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Ottendorfer Zeitung : 22.07.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190307226
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19030722
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19030722
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-07
- Tag 1903-07-22
-
Monat
1903-07
-
Jahr
1903
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 22.07.1903
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politische Aunälckau. Deutschland. *Am Donnerstag früh 5 Uhr traf der Kaiser im besten Wohlsein in Molde ein Lei fortdauerndem Regen. *Die Einnahmen der Preuß. Staats bahnen weisen in den letzten Monaten eine er freuliche Steigerung auf. Sie ergeben eine Erhöhung für den Monat Juni gegen den gleichen Zeitabschnitt des Vorjahres um zusammen 7173100 Mark, davon 3 632 000 Mark im Personenverkehr, 3 325 000 Mark im Güterverkehr und 216 000 Mark an sonstigen Einnahmen. Im ersten Viertel des laufenden Rechnungsjahres haben sich gegenüber dem Vorjahre die Einnahmen aus dem Personenverkehr um 7 935 000 Mark oder 7,64 Prozent, die Ein nahmen aus dem Güterverkehr um 9 287 000 Mark oder 4,28 Prozent und die sonstigen Einnahmen um 761 000 Mark, also die Gesamteinnahmen des ersten Vierteljahres um 17 983 OM Mark oder 5,37 Prozent gehoben. * Zu der Frage der sächsischen Wahl- re s o r m und der Mitarbeit der national- liberalen Partei an derselben schreibt die ,Nat.-lib. Korresp.': „Große Hoffnungen wird man auf diese Kommission (zur Vorberatung der Reform) schwerlich setzen können und die Mitglieder der national-liberalen Partei Sachsens tun gut, sehr reiflich zu überlegen, ob sie für die Mitarbeit in dieser Kommission die Hand bieten können. Jedenfalls muß aber jeder Gedanke eines Kartells mit den Ko ns erv ativ en weit fortgewiesen werden." * Der Termin für die s ä chs is ch en Land- t a g s w a h l e n fällt in eine wesentlich spätere Zeit, als bisher angenommen wurde. Wie die ,Leipz. N. N.' erfahren, sollen die Wahlmänner wahlen Ende September oder Anfang Oktober, und die eigentlichen Abgeordnetenwahlen Mitte Oktober stattfinden. *Der Lippische Familienzwist wird demnächst auch das Oberlandesgericht in Celle in der Berufungsinstanz beschäftigen. Wie seinerzeit gemeldet wurde, ist Graf Erich zur Lippe-Weißenfels mit seiner Klage gegen den Graf-Regenten Ernst zur Lippe-Biesterfeld vom Landgericht Detmold kostenpflichtig abge wiesen worden. Gegen dieses Urteil hat der Kläger nunmehr Berufung eingelegt. In dem Prozesse handelt es sich bekanntlich um Ab erkennung der mit dem Hause Lippe verbunde nen Titel, Würden w. des Graf-Regenten, da dieser nicht als erbberechtigtes Mitglied des Hauses gelten könne. Österreich-Ungarn. *Der ungarische Ministerpräsident Graf Khuen-Hedervary wurde in Temeswar mit 847 Stimmen zum Abgeordneten ge wählt. Auf den Gegenkandidaten, den Sozia- listenft'chrer Bokanyi, entfielen 20 Stimmen. *Der ungarischen Krise ist nicht mehr auszuweichen. Die jüngsten Verhandlun gen des Abgeordnetenhauses haben deutlich ge zeigt, daß die Opposition bis zum Nußersten zu kämpfen gesonnen ist. übrigens hat Franz Kosuth den Vorsitz über seine Partei endgültig medergelegt, weil eine Anzahl Mitglieder den Beschluß, von der Obstruktion abzulassen, nicht beachten. Er scheint somit selbst eingesehen zu haben, daß der Widerstand in Form von Obstruktion nicht der richtige Weg zum Ziele ist. Frankreich. * In Frankreich