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Ottendorfer Zeitung : 13.12.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191612137
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19161213
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19161213
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-12
- Tag 1916-12-13
-
Monat
1916-12
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 13.12.1916
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Bukarest genommen! Rumäniens Schicksal erfüllt sich. Sinaia, Bukarest, Ploesti! Die Ereignisse überstürzen sich in Rumänien. Schlimmer bat sich nie ein Verrat in der Geschichte gerächt, schneller ist nie ein Treubruch gestraft worden. Mit doppelter Genugtuung begrüßen wir die Siegesnachrichten aus Rumänien. Einmal weil die rumänische Kriegserklärung trotz der italieni schen doch Wohl die schäbigste von allen war, und dann, weil unsere Feinde selber in allen Tonarten tagaus, tageiu geschrien haben, daß die große Edischeidung im Orient, und zwar durch Rumäniens Eintritt in den Krieg, werde herbeigeiührt werden. Sie werden sich heute nicht gern an dis Sündflut von Tinte und Druckerschwärze erinnern, in der sie uns vor drei Monaten schon ersäuften, als der Hohenzoller aus Rumäniens Throne hinter seineur wortbrüchigen Ministerpräsidenten in den Krieg taumelte. Die A-cstnng Bukarest. Die Befestigungen Bukarests waren von dem belgischen General Brialmont cnlworien worden, der auch Antwerpen, Lüttich und Namur be festigt halte. Sie bestehen aus l8 Forts und 18 Panzerbatterien, ihr Gesamtkreis ist 71 Kilo meter lang und liegt ungefähr 12 Kilo meter vom Zentrum der Stadt entkernt. Jedes Fort ist mit trockenen Gräben versehen, mit 2 Haubitzen von 21 Zentimeter- Kaliber, 2 bis 4 Kanonen in Panzertürmen von 15 Zentimetern und 5 zur Bestreichung der Gräben dienenden 7-Zentimeler-Kanouen aus gerüstet. Seit Beginn des Krieges sollen 60 000 Arbeiter mit der Ausgestaltung der Befestigungen beschäftigt gewesen sein. Ihre Arbeit war ver gebens, denn nach dem raschen Siegesvormarsch der Verbündeten haben die von Brialmont erdachten Festungswerke keine Rolle mehr ge spielt. Enttäuschte Hoffnungen des Vierverbandes. Am 21. November noch schrieb der römische Messagero' einen Artikel, in dem er zwar zu gab, daß die rumänische Sache nicht ganz nach Wunsch gegangen sei und gehe, aber doch zu dem Schluß kam, daß „keine Gefahr vorhanden ist, einen neuen deutschen Sieg erleben zu müssen". Wie unzart von den Hindenburg und Ludendorff, jemanden so das Kon zept zu verderben. Es wird jetzt, nachdem der Siegeszug unserer Truppen über die Kar pathen und über die Donau durch die Ein nahme Bukarests eine herrliche Krönung erfuhr, selbst für die außerordentlich leistungsfähigen Stilisten des rumänischen Heeresberichtes seine große Schwierigkeit haben, aus all dem weitere rumänische Siege herauszulesen und herauszu schreiben. Und noch weiter ging die Peters burger ,Noweje Wremja', wenn sie schrieb: Jetzt können wir sagen, daß der Schmerz unserer Herzensangst in uns nicht geringer war, als wenn der Feind uns selbst bedroht hätte. Aber all das ist jetzt vorüber: dank den er griffenen Maßnahmen, dem hohen Kriegsmule des rumänischen Heeres und der Kriegskunst seiner Führer sind alle Pläne der Deutschen und Österreicher gescheitert. Wir sehen schon die An zeichen ihres Rückzuges. König Ferdinand will abdanken? Die italienische Presse verzeichnet das Ge rücht, der König von Rumänien wolle nach