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Ottendorfer Zeitung : 16.07.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-07-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191607162
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19160716
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19160716
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Gemeinde Ottendorf-Okrilla
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-07
- Tag 1916-07-16
-
Monat
1916-07
-
Jahr
1916
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 16.07.1916
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7m Lweiten Kriegssommer. Wien, im Juli. Milte Juli, die Soune brennt in die Fenster scheiben, daß sie wie tausend Niesendiamanten flammen und funkeln, die Sonne blitzt auf die Granitwürsel des Straßenpflasters, das Asphalt der Fahrbahn wird weich, breiig, ohne Halt für den Tritt der Pferdehufe, die ganze Stadt dampft und dunstet; aber keiner klagt, keiner muckt auf: diese Brutofenwärme ist gut für das Korn, das jetzt unter der Sichel des Schnitters fällt, ein neuer Segen, ein neuer Sieg. Mitte Juli: die Sommerfrischen rings um Lie Stadt, in Baden, Böslau, auf dem Semme ring und weiter weg im Salzkammergut sind gesteckt voll, die Hotels ausgemietet bis unters Dach, die Villen seit langem vergriffen und be zogen. Am Peter- und Paulstage mußten die Tore eines Wiener Ausflugs- und Sommer- frischenbahnhofs vor allzu großem Andrang ge schlossen werden. Aber auch die Stadt, auch Wien ist in diesem zweiten Kriegssommcr noch steckvoll. Man sieht viele, die sonst um diese Zeit längst Kicht mehr da sind. Und das ist das Besondere an diesem zweiten Kriegs sommer. Ein scheinbarer Widerspruch. Aber er klärt sich auf; denn die Zonen des engeren and weiteren Kriegsgebietes, die die ganze Adria, Kärnten mit leinen Badeseen, den Süden Ar Steiermark und Tirol und Salz burg (z«n Teil) umfassen, haben das Sommer srischengebiet arg beschnitten. Daher die Über füllung der wenigen freien Gebiete, daher die Überfüllung Wiens. Aber die Kriegsgebietsgrenze hat eine hübsche und beziehungsvolle Tatsache ergeben: Wer Heuer von Wien aus aufs Land geht, muß es auf altösterreichische, alt Wiener Art tun, er muß — wie anno Vormärz und Nachmärz — nach Baden gehen, dem Ischl der Kaiser-Franz- Zeit, nach Mödling,- wo Beethoven in einem wunderschönen Haus, das heute noch steht, zum Sommerausenthalt war und an der Pastorale schrieb, nach Gutenstein, dem Lieblingssitz und Begräbnisort Ferdinand Raimunds, oder ins Salzkammergut, dem ewigen Landaufenthalt Hebbels, Laubes und der alten Burgtheater garde. Indes die seligen Zeiten von anno Dazu mal und Alt-Wien sind vorüber, die Stadt ist mächtig gewachsen, und so ist für die vielen Neuen in den alten Sommerplätzen kein Raum. Die müssen in Wien bleiben und richten sich ein. Vielerlei Dinge machen das gar nicht so schlimm: die Mode, wie die Kriegskost. Die Kleidung der Frauen, die aus Rohseide, Zephir, Leinen etwas engere Glockenröcke tragen, kaum knöchel tief, ist lustig, jedenfalls weniger heiß als der enggeschnittene Humpelrock der Friedenszeit. Dazu trägt man — kleine Hängezopfmädchen wie würdige Matronen — weiße Leinenschuhe, die eine wirklich vernünftige Mode darstellen: denn sie sind gefällig und billig, kühler als Leder und helfen uns überdies mit diesem,kost baren Ding auch ein bißchen zu sparen. Und dazu kommt, daß auch die Kost, wie der Krieg sie mit sich gebracht hat, eher für diese Tropen hitze geeignet ist als im Frieden. Alan ißt in Wien jetzt weniger Fleisch als sonst, der Nind- fleischkonsum hat sich im ersten Halbjahr 1916 (gegenüber 1915) von 10V- Millionen Kilo gramm auf lü/s Millionen vermindert, der Schweinefleischkonsum von 4 Millionen auf 2V? Millionen, der