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Ottendorfer Zeitung : 29.11.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-11-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190511294
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19051129
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19051129
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-11
- Tag 1905-11-29
-
Monat
1905-11
-
Jahr
1905
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 29.11.1905
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politische kunctfcbau. Die Wirren in Ruhland. 'In Petersburg finden fast täglich unter dem Vorfitz des Ministerpräsidenten Grafen Witte Sitzungen des Ministerrats statt, an denen auch der Kriegs- und der Ma rineminister teilnehmen. In Zarskoje Selo werden diese Sitzungen wöchentlich unter dem Vorfitz des Zaren abgehalten. In allen diesen Sitzungen werden eifrig Maßnahmen zur Be ruhigung des Landes beraten. — Daß ein Nachlassen der revolutionären Bewegung zu verzeichnen ist, zeigen vor allen Dingen die vielen Zustimmungstelegramme, die der Mini sterpräsident aus allen Tellen des Landes er hält. So gingen dem Grafen Witte von den Gemeinderäten in Kasan in Astrachan sowie den Börsen in Rybinsk und Samara Tele gramme zu, in denen diese Körperschaften er klären, eine auf das Manifest vom 30. Oktober gegründete Regierung unterstützen zu wollen. In diesem Sinne dürste auck die Entscheidung des in Moskau tagenden Semstwokongreffes ausfallen. — Hier und da allerdings lodern immer wieder die Flammen des Aufruhrs auf, so daß in einigen Orten der Zustand des verstärkten Schutzes erklärt werden mußte. Von den Bauernunruhen vernimmt man dagegen nichts mehr. Alles in allem scheint es, als ob die von allen Beteiligten ersehnte Ruhe langsam einkehren wollte. * * * Deutschland. * Der Kaiser traf zum Jagdaufenthalt in der Göhrde ein. . * Wie nun feststeht, wird Kaiser Wil helm im Frühjahr 1906 dem König von Spanien und dem König von Portugal einen Gegenbesuch machen. * Der Bund esrat hat auch in zweiter Lesung die sämtlichen neuen Steuervor lagen genehmigt, darunter auch die Fahrkartensteuer, die indes den ganzen Vorort verkehr freiläßt. Darüber hinaus bleiben auch alle Fahrkarten unter zwei Mark steuerfrei. Obwohl die Steuersätze sehr mäßig gegriffen find, wird doch auf einen Jahresertrag von 12 Millionen gerechnet. Es wurde ferner be schlossen und genehmigt, daß der Fracht- urkundenstempel auf den Binnenschiffs- und Landfrachtverkehr ausgedehnt, die Fahr kartensteuer auch vom Dampfschiffs- Verkehr erhoben, ferner eine Automobil- steuer eingesübrt und die Erbschafts steuer mit 4—20 Prozent bemessen werden soll. "Die Eröffnung des Reichstags findet am 28. d. um 12 Uhr mittags im Weißen Saale des Königlichen Schlosses zu Berlin statt. * Die bayrische Kammer der Ab geordneten beschloß, die Regierung zu er suchen, im Bundesrate dahin zu wirken, daß dem Reichstage baldigst ein Gesetzentwurf vorgelegt werde, wodurch den Geschworenen und Schöffen außer der Entschädigung für die Reisekosten auch eine Vergütung für die Zeit- versäumnis aus den Mitteln der Bundesstaaten gewährt werden soll. (Solche Anträge werden fchon seit Jahren gestellt, ohne daß je einer den Reichstag erreicht hätte.) "Der neue Gouverneur von Südwestafrika v. Lindequist ist in Lüderitzbucht eingetroffen und hat die Verwaltung des