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Ottendorfer Zeitung : 19.07.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191607193
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19160719
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19160719
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-07
- Tag 1916-07-19
-
Monat
1916-07
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 19.07.1916
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ÄN* müllen Innckrrck! W raunt von allen Seiten, in allen neu tralen und feindlichen Blättern ist es zu lesen: Der Weltkrieg ist in sein entscheidendes Stadium getreten. Niemand kann wissen, ob die Ge rüchte zutreffen, ob die Anschauungen, die doch immerhin fem von den Schauplätzen der Ereig nisse gewonnen worden sind, der tatsächlichen Lage entsprechen. Aber eines wissen wir mit voller Bestimmtheit: Das deutsche Volk muß hindurch. Es muß diese Tage voller Spannung mit Ruhe und Geduld überwinden, es muß, mag kommen, was da wolle, durchhalten bis zum siegreichen Ende. Und wir können es im Hinblick auf unsere unüberwindlichen Truppen und ihre geniale Führung. Gewiß, es ist da heim augenblicklich nicht ganz leicht. So be quem wie im Frieden lebt sich's nicht. Niemand kann und wird leugnen, daß dem deutschen Volke in den schweren Wochen bis zur Einbringung der heranreifenden Ernte, Ent behrungen auferlegt sind, die namentlich von seinen minderbemittelten Teilen hart empfunden werden. Der Fleischgenuß bleibt äußerst be schränkt, auch die Brotration kann im allge meinen nicht erhöht werden, die Frühkartoffeln Kimmen ahmählich auf den Markt, sind aber in den Mengen begrenzt und stehen im Preise naturgemäß erheblich höher als die der alten Ernte. Soweit das irgend möglich war, ist für Ersatz gesorgt worden; wo Kartoffeln fehlten, wurde mehr Brot, auch Eier und Graupen oder Hülsensrüchte, vereinzelt sogar Fett oder Speck gegeben. Die Schwerarbeiter haben insgesamt eine recht stattliche Nahrungszulage erhalten. Die Kartoffelverfüttening ist ganz verboten, aller zur Versütterung bestimmter Zucker für Zwecke der menschlichen Ernährung zur Verfügung ge stellt worden. Trotz alledem — die deutsche Küche hat in diesen Wochen einen schweren Kampf durchzu- stchten. Aber niemand zweifelt daran, daß sie ihn siegreich durchfechten wird. Es wäre nie wieder gut zu machen, wenn wir kurz vor dem Ziele versagen wollten. Unsere Gegner baueir darauf als auf ihre letzte Rettung. Sie sollen auch diesmal auf Sand gebaut haben. Wir müssen durch die kritische Zeit hindurch, und wir wollen hindurch als Männer, die an den Sieg ihrer Sache glauben. Und wir können auch die unleugbaren Unbequemlichkeiten der Ernährungs frage ertragen, wenn wir nur immer im Geiste bei jenen weilen, die eine undurchdringliche Mauer in Ost und West bilden. Und noch eins: Immer wieder wird die Wahrnehmung gemacht, daß Deutsche in Ge sprächen, Briefen u. dgl. Tatsachen mitteilen oder Urteile aussprechen, deren Verbreitung unsere Kriegsinteressen empfindlich zu schädigen geeignet ist. Diese Mitteilsamkeit beruht zumeist nicht auf böser Absicht oder auf dem Mangel an vaterländischer Gesinnung, sondern auf un bedachter Sorglosigkeit, vielfach freilich auch auf einer gewissen Eitelkeit. Es ist vaterländische Pflicht eines jeden, in Äußerungen, die unsere Kriegsinteressen berühren können, Unbekannten gegenüber, strengste Zurückhaltung zu üben. Vor allem gilt dieses bei einem Aufent halt im Auslande, und zwar gegenüber jedermann. Der feindliche Nachrichtendienst forscht namentlich deutsche