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Ottendorfer Zeitung : 11.09.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190309110
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19030911
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19030911
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-09
- Tag 1903-09-11
-
Monat
1903-09
-
Jahr
1903
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 11.09.1903
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politische Aunälchau. Deutschland. * Die Kaisermanöver in der Gegend von Merseburg haben am Montag ihren Anfang genommen. *Der neue schlesische Oberpräsident Graf v. Zedlitz-Trützschler ordnete die H erst ellu n g ö ffentlich er B auten an, um für die Not leidenden im Überschwemmungsgebiet Be schäftigung zu schaffen. *Das Reichsamt des Innern soll auf eine vertrauliche--Anfrage des Ausschusses des deutschen Handwerker- und Gewerbekammertages erklärt haben, die verbündeten Regierungen seien mit der Einführung einer Zwangs- Alters- und Invalidenversiche rung der selbständigen Hand werker einverstanden, wenn diese selbst es wünschten und zwar unter der Bedingung, daß die Annahmen unter 2000 Mk. in die all gemeine Invalidenversicherung eingereiht und für die höheren Einkommen zwei besondere Klaffen gebildet würden. * Aus Deutschland ausgewandert sind von Januar bis August 10 720 Deutsche (1902 9212) und 109 994 (89 832) Ausländer. Die Auswanderung hat also wwohl bei Deutschen wie bei Ausländem erheblich zugenommen. Was das Ziel der Auswanderer anlangt, so wurden ausgesucht im Jahre 1903 Groß britannien von 5572 (1902 4006), Kanada von 279 (190), die Ver. Staaten von 112 826 (93 728), Brasilien von 420 (90), die Laplata- staaten von 429 (851), Afrika von 1091 (11!) und Australien von 141 (188) Auswanderern. *Von verschiedenen Eisenbahn-Bettiebs-Jn- spektionen waren mit Genehmigung des Eisen bahnministeriums seit Jahren zahlreichen ver heirateten, zumeist in kleineren Ortschaften statio nierten Unterbeamten Eisenbahn-Frei fahrscheine angewiesen worden, mittels deren sie oder die Frau einige Male im Monat Freifahrten in die nächstgelegenen größeren Ort schaften zum Einkauf von Lebensmitteln unter nehmen konnten. Jetzt sind diese Scheine zum größten Teile wieder eingezogen worden, mit der Begründung, daß auch in kleineren Ort schaften die Gelegenheit zu billigem Einkauf von Waren aller Art vorhanden sei. Die Maß nahme hat bei den Beamten wenig Anklang gefunden. Österreich-Ungarn. * Die ungarische Krise dauert an oder richtiger: sie ist in einen Sumpf geraten. Der Finanzminister Lukacs hat die Kabinetts bildung abgelehnt und Szell will überhaupt nicht mit der Obstruktion verhandeln. *Noch sind die Magyaren weder be ruhigt noch befriedigt, so erscheint schon wieder das Gespenst der tschechischen Ob struktion am politischen Horizont. Auf ihrer in Prag abgehaltenen Versammlung be schlossen die In n g t s ch e ch e n, ihren Ab geordneten zur ersten Pflicht denSturzdes gegenwärtigen Ministeriums zu machen. (Wenn man sich die Vorgänge der letzten Jahre in den Reichsratssitzungen vor Augen führt, so kann man sich einigermaßen vorstellen, in Weichei Weise die tschechischen Abgeordneten ihre Mission erfüllen werden. Jedenfalls kann sich Herr v. Körber freuen!) Frankreich. * Bischof Andrieux von Marseille hat an die Priester seiner Diözese einen Hirtenbrief ge richtet, der sich in scharfen Ausdrücken gegen die Regierung wendet. Neben solchen theoretischen