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Ottendorfer Zeitung : 01.07.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190307011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19030701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19030701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-07
- Tag 1903-07-01
-
Monat
1903-07
-
Jahr
1903
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 01.07.1903
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Aolltilcke Aunälckau. Deutschland. *Nun liegt das gesamte Wahl resultat vor. Nach der neuen Stärke der Fraktionen geordnet erhielten Mandate: Zentrum 101 (bisher 106), Sozialdemokraten 82 (bisher 58), Konservative 53 (52), Naiionalliberale 52 (53), Freisinnige Volkspartei 21 (28), Frei konservative 19 (20), Polen 16 (14), Freisinnige Vereinigung 9 (15), Antisemiten 9 (12), El sässer 9 (12), Wilde 9 (8), Süddeutsche Volks partei 6 (7), Welfen 5 (3), Bund der Land wirte 2 (6), Bayrischer Bauernbund 5 (5). Bei Betrachtung dieser Zahlen muß man vedenken, daß die einstweilige Einschätzung der Gewählten in die einzelnen Parteien nicht immer zutrifft, wodurch für die Stärke der Fraktionen noch kleine Verschiebungen eintreten können. *Als erster antwortete auf die Anzeige des Königs Peter von seiner Thron besteigung der deutscheKaiser. Seine in französischer Sprache abgefaßte Depesche hat in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut: „Ich habe die Anzeige, durch welche Eure Majestät mir die Mitteilung von Ihrer Thron besteigung machten, empfangen und nehme von dieser Mitteilung Notiz. Ich hege die Hoff nung, daß Eure Majestät Ihr Bemühen darauf richten, daß die guten Beziehungen, welche seit her zwischen Deutschland und Serbien geherrscht haben, in Zukunft aufrecht erhalten und sich weiter entwickeln werden. Ich gebe dem Wunsche Ausdruck, daß die Regierung Eurer Majestät eine Periode des Friedens und des Fortschrittes für Ihr Königreich inaugurieren möge." (Die angemessene Kühle des Wortlautes berührt wohl- tuend.) * Der Kaiser trank während des Diners an Bord der „Hohenzollern" im Kieler Hafen am Donnerstag auf die Gesundheit des Prä sidenten der Ver. Staaten; die Musik spielte die amerikanische Hymne. t. Als Gäste d e s Kais er s für die „ Kie ler Woche" sind in der Hafenstadt u. a. eingetrosfen: Der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, Prin zessin Turn und Taxis, Prinzessin Pleß, der ameri kanische Botschafter in Berlin Tower, der ameri kanische Botschafter in Rom Mr. Meyer, der ameri kanische Marineattachö in Berlin Dir. Potts, der französische Marineattachö in Berlin Graf Sugnh, der Staatssekretär des Reichsmarineamts v. Tirpitz, General-Direktor Ballin-Hamburg, Kommerzienrat Guilleaume-Köln, Geh. Rat Busley-Berlin, Baron L. v. Rothschild-Hamburg, Prof. Oechelhäuser-Karls- ruhe, Generalkonsul Dallmann-Hamburg, Vize- Admiral a. D. Valois-Berlin, Baron v. Bermuth- Antwerpen, Feldprobst Dr. Richter-Berlin, General major v. Amonn w. General-Feldmarschall Graf Waldersee ist gleichfalls in Kiel eingetroffen und hat auf Einladung des Kaisers im oortigen königlichen Schlosse Wohnung genommen. *Zur Begrüßung der Königin Wil helmina von Holland, die Freitag zur Teil nahme an den Tauffestlichkeiten am großherzog lichen Hofe in Oldenburg eintras, entsandte das in Wandsbek