Schutzgebietes übemommen. Österreich-Ungar«. *Jm niederösterreichischenLand- tage ist am Donnerstag über den Bau des Donaü-Oder-Kanals verhandelt wor den. Der Antrag, mit dem Bau bereits im Jahre 1906 zu beginnen, wurde mit großer Mehrheit angenommen. * Der schlesische Landtag nahm in seiner Schlußsitzung nach längerer Debatte die Lan d- tagswahlreform durch Anfügung der allgemeinen Wählerklaffe gegen die Stimmen der slawischen Abgeordneten, die die Vermehrung der Landgemeindemaudate, sowie jener der all gemeinen Wählerklasse verlangten, an. Der Landtag beschloß ferner gegen die Stimmen der slawifchen Abgeordneten, die gegen die Germa- nifierungsbestrebungen der Mehrheit Widerspruch erhoben, gegen diejenigen slawischen Gemeinden, die die Annahme deutscher Erlässe verweigerten, im Landesausschuffe vorzugeheu. Frankreich. * Frankreich ist der Unterhandlungen mit dem Präsidenten Castro müde und macht nun Ernst. Der Kreuzer „Jean Bart" soll am 1. Dezember in Dienst gestellt und einer Schiffsabteilung zugeteilt werden, die zu einer Kundgebung an den Küsten von Venezuela bestimmt ist. *DieDeputiertsnkammer bewilligte einstimmig die Mittel für die Schaffung einer Gesandtschaft in Christiani a. *Die Kammer nahm am Donnerstag den ersten Teil des Artikels 1 des Gesetzes über die Arbeiterversorgung an, der das Recht auf die Altersrente für Arbeiter und Dienstboten auf das sechzigste Jahr festsetzt. * Für den am Montag beginnenden Schwurgerichtsprozeß gegen die der Teilnahme an dem AttentatgegenKönig Alfons angeklagten Anarchisten find über 70 Zeugen geladen, darunter als Belastungs zeugen General Dubois und die Offiziere der Begleitung des Königs, als Entlastungszeugen verschiedene französische und spanische sozialistische Deputierte und Schriftsteller. England. * Balfour wird es auf seinem Premier ministerposten unheimlich zumute und Camp- bell-Bannerman wird demnächst den leergewordenen Präsidentensessel einnehmen. In dessen vor dem Neujahrsfeste wird dieser Wechsel nicht vor sich gehen und nach dem Feste dürften bald die allgemeinen Wahlen stattfinden, bei denen die Liberalen als gegenwärtig nicht Regierende freie Hand zu behalten wünschen. Es agitiert sich so besser. Auch Lord Rosebery macht sich jetzt wieder im Politischen Leben be merkbar. In einer in Falmouth gehaltenen Rede führte er aus, er sei ein besonderer Freund Frankreichs, aber auch für die Erhal tung des Friedens mit Deutschland. Mit diesem Programm ist der neue liberale Minister des Auswärtigen fertig! Norwegen. * Storthingspräfident Berner beabsichtigt vorzuschlagen, daß die Krönung des neu gewählten Königs am 17. Mai 1906 statt finde. Es ist anzunehmen, daß das englische Königspaar der Krönung beiwohnen werde. Spanien. 'Im Ministerrat machte der Minister des Auswärtigen Gullon seinen Kollegen Mit teilung von den angenehmen Eindrücken, die er während der Reise des Königs ins Ausland empfangen habe. Die Beziehungen Spaniens zu allen Mächten hätten sich gebessert. Balkanstaate«. * Die Antwort der Pforte in Sachen der mazedonischen Finanzkontrolle ist Donnerstag abend der österreichisch-ungarischen Botschaft überreicht worden; fieistinallenPunkten ablehnend unter Hinweis auf die otto- manische öffentliche Meinung, mit Ausnahme des Punktes betr. die Zivilagenten. Die Pforte Willigt in die Verlängerung von deren Mandaten auf längstens zwei Jahre. *Die' Aufständischen auf Kreta haben größtenteils ihre Waffen versteckt, weil selbst von der Regierungspartei das Schlagwort ausgegeben werde, daß sie die W affen im nächsten Frühjahr wieder brauchen würden. Amerika. 