Protesten fehlt es auch nicht an tatsächlichem Widerstande. Ein Großindustrieller, welcher mit seinen 3000 Arbeitern den zur Schließung eines Klosters in Belfort eingetroffenen Behörden Widerstand entgegensetzte und die Bevölkerung in einem Aufrufe ebenfalls zum Widerstande aufforderte, ist durch den Präfekten seines Amtes als Bei geordneter des Magistrats enthoben worden. Rußland. * Das Ausscheiden des jetzigen Ministerpräsidenten Witte aus dem Reffort des Finanzministeriums soll aus Zwistigkeiten mit dem Minister des Innern Plehwe zurück zuführen sein. Schon seit geraumer Zeit be stand zwischen den beiden Ressorts ein ge spanntes Verhältnis, das gelegentlich einer Ministerreise zu einem offenen Konflikt kam. (Die „Beförderung" Wittes zum Ministerpräsidenten ist nichts weniger als eine solche. Jedenfalls bedeutet der Umzug für Witte eine Kalt stellung.) Balkanftaaten. * Das mazedonische Komitee ver fügt, wie in einer Unterredung mit einem Ge währsmann der ,Köln. Ztg/ ein den Leitern der Bewegung sehr nahestehender Mazedonier er klärte, über ungeheure Dynamit massen, Sprengstoffe, zwanzigFlaschen Peftbazillen (!) Gewehre, Munition und Geld. Man sei fest entschlossen, wenn nicht ein Krieg zwischen Bulgarien und der Türkei oder eine europäische Einmischung erfolge, die mazedonischen Städte mit Dynamit zu zerstören, die Dörfer zu verbrennen, die Brunnen und Wasserleitungen zu verseuchen. Das Komitee rechnet bestimmt mit demAusbruch des bulgarisch-türkischenKrieges, da sonst leicht die Anarchie nach Bulgarien übertragen werden könnte. Vor solche Wahl gestellt, werde das Fürstentum den Krieg vor ziehen: darauf gründe sich die gesamte Hoff nung Mazedoniens. * In Bulgarien ist das Politische Baro meter auf Sturm gestellt. Fürst Ferdinand, der in dem Konflikt die schwerste und undankbarste Rolle spielen muß, steht zwischen Baum und Borke, er weiß nicht, wie er es anfangen soll, den Mächten gerecht zu werden, die von den Gelüsten des Großbulgarentums nichts wissen wollen, und anderseits es mit dem bulgarischen Volk nicht zu verderben, dessen Sympathien bei den kämpfenden Brüdern in Mazedonien find. * Der Aufruf, den die in Nisch verhafteten Offiziere an ihre Kameraden erließen, besagt, daß in der Nacht vom 11. Juni serbische Offiziere (diese werden mit Namen genannt) in den Königspalast mit allen Offiziersabzeichen eindrangen, daselbst unter Verhöhnung ihres Fahneneides und unter Mißbrauch des Vertrauens auf meuchelmörderische Art den gesetzlichen König und dessen Gemahlin in barbarischer Weise ermordeten, deren Leichname ver stümmelten, plünderten und durchs Fenster warfen. Hätten diese Offiziere auch nur einen Schatten von Ehrgefühl besessen, so wäre es ihre Pflicht gewesen, ihre Offiziersahzeichen sofort noch vor der Tat ab- zulegen. Sie taten es auch nach der Tat nicht, sondern lieferten seither neue Beweise, daß sie aus Eigennutz und Habsucht handelten, ja sie verstiegen sich bis zu der Frechheit, Regierungsakte zu verhindern und alle anständigen Offiziere mit Acht und Bann zu belegen. Unter solchen Umständen sind es die serbischen Offiziere sich selbst, ihrem Könige, ihrem Vaterlande und der ganzen gebildeten Wett schuldig, die Ausstoßung dieser un würdigen Meuchelmörder aus dem ser bischen Heere zu verlangen. „Entweder legen sie den Waffenrock nieder, oder wir alle", heißt es im Aufruf. * Der Divisionskommandantvon Nisch, der fich geweigert hat, sein Kommando niederzulegen, ist nun in den Ruhestand versetzt