Volltext Seite (XML)
Die „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich t Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bis vormittag 40 Uhr. Inserate werden mit ,o Pf. jfür die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be> sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Nr. 126. Mittwoch, den 21 Oktober 1903. 2. Jahrgang. Lnternemvürter. Zur Bedienung von ca. 30 Stück Straßenlaternen wird ein Laternenwärter gesucht. Gesuche mit Gehaltsansprüchen sind bis 22. dieses Monats einzureichen. Ottendorf-Moritzdorf, am 16. Oktober 1903. Der Gemeindevorstand. Lincke. Kreibankverkäufer. Die hiesige freibankverkäuferltelle ist anderweit zu vergeben. Selbstgeschriebene Bewerbungsgesuche sind bis 22. dieses Monats einzureichen. Ottendorf-Moritzdorf, am 16. Oktober 1903. Der Gemeindevorstand. Lincke. Oertliches und Sächsisches. Vttendorf-Gkrilla, 20. Oktober 1903. —* In der Nacht zum Montag wurde in die an der Kirchstraße gelegene Wohnung der Frau Leuthold eingebrochen und ein der selben gehöriger Geldbetrag von 24 Mark gestohlen. —* Am heutigen Tage begeht das Karl Wächter'sche Ehepaar in Moritzdorf das Fest des silbernen Ehejubiläums. — Die Mitte des Monats Oktober wird mit Recht als Scheidegrenze der sommerlichen und winterlichen Jahreshälfte angenommen. Der Aufenthalt im Freien ist von nun an be schränkt. Die Sonne kann, da sich der Nach mittag im Laufe des Oktobers um reichlich 60 Minuten verkürzt, nicht mehr die Erde sommer lich durchwärmen. Der Sonnenaufgang ver zögert sich früh nur um 1°/. Minuten, sodaß der Vormittag länger ist als der Nachmittag. Linden und Roßkastanien werden immer kahler, Ahorn und Birken glühen und zeigen ihr Blattgold. Nach alter Erfahrung der Land wirte und Gärtner müßen nunmehr alle em pfindlichen Pflanzen geborgen sein. Sitzt Milte Oktober das Laub an den Bäumen noch fest, sich strenger Winter erwarten läßt. — Um dem Mangel an Silber münzen der sich seit Einziehung der Taler überall in empfindlicher Weise fühlbar macht, abzuhelfcn, wird die Neichsbank bis auf weiteres Taler auf Verlangen wieder herausgeben. — Telephonische Gespräche wurden bis her öfter dadurch gestört, daß das Amt mit der Frage dazwischen trat: „Sprechen Sie noch?" und zwar auch dann, wenn die Unterhaltung gerade in vollem Gange war- Nach der „Voss. Ztg." hat nun die Postverwaltung auf erhobene Beschwerde hin dies Verfahren mit Recht als unzulässig anerkannt und eine entspechende Ver fügung an alle Oberpostdirektionen erlassen. Demnach darf das Fernsprechamt in eine tele phonische Verbindung erst dann mit der Frage, ob noch gesprochen werde, eintrelen, wenn es eine Unterhaltung nicht mehr wahrnimmt. — Ein Pfandschein ist keine Privat-, sondern eii c öffentliche Urkunde, so hat das Reichs gericht entschieden. Fälschungen von Pfand scheinen werden daher nicht als einfache Ur kundenfälschungen, sondern als Fälschungen öffentlicher Urkunden behandelt und bestraft, bezügliche Anklagen gehören vor das Schwur gericht, nicht vor die Strafkammer. — Interessant ist die in der heutigen Nummer unserer Zeitung sich befindende Glücks- Anzeige von Samuel Heckscher senr. in Ham burg. Dieses Haus hat sich durch seine prompte und verschwiegene Auszahlung der hier und in der Umgegend gewonnenen Beträge einen der maßen guten Ruf erworben, daß wir jeden auf besten heutiges Inserat schon an dieser Stelle aufmerksam machen. — Ein