehrere Regimenter schwarzer Kongotruppen an die Westfront zu senden. * Die Kämpfe in Ostafrika. Die ,Kölu. Volksztg.' veröffentlicht einen längeren Artikel eines gutunterrichteten kolonial afrikanischen Mitarbeiters über bisher unbekannte siegreiche Gefechte in Deulsch-Ostafrika. Danach wurde Ende Juni eine 1000 Mann starke Burenkolonne, die den Pangani zur Nacht zeit überschritt, um den Deutschen in den Rücken zu fallen, in sumpfige buschige Uferniederungen ge lockt, wo ein fürchterliches, vernichtendes Ge wehr- und Maschinengewehrfeuer in den Buren reihen einschlug. Der größte Teil der Über lebenden rind flüchtenden Buren wurde von deutschen Askaris in erbittertem Bajonettkampf uiedergemacht, nur zweihundert Mann so wie . zwei Burenosfiziere blieben übrig. Auch der Versuch des Generals Hannigtons, mit überlegenen Kräften das Zentrum der deutschen Front zu durchstoßen, wurde nach zweitägigem heftigen Artilleriefeuer zurück gewiesen. Mit wilder Wut stürzten sich die Askarireserven auf die in deutsche Stel lungen eingedrungenen Buren und warfen sie nach furchtbar erbittertem mehrstündigen Ringen. Hannington berichtet selbst hierüber, daß die deutschen Askaris, verwundet am Boden liegend, jeglichen Pardon verschmähten; sie ließen sich lieber von unseren Bajonetten zer fleischen, als daß sie sich ergaben. * Bisher 37 Lustschiffaugriffe auf England. Schweizer Blättern zufolge meldet die Lon doner ,Times', daß bis zum 2. Oktober 37 Luftschiffangriffe auf England statt- sanden, welche 1368 Opfer forderten, darunter 415 Tote. Bemerkenswerterweise äußert das Blatt kein Wort über den angerichteten Schaden, der ganz ungeheuer sein muß. Die Schrecken des Krieges sind damit in das Herz unseres verschlagensten, unerbittlichsten Gegners ge tragen. Bierverbaudssorgeu um Rumänien. Londoner Blätter veröffentlichen bewegte Klagen über Deutschlands „hinter listigen" Angriff auf Rumänien. ,Daily Chronicle' schreibt, daß die Niederlage, die die Rumänen bei Hermannstadt erlitten haben, eine ernste Sache sei. Der Umfang der Niederlage sei zwar noch nicht klar festgestellt, die Tatsache aber, daß Falkenhayn über diese Truppen Befehl führt, lasse Deutschlands Ab sichten klar erkennen. Da Mackensen gleichzeitig an der Südfront von Rumänien operiere, müsse man annehmen, daß man darauf ausgehe, Ru mänien in eine Zwickmühle zu bringen. Das wären sowohl für Rumänien als für dessen Freunde sehr ernste Aussichen. — Auch der Pariser ,Temps' meint, daß Rumäniens Nieder lage eine „ärgerliche" Sache sei, die man schleunigst wieder gut machen müsse. XriegsinvaUäen-fürlorge. Ein ministerieller Erlaß. Wie in einem kürzlich ergangenen Erlaß der beteiligten Ressortminister an die zuständigen Behörden festgestellt wird, ist die Fürsorgearbeit an den Kriegsinvaliden überall mit Verständnis und Eifer aufgenommen worden und es haben die für die Jnvalidensürsorge gezogenen Richt linien im wesentlichen Berücksichtigung gefunden. Der Grundsatz weitgehender Selbständigkeit der Fürsorgeorganisationen soll im allgemeinen auch auf finanziellem Gebiete befolgt werden. Im Interesse der Herstellung einer gewissen Gleich mäßigkeit werden aber folgende allgemeine Ge- sichtspunktehsrvorgehoben, welche bei Verwendung derMittel nicht außer acht gelassen werden dürfen: 1. Die Hauptfürsorgcorganisatwncn müssen sich bei Kapitalaufwendungen größeren Umfangs der ministeriellen Zustimmung versichern. 2. Wor'Verwendung von Relchsmitteln ist sorg fältig zu prüfen, ob es sich nicht um Zwecke handelt, zu deren Erfüllung andere Stellen berufen sind, insbesondere die Heeresverwaltung, die VersichcrungS- trägcr, die zur Ausübung der Kriegswohlfahrls- pflege, namentlich auf dem Gebiete der Erwcrbs- tosen-Fürsorge berufenen Korporationen und Vereine sowie die überall in der Bildung begriffenen KricgS- hitfskassen. 