liegende Husaren-Regiment auf Befehl des Kaisers eine Ehren-Schwadron nach Oldenburg; die Abordnung besteht aus 5 Offi zieren, 89 Unteroffizieren und Mannschaften mit 94 Pferden. Die jugendliche Herrscherin ist bekanntlich Chef des genannten Regiments; der Kaiser verlieh es ihr, als sie 15 Jahre alt ge worden war. * Der Bundesrat hat am Donnerstag u. a. den Ausschußanträgen über Ergänzung der Branntweinsteuer-Ausführungsbestimmungen und über Änderung des amtlichen Waren verzeichnisses zum Zolltarif seine Zustimmung erteilt. — Nach der ,Nat.-lib. Korr/ war das übrigens die letzte Sitzung des Bundesrats vor der Sommervertagung. * Dem Ober-Präsidenten von Schlesien, Herzog von Trachenberg, ist nun mehr vom Könige der nachgesuchte Abschied mit Pension zum 1. Juli erteilt worden, und zwar umer Verleihung des Verdienstordens der preußischen Krone. Österreich-Ungar«. *Die Vereinigung der vier großen deutschen Parteien des Reichsrates: der deutschen Fortschritts partei, der Volkspartei, des verfassungstreuen Großgrundbesitzes, der christlich-sozialen Partei, ist erfolgt. Vorläufig soll die Einigung nur nationalen Fragen gewidmet sein. In den großen Vollzugsausschuß entsenden die deutsche Fortschrittspartei die Abgeordneten Dr. Funke, Dr. Groß und Dr. Marchet; der Großgrund besitz die Abgeordneten Dr. Bärnreither, Graf Stürgkh und Baron Schwege!; die Christlich- Sozialen die Abgeordneten Dr. Lueger, Prinz Liechtenstein und Dr. Geßmann; die deutsche Volkspartei die Abgeordneten Dr. Derschatta, Prade, Dr. Löcker, Dr. Wolffhardt und Dr. Chiari; die deutschen Agrarier den Abg. Reschka. Das gewählte Viererkomitee ist nach Lands- mannschasten gebildet. Es gehören ihm an die Abgeordneten: v. Derschatta (Steiermark), Dr Bärnreither (Böhmen), Dr. Groß (Mähren) und Dr. Lueger (Niederösterreich). Die Mitglieder König Georg von Griechenland feierte am 27. d. sein 40jähriges Regierungsjubiläum. des engeren Ausschusses sollen abwechselnd den Vorsitz führen. Die Tschechen und Slowenen planen nun einen slawischen Gegen bund. *Das neue ungarische Kabinett ist jetzt gebildet. Honvedminister wird General major Koloßvary, Minister s Inters (Vertreter des Ministeriums beim Kaiser) Graf Tassilo Festetics. Alle anderen Minister des bisherigen Kabinetts verbleiben im Amte. Spanien. * Spanien steht im Zeichen des Streiks. Besonders in Barcelona streikt ziemlich alles: Arbeiter, Hafenarbeiter; die Siraßen- bahnbediensteten wollen sich anschließen. Es find gegen 30 000 Personen im Ausstande. Die Schiffe liegen im Hafen, ohne laden zu können. Mehrere Fabriken haben infolge Mangels an Brennmaterial den Betrieb eingestellt. Patrouillen durchstreifen die Stadt. Balkauftaaten. * König Peter von Serbien hat eine Pro klamation an sein Volk erlassen, in der er ver spricht, streng nach Verfassung Md Gesetz zu regieren; er überliefere „die Vergangenheit der Vergangenheit und überlasse es derGes chichte, jeden nach seinen Taten zu richten". Das be deutet die feierliche Amnestie für die Ermordung Alexanders und Dragas und die Antwort auf das angebliche Verlangen Rußlands nach Bestrafung der Königsmörder. — Die provisorische Regierung unter breitete dem König ihre Entlassung. König Peter nahm die Demission des bisherigen Kabinetts an und betraute den bisherigen Ministerpräsidenten Awakumowitsch aber mals mit der