worden, und auch im übrigen scheint für den Augenblick wenigstens die Partei der an dem Königsmord beteiligten Offiziere die Oberhand zu haben. Amerika. *Präsident Roosevelt hat die An weisung gegeben, daß in Zukunft wichtige Posten im Konsulardienst mit solchen Persönlich keiten besetzt werden sollen, die' „aus ge ringeren Stellungen heraufge kommen sind und durch ihre Erfahrungen be fähigt erscheinen, die Handelsinteressen der Ver. Staaten zu fördern." Afrika. * Infolge der Untätigkeit der europäischen Mächte gegenüber den marrokkanischen Wirren hat sich die Lage wieder ver schlimmert. Die Rebellen legen größere Dreistigkeit an den Tag; so wurde am Freitag in Tanger eine französische Karawane auf offener Straße geplündert. (Da wird wohl Frankreich nicht lange auf sich warten lassen.) Oer jVletLer fall hat die Frage der Wasserversorgung der Städte und des platten Landes wieder in den Vorder grund des Interesses gerückt. Die Erkenntnis von dem hohen gesundheitlichen Wert reinen, einwandfreien Trinkwasfers bricht sich immer weiter Bahn. Den Belehrungen in den öffent lichen Blättem anläßlich des Auftretens der Cholera zu Anfang der neunziger Jahre, dem zielbewußten Vorgehen in den größeren Städten und dem Drängen der Medizinalbeamten und Arzte ist es zu danken, daß der Wasserver sorgungsfrage allenthalben ein größeres Ver ständnis entgegengebracht wird. Seit Errichtung des Gesundheitsrats im Reichsgesundheitsamt dehnt sich die Fürsorge auf das ganze Reich aus. In Preußen war bis in die Mitte des vorigen Jahrzehnts nur eine kleine Anzahl von Städten mit zentraler Wasserversorgung ver sehen. Inzwischen hat sich diese Ziffer nicht unbedeutend gehoben. Manche Städte haben artesische Brunnen erbohrt, andere suchen der Forderung nach reinem unverdorbenen Trink wasser durch Erbohrung von Röhrenbrunnen oder Umwandlung von Kesselbnmnen in Röhren brunnen zu genügen. Überall find in den Städten die öffentlichen Brunnen unter eine sorgsamere Kontrolle gestellt. Nur wenige Städte blieben der Lösung der Wasserfrage fern, sei es, weil das Verständnis oder die Mittel sehlten oder weil die Terrainverhältniffe schwer überwindbare Hindernisse boten. In den kleineren Städten und mehr noch auf dem platten Lande zeigt die Bevölkerung vielfach eine Genügsam keit in bezug auf Anforderungen an ein Trink- wasfer, die in Erstaunen setzen muß. Aus unreinsten Flüssen, Gräben, Kanälen, Teichen usw. wird das Wasser geschöpft und getrunken, einerlei, ob allerlei sichtbare Lebewesen darin vegetieren, Enten und Gänse darauf schwimmen, Tierleichen fich darin befinden, ob oberhalb schmutzige Wäsche gewaschen und gebadet wird, Fabrikabwässer und Worte hineinmünden und ob die unsaubersten Gefäße hineingesenkt werden. Alles dies ist vielen Personen gleichgültig und jeder Einwand wird damit abgewehrt, die Vor fahren hätten das Wasser auch schon getrunken und es hätte ihnen nichts geschadet. Welche Verständnislosigkeit vorkommt, zeigt der Fall, daß ein Amtsvorsteher und Gutsbesitzer im Regierungsbezirk Danzig einen sehr guten Kessel brunnen von 12 Meter Tiefe, dessen Wasser nach chemischer Analyse gut war, vor dem Ein frieren dadurch schützen wollte, daß er den mit großen Ritzen versehenen Bohlenbelag mit Mist bepackte, was erst bemerkt und beseitigt wurde, als Typhus auftrat. Die Gutachten über Wasserversorgung zeigen nicht selten eine mangelhafte Kenntnis dessen, was von einem brauchbaren Trinkwaffer zu verlangen sei, ver nachlässigen ost die so