Schasfleischkonsum gar von 24000 auf 6000, also auf ein Viertel. Statt des schwer verdaulichen, besonders im Sommer beschwerlichen Fleisches, gibt es Ge müse in Hülle und Fülle: Spinat und Salat, Erbsen und Fisolen, Karotten und Kohl. Ganze Wagenladungen wandern täglich, frisch, duftend und appetitlich vom Land in die Stadl. Und an den Rändern der Stadt, überall auf freien Baustellen, in Ziergärten, an Stadlbahnhängen sprießt und reift es in den Kriegsgemüsegärten. Wir sind zufrieden mit der Hundstagehitze dieser Wochen: sie reist uns einen neuen Sieg im Hungerkrieg I Verkekr unä k)anäel. Ein neuer Verkehrsweg von Norwegen über Dänemark nach Deutschland ist jetzt in Tode doch noch ein Anlaß gefunden. Hans Kramer hatte den Leuten den Gedanken von der Entweihung des Friedhofs eingeblasen, er hatte auf die- Einlegung eines Protestes ge drängt — hübsch unter der Hand natürlich, damit ihm keiner direkt sagen konnte, er sei der Macher gewesen; das verbot sich ja schon aus Geschäfksrücksichten. Die stille Leichenfeier aber war ihm eine Genugtung gewesen; er freute sich seiner Tat und er freute sich des Um standes, daß er die Leute mühelos nach Ge fallen gängeln konnte. Im übrigen war ihm bei den sonstigen Er eignissen gar nicht wohl zumute. Seine Gast stube war. zwar seit der Schließung der Fabrik immer gefüllt, aber die Leute hatten kein Geld und Hans mußte mehr als je zur Kreide greifen. Das tat er denn auch in den ersten Lagen liebenswürdig wie immer; er war über all und s Wieviel er auch zu tun hatte — er fand dock) Zeit, hier und dort stehen zu bleiben, der Weisheit der klugen Leute zu lauschen, von denen jeloer etwas anderes zu der Katastrophe zu erzählen wußte. Aber er fragte sich doch besorgt,. wie lange das so weiter gehen könne. Blieb 'die Fabrik geschlossen, dann wurde Schmahhaus Dorfregent; dann mußte er ent weder Lie Bude schließen oder aber den Kreide vorrat schleunigst ergänzen, denn Geld bekam er daipn sobald nicht wieder zu sehen. Na und da wwr'S eben doch die Frage, wie lange er das aushalten konnte. Sw war ihm denn nichts willkommener als die Nachricht, daß der junge Bornemann den Versuch machen wolle, den Feiernden wieder sphäre heraus, und es gelang auch unter An wendung von Sauerstoffapparaten, sie ins Leben zurückzurufen. Eine Katzensteuer hat die Stadt Striegau erhalten. Der Regierungspräsident genehmigte die von den Stadtverordneten beschlossene Be steuerung der Katzen aus die Dauer von vor läufig zwei Jahren. Vom 1. Oktober ab hat jeder Besitzer einer Katze eine Jahressteuer von 10 Mark zu zahlen. Unfall auf der rheinischen Schwebe bahn. Herabfallendes Material erschlug auf der Werksteüe der Schwebebahn in Vohwinkel zwei Schlosser. Wobnung ein Juckelt mit Spitzenbesatz im Werte von 28 Mark gestohlen zu haben. Bor Gericht bat sie um eine Geldstrafe. Das Urteil lautete auf drei Monate und zwei Wochen Gefängnis. Dresden. Wegen Kriegswucher wurden der Fleilcher und Viehhändler Arno Pietzsch zu einer Woche Gefängnis und 500 Mark Geldstrafe und der Mitangeklagte Fleischer und Viehhändler Reinhold Nenkcwitz zu 300 Mark Geldstrafe oder 30 Tagen Gefängnis von der SUaskammer verurteilt. Sie hatten auf dem hiesigen Schlachlhofe sechs Kühe, die sie für 2310 Maik angekaust hatten, im Hand umdrehen für 3594 Mark verkauft. Wilna. Das Bezirksgericht verurteilte die vier Arbeiter Bogischewitz, Halkcwitz, Jurgelewicz und Rosiecki wegen Raubmordes zum Tode. Die Täter waren im März bei dem 70jährigen Besitzer Lisowski Von nncl ^ern. Die neue» bayrischen Postwertzeichen, die mit dem 1. August zur Ausgabe gelangen, haben für die künftigen 7V-- und 10-Pfennig- werte die Farben der bisherigen 5- und 10- Pfennigmarken. Die neuen 5-Pfennig-Marken sind hellgrün, die neuen 10-Pf. karminrot. Mit