köstliches Geschichtchen vom Borstentier wird in einem Orte bei Dresden viel belacht. Einer der braven Einwohner nannte ein feistes Schweinchen sein eigen und liebte es als großer Tierfreund, nicht nur das Wachstum des Rüsseltieres zu bewundern, sondern gestattete dem Tiere auch, da es im Stalle zu enge, frei herum laufen zu dürfen. Abends fand sich das Schweinchen regelmäßig in seinem Heim wieder ein. Wer beschreibt aber den Schreck des Mannes und seiner liebenden Gattin, als eines Abend der Beherrscher des Saustalles nicht wieder kam. Suchend liefen beide von Haus zu Haus, allein aber nirgends fand sich das gesuchte Tier Jammerd kehrten sie nach Hause zurück; noch immer war der Stall leer. Da hörten sie plötzlich aus der „guten Stube" seltsames Geräusch. Ahnungs voll stürzten sie hinüber und sahen,, wie sich das Borstenvieh in begreiflichem Drange noch Höherem den Salon zur Wohnstätte erkoren. Las Schwein halte bereits den Salon, seinen eigenen Bedürfnissen entsprechend, eingerichtet, sodaß es dort in des Wortes vollster Bedeutung — schweinemäßig aussah. Tische und Stühle waren umgestürzt, Decken und Sessel waren zerfressen, das Sofa war zerschlitzt, daß es selbst einer Rumpelkammer nicht mehr zur Zierde gereichen würde. Dazu das liebliche Gemisch, in dem bas Schweinchen, vor Behagen grunzend, lag! Bis jetzt soll das arme Vieh noch nicht wieder auf seinen gewohnten Spaziergängen, zum größten Bedauern der teilnahmsvollen Nachbarn, zu erblicken gewesen sein! Kötzschenbroda- In einem Hause der Neuen Straße in Nauendorf brach am Sonn tag Feuer aus, welches das ganze Gebäude mit vielen Erntefrüchten und Wirtschaftsgegen ständen einäscherte. Großenhain. Wie oft Freud' und Leid bei einander sind, mußte gestern ein von der Amtsanwaitschaft hier gesuchter Eisendreher an sich erfahren, den die Polizei vom Tanzsaale weg, wo er sich mit seiner besseren Hälfte ver gnügte verhaftete. — Ein in einer hiesigen Herberge seit einigen Tagen aufhältlich gewesener Oesterreicher verübte gestern einen derartigen Hausskandal, das diesen nur durch Unterbringung des Störenfriedes in der Ratsfrohnfeste ein Ende bereitet werden konnte. Waldheim, Der Gutsbesitzer Faust in Massanei erlegte im Garten des Gärtners Böttcher einen Wolf, der sich schon einige Zeit in der Umgegend Herumgetrieben und verschie denen Schaden angerichtet hatte. Das mäßig große Tier ist wahrscheinlich einer Menagerie entlaufen. Bautzen. Das hiesige Landgericht verur teilte einen 14jährigen Schulknaben wegen Majestätsbeleidigung zu einem Monat Ge fängnis. Crimmitschau, In Sachen unseres Tex- tilarbeiter-AusstandeS vollendet sich mit heute bereits die achte Woche und wenn nicht alle Anzeichen trügen, scheint die Begeisterung der Arbeiter für den Ausstand im Schwinden be griffen zu sein. In mehreren Fabriken haben einzelne die Beschäftigung wieder ausgenommen und die Folge davon ist, daß sich daselbst die treikenden Arbeiter ansammeln. Im Stadteile Vahlen war heute mittag die Ansammlung vor einer Fabrik derartig, daß ein größeres Polzei aufgebot dort die Ordnung aufrecht erhielt. Seitens der Königlichen Amtshauptmannschaft Zwickau wird die Vornahme jvon Geidsamm- ungen ohne behördliche Genehmigung gewarnt und bekannt gegeben das Zuwiderhandlungen mit Geldstrafe bis zu 150 oder entsprechender Haft bestraft werden. — Der Ausstand der Textilarbeiter hat im benachbarten Obergrün berg bereits