wichtigen Bestimmungen des Eisens und der Hätte und geben rein schematisch nach irgendwoher entnommenen Grenzzahlen ein völlig unbrauchbares, oft nicht einmal nachprüfbares Urteil ab. Zu alledem kommt, daß es gesetzlich nicht leicht gemacht ist, die Beschaffung guten Trinkwasfers zwangs weise durchzusetzen. Von unä fern. Was der „kleine Kohn" alles an richtet ! Ein junger Berliner Handlungsge hilfe, der vom Personal der „kleine Kohn" ge nannt wurde, erhielt von seiner Braut den Laufpaß, als sie den Spitznamen hörte. Das glaubte der arme Mensch nicht überleben zu können. Er stieß fich sein Taschenmesser zwei mal in die Brust, aber nicht allzutief. Das junge Mädchen, das ihn nach dieser Motttat in einer Droschke zur Unfallstation brachte, konnte die tröstliche Zusicherung empfangen, daß der „kleine Kohn" dem Leben erhalten bleiben werde. Ei» Anschlag wurde Freitag abend auf den Frankfurt-Berliner V-Zug bei Mühlheim a. M. verübt, indem eine etwa 12 Meter lange, 10 Zentner schwere Schiene quer über das Geleise gclegt wurde. Ein Bahnwärter stellte den Zug rechtzeitig, der mit einer Geschwindig keit von 70 Kilometern in der Stunde fuhr, und verhütete so ein großes Unglück. Die Staatsanwaltschaft hat bereits die Untersuchung eingeleitet. Man vermutet, daß entlassene Streckenarbeiter die Täter firw. Eine grausige Familientragödie hat sich in Frankfurt a. M. abgespielt. In der Nähe des dortigen Schlachthofes wurden vier zu sammengebundene Leichen, Vater Mutter und zwei Söhne, aus dem Main gelandet. Die Persönlichkeiten der Toten find noch nicht fest gestellt. Graben-Unglück. Auf der Zeche „Rhein preußen" bei Homburg durchschlug am 5. d. in Schacht 4 ein Förderkorb eine Bühne, wodurch drei Bergleute in die Tiefe gestürzt und ge tötet wurden. Aus Furcht vor Strafe erschoß fich ein vor dem Zentralgefängnis in Kottbus Poften stehender Soldat mit seinem Dienstgewehr. „Hoch klingt das Lied vom braven Mann!" Um ein auf dem Bahübergange be findliches Kind vor dem Qberfahrenwerden zu retten, setzte der Bahnarbeiter Schlegel auf Station Rackwitz (Berlin-Anhalter Bahn) mutig sein Leben ein — es gelang ihm, das Kind wegzureißen, er selbst aber hauchte unter den Rädern der Lokomotive sein Leben aus. Eine „kleine" Auseinandersetzung. Bei einem Streite riß in Wüstheuterode bei Heiligen stadt ein Dienstknecht seinem Brotherrn erst die eine, dann auch noch die andere Hälfte seines Vollbartes aus, während der so Verunzierte mit einem Bierseidel das Antlitz seines Gegners verunstaltete. Beide mußten ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Durch einen Eisenbahnzug getötet. Der Wagenmeister Büttner wurde am Freitag in Breslau von der Maschine eines in den Bahnhof einlaufenden Zuges erfaßt und so schwer verletzt, daß er bald darauf starb. Der Verunglückte hinterläßt 9 Kinder. Zwei Motorwagen der elektrischen Bahn stießen in Zalenze (Oberschlesien) so heftig zusammen, daß beide Wagen vollständig zertrümmert wurden. Fünf Passagiere und je ein Motorführer, Schaffner und Kontrolleur er litten schwere Verletzungen. Verschiedene andere Personen kamen mit leichteren Verletzungen davon. Aus Eifersucht erschoß in Freinsheim der Metzger Bauer seine 20 jährige Geliebte und brachte sich selbst lebensgefährliche Schüsse bei. Beraubter Postwagen. Der Postwagen, der den Verkehr zwischen Talfa (bei Rom) und Civitavecchia vermittelt, wurde kürzlich gegen Abend zwischen Talfa und Allumiere von zwei vermummten Straßenräubern Überfällen. Einer der