3. In erweitertem Maße ist darauf hinzuwirken, daß die aus Anlaß der Wrsorgctätigkeit entstehenden Verwaltungskostcn von den Hauptsürsorgeorganisa- tionen tctbst getragen und nicht den Neichsmittetn zur Last gelegt werden. 4. Alle Aufwendungen aus Relchsmitteln müssen einen besonderen Fürsorgezwcck, nicht eine Unter stützung erwerbsloser Kriegsbeschädigter schlechthin erkennen lassen. Hinsichtlich der Berufsberat u n g wird verlangt, daß überall, wo überhaupt Kriegs beschädigte sich befinden, Vertrauensleute vor handen sein müssen, die wenigstens zu einer einfachen Nalerteilung befähigt sind. Aufgabe solcher Vertrauensmänner ist es, dafür zu sorgen, daß die eingehende Naterteilung in Fällen, die sich ihrer Beurteilung entziehen, baldmöglichst von der nächst übergeordneten Stelle über nommen und ausgeübt wird. Einer Neigung zur unbegründeten Vornahme eines Berufs wechsels wird mit besonderem Nachdrucke ent gegenzutreten sein. Eine besondere Berücksichti gung der Invaliden bei der Erteilung gewerbe polizeilicher Genehmigungen, zum Beispiel Schankkonzessionen undWandergewerbescheinen, ist mit den gesetzlichen Vorschriften nicht vereinbar. Auf den richtigen Zusammenhang zwischen mili tärischen und zivilen Fürsorgestellen ist besonderer Wert zu legen. Auf die Notwendigkeit der Vermehrung der Ausbildungsangelegenheiten wird ferner in dem Erlaß hingewiesen, wie dies zum Teil durch Heranziehung der noch nicht in vollem Maße ausgenutzten öffentlichen An stalten, zum Teil dadurch erreicht werden kann, daß die Bereitwilligkeit der Heeresverwaltung zur Ausstattung der Lazarette mit Werkstätten von den Fürsorgeausschüssen mehr nutzbar ge macht wird, als das bisher der Fall ist. Die Arbeitsvermittlung für die Kriegsverletzten hat sich bisher überall in erfreu licher Weise ohne besondere Schwierigkeiten voll zogen, wobei aber zu berücksichtigen ist, daß die mancherlei Umstände, die gegenwärtig die Unterbringung der Kriegsverletzten erleichtern, insbesondere die außerordentlich gesteigerte Nach frage nach männlichen Arbeitskräften, voraus sichtlich nach Beendigung des Krieges nicht fortdauern werden. Es wird daher Fürsorge zu treffen sein, daß die Arbeitsvermittlung für die Kriegscherletzten in der Hauptsache in enge Verbindung mit dem öffentlichen Arbeitsnach weise gebracht wird. Hinsichtlich der Aus gestaltung im einzelnen wird als Mittelpunkt für die Kriegsverletztenvermiltlung bei dem provinziellen Arbeitsnachweisverband die Bildung einer besonderen Abteilung empfohlen. Bezüglich derKapitalabfindung weist schließlich dec Erlaß darauf hin, daß den Haupt fürsorgeorganisationen bei der Durchführung des vom Reiche verabschiedeten Kapitalabfindungs gesetzes eine wesentliche Mitwirkung eingeräumt werden wird. Politische Kunctschau. Deutschland. *Als Nachfolger des Herrn v. Kühlmann wird Dr. Rosen, früher Gesandter in Portu gal, Gesandter im Haag. Herr v. Kühl - mann, der, wie halbamtlich angekündigt, als Vertreter des beurlaubten Botschafters Grafen Wolff-Metternich nach Konstantinopel geht, steht mit den in Deutschland weilenden türkischen Staatsmännern in enger Fühlung. Er begleitet jetzt den türkischen Minister des Nutzern Halil Bey auf seiner Reise nach dem Hauptquartier. * Generalleutnant v. Schöler, Komman deur einer Division, ist durch Kaiserliche Kabi- nettsordcr iu das Kriegsministerium versetzt und soll den Kriegsminister nach dessen be sonderer Anweisung vertreten. * Großadmiral v. Tirpitz hat es abge- l e h n t, im Reichstagswahlkreise Oschatz-Wurzen, wo ihn die Konservativen als Kandidaten auf stellen wollten, bei der bevorstehenden' Ersatz wahl für den verstorbenen Abgeordneten Giese sich um das Mandat zu bewerben. Er hat den Konservativen mitgeteilt, er sei zu dem Ergebnis gekommen, im Interesse der großen Sache im jetzigen Krieg nicht als Kandidat aufzutrelen. Italien. *Das halbamtliche