den neuen bayrischen Postwertzeichen werden ab 1. August auch neue Dienstmarken für den inneren Verkehr der staatlichen Stellen zur Aus gabe gelangen; nach einem ost geäußerten Wunsch des Landtages werden die bisherigen Pauschalbeträge ab 1. August aufgehoben werden. Diese Dienstmarken zeigen das vom heraldischen Löwen gehaltene Wappen. Auch eine Dienst- postkarte zu 7^/2 Pfennig für den behördlichen Verkehr wird eingeführt. Ein Matrose als dreifacher Lebens retter. Unter eigener Gefahr Hal in Stendal der dort auf Urlaub weilende Malroseu-Arttllerist Gleißmandatis drei Arbeiter des städtischen Gas werkes das Leben gerettet. Sie waren mit einer Nohrauswechslung beschäftigt und wurden durch einströmendes Gas betäubt. Der des Weges kommende Gleißmandatis bemerkte den Münchens älteste Bürgerin gestorben. Die älteste Bürgerin Münchens, Frau Cordula Burger, die Witwe eines Gerichtsbeamten, ist, 106Vr Jahre alt, gestorben. Sie war seit 56 Jahren Witwe und ist bis zu ihrem 101. Lebensjahre von erstaunlicher körperlicher und geistiger Rüstigkeit gewesen. Verlobung im österreichischen Kaiser hause. In Schönbrunn hat die Verlobung der zweiten Tochter des Erzherzogs Franz Sal vator und seiner Gemahlin Erzherzogin Marie Valerie mit dem Erbprinzen von Thurn und Taxis stattgefunden. Die Braut ist die Erz herzogin Hedwig. Sturmkatastrophs in Wiener Neustadt. Eine Windhose hat in der Wiener Vorstadt Josefstadt große Verheerungen angerichtet. Dächer, Häuser und Fabrikanlagen wurden durch die Gewalt des Orkans vollständig weggerissen, einige leichtere Gebäude gänzlich, weggefegt, sämikiche Fenster zertrümmert. Dicke Balken und Banmüste wirbelten toll durcheinander. Leider hat das Unwetter auch viele Menschen leben gefordert. Es wurden 31 Personen ge tötet und über 100 verletzt. Ein Dorf abgebrannt. Infolge Blitz schlages ist während eines Hagelunwetters die Gemeinde Unterwaldau in Böhmen bis auf zwei Häuser abgebrannt. Einsturz eines Aussichtsturmes. Wäh rend eines Gewittersturmes stürzte der 24 Meter hohe Aussichtsturm auf dem Schwabenstein bei Mährisch-Trübau ein. Von 50 auf dem Turm befindlichen Personen wurde ein neunjähriges Mädchen getötet, sieben schwer verletzt. Das Spiel mit Streichhölzern. In VaSzar-Veszpremer Komitat (Ungarn) wurden infolge unachtsamen Spielens von Kindern durch -einen Brand in wenigen Stunden 42 Wohn häuser samt Nebengebäuden eingeäschert. Die Kirche, die durch den Brand schwer beschädigt wurde, mußte gesperrt werden. Immer das deutsche Vorbild. Auch in Frankreich soll von jetzt ab, einer Berner Nach richt zufolge, nach deutschem Muster, nur noch altbackenes Brot verkauft werden. Mehrere Abgeordnete brachten in der Kammer einen Gesetzentwurf ein, der den Verkauf frischen Brotes und die Nachtarbeit in den Bäckereien untersagt. Ebenso ist nach deutschem Muster ein Kriegscrnährungsamt eingerichtet worden. Unglück bei einem englischen Hand granaten - Schauspiel. Bei der feierlichen Parade über gelandete kanadische Truppen, der zahlreiche Persönlichkeiten des Hofes beiwohnten, ereignete sich in London, nach einem Bericht schwedischer Blätter, ein peinlicher Zwischenfall. Die Soldaten, die ihre vorzügliche Ausbildung beweisen sollten, zeigten einen Haudgranaten- kampf. Ein Offizier warf seine Granate so un geschickt, daß die zuichauende Lady Sibilla Grey, die Vorsitzende des englischen Komitees, von Splittern getroffen wurde, die ihr eine Backe und den Oberkiefer ausrissen. Lady Grey be findet sich in ernster Lebensgefahr. Christiani« angeregt worden. Die Norweger wollen von Schweden unabhängig sein und einen größeren Anteil an der Frachteinnahme gewinnen. Zu diesem Behufe planen sie im Anschluß an die im Bau be griffene Südlandsbahn eine Fahrverbindung zwischen Christianssand an der Südküstc