Briganten, der mit einer Flinte bewaffnet war, stellte sich den Pferden entgegen; der andere bedrohte, den Revolver in der Hand, den Postkutscher und die Reisenden. Die letzteren stiegen schleunigst aus und überließen den Räubern alles, was sie bei fich trugen; Uhren, Ketten, Ringe und Geld fielen den Banditen in die Hände. Sehr schlecht ging es dem Postbeamten. Die Räuber forderten ihn auf, ihnen die eingeschriebenen und die Geld briefe zu übergeben; als er fich weigerte, wurde er mißhandelt und mit dem Tode be droht. Schließlich wurden alle Postsachen weg genommen. Nachdem der Wagen so gründlich durchsucht war, daß den Räubern auch nicht das Geringste entging, forderten die letzteren die Reisenden höflich auf, ihre Plätze wieder einzunehmen, und wünschten ihnen glückliche Weiterreise. Die „große Therese" hat ihre Strafe angetretcn. Therese Humbert ist am 5. d. früh fieben Uhr von der Conciergette nach der Strafanstalt Fresnes, wo die andern drei Ver urteilten fich bereits befinden, überführt worden. Da sie seit einigen Tagen „leidend" ist, erfolgte der Transport durch einen städtischen Ambulanz wagen. Zwei Krankenwätterinnen nahmen im Innern des Wagens Platz, auf dem Bock saßen Gefangenauffeher. Therese Humbert trug die selbe Toilette wie vor dem Schwurgericht, und weiße Handschuhe. (I) K Dianens 6rbe. 8s Erzählung von A. I. Groß v. Trocka» (Forlsetzung.1 Meiner Mutter, die mit Befremden mein längeres Verweilen in Ostende rügte, hatte ich endlich meine Sinnesänderung bekannt. Ihre Antwort darauf ließ zwar eine große Ent täuschung bemerken, dennoch versprach sie mir, mit Wenkheims bis auf weiteres alles wieder rückgängig zu machen, ihre eigenen Wünsche zum Schweigen zu bringen und die Tochter, welche ich ihr zuführen würde, mit Liebe an ihr Mutter herz zu schließen. Mit dieser Zustimmung meiner Mutter schien mir jedes Hindernis aus dem Wege geräumt und ich gab mich ohne Rückhalt meinen Glücks träumen hin. So vergingen Wochen ungetrübter Selig keit. Noch hatte ich das entscheidene Wort zu Lianen nicht gesprochen; die Gegenwart mit ihrem unbestimmten Zauber schien mir so schön, daß ich mich scheute, dieselbe selbst mit der Gewißheit meines Glücks zu vertauschen. Ich faßte den Gedanken nicht, daß ein Ende kommen mußte der schönen Tage dieser zarten Werbung, die mich dem ersehnten Ziele näher und näher zu bringen schienen, ohne ungestüme Wünsche in meiner Seele zu wecken. Aus dieser traumseligen Gemütsverfassung weckte mich unsanft eine Bemerkung des Ge heimrats, welcher im Laufe des Gesprächs ein fließen ließ, daß er in den ersten Tagen des August Brüssel auf der Heimreise zu berühren gedenke. Mein Blick suchte bei dieser Nach richt erschrocken Linnens Auge, sie war erblaßt und mir wollte scheinen, als schimmerte eine Träne in ihren Wimpern. An jenem Abend hatten sie Kinderball im oorols les dains und ein Konzett auf der großen Terrasse des Kurhauses, so daß der breite Strand und die Esplanade mit den Musoirs daran, voraussichtlich ziemlich verödet bleiben würde. Als daher der Geheimrat sich mit seinem Freunde zu der allabendlichen Schach pattie niederließ, schlug ich Lianen einen Spaziergang über den Steindamm vor, um uns von dort an dem Anblick des Meeres zu er götzen, welches in erhabener Ruhe sich aus dehnte unter dem silbernen Licht des Blondes. Sie willigte ein, nahm ein schwarzes Spitzen tuch über den Kopf, aus welchem ihr edles, blasses Antlitz mit den großen, dunklen Augen wie eine feine Camöe sich abhob, und