schweren Konflikten mit Bratianu, Berthelot und dem russischen Gesandten Massolow abdanken. Möglich ist es immerhin, daß König Ferdinand sein Ziel, das ja von vornherein um alles ging, verloren gibt. Das deutsche Volk aber und seine Verbündeten haben allen Anlaß zum Jubel. Am 27. August überreichte der rumänische Geschäftsträger dein Wiener Kabinett die Megserklärung. Fast im selben Augenblick überfielen die längst bereilgeslellten rumänischen Truppen die nur schwach gesicherte siebenbürgische Front. Sengend und brennend zog dierumäniiche Soldateska in Siebenbürgen ein und glaubte sich auf einem Beulezug ohnegleichen be griffen. Aber bald trat die entscheidende Wendung ein. Sieg auf Sieg ward über die Rumänen er- sochlcn und nun haben sie ihre Hauptstadt ver loren. Und das erfochten Mr nach 27 schweren Megsmonateu! Wir dürfen jubeln, denn wenn auch nicht der endgültige Sieg, io ist doch ein wesentlicher Schritt auf dem Wege dazu er fochten. verschiedene Megsnachrichten. Der deutsche 1i-Voot-A»griff auf Funchal. Eine eingehende portugiesische Meldung zu dem Angriff deutscher A-Boote bei Fnnchal be- richlct: Der Manncminister teilte mit, daß die im Hafen von Funchal versenkten Schiffe folgende sind: das französische 17- Boot-Geleitschiff „Kanguroo", der englische Dampfer „Dacia" und das französische Kanonen boot „Surprise". Nach der Torpedierung bom bardierten die U-Boote die Stadt während zweier Stunden; sie befanden sich zwei Meilen vom Lande entfernt. Die Landbatterien er widerten das Feuer und zwangen die Tauch boote, sich zurückzuziehen. Es scheint, daß 34 Mann der Besatzung des französischen Kanonenbootes ums Leben gekommen sind, worunter sich auch der Kommandant befindet. Einige Portugiesen, die sich auf den versenkten Schiffen befanden, kamen ebenfalls ums Leben. Die Negierung hat Maßregeln ergriffen. Die norwegischen Schiffsverlufte. Seil Beginn des Krieges bis zum 1. De zember sind 242 norwegische Handels schiffe mit einem Raumgchalt von 335 415 Brultoregistertonnen verloren gegangen. Die Kriegsversicherung hat für diese Schiffe insgesamt 145 700000 Kronen ausgezahlt. Englische Sorgen. Admiral Lord Beresford schreibt in den Londoner ,Times' über Seepolitik. Er erklärte die Lage hinsichtlich der künftigen Lieferung von Lebens mitteln und Rohstoffen für beispiellos ernst. Jede Lücke in den Verbindungslinien des englischen Ozeanverkehrs würde einen erschreckenden Zustand Hervorrufen, zumal da besondere Schritte getan werden müßten, das Land wieder zu verproviantieren. Deutschland — jährt Lord Beresford fort — hat uns direkt herausgefordert und hat unsere Route nach Holland unterbrochen. Und dabei handelt es sich um eine kurze Entfernung von achtzig Meilen. Der Kriegsstab muß die Ver bindungslinien mit Holland unverweilt wieder herstellen. Beresford tritt für die Bewaff nung der Handelsschiffe ein. Demgegenüber wendet sich Admiral Cyprian Bridge in einer Zuschrift an die .Times' gegen die Bewaffnung der Handelsschiffe. Die Frage sei, ob es besser sei, Geschütze, Munition und genügend ausge bildete Kanoniere auf die Tausende von Handels schiffen — selbst wenn man nur die über tausend Tonnen rechnen wolle — zu verteilen oder Be waffnung oder Mannschaften zu konzentrieren, um die feindlichen V-Boole aufzusuchen, anzu greifen und zu vernichten. -4- Schwere Verluste der Kanadier. Die .Daily Mail' teilt mit, daß Kanada keine neuen Formationen in den Krieg schicken, sondern nur die Ergänzung der an der Front stehenden