Norwegens und der Nordspitze Jütlands (Frcdcrikshaven oder Hirtshals). Gegenüber dem Wege über Schweden würden durch die neue Verbindung 6 bis 8 Stunden gespart werden. Die ganze Fahrt Christiani«—Hamburg würde etwa 25V- Stunden dauern. Der frühere dänische Ver- kehrsminister Thomas Larsens, der an den Be ratungen teilnahm, begründete Dänemarks Interesse an der geplanten „Kontinentallinie" mit dem Hin weise auf die bessere Befriedigung des Verkehrsbe- dürfnisses beider Länder auf wirtschaftlichem Gebiet. Befriedigende Lage des Ruheiscumarktes. In der Hauptversammlung des Noheiscnverbandcs in Köln wurde über die Marktlage berichtet, daß in Gießerei-Roheisen die Inlandsnachfrage sehr lebhaft ist und die Leistungsfähigkeit der Hochofenwcrke voll in Anspruch nimmt. Das Gleiche gilt von den Luxemburger Roheisen-Sorten. In Hacmatit-Noh- eisen, Stahl- und Sptsgcleisen liegt das Geschäft unverändert. Die Anforderungen in diesen Sorten sind infolge der starken Beschäftigung der Martin werke besonders groß. Die Nachfrage ans dem neu tralen Auslande ist ebenfalls starr geblieben. Der Versand hat im Juni eine wesentliche Erhöhung er fahren. Nesselkultur in Österreich-Ungarn. Die Versuche mit der Nessel-Produktion in der Donau monarchie sind setzt so gut wie abgeschlossen. Die gezeitigten Erfolge sind von außerordentlicher Be deutung und haben ergeben, daß 1 Hektar Nessel- Kultur etwa 310 Kilo Spinnfasern für die Spindeln ergeben. Von außerordentlicher Wichtigkeit sind die Nebenprodukte; sie bestehen aus Zucker, Stärke, Protein, Methylalkohol, ferner ans Viehsniter, das bei den Kühen Erhöhung der Mllchproduktion und beim Geflügel Erhöhung der Legetätigkeit zeitigte. Mit 10°/g Baumwolle vermengt, ist Wäsche, Klei dung, Strümpfe, Wagcndeckcn usw. hergcstellt worden. Diese Erfolge haben dazu geiübrt, vom Herbst 1916 ab in der gesamten Monarchie ein? großartige Aesselkuliur zu beginnen, zu der auch Stein-, Sumps- und Ödland hcrangezogcn werden kann. Es kann damit als feststehend bezeichnet werden, daß die Nessel-Produktion wirtschaftlich und kulturell ge löst ist, so daß dem drohenden Gespenst eines ameri- kanijch-englisch-ostindisch-japanischen Baumwollmono pols der beste Niegel vorgeschoben worden ist. Gerrckwkatte. Brest«». Die 22 jährige unverehelichte Ernestine Wintlcr, eine wegen Diebstahls schon vorbestrafte Person, übte im Januar und Februar 1916 ihre Tätigkeit zumeist in katholischen Kirchen aus, wo sie während des Gottesdienstes reichlich Gelegenheit . - . . '-fand, sich die Handläschchen der andächtigen Frauen starken Gasgeruch, stieg in die Baugrube und ! anzueignen. Außerdem war sie geständig, einer che- fand darin alle drei besinnungslos. Einen nach ! maligen Arbeitskollegin bei einem Besuche in der dem anderen hob er aus der vergifteten Atmo- " Arbeit zu geben. Zunächst genierte ihn nun freilich seine Mitwirkung bei der Achtung 'des Toten ; aber dann verließ er sich darauf, daß man ihm nichts direkt nachweisen und daß man ihm den Besuch beim Lehrer darum nicht viel Mel nehmen könne, weil der eben im Auftrage der Gemeinde geschehen war. Er kannte Paul überhaupt nicht, aber er war fest entschlossen, ihn zu loben und sein Vor haben den Leuten mundgerecht zu machen. Das tat er denn auch redlich, als die Leute sich am Abend nach der Bekanntgabe durch den Bürger- «Äster im „Blauen Pfau* zusammenfanden, um die neuen Aussichten zu besprechen. Der Lehrer hatte ja recht: den Leuten blieb gar keine Wahl; aber daß sie sich auch gern mit neuen Plänen befaßten, daß eine gewisse Freudigkeit Platz griff — das war Hans Kramers Werk. Schaden hatte er übrigens dabei nicht gehabt — es war mehr Bier als je getrunken worden. Der große Tanzsaal im „Blauen Pfau* war überfüllt, als Paul und Manders eintraten. Bis