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politische Aunäschau. Die Wirren in Rußland. * Wenngleich 'm allgemeinen sich die An zeichen für die zunehmende innere Ruhe Rußlands mehren, so brechen aus der glimmenden Asche doch immer noch ab und zu Stichflammen empor; besonders auf den alten Brandstellen Sebastopol und Odessa zeigen sich solche Erscheinungen: Unruhen bei den Matrosen und den Soldaten, Ausstände der Hafenarbeiter, sogar die Tötung einzelner hervorragender Persönlichkeiten zeigen immer- noch die Gefahr der Lage, wenngleich dieselbe örtlich eingedämmt erscheint. *Die Warschauer Presse fährt fort, so schreibt die ,Nordd. Allg. Ztg.', die schwindel- haften Gerüchte über deutsche Gelüste zur Einmischung in Polen auszuspinnen. Neuerdings wird vom ,Kur. Polski' und vom ,Kur. Poranny' verbreitet, daß in Galizien die Mobilmachung angeordnet worden sei, und zwar als Gegenmaßregel gegen die deut scherseits beabsichtigte Einmischung in die russisch-polnischen Angelegenheiten. Deutschland habe seine Absicht nach Wien mitgeteilt, habe dort aber keine Billigung gefunden. Auch bei dieser neuen Version handelt es sich lediglich um Erfindungen. Da Deutschland niemals die Absicht der Einmischung gehabt hat, so hat es von dem Bestehen einer solchen Absicht auch nicht in Wien Mitteilung machen können. Da eine solche Mitteilung nicht gemacht worden ist, kann sie auch nicht den Anlaß zu einer Mobil machung in Galizien gegeben haben. Die polni schen Blätter stützen also eine Lüge immer durch die andre. "Wie Londoner Blätter berichten, soll in der Mandschureiarmee Heller Aufruhr herrschen. Charbin stehe in Flammen, zahl reiche Offiziere seien ermordet wo,den und Hunderte von Chinesen würden erbarmungslos niedergemetzelt. * * * Deutschland. * Der Kaiser hat dem König Haakon VII. auf seine Anzeige von der Thronbesteigung mit einem liebenswürdigen Glückwunschtele gramm geantwortet. *Der Reichstag wurde am Dienstag mittag im Weißen Saale des Königlichen Schlosses zu Berlin mit einer Thronrede er öffnet. * Der vom Bundesrat angenommene Ent wurf betr. die gewerblichen Berufs vereine regelt die Bedingungen, unter denen diesen Vereinen Korporationsrechte verliehen werden können. Die KorporalionS- rechte sollen entzogen werden können wegen Beteiligung an Ausständen, die öffentliche Wohl fahrtseinrichtungen, wie die Versorgung der Ge meinden mit Kohle, Wasser und Licht zu ge- fährden geeignet find. * Für das Offizierpensionsgesetz ist ein Beitrag von etwa 8 Millionen, für das Mannschafts - BersorgungS - Gesetz die Summe von rund 7 Millionen in Aussicht genommen. Der Wohnungsgeldzuschuß für Leutnants und Oberleutnants der Armee und Marine wird um annähernd 850 000 Mk. erhöht. *Zu den im Reichsgesundheits- amte gepflogenen Ve: Handlungen des Gesund heitsratsausschusses behufs Vorbereitung der deutschen Arzneitaxe für 1906 waren auch Vertreter der Knappschaftslassen und Sach verständige des Krankcnkafsenwesens, sowie Kommissare des preußischen Kriegsministeriums und des Hamburger Senats zugezogen. Das Erscheinen der Arzneitaxe darf rechtzeitig für den Monat Dezember erwartet werden. * Der Deuts che Städtetag trat am Montag in Berlin zusammen, um über Maß nahmen gegen die Fleischteuerung zu beraten. Er empfahl die Öffnung der Grenzen unter Beseitigung aller nicht unbedingt notwendigen Erschwerungsmaßregeln für die Einiuhr