Regimenter sichern will. Den in über großer Anzahl vorhandenen kanadischen höheren Offizieren soll Gelegenheit gegeben" werden, entweder in niedrigeren Chargen an der Front zu dienen oder in ihre Zivilbeschästigungen zurück zugehen. Der erste Punkt weist aufdauernde große Verluste der kanadischenRe- gi meuter hin, beweist aber auch, daß von der allgemeinen Dienstpflicht in Kanada nicht mehr die Rede ist. * Der Sommer 1917 . . . Der Arbeiterführer und Minister Henderson sagte in einer Rede in Northampton, der Krieg könne noch lange dauern und von allen Kriegführenden beispiellose Leiden und Opfer fordern. Ein Friede, der für Deutsch land günstig wäre, wäre für die Verbündeten unannehmbar. Sie dürften niemals an Frieden denken, solange ein Teil belgischen und franzö sischen Gebiets in feindlichem Besitze sei. Jin Sommer 1917 würde die Stärke Englands an Männern und an Munition den höchsten Punkt erreichen. Aber wenn man den Krieg gewinnen wolle, so müßte der Dienst jedes körperlich leistungsjähigen Mannes und jeder Frau der Negierung zur Verfügung gestellt oder für die Nation nutzbar gemacht werden. * Trauer über Rumänien. Die Presse des Vierverbandes leugnet nun nicht länger, daß Bukarest ernstlich ge fährdet ist. Während man aber in Frank reich und England rund heraus erklärt, die Be setzung Bukarests durch die Feinde sei nur eine vorübergehende, tröstet man in Italien das Volk mit dem Hinweis auf die Megslage 1914 in Frankreich. In Rußland aber schimpft man auf Rumänien, das schlecht vorbereitet in den Kampf getreten sei und dessen Führer versagten. Zn der 8omme. Äußerungen des Kronprinzen Rupprecht. In einer Unterredung mit dem Hauptschrist leiter der Münchener Neuesten Nachrichten' stellte Kronprinz Rupprecht fest, daß bei den Kämpfen an der Somme fast alle bayerischen Stämme rühmlichen Anteil haben: Franken, Bayern, Schwaben und Pfälzer. Das 1. bayerische Korps hat sich an der Somme trefflich ge schlagen. Ein Zeichen von der Kraft und Stärke, die in den Truppen liegt, und von der Hingebung, mit der sie das Vaterland ver teidigen, sei der Umstand, daß sie sich nach den schwersten Kämpfen in wenigen Tagen der Ruhe ausfallend schnell erholen. Man müsse das be sonders hervorhcben. Auf die Frage, ob man an der Somme auch schon den jüngsten Jahrgang der Franzosen, also 1917, getroffen habe, antwortete der Kronprinz, es sei bestimmt sestgestellt, daß dieser Jahrgang bereits an den Kämpfen gegen uns,verwendet' worden sei. Die Gefangenes zeigten, so ver sicherte der Kronprinz auf eine Zwijchenfrage, anfänglich die Hoffnung durchzudrtngen, was aber ausgeschlossen sei, und was sie jetzt selbst einzusehen begännen. Wir dürften uns jeden falls noch auf weitere, vielleicht schwere Angriffe gefaßt machen. Es sei immer falsch, den Gegner zu unterschätzen. Wie lange diese Angriffe noch währen, lasse sich zurzeit nicht Voraussagen, aber er könne versichern, daß wir auf alles vorbereitet seien. „Wir tun unser möglichstes." Bei einem Hinweis auf die Einbuchtungen, die die Front da und dort erhalten, und daß wir unsere Stellungen teilweise zurückgenommen, verwies der Kronprinz auf die bekannten karto graphischen Darstellungen, in denen der Ge ländeverlust an der Somme und Ancre, sowie bei Verdun eingezeichnet sei, und hob hervor, wie gering die Gewinne der Feinde seien und wie sie in gar keinem Verhältnis stünden zu den schweren blutigen Verlusten. Wenn ein oder das andere, Dorf oder Stellung verloren gehen, so sei das oft nur