dauern die Maßnahmen gegen die geistlichen Genossen schaften fort. Am 15. Juli wurden in Paris durch die Polizeikommiffare vier Kapellen geschlossen, die nicht autorisierten Kongregationen gehörten. Die Mönche hatten zum Voraus alle Kultusgegenstände und das Mobiliar aus den Kapellen entfernt. Es kam kein Zwischenfall vor. Weniger glatt scheinen die Dinge in Saumain (Nord) abzulaufen, wo die Schwestern Saint-Vincent de Paul eine Schule und ein Waisenhaus unterhalten, die geschloffen werden sollen, weil diese Niederlassung des ander wärts geduldeten Ordens die Bewilligung nicht erhalten hat. Vierhundert Manifestanten über reichten am Montag dem Maire von Saumain einen energischen Protest. Sie haben auch Wachtposten vor dem Kloster aufgestellt, die sofort die Trommel rühren sollen, wenn der Polizeikommissar erscheint, um den Nonnen die Aufhebung anzukünden. England. * Abermals erscheinen in der englischen Presse alarmierende Berichte über die Ge - sundheit König Eduards. Der König soll in hohem Grade an Herzschwäche leiden, hauptsächlich eine Folge seiner letzten schweren Krankheit, obwohl das Übel in gerin gerem Grade schon seit jenem akuten Typhus anfall vor einigen Jahren zutage getreten ist. Man erfährt, daß der Monarch in letzter Zeit mehr als einmal besorgniserregende Ohn- machtsanfälle hatte, so z. B. erst vor kurzem bei Gelegenheit einer Bootfahrt auf der Themse. *Die englischen Blätter sind natürlich über den Brief Bothas über die englische Wirt schaft in Südafrika arg aufgeregt und suchen die loyalen Burenführer auf jede Art und Weise zu verdächtigen. Schon die ,Times' hatten den Brief Bothas als eine „Kette abge standener Lügen und böswilliger Unterstellungen" hingestellt, und auch die Nachricht des ,Daily Telegraph', Präsident Krüger hätte sich sofort beifällig für Bothas „england-feindliche" Mit teilungen ausgesprochen, ist nichts weiter wie eine Verdächtigung, die der Reise Bothas nach Europa moralisch schaden soll. Botha will in Holland nichts weiter, als sich nach tüchtigen Kräften umsehen, die seinem Vater lande wirtschaftlich und kulturell nützen können. Von englandfeindlichen Agitationen kann bei der Reise Bothas keine Rede sein. Italien. *Jn dem Befinden des Papstes war bis Freitag früh keine wesentliche Ände rung eingetreten. Die Schwäche hatte seit Mittwoch nicht zugenommen, war aber doch so erheblich, daß die Ärzte einen neuen Bruststich nicht wagten und die Gefahr einer plötz lichen Katastrophe in unmittelbare Nähe gerückt war. Spanien. * In Spanien darf man auf das baldige Eintreten einer Ministerkrisis gefaßt sein. Als Grund derselben wird die An bringung der sich auf 7—800 Millionen Pesetas belaufenden Marineforderungen be trachtet, welche in dem gegenwärtigen Präsi denten des Kongresses Villaverde einen heftigen Gegner finden, der denn auch schon mit Amts niederlegung gedroht hat. Eingeweihte Kreise glauben indes die wirkliche Ursache in der Tat sache zu sehen, daß der König geäußert haben soll, er könne auf keinen Fall zugeben, daß der gegenwärtige Minister des Innern, Maura, die imHerbst stattfindenden Gemeinderatswahlen leitet, weil dann ein neuer glänzenderSieg der Republikaner zu befürchten sei. Balkanstaaten. *Die beiden gegnerischen Parteien — die Türkei und Bulgarien — nähern sich wieder in vermindertem Kricgseifer. Die Pforte zeigte der bulgarischen Regierung an, daß sie zur Verbesserung der Beziehungen zwischen der Türkei und Bulgarien beschlossen habe, einige