Staatsangehörige, die sich auf Reisen vorübergehend im Ausland aufhalten, über deutsche militä rische und wirtschaftliche Verhältnisse aus. Er benutzt dazu Mittelspersonen der ver schiedensten Nationalität,' die sich dem Auszu- sorschenden gesellschaftlich nähern nnd ihm unter Vortäuschung deutschfreundlicher Gesinnung die ihnen wünschenswerten Mitteilungen zu ent locken suchen. So wird gesprächsweise gefragt, ob und seit wann der Verwandte oder Be kannte, auf den die Rede gekommen war, mili- iarisch einberufen ist, in welchem Alter er steht, welchem Truppenteil er angehört, wo sich der Truppenteil befindet oder befunden hat u. dgl. Es muß deshalb Grundsatz sein, im Aus land und möglichst auch im Inland über mili tärische Dinge, die sich auf die Gegenwart oder jüngste Vergangenheit beziehen, überhaupt nicht zu sprechen, ebensowenig über wirtschaftliche Ver hältnisse in Deutschland, da auch nur die ge- 'rknyst« Klage über Trschwernngen, die der Krieg naturgemäß mit sich brachte, den Feind in seiner irrigen Annahuie bestärkt, daß er uns wirtschaft lich erdrosseln könne. — Wir müssen hindurch I Es nützt nichts, wenn wir unserem bedrängten Herzen in Klagen Luft machen. Jetzt können wir zeigen, wir daheim, ob wir der Großtaten unseres Heeres, unserer Marine, unserer Luft flotte würdig sind. Wir müssen hindurch! Das soll unser Leitsatz sein. Dann kommen wir auch hindurch. Deutschland, daß in den zwei Kriegs jahren so starke Beweise seiner Widerstandskraft gegeben hat, wird auch diese Prüfung über stehen. verschiedene Uriegsnachrichten. Unsere Verlustlisten sind vollständig und genau. Die holländische Zeitung Meuwe Rotter- damsche Courant' brachte eine Notiz, daß die preußischen Verluste, vielleicht aus militärischen Gründen, in den amtlichen An gaben nicht mehr vollzählig gemeldet würden. Diese Annahme ist unzutreffend. Die Verlust listen werden nach, wie vor genau nach den eingehenden Truppenmeldungen veröffentlicht. Irgendeine Verheimlichung unserer Verluste hat niemals stattgefunden. Selbst Verluste aus dem Jahre 1914, die nachträglich bekannt geworden sind, haben jetzt noch in den Verlustlisten unter „Nachtrag" Aufnahme gefunden. Schon der Umstand, daß auch die Veröffentlichung aller Vermißten stattfindet, deren Zahl — wie aus den letzten Verlustlisten zu ersehen — bei einzelnen Truppenteilen nicht gering war, läßt einwandfrei erkennen, daß von einer Verheim lichung keine Rede sein kann. * Frankreichs letzte Reserven. Nach dem,Temps' wird nunmehr durch Ent scheidung des Kriegsministers ein Teil der Jahresklasse 1917, nämlich Infanterie und Minensappeure, zu den zur Ausbildung be stimmten Heeresteilen gesandt. Zur Beruhigung der Öffentlichkeit wird hinzugefügt, daß bis zu einem neuen Befehl kein Mann dieser Jahres klasse in die Ersatzabteilungen sür die Front truppen kommt. — In der französischen Kammer ist ein Antrag eingebracht worden, wonach alle Beamten und Staatsange st eilten, die unter das Rekrutierungsgesetz von 1905 fallen und dem aktiven Soldatenstande, der Reserve und der Landwehr angehören, einer Nachuntersuchung unterzogen werden sollen, um eine möglichst große Anzahl zu mobilisieren. Ebenso sollen alle Zurück stellungen nachgeprüft werden. * Keine Entscheidungsoffensive. In einer Unterredung erklärte der englische Munitionsminister Lord Derby, die Kämpfe an der Somme stellten keine Entscheidungs offensive dar. Es sei in einem solchen Kriege nicht möglich, irgendeiner militärischen Operation den Namen einer Entscheidungs offensive zu geben. Es sei eine harte Arbeit, Deutschland auf