'Berichten aus Havanna (der Haupt- tadt Kubas) zufolge wurde ein Komplott entdeckt, das auf Absetzung des Präsidenten Palma abzielte. Die Verschwörung soll in allen Teilen der Insel Teilnehmer haben. Waffen seien aus dem Unionsgebiete einge- chmuggelt, und der gleichzeitige Abfall der Bewohner der Pinieninsel lasse die Mitwirkung der amerikanischen Annexionspartei vermuten. Die kubanischen Liberalen verleugnen die Ver schwörung, indem sie dem Präsidenten ihre Er gebenheit versichern. Afrika. 'Die Vertreter der deutschen Unternehmer, welche dem Sultan Vorschläge für die Aus führung der Hafenbauten in Tanger unterbreitet haben, bestätigen, daß die Arsenale unverzüglich diese Arbeiten in Angriff nehmen werden. Die Prüfung der Ansprüche der französischen Konkurrenzgesellschaft hat in Paris stattgefunden und ergab die Rechtsgkltigkeit der deutschen Konzessionen. Japan. 'Die japanische Marine soll ver mehrt werden. Zunächst soll ein Kreuzer- geschwader für die südlichen Gewässer bis nach Singapur gebildet werden. Aus finanziellen Rücksichten soll dir Hauptmacht dieser ständigen Flotte nicht aus Linienschiffen bestehen. 'Auf den Protest Rußlands und Deutschlands wegen der ausschließlichen Indienststellung japanischer Instrukteure für die koreanische Armee haben die Japaner nunmehr auch einen russischen Instrukteur eingestellt. 'Die Koreaner scheinen mit derOber - Hoheit Japans nicht so ganz einverstanden zu sein, denn am Donnerstag wurde die japa nische Mission, die die Bedingungen des koreanisch-japanischen Vertrages feststellen soll, vom Pöbel mit Steinen beworfen. Der Marquis Ito wurde leicht verletzt. Okma erwacht. Das Reich der vieltausendjährigen Kultur hielt einen langen todähnlichen Schlaf. Und um sich von keiner Macht, von keinem Menschen diese Ruhe stören zu lassen, verschloß das „himmlische Reich" geflissentlich seine Augen vor dem nie rastenden Fortschritt der Welt. Aber es genügte dem mißtrauischen Volke nicht, sich von dem Drange nach Neuerungen, nach Nutzbarmachung der Kulturerrungsnschaften frei zu halten — es schloß sich auch von andern Völkem ab. Gegen das innere Asten zog es eine hohe feste Mauer (die chinesische Mauer) und nach dem Meere hin verschloß es jeder fremden Macht seine Häfen. Aber die eisernen unumstößlichen Gesetze der Welt lassen sich nicht umfloßen — weder die der Natur, noch die des Völkerlebens. Eines Tages stand China dem gewaltsam eindringenden fremden Kaufmann gegenüber, anfänglich ihn mit Ver wunderung betrachtend, um ihn dann mit dem unersättlichen heimtückischen Haß der gelben Rasse zu verfolgen. Aber das andre Reich des Ostens, das „Sonnenreich", zwang die Himmels monarchie zur Ruhe, erzwang die teilweise Er schließung des Landes mit eiserner Gewalt. Unter dem Donner japanischer Geschütze begann das Volk zu erwachen! Mit jener Zeit machte sich in China lang sam das Eniwickelungsgesetz geltend — aller dings sehr langsam. Aber Japan, das in den letzten Jahrzehnten alle Höhen europäischer Kultur und Bildung durchmessen hat, läßt nicht mehr locker. Und jetzt nach dem siegreichen Kriege reißt es China fast gewaltsam empor. So verstehen wir denn, daß China Abgeordnete nach Europa