gegen das Bandenunwesen ge troffene Maßnahmen auszuheben, die in Haft befindlichen verdächtigen Bulgaren in Freiheit zu setzen, einen Teil der an der Grenze be findlichen türkischen Truppen zurückzuziehen, die Jlave-Bataillone zu verabschieden, die Wieder eröffnung der geschlossenen Kirchen und Schulen zu gestatten und einige Wünsche Bulgariens, betreffend die Kirche und Schule, zu erfüllen. Die bulgarische Regierung gab gleichfalls die kategorische Erklärung ab, daß es stets ihr Wunsch war, in freundschaftlichen Beziehungen zur türkischen Regierung zu stehen. Die mili tärischen Maßnahmen der bulgarischen Regie rung wurden aufgehoben. Mü dieser Besse rung der Beziehungen ist jedoch das mace- donische Komitee nicht zufrieden. Es hat Vor bereitungen für eine verstärkte Fortsetzung des Bandenunwesens nach Beendigung der Ernte und nach dem Nachlassen der großen Hitze ein geleitet, damit dasselbe im großen Umfange wieder ausgenommen werden kann. Amerika. *Von der venezolanischen Regie rung ist der fällige Schlußwechsel zur Be zahlung der deutschen Reklamationen am Mitt woch eingelöst worden. Die deutschen erst klassigen Forderungen von 1718815,67 Boli- vares find daher nunmehr in ihrem Gesamt beträge bar bezahlt. Asten. * In Port Arthur ist die Beratung der russischen Diplomaten endgültig be endet worden. Englische Nachrichten behaupten, daß die Möglichkeit eines Krieges erörtert wor den sei. Es zeige sich deutlich, daß seit der Ankunft des Kriegsministers Kuropatkin kriegs mäßige Vorbereitungen im Wachsen seien und die Abficht bestehe, mehrTruppen in die Mandschurei zu bringen. Unter nehmer in Port Arthur hätten in der vorigen Woche Aufträge erhalten zur sofortigen Be schaffung von Baumaterialien zur Errichtung von Baracken für 20000 Mann, welche aus Charbin abgehen sollen. Beamte, die an der Beratung teilgenommen haben, hätten erklärt, der Widerstand Rußlands gegen die Öffnung der mandschurischen Plätze für den fremden Handel habe nicht seinen Grund in der Gegner schaft gegen die Anwesenheit von Fremden, son dern darin, daß sremde Konsuln in Städten, die tatsächlich unter russischer Kontrolle stehen, bei der chinesischen Regierung beglaubigt werden und die Kaufleute, die sie vertreten, außer territoriale Rechte genießen sollen. bin 8rief I-ouis Sotkas über Süäafrika. General Louis Botha hat aus Pretoria an den Abgeordneten Leonard Courtney, Chamber lains engeren Fraktionsgenoffen, folgenden Brief gerichtet, den die ,Times' veröffentlichen: „Ich habe," schreibt Botha, von Anfang an mich über die Tragweite der Chamberlainschen Afrikareise keinen Täuschungen hingegeben, habe aber mit meiner Meinungsäußerung zurückge halten, so lange es möglich schien, daß ich zu schwarz gesehen hätte. Es ist jetzt aber nicht mehr zweifelhaft, daß Chamberlains Reise, wenigstens was Transvaal anlangt, ein kläg liches Fiasko bedeutet, und daß er die Dinge schlimmer verlassen hat, als er sie vorfand. Sie haben alles getan, um ihm in Pretoria Ge legenheit zu geben, die Volksstimmung aus bester Quelle kennen zu lernen, bekamen ihn aber nur ein einziges Mal zu sehen. Im übrigen holte er Rat und Auskunft von solcher Seite ein, über die ich lieber schweige. Bei dem einzigen Zusammentreffen mit uns ant wortete er beleidigend und zieh uns der Un dankbarkeit im Hinblick auf die 15 Millionen Pfund, die England auf die Heilung der materiellen Kriegswunden verwende. Seitdem fragt sich hier jeder Mensch, wo, wie und wofür