die Knie zu zwingen. Dem vereinigten und gleichzeitigen Druck der eng lischen, belgischen, französischen, italienischen und russischen Heere müsse es aber schließlich ge lingen, den Krieg durch die Erschöpfung der deutschen militärischen Organisation zu beendigen. Im weiteren gibt Lord Derby die Schwere der englischen Verluste zu. Ich weiß, so schloß er, daß wir eine harte Arbeit vor uns haben, Welchs das Schwerste verlangen wird, was Englands Männer aufbringen können. Aber ich glaube, daß unsere Erschöpsungspolitik schließlich den Sieg über Deutschlands Heere davontragen wird. — Dian wird in Frankreich von diesen Ausführungen nicht sehr erbaut sein, denn dort hielt man die Offensive bisher für eine ent scheidende und stellte der Öffentlichkeit sie auch so dar. Ein seltsamer Vorschlag. Englisch-französische Abgesandte haben den Zaren gebeten, den russischen General stab nach Frankreich zu versetzen, um das Zusammenarbeiten des Lierverbandes zu er leichtern. Der Zar hat dieses Ansuchen abge lehnt. Lediglich der russische GenerakstabSchef! General Beljazew weilt zurzeit in Frankreich. * Die ungeheuren russischen Verluste. Baseler Blätter melden aus Petersburg : Nach den amtlichen russischen Listen beträgt dis Zahl der seit Beginn der großen Offensive Lis zum 1. Juli gefallenen Mannschaften 248 000 Mann. Die Zahl der gefallenen Offiziere 14 900 Mann, womnter sich 17 Gene- rale und 29 Regimentskommandeure befinden. Mer wirä liegen? Neutrale Stimmen. Über di« militärische Gesamtlage in der ersten Juliwoche 1916 schreibt der militärische; Mitarbeiter der »Zürcher Post': „Trutz der gewaltigen, seit vielen Monaten mit dem Aufgebot aller technischen Mittel vor bereiteten Anstrengungen der Gegner ist die strategische Position der Mittelmächte nicht ge brochen. Der Andrang im Osten ist schon vor Wochen gebremst worden; auf jeden neuen russischen Angriff setzt überall alsbald der Gegenangriff ein. Die italienische Offensive hat bis jetzt nur da Gelände gewonnen, wo es frei willig geräumt wurde. In dem methodischen englisch-französischen Angriff mag die Ent scheidung erst nach Wochen und Monaten fallen; aber schon jetzt kann es als aus geschlossen gelten, daß es gelingen sollte, den deutschen Truppen das von ihnen in den ersten Kriegsmonaten im Bewegungskrieg Ge wonnene im langwierigen Stellungskampf wieder abzunehmen; unentwegt bleibt dabei die Kriegshandlung bei Verdun im Fluß. Auf dem Balkan ist die bulgarische Stellung schwer angreifbar. Im Kaukasus wird die Lage der Russen immer ungünstiger; ihr Vormarsch aus Mittelpersien auf Bagdad ist völlig zusammen gebrochen, dank der durch klimatische Verhält nisse bedingten Untätigkeit der Engländer in Mesopotamien, die den Türken eine ge lungene Operation auf der inneren Linie er möglicht hat." Weniger günstig urteilt,Nieuwe Rotterdamsche Courant' (ein vierverbandfreundliches Blatt) über die Aussichten der Mittelmächte. Er sagt: Wenn die allgemeine Offensive des Ver bandes vollen Erfolg hat, dann ist der Krieg zu seinem Vorteile entschieden. Es ist jedoch denkbar, daß die Offensive mißlingt, indem zum Beispiel die Verbändler zwar Gelände gewinnen, aber doch ein neuer Stillstand eintritt, oder in dem es schließlich doch nicht möglich ist, die 'Deutschen im Westen zur Räumung des größten Teiles des besetzten Gebietes zu zwingen; ferner könnten die Russen sich erschöpfen, oder diese Verbandsoffensive könnte dadurch nicht zum Ziele führen, weil etwa die Mittelmächte einen Gegen zug ausführen. In einem derartigen Falle würde es den Deutschen gelungen sein, eine