sendet, um Sitten und Gebräuche, Wissenschaften und Technik zu studieren. Be sonders aber die Technik. Denn das Beispiel Japans hat es gelehrt, daß ein Volk vor allem kriegstüchtig sein muß, um seinen Platz im Völkerkonzert zu behaupten — oder zu ver bessern. Es wird daher den Kenner der Verhältnisse nicht überraschen, daß der Neffe des Kaisers von China und der erste Ingenieur der chinesi schen Regierung sich in England befinden, um Vorbereitungen für die Errichtung einer großen Gewehrfabrik in China zu treffen. Sie haben seit einiger Zeit nicht nur die entsprechenden Fabriken im Distrikt Birmingham, sondern auch diejenigen Werke studiert, in denen die Maschinen für Gewehrsabukation angefertigt werden. Die chinesische Fabrik soll ihre Maschinen zum großen Teil von Birmingham erhalten. Außerdem sollen Birmingham«! Ingenieure und Vorarbeiter angeworben werden. > Man glaubt, daß diesem Besuche große Auf träge der chinesischen Regierung, nicht nur für das chinesische Heer, sondern auch für die chinesische Flotte folgen werden. Die Herren sollen geäußert haben, daß es Chinas sehnlich« Wunsch sei, seine Aimee und seine Flotte auf die Höhe der japanischen zu bringen. Daß die Chinesen den Wunsch haben, eigene Fabriken zu errichten, schreiben englische Blätter den trüben Erfahrungen zu, die sie im chinefisch japanischen Kriege machten. Sie kauften damals im stillen große Mengen von Waffen in England auf. Diese Waffen waren aber alle unbrauchbare Reliquien aus dem französisch- deutschen Kriege und dabei zum Teil in ein« so vernachlässigten Verfassung, daß man durch die Gewehrläufe nicht einmal Wasser gießen konnte. Wenn Japan sich die Fortschritte in China so angelegen sein läßt, wie im eigenen Lande, dann dürste es nicht mehr lange dauern, daß das „Reich der Milte" nicht mehr zu den schlafenden Staaten gehört. Japan und China werden einen Bund bilden, mit dem die europäische Diplomatie ernsthaft wird rechnen müssen. Von jVab uncl fern. Die letzten Talerfürsten. Mit dem Groß herzog Adolf von Luxemburg, ehemaligem Herzog von Nassau, ist einer der letzten Fürsten aus dem Leben geschieden, deren Bild auf den heute noch umlaufenden Talern zu sehen ist. Mit seinem Tod« hat das in der Münzgeschichte wohl einzig dastehende Verhältnis ein Ende erreicht, daß in einem Reich eine Münze mit dem Bilde eines Fürsten im Umlauf ist, der Herrscher eines ausländischen Staates ge worden ist und diesem Reich gar nicht mehr ange hört. Abgesehen von Kaiser Franz Joseph, dessen Bild aus den eingezogenen, heute nicht mehr gültigen österreichischen VereinStalern sich befand, leben heute nur noch zwei Fürsten, deren Kovf auf Talern aus geprägt wurde: Großherzog Friedrich von Baden und Herzog Georg II. von Meiningen. Da ja die Talerstücke, deren Prägung im Jahre 1871 einge stellt wurde, allmählich immer mehr eingezogen und umgeprägt werden, trifft man solche mit dem jugend lichen Bild deS Großherzogs von Baden und dem des Herzogs Adolf von Nassau nur noch hin und wieder an, während die Taler des Herzogs Georg II. von Meiningen sehr selten geworden find. „Arm", aber „nobel". Für 80 000 M. Wertpapiere verlor in einem Warenhause in Halle eine allgemein als gänzlich mittellos geltende Frau, die Armenunterstützung bezog. Dem Finder bot sie als Belohnung fünf schmutzige Romanhefte, Stück 10 Pf., an. Etwas mehr wird sie nun aber der Steuerbehörde opfern