Kabinettsbildung. Awakumowitsch schlug die Beibehaltung der bisherigen Regierung vor, was der König annahm. Die Regierung bleibt daher in ihrer bisherigen Zusammensetzung im Amte. König Peter noti fizierte allen Souveränen und dem Präsidenten der französischen Republik Lonbet seine Thron besteigung. * Der König Peter von Serbien hat sämtlichen wegen Preß- und politischer Ver gehen Verurteilten Amnestie gewährt und zugleich die Strafen der wegen gemeiner Ver brechen Vemrteilten herabgesetzt. * Infolge von Gerüchten über angebliche neue Komplotte, richtete die Pforte eine Anfrage an den Wali von Salonichi, welcher antwortete, daß auch dort Gerüchte von einem geplanten Anschlag auf Salonichi in Umlauf seien. Er habe alle Vorsichtsmaßregeln getroffen. Hilmi Pascha telegraphierte, daß bis zum 21. Juni die Zahl der verhafteten Bulgaren im Vilajet Salonichi 380, in Usküb 280 und in Monastir 460 betrage. Er habe seine Be fehle erneuert, die Voruntersuchungen möglichst rasch abzuschließen, und habe überall öffentlich verkünden lassen, daß die Einwohner, welche die von den Komitees erhaltenen Waffen av- liefern, straflos bleiben sollen. * Als das griechische Kabinett am Donners tag bei einer Abstimmung in der Deputierten kammer eine Niederlage erlitt, stellte es die Vertrauensfrage; 114 Deputierte stimmten für das Kabinett, 95 gegen dasselbe. Eine Ministerkrisis ist wahrscheinlich. Amerika. *Das neue amerikanische Gesetz gegen die Verfälschung der Nahrungsmittel, das am 1. Juli d. in Kraft tritt, wird nach der ,Times' den amerikanischen Importeuren aus ländischer Nahrungsmittel und namentlich der Einfuhr deutscher Weine Unan nehmlichkeiten bereiten. Vertreter von Exportfirmen find bereits beim Schatzamt gegen das neue Gesetz vorstellig geworden. Der Leiter des chemischen Büreaus des Ackerbaudeparte ments Dr. Wiley, der Ernährungsversuche mit konserviertem Fleisch, das Boraxzusatz ent- hält, sowie mit deutschen und französischen Weinen anstellte, wird binnen kurzem einen aus führlichen Bericht erstatten, worin die schädliche Wirkung solcher Nahrungsmittel nachgewiesen wird. *Der ,Standard' hört aus New Aork, daß das Schatzamt weitere Maßnahmen zur Einschrän kung der Einwanderung zu treffen gedenkt. Bei den nächsten Wahlen wird die Verbilligung der Arbeit wahrscheinlich eine große Rolle spielen. Sargent, der Kommissar für die Einwanderung, er klärt in einem Artikel in der Zeitung ,The World', daß seit dem Jahre 1883 8 624 415 Einwanderer nach den Ver. Staaten kamen; während die Ein wanderung früher von Westeuropa erfolgte, kommen die Leute jetzt aus den östlichen Slaaten Europas. Der Kommissar fügt hinzu: „Diese Änderung in der Einwanderung hat die Zahl der des Lesens und Schreibens Unfähigen von 7 Prozent auf 25 Pro zent in die Höhe getrieben. Statt der Teutonen und Kelten kommen jetzt meistens Slawen. Dieser Einstrom von Fremden, die nicht imstande sind, englisch zu sprechen, muß die sozialen und politischen Verhältnisse des Landes beeinflussen." Man berechnet die Zahl der Einwanderung in den ersten 6 Monaten dieses Jahres auf 800 000 Köpfe. Afrika. * Man hatte geglaubt, daß der Aufstand in Marokko zu Ende sei. fliun aber haben wieder die Truppen des Sultans unter El Menebhi bei Taza eine schwere Niederlage durch die Aufständischen erlitten; ihr Verlust wird — von den Gegnern — auf 300 Mann geschätzt. Asien. *Wie in Washington halbamtlich verlautet, haben sowohl die Vereinigten Staaten als auch Japan die Vorschläge Chinas abgeIehnt, die dahin gehen, Handels verträge abzuschließen und den Teil der Verträge, der sich auf die Öffnung von mandschurischen Häfen bezieht, in der Schwebe zu lassen, bis dieselbe durch die Be dürfnisse des Handels in Zukunft erforderlich weü>e. Die Verhandlungen sind nun in einem kritischen Stadium angelangt und werden auf dem toten Punkt bleiben, bis Mittel ersonnen werden, einen Druck seitens Englands, Amerikas und Japans auf China auszuüben. Von und fern. 8 Ein Grostherzog als Zivilkläger. Ein eigenartiger Rechtsstreit beschäftigt gegen wärtig unter dem Rubrum: „Großherzog Ernst Ludwig von Hessen ooutr» Hofmöbclfabrik Glückert" das Landgericht in Darmstadt. Ter der Klage zugrunde liegende Tatbestand ist kurz solgender. Glückert erwarb seinerzeit von der grotzherzoglichen Kabinettsdirektion in der sogenannten Künstlerkolonie auf dem Alexaudra- wege in Darmstadt zwei Grundstücke, die er inzwischen bebaut hat. Nach dem Inhalte des diesbezüglichen Kaufvertrages hat er sich jcdmü verpflichtet, keine Wäsche auf dem Dache zu trocknen, das als dingliche Gerechtigkeit zu gunsten des dem Großherzoge gehörigen Nachbar grundstückes gewahrt wurde. — Nun trocknet der Beklagte aber doch Wäsche, weshalb er jetzt auf Unterlassung dieser Handlung gerichtlich belangt wurde. I. Vom Großen Generalstabe der Armee befindet sich gegenwärtig eine größere Anzahl Offiziere auf einer längeren Übungs reise durch das Eifelgebirge. An dieser Reise nehmen außer den Offizieren, unter denen sich zehn Generale befinden, auch eine größere An zahl Unteroffiziere und Mannschaften zur Be förderung von Pferden und Gepäck, insgesamt hundert Personen teil. Völlig begnadigt wurde nach Verbüßung einer 26 jährigen Zuchthaushaft der frühere Ökonom Thias aus Nolle, welcher am 4. Sep tember 1876 auf der Insel Borkum den Buch- handlungsgehilsen Scholz ermordete und be raubte, wegen dieser Tat zum Tode verurteilt, von Kaiser Wilhelm I. aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt worden war. Auf Antrag der Eltem des Ermordeten und weil sich Th. im Zuchthause zu Celle vorzüglich geführt hat, wurde Th. imnmehr vom Kaiser völlig be gnadigt. Weiblicher Rechtsanwalt. Dieser Tage hat sich der erste weibliche Rechtsanwalt Pommerns in Falkenberg niedergelassen und dort seine Praxis eröffnet. Es ist dies ein Fräulein Dr. jur. Johanna Dittrich. Eine Frau ohne Nerven! Der von Görlitz um 4,10 Min. nachmittags abgehende Schnellzug mußte zwischen Weißwasser und Spremberg auf offener Strecke halten, weil ein Kind, das vor dem vahinbrausenden Zuge auf den Schienen gespielt hatte, unter diesen ge raten war. In wenigen Sekunden hatte der Lokomotivführer den Zug zum Stehen gebracht unter dem dritten Personenwagen zog die Mutter ihr kaum zweijähriges Kind hervor. Wer nun glaubte, daß die Mutter ihr so wunderbar gerettetes Kind Herzen und liebkosen würde, der war im Irrtum. Die Mutter ließ nämlich dem Kleinen eine regelrechte Züchtigung angedeihen! Eine Erinnerung an Auerbachs „Bar- füstele". In einer der letzten Nächte vernichtete ein Schadenfeuer den Lauble-Hof in Guiach, einen der ältesten und interessantesten Bauern höfe des Schwarzwaldes. Die Bewohner konnten kaum das