ausgeschlachteten Fleisches, sowie die Ermäßigung von Zöllen und Eisenbahntarifen für Futtermittel in Zeiten der Not. Dann wurde der Städtelag geschlossen. I * Die lübeckische Regierung plant eine weitere Ausgestaltung der Hauptschiffahrts straßen des Staates und die Schaffung um fangreicher Jndustriehäfen. * Generalleutnant v. Trotha, der Ober befehlshaber der Truppen inDeutsL-Süd- westafrika hat von der Lüderitzbucht die Reise nach Deutschland angetreten. * Nach telegraphischer Meldung des Gouver neurs von Lindeguift haben sich Samuel Isaak Witboi, sein Unterkapitän mit 17 Großleuten und ihrem Anhang, sowie der Kapitän der Veldschoendrager Hans Hendrik — insgesamt 74 Männer und 44 Weiber — in Bersaba freiwillig unier- worfen. Dabei find 34 Gewehre abgeliefert worden. Der einzige namhafte Gegner, der außer Cornelius noch übrig bleibt, rst somit Morenga. Frankreich. * Präsident Loubet übermittelte dem König von Norwegen telegraphisch die Wünsche Frank reichs für eine ruhmvolle Regierung zum Wohle des Landes. Ministerpräsident Rouvier depeschierte an den norwegischen Minister des Äußern, daß die Regierung der Republik an der Freude des norwegischen Volkes beim Empfang seines Königs teilnehme. Holland. * Die Stellung des Ministerpräsidenten im niederländischenKabinetthat wieder eine Änderung erfahren. Durch eine neue Ver ordnung ist für den Ministerrat die unter dem Kabinett Kuyper geschaffene Stellung des dauernden Ministerpräsidenten abgeschafft wor den. Der Präsident des Ministerrates wird nunmehr nur auf ein Jahr ernannt. Norwegen. * Die Landung der norwegischen Königsfamilie in Christiania erfolgte am 2.5. d. mittags unter dem Donner der Geschütze und dem Hurrarusen der Bevölkerung. Zur Begrüßung hatte an der Landungsbrücke eine Vertretung der Stadt Ausstellung genommen, deren Präsident eine Ansprache hielt, in der er die Majestäten im Namen der Stadt herzlich willkommen hieß und die er mit einem Hoch auf den König, die Königin und den Kron prinzen schloß. König Haakon dankte mit herz lichen Worten. Hieran schloß sich der Einzug in die Stadt, bei dem das Köuigspaar von einer gewaltigen Menschenmenge stürmisch be grüßt wurde. Abends war die ganze Stadt feierlich illuminiert. * König Haakon hat seine Regierungs tätigkeit mit Verleihung von Orden begonnen. Dem Königsmacher, Staatsminifter Michelsen, ist das Großkreuz des St. Olassordens ver liehen worden. Auch die dänischen ersten Politiker, Ministerpräsident Christensen und der Minister des Auswärtigen, Raben-Lewetzau, wurden zu Großkreuzrittern des Danebrog- ordenS ernannt. Balkanstaaten. * Das international eGeschwader ist vor Mytilene (am der Insel Lesbos) ein getroffen und hat das Zollamt und das Telegraphenamt besetzt. * InAthenfind ungefähr 1000 kretische Aufständische eingetroffen, die nun be schäftigungslos sind, da die Rebellion kontrakt lich beendet wurde. Die Griechen werden Mühe haben, sie unterzubringe« und zu unter halten, da in ihrem eigenen Vaterlands die Aufstände aus der Mode gekommen find und die Ankömmlinge andre Beschäftigung nicht verstehen. Amerika. *Zu dem neugeschaffenen politischen Ver hältnis zwischen JapanundKorea haben die Ver. Staaten beretts Stellung genommen. Staatssekretär Root teilte der japanischen Regie rung mit, er werde zukünftig die Korea be- treffenden Angelegenheiten durch die japanische Gesandtschaft dmchiühren, Koreas Souvetänttät