dahin war die Aussprache äußerst lebhaft gewesen — nun aber trat tiefe Stille ein, und mit lebhaftem Interesse wurde der junge Mann angestarrt, der neben dem Lehrer sich mit einiger Mühe durch die Menge wand. An dem Ehrentisch, an dem nur der Bürger meister saß, ließen Manders und Paul sich nieder. Paul begrüßte den Bürgermeister, einen alten unbeholfenen Mann, mit gewinnender Herzlichkeit, und wie sehr die unglaublich dumpfe Lust im Saale und das ganze Treiben ibn auch anwiderlen — er bezwang sich jo voll ständig, daß er unbefangen und freundlich lächelnd Umschau halten konnte. Den Leuten gefiel er ungemein. Das war einmal ein frischer flotter Kerl! Der würde die Geschichte anders anfassen wie der Alte — bei dem gab's wohl keinen Konkurs zu befürchten. Manders klopfte an sein Glas. Die einen und andern duckten sich, vor allem Kramer, der sich an der Schenke zu schaffen machte, und Linseler, der sich ganz hinten in eine Ecke gedrückt hatte. Ihnen war doch recht unbehaglich zumute. Wenn der Lehrer jetzt vom Leder zog und eine Standpauke gegen die Undankbaren losgelassen hätte, die es gar nicht verdienen, daß ihnen geholfen werde — sie würden zerknirscht zugestanden haben, daß der Lehrer im Rechte sei. Ein Glück war's bei alledem nur, daß der Superintendent in Heiligen stadt der Beschwerde über die „Entweihung des Friedhofes" nicht nur keine Folge gegeben, den Beschwerdeführern vielmehr gehörig den Kopf gewaschen hatte I Das wäre ja nur ein neues Unglück gewesen, wenn der brave Manders viel leicht durch einen anderen Lehrer ersetzt worden wäre, von dem dann doch kein Mensch wissen konnte, was er für die Gemeinde werden würde. Manders stellte der Gemeinde in markigen Worten vor, wie groß das Unglück gewesen sei, das sie vor kaum vierzehn Tagen betroffen habe, wie schwere Nachteile diese Tage der Arbeitsruhe schon gezeitigt hätten und ein wie großes Glück es sei, daß nun der Sohn des Mannes, dem man so unendlich viel zu danken habe, dessen Andenken gesegnet sei über das in Dobrowolo elngebrochm und batten ihn und sein« ganze Familie, im ganzen 6 Menschen, ermordet. Die Verbrecher raubten dann 2800 Rubel und Wert sachen. Volkswirtschaftliches. Holunderbeercnöl. In noch nicht weit zurück liegender Zeit wurden im Schwarzwald die Frücht« des dort wild wachsenden roten Holunders von Kindern gesammelt und in den kleinen Ölmühlen der Dörfer auf Ol verarbeitet. Mitteilungen zufolge ist das Ol als Speiseöl sehr geschätzt gewesen. Auch noch heute wird nach den dem Kriegsausschuß für Ole und Fette zugegangenen Nachrichten diese Ol- gewinnung im Kreise Villingcn im Badischen Schwarzwald betrieben. Es handelt sich dabet nur um die ölhaltigen Kerne der Beeren, ähnlich wie bei den Kernen der Weintrauben. Wenn nun auch für die Großindustrie weder die Ausbeute noch die er faßbaren Mengen an Holundersamen groß genug sind, so hält der Kricgsausschuß für Ole und Fett es doch für seine Pflicht, auf diese früher mit Erfolg betriebene Olgewinnung im Hinblick auf die allerorts vorhandenen kleinen Olpressercien hinzuweiscn. Durch Neucrschlicßung dieser in Vergessenheit geratenen heimischen Ölquelle könnte in den in Frage kommen den Bezirken dem augenblicklichen Olmangel in nicht zu unterschätzender Weise abgeholfen werden. Vermischtes. Eine Sterndeutung auf Bismarck 1866. Vor 50 Jahren war nicht nur durch den preußisch-österreichischen Krieg eine aufregende Zeil auf Erden entfesselt, sondern auch an: Himmel spielten sich seltsame Dinge ab. Es waren besonders starke Sternschnuppensälle und andere Erscheinungen, die die Aufmerksamkeit erregten und die Gemüter beschäftigten. Von einer astrologischen Ausdeutung dieser Vorgänge in bezug auf Bismarck berichtet der bekannte Berliner Astronom Prof. Wilhelm Förster in seiner Autobiographie „Lebenserinnerungen und Lebenshoffnnngen". Der blinde König von Hannover, der mit seiner Armee sein Reich hatte verlassen müssen, unterhielt sich bei seinen: kürzen Ausenihalt in Göttingen mit dem Astro nomen Klinkerfues und erhielt auf die bei läufige Frage: „Was gibt es Neues am Himmel?" die eifrige Antwort: „Majestät, es gibt jetzt in der Tat etwas sehr Merkwürdiges. In dem Sternbild der nördlichen Krone ist plötzlich ein ganz neuer und sehr Heller Stern aufgeleuchtet, dessen Beobachtnng uns alle stark beschäftigt." Daraufhin zeigte der König ein ganz außerordentliches Interesse an dieser Er scheinung und schien über ihr seine verhängnis volle Lage ganz zu vergessen. Nachher wurde Klinkerfues mitgeteilt, der König habe ans den Mitteilungen des Astronomen eine große Be ruhigung erhalten; er glaube nämlich, der neue Stern der nördlichen Krone weise ans niemand anders hin, als auf den plötzlich so gewalttätig gewordenen Ratgeber der „Krone Preußen". Daraus, daß dieser neue Sten: im Verbleichen begriffen sei, schöpfe der König die Hoffnung, daß auch Bismarcks Macht im Niedergänge sei. Freilich, die Astrologie täuschte den blinden König, wie schon so viele vor ihm. Das Bricfsiegel als Feldpostknft. Ein Briessiegel als Küßsymbol ist die neueste Mode der Engländerinnen, die Feldpostbriefe an ihre Tommies senden. Wie der .Gauiois^ erzählt, wunderten sich die srauzösischcn Postbeamten in letzter Zeit immer häufiger, unter der englischen Post ein- Menge von Briefen zn finden, die auf der Rückseite ein Siegel mit vier Worten oder ost auch die vier Worte mit Tinte ge schrieben wagen. Die Schrift lautet: „Zeawä vtvü rr Wiss," auf deutsch: versiegel: mit einein Kuß. Diese Mode wird nun auch von den Franzosen eifrigst zur Nachahmung empfohlen. Kriegshumor. Früh übt sich. „Na, willst du mit an die From, Frätzchen? Dn würdest einen famosen Fähn rich abgeben l" „Aber Papa, ich bin doch schon Major gewesen, Mama hat's gesehen!" (,Lust. Bl.') Der Generalkassierer. Der italienische König las den geheimen Bericht Cadornas und zerknautschte wütend das Papier. Dann diktierte er einen Bcichl, durch den wieder drei Generale abgesctzt wurden. „Ja, ja," sagte er melancholisch, „ich führe den Krieg in Absitzen!" (.Ulk'.) Leben hinaus — das sagte er mit erhobener Stimme — den Versuch machen wolle, der armen Gemeinde Hilse zu bringen. Worum es sich handle, werde sein jnnger Freund selbst vortragen; er wolle sür seine Person nur hervor heben, daß der Ausweg, der sich da unvermutet aufgetan, ihn besonders darum froher aufattuen lasse, weil nun doch ohne weiteren Zeitverlust die Arbeit wieder ausgenommen und der Ruin der Gemeinde aufgehalten werden könne. Paul erhob sich schnell, noch ehe Manders sich gesetzt hatte. „Meine Freunde!" Er sprach mit klarer, durchdringender Stimme und ohne jede Er regung. „Unser verehrter Herr Lehrer, dem ich nicht weniger als Sie alle Dank schulde, hat bereits die Situation geschildert, in der wir. uns alle befinden. Ich nämlich nicht weniger als Sie, trotz einiger Unterschiede. Für Sie hat der Winter diesmal besondere Schrecken. Das Elend in seiner grimmigsten Gestalt hockt auf Ihren Schwellen, der Hunger muß Einkehr in Ihre Hütten halten, wenn nicht irgend etwas geschieht. Ich selbst habe nun zwar den Winter speziell nicht zu fürchten, ich werde vermutlich auch nicht unter Hunger und Kälte zu leide» haben; aber das eine habe ich doch mit Ihnen gemeinsam, daß ich nicht weiß, was «ui: aus mir werden soll. Ich bin an Reichtum gewöhnt gewesen und plötzlich arm geworden; meine Studien sind nicht vollendet, und wenn ich schließlich auch viel gelernt habe — zu einem richtigen Beruf reicht's eben doch nicht aus." LL r» (Fortsitzung folgt.)
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