ein Menschenleben gekostet. Der oortige Hausbesitzer und Fabrikarbeiter hat sich ertränkt. Er soll sich die durch den Stillstand der Fabrik verursachte Arbeitslosigkeit so zu Herzen genommen haben, das er verzweifelnd den Tod suchte. Wenn es auch den ausständigen Textilarbeitern gelingt, die Räder der Spinnereien noch wochenlang stillstehen zu laßen und diesen ganzen Fabrikationszweig brach zu legen, so wächst in immer bedrohlicherem Maße die War- scheinlichkeit, daß infolge des langen Ausbleibens der Lieferungen aus Crimmitschau die aus wärtigen Besteller sich von den heimischen Spinnereien gänzlich emanzipieren werden, was ein vernichtender Schlag in erster Linie für die streikenden Arbeiter selbst wäre. Namentlich in München-Gladbach, das seine Imitat- und Fangygarne bisher fast ausschließlich aus Crim mitschau und Werdau bezog (1902 noch 4 435000 lcF,) haben sich einige Jmitatgarnspinnereien etabliert und werden seit Ausbruch des Crim mitschauer Streiks wesentlich erweitert. Be stellungen neuer Maschinen sind schon erfolgt. Die völlige Ausschaltung Crimmitschaus würde eine Katastrophe für das gesamte wirtschaftliche Leben in der Stadt bedeuten, das mit dem Blühen der heimischen Textilindustrie steht und fällt. Plauen i. V., Bekanntlich wurde am Freilag früh in der Nähe des städtischen Schlacht hofes die Leiche des 17 jährigen Gärtnergehilfen Eichhorn, Sohn des hier wohnenden S.chriftsetzers Eichhorn, gefunden. Anfänglich wurde ange nommen, daß ein Selbstmord vorliege. Nach den angestellten Ermittelungen mehren sich aber die Anzeichen dafür, daß Eichhorn das Opfer eines Verbrechens geworden ist. Der Bahn wärter Fugmann, der den Leichnam zuerst entdeckt, hat in der Nacht zum Freitag von der Bahnstrecke aus einen Hilferuf gehört. In dem Portemonnaie des Bedauernswerten fanden sich bei Auffindung der Leiche 7 H während er bei seinem Weggange von den Eltern 25 bei sich trug; auch vermißt man die Jnvalidenkarte und das Arbeitsbuch. Eichhsrn stand im Be griff, eine Stellung in Chemnitz anzunehmen. Nus der Woche. Der Anfang der Wocbe wurde durch ein Strohfeuer markirt, das die lieben Engländer in fernen Ostasien angezündet hatten, um die Welt glauben zu machen, der Krieg zwischen Japan und Rußland stände unmittelbar bevor. Ja, wenn Japan so könnte, wie es möchte und wenn Rußland nicht fünfzig Kriegschiffe und 100 000 Mann in Ostasien hätte, dann wäre wohl der „Friedenszustand" gefährdet. Aber wie die Dinge nun einmal liegen, läßt sich China in aller Ruhe die Ohren abschneiden, um nicht den ganzen Kopf zu verlieren und Japan sieht mit Gelassinheit zu. Der japanisch - englische Vertrag gilt nur für den Fall, daß Japan von zwei Mächten zugleich an gegriffen werde. Aber beim besten Willen ist nicht einzusehen, welche Macht Japan angreifen sollte. Und nun gar zweie I Also für das arme Japan steht die Sache trostlos. Es führt zum Scheine und aus politischen Anstands rücksichten Unterhandlungen mit Rußland, wobei auch natürlich die Räumung der Mandschurei erwähnt wird. Aber Rußland tut doch, was es will. Und es will sehr viel und kann sehr viel und Japan wird schließlich gute Miene zum bösen Spiel machen. Inzwischen ist der Zar weit — weit von seiner Heimat, in Darm- tabt und dort fühlt er sich wohl sicherer als elbst daheim im heiligen Rußland. Er ist ein iberaus nervöser Mann und seine Geheim polizei hat großen Einfluß auf ihn. Darum )at