werde aber im Prinzip von den Ver. Staaten weiter anerkannt. Aste«. *JnNiederländisch-Jndien treten an immer neuen Stellen Unruhen und Auf stände in Erscheinung. In Pohonbatö auf Borneo wurde ein Unterleutnant mit neun eingeborenen Soldaten von dem Häuptling der Demangdalem, der bisher als Freund der holländischen Regierung galt, übersallen und niedergemacht. Kufslanäs Meäergeburt. Am Rande deS Verderbens, in letzter Stunde, ist dem Zarenreiche in der Person des ehemaligen Finanzministers und jetzigen Minister präsidenten ein Retter in der Not erstanden. Ohne Zweifel ist Witte der Mann des kommenden — oder wenn man will — des neuen Rußlands. Von dem Tage an, da sein Kaiser den in Ungnade Gefallenen mit dem Auf trage betraute, dem siegreichen Gegner in Ost- afien einen ehrenvollen Frieden abzuringen, hat Witte bis zur Stunde unermüdlich und ziel bewußt an der Wiedergeburt seines Vaterlandes gearbeitet. Daß er es gegen den Willen der bisherigen Machthaberclique tat, gereicht ihm zum besonderen Ruhme. Das Zarenreich ist nicht so ganz gebrochen — dank dem Wirken Wittes — wie es zeitweilig den Anschein hatte. Es ist daher kein Wunder, wenn englische Zeitungen verbreiten, Witte sei ein halbtoter Mann. Dem wird von zuständiger Seite sehr entschieden widersprochen. Aber selbst wenn das Verhängnis es wollte, daß Graf Witte über kurz oder lang die Weitersührung und Vollendung seiner Arbeit vor der Zeit in andre Hände legen müßte, darf man vielleicht hoffen, daß auch ohne ihn die Entwirrung und end gültige Neugestaltung der Lage ihren ordnungs mäßigen Verlauf nehmen würde, ein so schwerer Schlag naturgemäß sein Scheiden aus dem Amte sein müßte. Die Ereignisse der letzten Tage haben deutlich bewiesen, daß es dem Grafen Witte gelungen ist, eine Verständigung zwischen der Regierung und dem Volks in der Weise herbei zuführen, daß, selbst wenn er sich jetzt auf kürzere oder längere Zeit von der Staats- leitung zurückziehen sollte, die Ereignisse und die Entwickelung Rußlands ihren normalen Gang nehmen werden. Daß Graf Witte über haupt damit gerechnet hat, er könne plötzlich, noch vor der erzielten Verständigung, ver hindert sein, sein Werk zu Ende zu führen, geht daraus hervor, daß er schon vor längerer Zeit entsprechende Vorkehrungen getroffen hat. So hat sich Fürst Swiatopolt-Mirski, intimer Freund des Grafen Witte, bereit erklärt, jeder zeit für Witte einzufpringen; eine ähnliche Verständigung besteht auch mit dem Grafen Solskij. Und diese beiden Staatsmänner, ins besondere Fürst Swiatopolk-Mirski, den man in ganz Rußland, in allen Volksschichten als den Schöpfer des russischen „Frühlings", als den Vater der neuen Zeit ungemein verehrt, würden, falls Rußland jetzt den Grafen Witte plötzl'H entbehren müßte, die vom letzteren begonnene Reformarbeit zweifellos mit Erfolg weiter fortsetzen können. Das Schlimmste ist bereits überstanden, die Grundlage für ge sunde Verhältnisse in Rußland ist geschaffen worden, und so kann Graf Witte, noch bevor er unter der fast unmenschlichen Arbeitskraft zusammenbricht, sich mit gutem Gewissen die schon nach dem Portsmouther Frieden ersehnte Erholung gönnen und die ihm von den Ärzten schon längst verordnete Kur gebrauchen — der von ihm gelegte Grundstein kann nicht mehr umgestoßen werden. Allerdings im Bannkreis der russischen Sphinx, die täglich neue Rätsel schafft, und der russischen Hofkamarilla