ein „Kampf um Namen". Weiler sagte der Kronprinz, daß man auf Hindenburg und Ludendorff alles Vertrauen setzen dürfe. Man solle nur keinen Kleinmut aufkommen lassen und sich immer vergegen wärtigen, was uns bevorstünde, wenn der Feind im Lande wäre. Man solle doch nur auf die von uns besetzten französischen Gebiete Hinsehen, dann würden alle Schwierigkeiten in der Heimat in nichts zerrinnen. Vor allem sei es doch geradezu tragisch, wie die Franzosen ihr eigenes Land in furchtbarster Weise ver wüsteten. Seit Beginn der Sommekämpfe haben sich, fuhr der Kronprinz fort, die Ver hältnisse wesentlich stabilisiert, besonders sind wir an Artillerie sehr stark geworden. Auf die Frage: „Wie kommt es, daß die Franzosen wider alle landläufigen Erwartungen so oft und nachhaltig angreifen können, ist ihre Infanterie der unserigen gleichwertig, und ist der Wert der beiderseitigen Infanterie in An griff und Verteidigung gleich geblieben?" sägte der Kronprinz mit großem Ernst und Nachdruck: „Die Franzosen sind ausgezeichnete Soldaten, auch die Engländer sind sehr tapfer. Es ist ein doppelter Ruhm unserer unvergleichlichen Truppen, diesen an Zahl überlegenen und respektablen Gegnern so erfolgreich Widerstand geleistet zu haben." „Aller Augen sind in Deutschland und in der ganzen Welt auf die Gebiete von Somme und Ancre gerichtet. Können wir uns auf die Festigkeit der Westfront auch weiterhin so ver lassen, wie bisher, trotz der Operationen im Osten und Südosten?" Das war die wichtigste Frage, die der Kronprinz sofort kurz und zu versichtlich beantwortete mit den Worten: „Ein Durchbruch wirck nicht erfolgen." Politische Aunälckau. Deutschland. * Nachdem der Bundesrat am Montag dem Gesetzentwurf über den vaterländischen Hilfsdienst zugestimmt hat, bleibt ihm noch übrig, die Ausführungsbestimmungen zu be schließen, worauf der Neichstagsausschuß zu sammentreten wird, um an der Ausführung des Gesetzes mitzuwirken. In dem Ausschuß sind alle Parteien entsprechend ihrer Stärke ver treten: das Zentrum durch Spahn, Gröber und den Fabrikbesitzer M ü l l e r - Fulda, die Sozialdemokratische Fraktion durch den ersten und den zweiten Vorsitzenden der General- kommijsion der Genossenschast Deutschlands, Legien und Bauer, sowie durch den Par teisekretär Ebert, die Nationalliberalen durch Bassermann und den Präsidenten des Hansa- bundes, Dr. Riesser, die Konservativen durch Graf Westarp und den Rillergutspächlcc und Fabrikbesitzer Schiele, die Fortschrittliche Volks partei durch den Bergrat Goth ein und den Fabrikbesitzer Carstens, die Deutsche Fraktion durch den welfijchen Abg. v. Wangenheim, die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft durch Dittmann und die Polen durch Seyda. Auch sind Stellvertreter vorgesehen worden, jo daß auch Arbeitersekrelärs aus den nichtsozial- demokratiichen Parteien jür die Ausführung des Gesetzes herangezogen werden können. * Das preußische Abgeordnete n- haus erörterte in zweitägiger Debatte die Er nähr u n g s s r a g e n. Dec Berichterstatter faßte sein Urteil über die Lage dahin zusammen, daß die Bevölkerung in diesem Winter viele und größere Leiden werde auf sich nehmen müssen. * Bei der Wiedereröffnung der Zweiten würt t em b er g i s ch e n Kammer hielt Ministerpräsident v. Weizsäcker eine Rede, in der er mft Genugtuung.von der Annahme des Ge setzes über den Hilfsdienst sprach. Der Minister präsident schloß: „Möchten unsere Gegner endlich einjehen, daß- sie nur vermehrter, wuchtiger, verderbenbringender