italienische Nachrichten bureau hat aus angeblich vatikanischer Quelle die Nachricht verbreitet, Papst Benedikt habe gelegentlich der Abberufung des Pro nuntius Scapinelli in Wien an den Kaiser Franz Joseph ein Schreiben gerichtet, in dem er den Kaiser ermahnt habe, zur Rettung seiner Seele und seines Thrones an den Frieden zu denken, da er die Verantwortung für den Ausbruch des Weltkrieges trage. — Wie an zuständiger Stelle erklärt wird, beruht diese Nachricht auf freier Erfindung. Griechenland. * Trotz des zunehmenden englisch-französischen Druckes scheint die Negierung entschlossen zu sein, in ihrer ab warten den Haltung vorläufig zu beharren. Der Vierverband ist offenbar gezwungen, damit zu rechnen. We nigstens wird die angekündigte Note, in der das Athener Ministerium aufgefordert werden soll, in den Krieg einzugreifen oder das gesamte Kriegsmaterial dem Vierverbcmd ausznsiefcrn, nicht überreicht. — Natürlich steckt der Vierver band hinter der „nationalen Revolution". Durch einen Erlaß der nationalen Verteidignngskomitees werden alle Flüchtlinge und Bewohner von Mazedonien der Klassen 1907 bis 1915 unter die Waffen gerufen; alle, die dem Aufruf keine Folge leisten, werden vor einem Gerichtshof der Revolutionäre zur Verantwortung gezogen werden. Amerika. * Die Präsidentenwahl in der Ber. Staaten, die voraussichtlich am 3. November statlfindet, wirft ihre Schatten voraus. Präsident Wilson, der von seiner Wiederwahl durchaus nicht fest überzeugt ist, will jetzt der Welt und seinen Wählern zeigen, daß er ernsthaft n m den Frieden bemüht ist, zumal die Deutsch amerikaner angesichts der unklaren Haltung Hughes' Stimmenthaltung üben wollen. Er Hal die amerikanischen Botschafter in London, Paris und Berlin nach Washington berufen, um sich über die Friedensgeneigiheit der ein zelnen kriegführenden Mächte aufklären zu lassen, und dann einen entscheidenden Schritt in der Fried ensv ermittlung zu unter nehmen, und zwar noch vor dem 3. November. Ick will. 16j Roman von H. Courths - MahIer. (Fortsetzung.) Renate lächelte dazu. Ihr machte das alles wenig Eindruck. Sie kannte Paris, kannte Wien und Nom, hatte monatelang in Nizza gelebt und den Luxus in den vornehmsten Modebädern kennen gelernt. Berlin hatte ihr nichts Neues zu bieten wie der unverwöhnten Ursula. Und ihr Herz verlangte nach der Waldburg zurück. Sie gestand sich jedoch nicht ein, daß es Sehnsucht nach Heinz Letzingen war, was sie heimwärts trieb. Renate bescherte, wie jedes Jahr, den Kindern der Fabrikarbeiter ihres Vaters iir einem der großen Fabriksäle. Ursula half ihr mit Feuer eifer dabei. Auch das war neu und interessant für sie. Lachend stand sie inmitten der Kinder schar, die mit große« Augen und schier blank gescheuerten Wangen um die langen Tafeln stand. Sie wußte die Kcheuesten zutraulich zu machen und bekam die drolligsten Ansichten über dir aufgestapelten Geschenke und die geschmückten Lannen zu hören. Vor Renate wagte sich das kleine Volk nicht so heraus, trotzdem sie ebenfalls sehr lieb und gütig zu den Kindern war. Uni Kinderherzen aufzutauen, muß man eins besondere Gabe haben. Vielleicht verstand Ursula kesser mit ihnen umzugehen, weil sie sich viel mehr in diese Kinderherzen hineindenken konnte. Ler Kommerzienrat und die Beamten der I Fabrik waren zugegen. Auch Dr. Bogenhart war anwesend. Und der sah immerfort zu Ur sula Ranzow hinüber. Warm und weh zugleich wurde ihm zumute beim Anblick des schlichten, liebenswürdigen Mädchens mit den lieben, großen Augen, die das ganze unscheinbare Ge sichtchen verklärten. Er dachte zurück an seine eigene Kindheit. Im gediegenen Wohlstand war er ausgewachsen. Es fehlte ihm nichts im Eltern haus — als Liebe. Der Vater war ein strenger, wortkarger Mann, und die Mutter — sie hatte in ihrem Herzen nicht Raum für ihn neben dem glänzenden, reichbegabten und schönen