entscheidende Niederlage abzuwenden, und unter Umständen würde man das einen Sieg nennen können; daß sie aber den Krieg zu ihren Gunsten durch die große Schlacht entscheiden können, welche seit einigen Tagen begonnen hat, das sieht augenblicklich nicht wahrscheinlich aus. Zwei Jahre lang haben die Mittelmächte gewaltige und in vieler Beziehung sogar be wundernswerte Anstrengungen gemacht, um sich einen ihrer vornehmsten Feinde vom Nacken zu schütteln und dadurch die Möglichkeit eines Ent scheidung zu ihren Gunsten zu verbessern. Aber vergebens. Allerdings haben sie durch diese Anstrengunge« große Vorteile erfochten. Sie haben Belgien und Nordstankreich besetzt und verstanden es, diese Gebiete besetzt zu halten, sie haben die Russen aus Polen verjagt und sich einen Weg nach dem Balkan gebahnt. Aber keiner ihrer Haupifeinde ist gezwungen worden, um Frieden zu bitten, oder ist außer Gefecht gesetzt. Und jetzt, nachdem alle Bemühungen, einen ihrer Hauptfeinde entscheidend zu besiegen, sehlgeschlagen sind, haben sich alle diese Feinde zu einer gemeinschaftlichen und gleichzeitigen Kraftanstrengung vereinigt. Wird jetzt noch der Ausgang dieses Streites ein entscheidender Triumph der Mittelmächte sein können, so daß ihre Feinde um Frieden bitten müssen? Es sieht nicht danach aus. Aber, die Geschichte lehrt, daß im letzten Augenblick das Zünglein an der Wage umschlagen kann, so sicher auch der Ausgang bereits sich anließ." Deutschland und seine Verbündeten glauben unentwegt an ihren Endsieg. Nnd die täglichen Generalstabsberichte werden auch den Meuwe Rotterdamsche Courant' überzeugen, daß die Generaloffensive der Verbündeten im Verpuffen ist. Ein sichtbares Zeichen des Geistes, der in den Mittelmächten lebendig ist, ist das Handels- V-Boot „Deutschland", das so überraschend vor Baltimore erschienen ist, und dessen Fahrt auch der Meuwe Rotterdamsche Courant' als eine Großtat anerkennt. > > F Politilcke Kunäfckau. Deutschland. * Der Beirat des Kriegsernäh rungsamtes hat seine erste Sitzung abge halten. Die Verhandlungen haben bestimmungs gemäß vertraulichen Charakter. Der Präsident des Kriegsernährungsamtes wies in der Er öffnungsansprache darauf hin, daß die für gleichmäßigere und zweckmäßigere Verteilung des Vorhandenen erforderlichen Vorschriften so weit vorbereitet sind, daß sie in nächster Zeit erlassen werden können. Gegenstand der Verhandlungen bildete zunächst dis Frage der Einschränkungen der Ausfuhrverbote. Die Auffassung ging all gemein dahin, daß eine allgemeine Verbrauchs regelung herbeigeführt werden müsse, daß aber die Ausfuhrbeschränkungen möglichst schnell und möglichst allgemein aufgehoben werden sollten. *Dis Vorbereitungen für den Erlaß der Verordnung zur Regelung des Verkehrs in Eiern sind nahe abgeschlossen. Die Haupt« bestimmung der Verordnung dürste die sein, daß im ganzen Reiche Sammelstellen für Eier er richtet werden, an die die Landwirte ihre Er zeugung zu liefern haben. Diese Sammel stellen versorgen ihrerseits wieder die großen Kommunalverbände. Es wird eine Einheit 8- eierkarte für das ganze Reich ausgegeben, die voraussichtlich auf zwei Eier pro Kopf und Woche der Bevölkerung lauten wird. Frankreich. * Pariser Blättern zufolge sind die auf der Pariser Wirtschaftskonferenz ge faßten Beschlüsse auf Ersuchen Frankreichs und Rußlands aufgehoben worden, da maß gebende, Stellen in diesen Ländern durch Ver wirklichung der Beschlüsse große Gefahren für den Handel mit Neustalen befürchteten. Spante«. * Infolge des Eisenbahner st reiks hat die Regierung über Stadt und Provinz