folgte mir. Lange schritten wir Seite an Seite dahin. Keines sprach ein Wort, keines würdigte eines Blickes nur das mondbeglänzte Meer, welches zu bettachten wir ausgezogen waren. Eine eigene Bangigkeit schien sich unserer bemächtigt zu haben, als wir allein hinausttaten in das Schweigen des Abends. Immer rascher schritten wir dahin, als gälte es, zeitig ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Endlich schien es mir unmöglich, länger die Bewegung meines Innern zu bemeistern. Ich blieb stehen und atmete tief auf, als wollte ich eine Last mir von der Seele wälzen. Sogleich hielt auch Liane inne im Vorwärtsschreiten und wandte fich mir zu. „Schon müde, Baron?" „O nein," antwortete ich, indem ich dicht an ihre Seite trat und meine Stimme zu einem Flüsterton dämpfte; „ich würde nie müde, so zu wandern!" Liane schoß das Blut heiß in die Wangen, um sie gleich darauf wieder bleicher erscheinen zu lassen als vorher, aber sie antwortete nicht, sondern fing wieder an langsam vorwärts zu schreiten, ohne mich anzusehen. Ich folgte ihr. „Liane," bat ich, ^wollen Sie mir nicht Gehör schenken? Darf ich es nicht endlich aus sprechen, was mich bewegt? Ja — ich würde niemals müde, so zu wandem, mit dem Takte Ihrer Schritte an meiner Seite, mit dem Rauschen Ihres Gewandes in meinem Ohre, und auch Sie, Liane, ich bin so kühn dies zu glauben, auch Sie finden Genüge an meiner Gegenwart! Ist es nicht so? O sprechen Sie, war ich zu vermessen? Zürnen Sie mir?" Wieder blieb sie stehen und kehrte mir jetzt ihr tränenüberströmtes Antlitz zu. „Wie könnte ich zürnen," sprach sie leise, „daß Sie in meiner Seele gelesen?" Mit einer raschen Bewegung faßte ich ihre beiden Hände und schaute ihr mit dem Ausdruck innigster Liebe in die dunklen Augen. „Liane," rief ich, „wie glücklich machst du mich! Nun soll uns nichts mehr scheiden! Nun bist du mein, meine Braut, und bald mein Weib, das -" Ein leiser schmerzlicher Aufschrei Lianens unterbrach meine Rede, sie hatte mir fast heftig ihreHände entzogen und entfernte fichschwankenden Schrittes aus dem Bereich meiner Arme, indem fie austtef: „Gott sei mir Armen gnädig! Das kann, das darf nicht sein! Was habe ich getan! Mein Gott, was habe ich getan!" „Was du getan hast, Liane?" erwiderte ich, aufs neue an ihre Seite tretend. „Was du getan hast? Du hast mich unaussprechlich glücklich gemacht! Solltest du das bereuen können?" Ich versuchte bei diesen letzten Worten ihr wieder in die Augen zu sehen, allein sie hielt dieselben zu Boden gesenkt und ihr Antlitz er schien unter dem blaffen Lichte des Mondes wie versteint. Sie schüttelte nur verneinend das Haupt und wehrte sanft meine Hand ab, welche die ihre suchte. Wtt waren indes immer weiter geschritten, und standen nun vor einer der zahlreichen Bänke, welche den Steindamm zieren. Liane sank daraus nieder, unfähig, sich länger aufrecht zu erhalten und barg schluchzend das Antlitz in ihren Händen; ich aber beugte mich mit sanften Worten zu ihr nieder und drückte ihr einen Kuß auf den gesenkten Scheitel! Da sprang sie empor, wie von plötzlichem Entsetzen gepackt, sah mir mit weit geöffneten Augen ins Gesicht und rief: „Du warst es, du! im Parke zu H . . -l Du weißt alles und du kannst zu mir sprechen, wie du es getan?" Dieses jähe Erwachen der Erinnerung in Lianen traf mich wie ein Schlag aufs Herz. Ich fürchtete, ihr nun verhaßt zu werden, weil ich ihr Leiden kannte, und suchte ihren Gedanken
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