er auch seinen Besuch in Rom „aufge- choben" und es ist nicht sehr wahrscheinlich, >aß er überhaupt dorthin gehen wird. Die Kunde von diesem Aufschub war das zweite große Ereignis der Woche. Tausende Federn wurden in Bewegung gesetzt, um den Gründen ür diese Italien kränkende Absage nachzu- püren. Die Stadt Rom steht vor der ganz gemeinen bürgerlichen Pleite und ihr Bürger meister, der Fürst Colonna, hatschonder Regierung wenn diese nicht eine bessere Politik mache, die Konkursanmeldung Roms angedroht. Aber wie so häufig, Geschäftsleute, die dicht vor dem wirt schaftlichen Zusammenbruch stehen, noch immer glänzend auftreten, um die innere Fäulnis nach außen hin zu verbergen, so hatte auch die ewige Stadt Rom sich noch in nicht unbeträcht lichen Unkosten gestürzt, um sich zum Zarenbesuch nach Möglichkeit herauszustaffieren. Und nun kommt Väterchen gar nicht! Seine Polizei agenten haben ihm dunkle Bilder von den SickerheitSzuständen in der Tiberstadt vor gemalt und wenn man auch die Rinaldini und Luigi Vampa fernhalten kann, so bleiben doch die Sozialisten, Anarchisten und Nihilisten als Schreckgespenster übrig, die zum mindesten „pfeifen" würden, wenn der Selbstherrscher aller Reußen käme. Dieser könnte allerdings auch seinerseits darauf pfeifen, aber wie eben gesagt, der Zar ist nervös und getraut sich nie zu dicht heran- Seinen Gegenbesuch bei Kaiser Wil helm hat er auf der Danziger Reede abgestattet und anläßlich seines Besuches bei Kaiser Franz Joseph ist er im geschloßenen Wagen vom Bahnhof in Wien sogleich nach Mürzsteg ge fahren, weitweg von der Großstadt. Wenn er, wie fast alljährlich, die dänischen Verwandten seiner Mutter besucht, berührt er Kopenhagen kaum und fährt gleich nach dem Schloße Frede- riksborg oder Klempenbarg. Seinen Besuch in Frankreich stattete er auch vorsichtshalber nicht in Paris, sondern in Havre ab. Sein Groß vater Alexander II. wurde 1867 während der Ausstellung in Paris von einem wahnsinnigen Polen (Bereszewski) angegriffen und er hatte noch ein zweites Abenteuer: als er den Justiz palast besuchte, trat ihm der Advokat Floquet mit den begrüßenden Worten entgegen: „Es lebe Polen!" Auf die französischen Gastgeber mußten beide Ereignisse höchst peinlich wirken. Aber seit Kronstadt ist man so sehr ein Herz und eine Seele, daß Floguet sogar Minstcr werden durfte. Also so schlimm ist die Sache nicht, Nikolaus II hätte ruhig nach Italien gehen können, ruhig das Königspaar und den Pabst besuchen können, einige Sozialisten- Pfiiffe hätte ihn nicht umgebracht. Da jubeln gegenwärtig die Republikaner in Frankreich dem Könige von Italien zu und frenen sich, bestätigt zu sehen, daß die Intimität mit Italien wieder enger wird. Wir haben nichts dagegen das alle Welt seine Friedens liebe bekundet, den damit spricht uns alle Welt aus dem Herzen, wenn wir auch unaus gesetzt unser Heerwesen beßern und neue Schiffe bauen. Es ist ja daß nur um des lieben Friedens willen und daß sich ja niemand bei kommen läßt, denselben zu stören. — Von den andern laufenden Geschäften der großen Politik zu reden lohnt nicht der Mühe. Man könnte nur bereits gesagtes widerholen. Die orienta lischer Mühle klappert zwar immer tücbtig weiter, aber sie liefert leider noch kein brauchbares Mehl; der die ungarische Krise endlos hin- ziehenden Obstruktion in Budapest droht das Einsetzen der „eisernen Faust"; aber noch ist es nicht ganz so weit!