Madrid den Kriegszustand verhängt. Die Regierung verhandelte wiederholt mit Vertretern der Arbeiterschaft, die jede Verständigung ab lehnen. Die Regierung will auf das ener gischste gegen die Unruhestifter vorgehen. Im allgemeinen erscheint die Lage sehr ungünstig. In Barcelona kam es zu Ausschreitungen aus ständiger Arbeiterinnen gegen Arbeitswillige. Auch erfolgten Angriffe gegen Fabriken. Die Garnisonen mehrerer Städte, besonders die von Madrid, wurden verstärkt. Balkanstaaten. * Petersburger Gerüchten zufolge schweben zwischen den Regierungen Rumäniens, Bulgariens und Griechenlands Ver handlungen über die Gründung eines neuen Balkanbundes, dessen Aufgabe es sein soll, die Unabhängigkeit der drei Länder zu schützen. Amerika. *Die Diplomaten des Vierverbandes be mühen sich, die amerikanische Regierung zu überzeugen, daß das Unterseeboot „Deutschland" unter keinen Umständen die Behandlung eines gewöhnlichen Handelsschiffes beanspruchen dürfe. Die Fähigkeit, unter zutauchen, ermögliche es dem Schiff, eine Durchsuchung zu vermeiden, wodurch es den Charakter eines Handelsschiffes verliere. — Es ist kaum anzunehmen, daß sich die amerikanische Negierung durch solche Wortspaltereien, die die Verlegenheit ihrer Urheber verbergen sollen, «i— fangen lassen wird. Eine küge. 11) Roman von Ludwig Rohmann. (F«q-tzimg.) „Aber nun meine ich," fuhr Paul fort, „ein rechter Kerl — jeder einzelne unter Ihnen wie ich selbst — brauchte nie den Kopf hängen zu lassen und wenn das Leben noch so trostlos nussteht. So lange der Kopf in Ordnung ist, so lange Arme und Beine gesund sind, so lange muß sich schließlich auch für jeden ein Platz erkämpfen lassen, auf dem er sich behaupten kann." Paul nahm einen Schluck aus seinem Glas und inzwischen wurde im Saal durch schnelle Worte kurz die Meinung über Paul ausge- tauscht. Ja, das war einmal einer! Der wußte, wie's armen Leuten zumute war und der war ja auch gar nicht hochmütig, wie man's anfangs gefürchtet hatte. „Na also," begann Paul wieder, „ich will's kurz machen. Daß ich arm bin, das hab' ich Ihnen schon gesagt. Aber wenn Sie sich mir zur Verfügung stellen wollen, so hoffe ich in ein paar Tagen mir soviel Geld zu verschaffen, daß wir wenigstens mit der Arbeit beginnen können. Allerdings müssen Sie alle den guten Willen haben, sich mit den Verhältnissen abzu finden, wie sie nun einmal gegeben sind. Eine Fabrik, in der Sie arbeiten können, hab' ich natürlich nicht zur Verfügung — ich hab' auch kein Geld, eine zu Lauen. Sie müssen sich also häuslich einrichten, Sie müssen in den eigenen vier Wänden arbeiten — einstweilen wenigstens, m . i auÄ.Me.NMtrils_chat^dann Habes Sie davon doch auch den gar nicht kleinen Vorteil, daß dann alle Hände mit ver dienen können. Ich muß mich natürlich erst einsühren, ich mutz Absatzquellen erschließen, die große Massen anfnehmen können, denn mit der jetzigen Art der Produktion kommen wir nicht weiter. Haben wir aber erst ein paar Wochen hinter uns, dann, denk' ich, sollen Sie Arbeit in Menge haben, und dann werden Sie auch mit dem Verdienst zufrieden sein können. — So, das war's, was ich fürs erste sagen wollte. Es wäre mir lieb, wenn ich auch Ihre Meinung hören könnte." Nun begann ein lebhafter Meinungsaus tausch, und in dem allgemeinen Stimmengewirr war der Name Linseler oft zu vernehmen. Aller Blicke wandten sich nach der Ecke, in der der Alts saß — der aber duckte sich noch mehr und wehrte die direkten und indirekten Aufforderungen unwirsch ab. Aber daS half ihm nichts. Das Andrängen wurde so energisch, daß er seinen Widerstand