diese große Summe eigentlich ausgegeben worden ist. Zu merken ist nichts davon, außer vielleicht in den von Lord Milner zu heimischem Konsum aus dem Kolonialamt geschickten Blau- büchern." Botha führt dann weiter Beschwerde darüber, daß Chamberlain iu Johannesburg ausschließlich mit den Minen-Jnteressenten ver kehrt und unter ihrem Einfluß das verarmte Land mit einer außerordentlich hohen Kriegs schuld belastet habe, im Widerspruch mit den von der gesamten Burenbevölkerung geäußerten Wünschen. Trotzdem habe Chamberlain kürzlich in Birmingham erklärt, alle Klassen der Trans vaal-Bevölkerung hätten diese Schuld willig auf sich genommen. Weiter bemängelt Botha die Tätigkeit des in Wirklichkeit nur beratenden ge setzgebenden Rats, die Versagung des Ge meindewahlrechts nicht bloß für alle Farbigen, sondern auch für weiße Ausländer, wo doch deren Wahlrechtsbeschränkung für England den Vorwand zum Kriege abgab, und den gänzlichen Mißerfolg der Wiederansiedelungskommission. Mlners Depeschen über den großartigen Erfolg dieser Kommission betreffen aber nur Teilkom- mysionen, die im Lande herumreisen, um die Repartierung der vor über einem Jahre er folgten Drei Millionen-Bewilligung in die ! Wege zu leiten. Besonders bitter spricht sich Botha über den englischen Versuch aus, durch importierte, der holländischen Sprache nur un vollkommen mächtige Lehrkräfte mittels tenden ziösen Geschichtsunterrichtes und dem Volksem pfinden widersprechender Religionslehren die Bevölkerung zu verengländem und durch die lediglich im Dividenden-Jntereffe von den Minenmagnaten geplante Einführung massen hafter chinesischer Arbeitskräfte das Land kulturell herabzusetzen, wie überhaupt die Regierung vollständig von den Minenbefitzern beherrscht werde. Die Folge von dem allen sei ko äußerlicher Ruhe und Erstarrung ein Zustand tiefgreifender Unzufriedenheit bei Briten wie bei Buren. Die ,Times' charakterisieren den Brief als „eine Kette abgestandener Lügen und bös williger Unterstellungen." — Präsident Krüger hat einer Meldung des Kaily Telegraph' aus Brüssel zufolge nach der Burgherversammlung in Heidelberg in einem Schreiben an die Burenführer seine Zustimmung mit den england- feindlichen Beschlüssen, insbesondere aber mit der Rede Louis Bothas ausgesprochen. Von unä fern. Das drahtlose Telegraphen-System SlaSy-Arco hat sich, wie dem ,Sun' aus Washington gemeldet wird, bei den nun fast ein Jahr währenden amerikanischen Experimenten als das beste bewährt. Von seinem. Ritt qner durch China und die Pamirgruppe, den er am 2. Januar d. von Tientsin aus angetreten hatte, ist der Leutnant v. Saltzmann von der ostafiatischeu Besatzungsbrigade am Donnerstag wohlbehalten in Konstantinopel eingetroffen. Das finanzielle Ergebnis des Bundes- schießens in Hannover läßt sich noch nicht mü Sicherheit angeben. Jedenfalls wird es ein Fehlbetrag wahrscheinlich in Höhe von 38- bis 40 000 M. sein. Noch kein Bundesschießen, mit Ausnahme von dem in Frankfurt a. M., hat ohne Fehlbetrag abgeschloffen. So betrugen die Fehlbeträge in Nürnberg und Dresden, wo das vorjährige Bundesschießen stattfand, je rund 100 000 Mk. Unfall im Manöver. Bei Tieckow an der Havel stürzten etwa 20 Kürassiere mit ihren Pferden in die Havel, da eine Pontonbrücke nachgab. Männer und Pferde konnten sich anS Land retten; ein Pferd kam allerdings in den Fluten um. Der die Übung leitende Offizier rettete, indem er sich vollbekleidet wohl zwölf mal ins Wasser stürzte, so