müssen. Durch eine« Spreugschuh getödtet. Im Sonderbacher Granitsteinbruch ging ein Spreng schuß zu früh los und tötete drei Personen, darunter den Mitbesitzer des Steinbruchs Wil helm Bechtel. Dessen Bruder wurde tödlich verletzt. Auch ei« „Lohukutscher". Ein Fuhr- knecht aus Königswinter (Rheinprovinz) hatte zwei Bekannte, die er unterwegs traf, auf seinem Fuhrwerk mitgenommen und von ihnen dafür ein Glas Bier erhalten. Er bekam daraufhin eine polizeiliche Strafverfügung über 15 Mk., weil er ohne behördliche Erlaubnis gegen Lohn eine Fahrt gemacht hätte. Die gegen diese Verfügung natürlich eingelegte Berufung wurde sowohl vom Schöffengericht in Königswinter wie von oer Bonner Strafkammer kostenpflichtig abgewiesen. Im Gefängnis. Als am Sonntag abend der Gefängnisaufseher in Merzig seinen Rund- gang machte, wurde er beim Eintritt in eine Zelle von zwei Strolchen niedergeschlagen. AIS Hausgenossen, die Frau und eine erwachsene Tockter dem Manne za Hilfe kommen wollten, wurde auch diese niedergsstoßen. Sodann machten sich die Strolche durch ein Küchenfenster ins Freie und entkamen. Die Verletzungen deS Aufsehers waren derart, daß ärztliche Hilse ge nommen werden mußte. G Oie Lauern-Orunküäe. bj Erzählung au» d. bayrischen Bergen v. M. Neal. (Fortsetzung.) Gottfried schwieg einen Augenblick, während Traudl, die ihm gespannt zugehört hatte, als ob er von einer neuen, unbekannten Well er zählen würde, vor sich hinsann, ohne etwas zu erwidern. „Wie fremd sie der Heilbringerin Natur find," fuhr « dann fort, „das beweist ihre Furcht vor der Sonne. Man hat in d« Stadt Angst vor ihr, das kannst du dort tausendmal sehen. Jeder sucht mit Vorliebe den Schatten auf, man schützt fich vor ihr mit Schirmen und verschließt die Zimmer mit dichten Vor- hängei., damit ja kein Strahl hereindringen kann. Und doch ist die Sonne das Leben! Aber solche Verkehrtheiten find dort das Nor male, und wer das bestreitet, wird verlacht oder bedauert." „Und wem du daS alles weißt, warum bleibst d' net bei uns, warum willst d' wieder z'ruck in all' die Unnatur?" fragte Traudl treuherzig. „Du lieber Himmel, was will ich machen! Ich bin ein Produkt dieser Verhältnisse. Wenn man in dieser Treibhausluft ausgewachsen ist, kann man nicht in ein andres Erdreich versetzt werden, ohne völlig ein andrer zu werden oder zugrunde zu gehen." Das Mädchen schüttelte den Kopf, als be greife es nicht, wie das gemeint sei. „Läge dir denn so viel daran, wenn ich ganz bei euch bliebe?" begann nach einer kleinen Pause Gottfried wird«, der fich über den Ein druck freute, den seine Gelehrsamkeit auf seine Begleiterin gemacht hatte. „Ja," sagte Traudl errötend, „weil i ma gar net denken kann, wia 's bei uns wer'n soll, wenn du nimmer da bist." „Ach was, in acht Tagen bin ich vergessen," lachte der junge Mann, „aus dm Augen, aus dem Sinn!" „Moanft, mir san aa so wetterwendisch!" erwiderte fie mit zitternder Stimme. „Uns scheint d' Sonn' ins Herz, da kann jeder 'nei- fchaug'n, Friedl, mir Ham 's Licht net -'fürchten und brauch'» koane Vorhang', um dös, was ma fühlen und denk'n, z' verstecken!" Gottfried war erstaunt. So hatte er das Basl noch nie gesehen. Ihre Augen leuchteten, fie schien größer geworden zu sein und ihre Worte klangen bestimmt, fast vorwurfsvoll. Im Eiser der Unhaltung hatten beide gar nicht bemerkt, wie hoch fie schon gestiegen waren. Der Weg führte