aufgeben mußte. Als Paul den Alten sich erheben sah, klopfte er kräftig an sein Glas und der Lärm legte sich fast augenblicklich. Linseler sah sich hilflos im Saale um und dann wagte er's, bittend zu dem Lehrer hinüber zu sehen — der genierte ihn am meisten; aber Manders nickte ihm freundlich zu und nun kam dem Alten auch der Mut. „Ja, also," begann er unter kräftigen Räu spern, „wenn ich schon was sagen soll, so meine ich, daß wir dem jungen Herrn dankbar sein müssen. Wir haben hier so alles in allem wohl .an die hunderffünfzig Arbeiter —das sind drei hundert Hände, die nun feiern müssen : aber wir haben auch achthundert Mäuler, und die wollen gestopft sein. Uns hilft keiner' — das haben wir früher erfahren, ehe der Herr Kom merzienrat kam, und das erfahren wir auch jetzt wieder. Der Winter steht vor der Tür und kein Mensch fragt danach, was wir nun anfangen werden > ausgenommen der Herr Lehrer und der junge Herr da. Was soll ich da weiter sagen. Herr Bornemann bietet uns Arbeit und wir müssen sie annehmen und sroh sein, daß es noch so gekommen ist." Lebhafte Zustimmung im Saale, während Linseler sich setzte. „Ich freue mich, daß Sie mit mir ein verstanden sind und mit mir arbeiten wollen. Aber es ist da doch mancherlei zu besprechen und wir müssen vor allem wissen, daß wir uns aufeinander verlassen können. Zunächst müssten Sie sich einmal klar darüber werden, daß ich ein großes Risiko übernehme. Ich muß ein Kapital aufnehmen und in eine Sachs stecken, von der ich noch nicht weiß, wie viel weitere Gelder sie notwendig machen wird, die aber ganz bestimmt doch erst in Zukunft auch mir einen gewissen Gewinn bringen kann. Fürs erste haben Sie alle Vorteils allein für sich; ich muß Ihre Arbeit bezahlen und warten, bis Ihre Arbeit mir mein Geld wiederbringt; ich muß ein paar Maschinen kaufen, ich mutz Ihnen Werkzeuge verschaffen — ich muß vor allem auch Reisen machen, na, und das begreifen Sie doch, wie viel das alles lostet. Es ist also nur natürlich, daß all diese Aufwendungen und Auslagen ich auch. nur. dann . mache, . wenn. ich weiß, daß Sie mir mit dem Frühjahr nicht davonlaufen; Sie müssen sich vielmehr jetzt ver pflichten, eine gewisse Zeit — sagen wir mal: ein Jahr in meinem Auftrag zu arbeiten. Das ist natürlich nur eine Formsache, denn Sie werden doch wohl froh sein, daß Ihnen die Arbeit nun wenigstens auf ein Jahr sicher ist und überdies verpflichte ich mich Ihnen doch gerade so gut, wie Sie mir verpflichtet sind. Aber ich lege doch Wert auf diese Form der Ordnung halber. Ordmmg muß natürlich von Anfang an herrschen, ich kann nicht planlos draufloswirtschaften, sonst werden wir nie m gesunde Verhältnisse kommen und das wollen wir doch — nicht wahr?" Ein vielstimmiges, eifriger „Ja*. „Ich danke Ihnen. Wir Deutschen haben nun ein schönes Sprichwort, das jeder rechte Mann in Ehren hält: Ein Mann, ein Wort! Wer also öffentlich — in Gegenwart des Herrn Lehrers und des Herm Bürgermeisters — sich verpflichten will, ein Jahr in meinem Auftrag zu arbeiten, den bitte ich, zu mir zu kommen und mir darauf die Hand zu geben. Das soll dann für uns beide bindend sein und ich will das Vertrauen zu Ihnen haben, daß Sie dann auch fest zu mir halten werden." Nun zum erstenmal steckten sie tuschelnd die Köpfe zusammen. Das den Landleuteu eigens Mißtrauen gegenüber allem Städtischen und die Scheu vor bindenden Verpflichtungen erwachte und sie hätten gerne gewußt, ob hinter diesem Verlangen, das an sich äußerst.einfach war, nicht, doch. eine. Falle- stecke.
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