viel Mann und Pferde, als er zu retten vermochte. Einige Mannschaften erlitten Hautabschürfungen. Unfall oder Verbrechen? In der Nähe von Herne wurde nachts ein in Herne stehender Fußgendarm erschossen aufgefunden. Es ist noch nicht festgestellt, ob ein Unfall oder Ver brechen vorliegt. Fabrikeinsturz in Breslau. Am Donners tag stürzte ein Teil der vierstöckigen Sternberg- schen Spritfabrik in der Salzstraße zu Breslau ein. Die Vorderfront des Gebäudes war von den Fluten der Oder schon tagelang bespült worden. Am Mittag hatte bereits in der nebenan belegenen Spritfabrik von Altschaffel u. Komp, der Einsturz eines Schuppens stattge funden, dem ein weiterer Einsturz um 5 Uhr nachmittags folgte. Die angrenzenden Gebäude sind stark gefährdet. Beim Ausschachten eines Brunnens in Velbert gingen plötzlich vier Sprengschüsse los. Der Brunnenarbeiter Schugg wurde auf der Stelle getötet. Auch v. Vollmar als — Enterbter. Genau wie Bebel, winkt seinem Kollegen, v. Vollmar, eine Erbschaft, aber er wird sie wohl auch nicht bekommen. Es handelt sich nm einen Rentner in München, der sein Haus im Werte von 95 000 Mk. und ferner, aber zunächst bis zum Ableben seines Neffen ohne Zinsgenuß ein Kapital von 52 000 Mk. Herm v. Vollmar zur freien Verwendung für sozialdemolransche Zwecke hinterlassen wollte. Aber die Schwestern des Verstorbenen dachten kühl genug, gegen daS Testament die Unvollftändigkeit seiner Datie rung geltend zu machen. O Vergeltung. 13) Kriminalroman von A. v. Hahn. «Fori ktznng.) „Nein," gab Franz ruhig zurück, aber an dem Schlimmsten, das geschah, find wir unschuldig!" „Wie?" „Ignaz ist freigesprochen worden," sagte Franz langsam und mit Betonung; „war es vernünftig von ihm, vor dem Richterspruch Hand an sich zu legen? Hätte er es nicht getan, dann wäre er jetzt frei, wie ich." „Schweige!" unterbrach sie ihn rauh und unwillig. „Durch solche Tifteleien wirst du unsere Schuld in meinen Augen nicht verringern!" So unerquickliche Bettachtungen austauschend, waren sie vor der Mühle angelangt. Franz reichte ihr die Hand zum Abschied und trat seinen Weg zum Inspektor an. Nach einer geraumen halben Stunde kam er wieder zurück. „Es ist alles klipp und klar l" rief er dem Mädchen tiefbewegt zu, als er in das große Wohnzimmer trat, wo Rosa beschäftigt war, einen Kranz aus feinem Nadellaub zu winden. „Abends soll ich zu ihm kommen, um den Kontrakt zu unterschreiben. Jetzt gilt es nur noch, einen tüchtigen Gesellen zu bekommen, und dann —" „Dann freue dich deiner Erfolge!" fiel sie vorwurfsvoll ein und blickte ihn tieftraurig an. Verstimmt trat er ans Fenster und blickte in die Schneelandschaft hinaus. „Meinst du nicht auch, Rosa," bemerke er nach einer Weile, sich wieder umdrehend, „daß es gut wäre, wenn wir uns bald ehelich ver binden würden? Höre mich an," schnitt er ihren Einwand ab, als sie bei seinen Worten heftig auffuhr. „Wenn ich die Pacht über nehme und Aniela eine Heimat bei uns finden soll, müssen unsere Beziehungen doch vorher ge regelt sein; wenn ein Fremder hier regierte, würde sie nicht hierher zurückkehren — der Mann ihrer Schwägerin aber kann ihr sein Haus als Heimat bieten." Sie überlegte. — „Ja, es wird wohl so geschehen müssen," sagte sie dann. „Richte es ein, wie du willst, ich bin zu allem bereit; meine Einwilligung zu dem traurigen Bunde hast du ja." „Nicht also, Mädchen," bat er weich und demütig. „Du sollst gern mein Weib werden!" „Gern?" Sie lachte schrill. „Ich glaube gar, du