Kraft Deutschlands .und seiner Verbündeten begegnen werden! Was aber auch kommen mag, in felsenfester Zuversicht sehen wir dem Ausgange des Weltkrieges und damit der endgültigen Bestrafung des Feindes entgegen." England. * Ministerpräsident Asquith ist nun doch von seinem Amte zurückge treten. Der Konservative Bonar Law hat die Kabinetts bildung abgelehnt. Dies bedeutet nicht, daß Bonar Law seine Haltung geändert hat, denn er war die ganze Zeit über bereit, unter jedem Premierminister, der dem Lande genehm ist, zu dienen, aber nicht bereit, die Stellung eines Premierministers zu übernehmen. Es ist leicht möglich, daß Lloyd George, wenn er sich einer entsprechenden Unterstützung von feiten des Unterhauses nicht versichern kann, sich zu, einer ähnlichen Haltung wie Bonar Law ge zwungen sehen wird. Möglicherweise wird also Asquith cingeladen werden, wieder an die Spitze oes Kabinetts zu treten. "Die Arbeiterpartei hat den Plan, farbige Arbeiter nach England cinzu- sühreu, entschieden verworfen. Man darf nach verschiedenen Londoner Blättern diesen Gedanken als erledigt betrachten, obwohl die Regierung sich noch nicht sörmlich davon los- gesagl habe. k^mnerk, äer Xneckt. LP Roman von Bruno Wagener. (Fortsetzung.) Schweigend gingen sie nebeneinander hin. Endlich sagte Liese: „Deine Mutter hat mir noch einen Auf- trag an dich gegeben, den ich nicht ganz ver standen habe. Ich sollte dir sagen, sie hätte nur den einen Taler genommen — den Taler mit dem Frauenkopf — das andere Geld Hütte sie nicht angerührt. Das solltest du wissen, und es sei wahr, so gewiß sie bald vor Gottes Thron stehen werde." Er war unwillkürlich stehengeblieben. Ihm war zumute, als feien ihm die Glieder ge lähmt. Das war ja nicht zu glauben, das war ja unmöglich I Wo alle Beweise so klar gegen sie sprachen — der Krämer Kleinjohann hatte doch hundcrtundfünfzehn Mark aus den Tisch gezählt — er hatte Hinnerks Mutter ins Haus gehen sehen — auchMschan und Gesine hatten sie deutlich erkannt — und dann der Packen Strümpfe! Nein! Nein! Das war alles sonnenklar. Sie hatte doch auch ihm gegen über gelogen, als sie behauptete, überhaupt nichts genommen zu haben, bis er ihr den Taler vors Gesicht hielt. Er schüttelte das Grauen ab, das ihn einen Augenblick bei dem Gedanken an einen schrecklichen Irrtum befallen hatte. Dann sagte er traurig zu seiner Be gleiterin : „Sie hat irre geredet; sonst wäre sie ja mit einer Lüge auf den Lippen gestorben." Ec begegnete dem ernsten Blicke des jungen Mädchens. „Nein, Hinnerk," sagte sie bestimmt, „deine Mutter mag sonst zuweilen die Unwahr heit gesprochen haben — diesmal ganz gewiß nicht! Sie wußte, daß sie sterben müsse; sie hatte schon eine ganze Weile wie bewußtlos ge legen. Dann schlug sie plötzlich die Augen auf, angstvoll, und als käme sie aus dem Jenseits, und sagte ganz leise und doch so, daß man es verstehen konnte, was ich dir bestellen sollte. Nein, Hinnerk, das war so feierlich — da hat sie nicht gelogen. Verlaß dich drauf, mit einer Lüge ist sie nicht gestorben." Da stöhnte er laut, daß das Mädchen er schrocken stehenblieb. „Dann hat ein anderer das Geld gestohlen, und ich habe an ihre Schuld geglaubt — fest geglaubt, daß sie das Geld genommen, und habe mein Glück ge opfert, habe alles hingegeben, um ihre Schuld gutzumachen. Und das war alles umsonst! Alles unnötig!" Mit plötzlichem Verstehen sah ihn Liese Rickmann an, und dann fragte sie leise: „War es das, weswegen du mir solches Leid angetan hast?" Seine