nackte Leben retten. Es verbrannte ein wertvoller Bestand an Groß- und Kleinvieh. Der Lauble-Hof hatte, wie hierbei in Erinnerung gebracht wird, auch eine gewisse literar-historische Bedeutung. Eine ehe malige Insassin des Hofes, die „Laubles Chrischti", war das Urbild zu Auerbachs „Bar- füßele". Seinen 23jährigen Stiefsohn Johann Fuchs erschoß, dem ,Dresd. Journ.' zufolge, in der Nacht zum Sonntag in dem Grenzdorse Schwaderbach bei Klingenthal der 50jährige Ignaz Scherbaum. Die beiden waren wegen Bezahlung einer kleinen Schuld für Brannt wein, den sie gemeinschaftlich getrunken, in Streit geraten. Als Fuchs sich entfernen wollte, feuerte Scherbaum auf ihn eine Kugel ab, die im Genick in den Körper drang und die Brust durchbohrte. Der Täter, der wegen Wild dieberei und wegen Schmuggelns bereits Strafe verbüßt hat, ist flüchtig. K Vergeltung. 4j Kriminalroman von A v. Hahn. (ForNkdimaN Die näheren Einzelheiten über das Ende des Bruders wurden dem Kinde rücksichtsvoll entzogen. Auch der Anblick der entstellten Leiche, auf deren Antlitz sich der Ausdruck des entsetz lichen physischen Kampfes und der Seelenqual der letzten Augenblicke spiegelte und die nach der erfolgten Sektton noch einen abschreckenderen Charakter angenommen hatte, wurde ihm vor- enthalten. Er hatte zwar lebhaft begehrt, den Bruder ein letztes Mal zu sehen, sich aber doch den Einwendungen und Vorstellungen der Tante, eines alten Fräuleins, gefügt, das auf die Nachricht von dem zweifachen Unglück sofort an die Seite des verlassenen Knaben geeilt war. In lebhafteste Trauer um die zärtlich geliebte Mutter versenkt, hatte er es weniger schmerzlich empfunden, als es sonst bei dem weichen Herzen des feinfühligen Kindes der Fall gewesen wäre, daß und auf welch' schreckliche Weise ihm der Bruder entrissen war. Der Tante Antonie gelang es auch in ihrer verständigen und herzlichen Art, auf das krank haft erregte Gemüt des unglücklichen Knaben heilsam einzuwirken. Sie wußte sich sein Zu trauen und seine Liebe binnen kurzem zu er werben, und in dem reichen Schatz an Zärtlich keit, den sie in ihrem großmütigen Herzen barg, sollte er bald tröstlichen Ersatz für den herben Verlust finden, der sein junges Leben betroffen hatte. Indessen war die Justiz schon in voller Tätigkeit, den Mörder ausfindig zu machen. Der Untersuchungsrichter hatte nach kurzer Be sichtigung des Tatortes die Verhaftung des schwerverdächttgen Müllers angeordnet, der die Leiche angeblich bei seiner Heimkehr von dem abendlichen Besuch beim Inspektor in dem Fichtenwäldchen hinter dem Parke gefunden hatte. Der Kreisphysikus, der den Ermordeten untersuchte, hatte zwar erklärt, daß der Tod dem Anschein nach bereits länger als eine Stunde vor der Auffindung des Leichnams ein getreten sei; als unumstößlich sicher vermochte er das jedoch nicht zu konstatieren, da er die Untersuchung erst am nächsten Morgen, also nach Verlauf einer ganzen Nacht unternommen habe. Von den verzweifelten Klagen der beiden Frauen begleitet, war der Müller abgeführt worden. (Ä hatte sich mit ruhiger Festigkeit und Geduld, den Äußerungen seines unbefleckten Gewissens, klaglos in das Unvermeidliche ge fügt: seine Unschuld mußte ja an den Tag kommen. Einige Tage darauf, nachdem die ersten Verhöre stattgefunden, Rosa, die Müllerin, der Inspektor und der Schulze, die mit dem Müller