jetzt hart an einem jähen Absturz hin, während auf der andern Sette eine brüchige steile Wand emporstieg. Tief unten lag Sacharang, man hörte deutlich die Glocken heraufklingen, die zur Frühmesse einluden. Wie feierlich, wie einsam war es hier. Und in dieser großartigm Einsamkeit stand er allein mit ihr, diesem lieben, reizenden Geschöpf, diesem naiven Kind der Berge, das gewohnt war, so zu sprechen, wie es ihr aus dem Herzen strömte. Gottfried überkam es wie ein Taumel, ihm war's, als müßte er Traudl an die Brust ziehen und seine brennenden Lippen auf ihren Mund drücken. Aus seiner Trunkenheit weckten ihn die Worte des Mädchens, das sicher und festen Schrittes vor- ihm herqing. „Gib fei' Obacht, Friedl, dös iS a schiatiche Stell', aber Wetter oben kimmt's scho' wieder besser!" Das gab ihm seine Besonnenheit wieder. „Sorg' dich nicht, Traudl, ich komm' schon zurecht, wenn's nicht schlimmer kommt." In kurzer Zeit hatten fie jetzt ein Fels plateau erreicht, daS mit Latschen und kurzem GraS bewachsen war. Auf drei Seiten saß dieser Riesenstein wie ein Würfel auf einem mächtigen Kar aus, zu dem die Wände des Felsen steil abstelen, während die vierte Seite sich an einen kahlen Grat anschloß, auf dem ein Jägersteig zur Alm führte. Ein prächtiges Panorama bot fich hier bereits dem Auge. Vor allem der wilde Kaiser ifi's mit seinen zer klüfteten Dolomitenspitzen, der herüberwinkt, während fich in weiter Ferne dunstumhüllt Gletscher an Gletscher, Eisspitze an Eisspitze reihte, wie das unabsehbare, verschneite Zelt- lager eines untergegangenen Zykwpenvolkes, das ausgezogen war, den Himmel zu er stürmen. „Da rast'n wir a bissl," sagte Traudl und setzte fich, indem fie den Oberrock in die Höhe raffte, auf die grüne Matte. Gottfried war über den Vorschlag froh, das ungewohnte Bergsteigen hatte ihn müde gemacht. Er ließ fich neben dem Mädchen nieder, dann nahm er aus dem Rucksack eine Flasche Rotwein, ent korkte fie und reichte fie Traudl, die einen herz haften Schluck daraus tat. Mit einem „Vagelt's Gott" gab fie die Flasche zurück. Redlich teilte er mit ihr dann das Geselchte, das fie vorsorglich eingepackt hatte, und bald waren fie mitten in der angenehmen Be schäftigung des Essens, daS nach dem an strengenden Marsch doppelt gut schmeckte. „Kann's jetzt was Schöneres geben, als im Angesichte der Berge und in Gesellschaft eines so lieben Mädels seinen Morgenimbiß ge nießen!" rief Gottfried begeistert aus. „Der Morgenimbiß is' dir aber V Haupt fach', dös anker' is' nur so a Beigab',' neckte Traudl. „Du scheinst mich für einen rechten Materialisten zu halten," entgegnete Gottfried lackend, indem er von einem großen Stück Schwarzbrot abbiß. „I woaß net, was dös is," gab daS Mädchen zurück, „aba ös Mannsbilder seids do alle gleich!" „Es gibt doch Ausnahmen." „Und du willst a Ausnahm' sein?" „Selbstverständlich, und wenn dir an mir etwas läge, dann würdest du das bestätigen," antwortete Gottfried, indem er Traudl bet der Hand faßte. DaS Mädchen durchrieselte eS bei der Be rührung siedend heiß, aber fie entzog ihm ihr» Hand nicht. „Na, sehe ich vielleicht nicht aus wie eine Ausnahme?" Traudl blickte ihn unwillkürlich an. „Vielleicht!" antwortete fie dann, verlegen die Augen niederschlagend. Gottfried fühlte eine unbezwingliche Lust, seine Begleiterin an fich zu ziehen und diesen
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