Bruder. Den vergötterte sie, weil er ihr selbst glich, weil er zu schmeicheln und zu bestricken verstand mit all seinen reichen Gaben. Wie einsam war es gewesen in seinem Herzen. Scheu uttd unbe holfen hatte er dabei gestanden, wenn die Mutter den Bruder mit Zärtlichkeiten über schüttete. Und dann starb der Vater. Ein hohes Einkommen fiel iveg. Es hieß nun sparen und einschränken. Das hatte der glänzende Bruder nicht ver standen. Er ging haltlos abwärts aus ab schüssiger Bahn und quittierte dann mit dem Tode alle Schuld. Die Mutter brach zusammen. Nie vergaß er, was sie in jähem Schmerze hinausschrie: „Warum er — warum nicht der andere!" Sie hatte den Bruder nicht lange überlebt. Nun stand er schon seit Jahren allein in der Welt, still und in sich gekehrt lebte er sein arbeits reiches Leben und suchte Befriedigung im Beruf. Nie hatte er sich um Fraueuhuld beworben, er glaubte, da ihn die eigene Mutter nicht lieben konnte, würde es keine andere Frau können. Erst, seit er Ursula Ranzow näher kennen ge lernt hatte, riß etwas unruhig an, seinem Herzen. -.Gab es nur Liebs und Glück für schöne Menschen? — Die Kinder zogen lachend und zufrieden mit ihren Schätzen ab. Umüa stopfte ihnen noch die Taschen für den Heimweg mit Süßigkeiten. Als die letzten Kinderfüßd den Saal verlassen hatten, umarmte Ursula Renate stürmisch: „Du Glückliche — daß du so vielen Menschen eine Freude machen kannst," sagte sie bewegt. Bogenhart hörte es. Und das Herz wurde ihm warm. Am Abend waren außer Letzingen, Ursula und Dr. Bogenhart keine Gäste in der Wald burg. Den Christabend verlebte Hochstetten am liebsten im kleinsten Kreise. Da störte ihn mehr denn je eine glänzende Gesellschaft. Im großen Saal war für die Dienstboten die Bescherung aufgebaut. Nachdem diese zu ihrem Rechte gekommen waren, sand für die Familie und die drei Gäste eine intime und sehr trauliche Feier in dem anstoßenden Salon statt. Hier hatten Renate und Ursula mit eigenen Händen den Baum geschmückt. Der Kommerzienrat zündete selbst die Kerzen an und gab dann das feierliche Klingelzeichen. Alle traten ein und wurden lächelnd von ihm zu ihren Plätzen geführt. Vorläufig aber kam niemand so recht dazu, seine eigenen Geschenke zu betrachten, denn alle mußten sich lächelnd Ursula Ranzow zuwenden. Sie hatte erst sprachlos auf die reichen Gaben gestarrt, die man ihr aufgebaut hatte. Dann aber war sie lachend und weinend Renate uni den Hals ge fallen,, hing darauf schluchzend in Tante Josephines Armen und küßte zuletzt den schmun zelnden Kommerzienrat Vor lauter Ausregung mitten auf die Nase.'. Daun stand, sie, staunend und außer sich, vor ihren Gaben und mußte immer wieder die Tränen abwischen.. Den Höhepunkt ihres Ent zückens bildete eine Nerzgarnilur, aus Stola und Muff bestehend. Die Stola hing sie sich um und den Muff drückte sie wieder und wieder schmeichelnd gegen die Wangen. Ach — über haupt, ihre geheimsten und vermessensten Wünsch» waren ihr erfüllt worden. Sie konnte sich nicht beruhigen, wie. ein Kind war sie in ihrem Jubel und in ihrer Rührung. Alle waren bewegt, am meisten jedoch Dr. Bogenhart, der am liebsten das ganze jubelnde Persönchen fest in seine Arme'ge nommen hätte. Nervös und erregt rückte er wieder und wieder an seinem Kneifer, dessen Gläser entschieden nicht blank genug waren. Jedenfalls konnte er nicht gut durchsehen. — Renale hatte von Letzingen ein wundervolles Halsband als Geschenk erhalten. Es stammte aus dem Familienschatz und war mit Vorliebe von seiner Mutter getragen worden. Renate bewunderte die prachtvollen. Steine, deren Fassung von besonders künstlerischer Feinheit war. „Laß es dir umlegen, Renate," bat er, als sie ihm dafür dankte. „Ich werde es später probieren," versuchte sie ihn abznwehren. .Nein, ich bitte dich, laß es mich zuerst tu»-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)