an dem verhängnisvollen Abend verkehrten, ihre Aussagen gemacht hatten, wurde auch der Jäger Franz Wronski, obgleich von keiner Seite ein Belastungsmoment gegen ihn abgegeben worden war, verhaftet. Rosa hatte diese Entscheidung mit finsterer Ruhe hingenommen; auf die Müllerin, die in ihren Schmerz versenkt war, blieb das Ereignis ohne Eindruck. Beide Gefangenen waren in die nahe Kreis stadt in Untersuchungshaft abgeführt worden. Der mit der Angelegenheit betraute Richter hatte eingehende Erkundigungen über den Leu mund der beiden Verdächtigen eingezogen, von keiner Seite aber war ihm eine Handhabe ge boten worden, die seine vorgefaßte Meinung, einer der beiden Verhafteten habe das Ver brechen begangen, unterstützt hätte. Er hielt seinen ersten Eindruck jedoch fest, jede Untersuchung nach anderer Richtung ließ er fallen und die Verhandlungen nahmen ihren Lauf. Der Tod des Herrn Radomski war durch drei Messerstiche, von denen der eine die linke Herzkammer durchbohrt hatte, erfolgt. Die Waffe hatte der Mörder mitgenommen. Nach der Beschaffenheit der Wunde war anzunehmen, daß das Mordwerkzeug ein gewöhnliches ein schneidiges Messer mit einer konisch zulaufenden Sitze gewesen sei, wie es fast jeder der männ lichen Dorfbewohner bei sich führte. Da die Verhöre ergeben hatten, daß sich der Müller an jenem Abend infolge der Kün digung in erregtem Zustande befunden, der bei einem angenommenen Zusammentreffen mit seinem Widersacher leicht zu feindseligen Tätlichkeiten ausarten konnte, war die Verhaftung des Müllers verfügt worden. Als durch ein gehendere Aussagen die Frage offen wurde, ob der Jäger die wiederholten Annäherungsversuche des Getöteten an das junge Mädchen gekannt habe, fand auch dessen Inhaftierung statt. Wiederholt hatte die Müllerin den Versuch gemacht, ihren Mann zu sprechen, aber immer war sie zurückgewiesen worden. Die Erinnerung an die freundliche Ruhe, mit welcher er Abschied von ihr genommen hatte, die tröstlichen Worte, durch die er ihr Mut und Gottvertrauen zugesprochen, fachten ihre ost ver sagende Zuversicht immer wieder an. Sie wußte es ja, daß er unschuldig sei, aber wenn es den Richtern nicht gelang, die gleiche Überzeugung zu gewinnen, was dann? — So fragte sich das verzweifelte Weib stündlich. Mit Rosa war seit dem Unglückstage eine große Veränderung vorgegangen. Wer das Mädchen gekannt hatte, als sie frisch und fröh lich, elastisch wie ein junges Reh, die Dorf straße hinahgegangen war, der sah ihr jetzt kopfschüttelnd nach, wenn sie im Dorf erschien, um notwendige Aufträge ihrer Schwägerin, die seit der Katastrophe bettlägerig war, auszu- sühren. Man fand es wohl begreiflich, daß das Mädchen unter dem zwiefachen Unglück schwer litt, aber die auffallende äußere Ver änderung — anstelle der früheren Fülle eiiie auffallende Magerkeit — war den meisten doch unfaßlich, da die fortschreitenden Verhandlungen doch eher einen günstigen, als einen schlechten Ausgang des Prozesses erwarten ließen. Wer sie aber gesehen hätte, wenn sie des Abends ihre Kammer betrat, und dann laut stöhnend vor ihrem Lager niedersank, das blasse, kummergefurchte Antlitz in den Händen bergend und so stundenlang in dumpfer Verzweiflung verharrend, der hätte sich erschüttert gesagt, daß nicht allein der Kummer dies junge Ge«
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