verzweifelte Gebärde gab ihr die Antwort. Da nahm sie seine beiden Hände, unbekümmert darum, daß sie mitten auf der Straße und gerade vor dem Volten-Siemers- schen Hose standen, und sagte mit einer Stimme, in der das Weh ihres Herzens zitterte: „Du armer Mann!" Er sah im Dunkeln die Träne nicht, die aus ihrem Auge sich löste und über ihre Wange rann. Aber er fühlte, wie sie in diesem Augenblick nur ihm gehörte. Ihm war, als streichelte ihn eine milde Hand. Dann hörte er Lieses Worte, so warm und ernst und von innerem Leben erfüllt: „Nun müssen wir tragen, was über uns gekommen ist, wir können's nicht ändern. Und jetzt leb wohl, Hinnerk l Wir wollen einander nicht vergessen, auch wenn wir uns nicht Wiedersehen." Damit ließ sie ihn stehen und schritt eilig zum Dorfe hinaus. — Gesenkten Hauptes betrat Hinnerk den Hof. Die letzten Worte der noch immer Geliebten klangen in ihm nach; sie bedeuteten die Ver gebung, doch auch den Verzicht. Schwerfällig durchschritt er den Flur und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Gesine saß bei der Lampe am Tisch und nähte; das war ihre Lieblings beschäftigung, sie arbeitete für das zu erwartende Kind. Ohne Gruß blieb Hinnepk vor ihr stehen. „Meine Mutter ist gestorben," sagte er kurz. Sie nickte nur: „Ich hörte es schon." , Kein Wort des Beileids; er hatte es auch nicht erwartet. Trotzdem bäumte sich sein Ge? fühl gegen diese Herzenskälte auf, und der Haß, der unter Liese Rickmanns Worten einer weicheren Regung gewichen war, regte sich aufs neue in ihm. War Gesine nicht die Anklägerin gewesen? Hatte sie nicht in vollem Eifer den Beweis gegen seine Mutter geführt? Alles stand ihm wieder lebendig vor der Seele, wie sie ihn unter ihr Joch gezwungen, ihn mürbe gemacht hatte mit ihrem Hohn und ihren Drohungen. Und auf einmal durchschoß ihn der Gedanke, daß sie auch wissen mußte, wer der Dieb ge wesen war, der das Geld genommen hatte. ! Gesine halte weiter gearbeitet. Aber als sie seinen Blick fortgesetzt auf sich gerichtet fühlte, wurde ihr unheimlich zumute. Sie legte die Arbeit aus der Hand und erhob sich. ..Ich tvill nach dem Jungen sehen, ob er schon schläft," sagte sie und wollte das Zimmer verlaffen. Da vertrat ihr Hinnerk den Weg. Sie erschrak vor der finstern Falte zwischen > seinen Augenbrauen und vor dem Grolle, der i aus seinen Augen glühte. Sein Blick flog über ihre Gestalt und erinnerte ihn an die Stunde, die ihr in wenigen Wochen bevorstand. Nein, sie war ein Weib und hatte ein Recht aus Schonung. Sie ahnte nicht, was in ihm vor ging, sie deutete sein Zurückweichen als einen neuen Sieg, und deshalb fragte sie ihn mit dem höhnischen Tone, den sie sich ihm gegenüber angewöhnt hatte: „Wolltest du noch etwas von mir?" Mit einem Rucke fuhr er herum. „Wissen will ich, wer damals das Geld gestohlen hat. Du hast mich belogen. Meine Mutter war es nicht. Wer war der Dieb?" Sie war jäh erbleicht. „Wie soll ich das wissen?" fragte sie. Aber ihr unruhiger Blick verriet ihm ihr böses Gewissen. Seine Hände krümmten sich und streckten sich ihr entgegen, als wollten sie ihren Hals um krallen. Da schrie sie in ihrer Angst laut um Hilse. Er wich zurück. „Ich tue dir nichts, nur die Wahrheit will ich wissen!" Sie lauschte, ob jemand auf ihr Rusen kam. Es bsteb still. Da plötzlich im Nebenzimmer ein Geräusch — leise tappend. Man hörte die Tür vom Schlafzimmer zur guten Siube gehen; und jetzt ging sachte die Tür zwischen beide«
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