hoffst noch, erwartest Glück in unserer Verbindung; ich sage dir," schloß sie mit schwerem Tonfall, „wir werden beide elend." „Nun gleichviel," rief er ungeduldig, „zu einem Resultat müssen wir kommen. Ich werde unsere Papiere besorgen." Als Rosa das Haus des Getreidehändlers verlassen hatte, kehrte letzterer in das Kranken zimmer zurück. Frau Brand hatte sich inzwischen an das Bett gesetzt und die Hand der Kranken er griffen, die diese ihr in der instinktiven Empfin dung, daß echte Herzensgüte die Frau bewege, willig überließ. „Nun sagt mir, Frauchen, warum Ihr so hart zu dem Mädchen gewesen seid. Was tat ste Euch, worüber seid Ihr so entrüstet?" „Sie trägt die Schuld an meinem Elend." „Ach, Frauchen, was sagt Ihr denn da? Sie hat doch Euren Mann nicht umgebracht? Sie selbst ist ja ein Jammerbild des Herzeleids, trägt schwer an dem Unglück!" „Und doch — und doch," sagte die Kranke grübelnd, „mutz sie die Veranlassung zu seinem verzweifelten Entschlusse gegeben haben. Das sagen mir seine Abschiedworte. — Aber," fuhr sie wieder aufgeregt fort, „ich will die Gerech tigkeit, die sich versteckt hat, suchen — und ich werde sie finden!" „Was sagte er Euch denn zum Abschied?" fragte die Haushälterin leise und beugte sich gespannt zu der Leidenden herab. „Nun natürlich!" rief Herr Martin und steckte seinen Kopf durch den Türspalt, „anstatt jetzt für die völlige Ruhe und Erholung der Frau zu sorgen, setzen Sie sich her und schwatzen mit ihr. Frau Brand, find Sie ge scheit ?" Frau Brand erhob sich eilig und sichtlich betteten; aber die Kranke hielt sie an der Hand zurück. „Bleiben Sie!" bat sie flehend. „Sie find so gut! Sie sollen es erfahren, was mich ver anlaßte, dem Mädchen zu fluchen, das mir bisher so lieb war, wie ein eigenes Kind." „O, o, nicht so viel reden!" erhob Herr Martin beschwichtigend die Hand. „Sie werden krank werden, Frau Pächterin." „Sie werden krank werden," wiederholte Frau Brand ihres Herrn Ausspruch. „Wir find ja noch öfter zusammen, Frauchen; morgen oder übermorgen erzählen Sie mir Ihr Leid. Sie sind schon wieder erhitzt!" Das Paar machte Miene, sich zu entfernen. „O, bleiben Sie doch beide bei mir," hauchte die Müllerin schwach und heftete ihre flehende« Blicke auf Herrn Martin. „Bleiben Sie," wiederholte sie ängstlich, als ihr Herr Martin diesen Wunsch in gewissenhafter Besorgnis z« versagen willens schien. „Sie sollen es hören, was mir widerfahren ist, ich will mein über volles Herz ausschütten — die Last erdrückt mich sonst. Rasch, — Hilfe —" hier schwieg die Leidende erschöpft. Geduldig blieben die beiden an ihrem Lager und warteten, bis fit sich wieder so weit erholt hatte, nm fortfahre« zu können. Die Kranke tastete mit den Händen auf ihrer Untertaille hin und her, mit zitternden Fingern brachte sie ein zusammengefaltetes, fleckiges Papier zum Vorschein. „Das ist meines armen Mannes Ver mächtnis," sagte sie mit zuckenden Lippen. Sie entfaltete das Papier und wies mit dem Finger auf die blutigen Schriftzüge. „Da — seht her, mit seinem eigenen Blute schrieb er es nieder, da er kein anderes Mittel besaß, mir Nachricht zu hinterlassen. Hier lest!" Tief ergriffen blickte das Paar auf die Schriftzüge herab, die Wirtschaftenn nicht ohne einige Ach und Weh's der innigsten Teilnahme. Herr Martin wurde sehr nachdenklich. „Nun, habe ich Unrecht, wenn ich in ihr die Miturheberin meines Jammers vernmte?" fragte die Kranke.
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