kann man nie wissen, was der kommende Tag bringen mag. Wenn man aber bedenkt, daß beim letzten Ministerrat die reaktionäre Partei vergeblich einen Vorstoß gegen Witte gemacht hat und daß der Zar jetzt unweigerlich zu Witte hält, so kann man hoffen, daß die russische Entwickelung der Dinge nicht mehr ernsthaft und dauernd gestört wird. Das neue freiheitliche Preßgesetz wird in diesen Tagen zur Veröffentlichung kommen und auch das allgemeine geheime und direkte Wahlrecht wird gewährt werden. Witte wird die Vor ¬ schläge des Semftwokongresses ebenso an nehmen wie auch durchführen. Der Kongreß hat nunmehr die Einberufung einer Gesetz gebenden Versammlung abgelehnt und sich sür konstituierende Funktionen der ersten Ver sammlung der Volksvertreter erklärt. Der zweite Teil der vom Bureau des Kougreffes vorgeschlagenen Entschließung ist vom Kongreß angenommen worden. Er fordert die Unter ordnung sämtlicher Minister unter den Minister rat, mit Ausnahme des Ministers deS kaiser lichen Hofes, und hat sich mit Zweidrittel- Mehrheit für das allgemeine direkte Wahlrecht erklärt. Damit wird Rußland zum Verfassungsstaat. Dieser Wendepunkt im innerpolitischen Leben ist der erste Markstein in der von Witte bewirkten Wiedergeburt Rußlands. Von unä fern. Ibsen schwer erkrankt. Der Gesund heitszustand Hendrik Ibsens, des größten nordischen Dichters, der schon längere Zeit zu Besorgnissen Anlaß gab, hat sich in den letzten Tagen verschlechtert. Der Dichter soll mehrere Ohnmachtsanfälle gehabt haben und jetzt nicht bei vollem Bewußtsein sein. Englische Blätter melden sogar, der über Siebzigjährige liege im Sterben. Der Fischreichtum des Kaiser Wil helm-Kanals und die überraschend schnell gesicherte Beliebtheit deS sogen. KanalheringS bringen den Besitzern der benachbarten Ge wässer eine wesentliche Steigerung ihrer Ein nahmen aus der Fischerei. Die Stadt Rends burg erzielte aus ihrer Fischereigerechtsame auf der Ober- und Untereider, dem Verbindungs wege zwischen dem Kanal und dem Hafen Tönning, bisher nur eine Jahrc spacht von 292 Mk. Bei der jüngst vorgenommenen Ver pachtung schnellte die städtische Fischereieinnahme für dasselbe Gebiet auf 2350 Mk. hinauf. Das Ausbleiben der Tprotteuzüge in der Nordsee, das auch in diesem Spätherbst wieder erfolgte, beschäftigt gegenwärtig aufS angelegentlichste die in Frage kommenden staat lichen Fischereibehörden. Diese haben einst weilen beschlossen, 20 große Hochseefischerkutter auf drei Tage zu m eten, damit diese das See gebiet von der Wesermündung bis zur Elbe mündung, und von dort bis zur Eidermündung eingehend nach Sprotten durchforschen können. Gleichzeitig hat sich Professor Henking-Hannover vom deutschen Seefischerei-Verein nach der nord friesischen Küste begeben, um dort, besonders in Büsum, mit den Fischern Abkommen zu treffen, wonach diese auf ihren Fahrten mit rach «sprottenzügen zu forschen und das Ausfinden olcher sofort telegraphisch zu melden haben. Ein neues Mittel gegen die Schwind sucht. Der praktische Arzt Oskar Rosenberg in Seebnitz (Kreis Lüben) soll ein neues Mittel gegen die Schwindsucht gefunden haben. Der Stoff ist aus einer lebenden Zellmaffe her gestellt, der sehr widerstandsfähig ist und ent weder als rotbrauner, kristallinischer oder alS flockiger, kampferweißer Körper erscheint. Die Wirkung, die er im menschlichen Körper hervor« rust, soll darin bestehen, daß er unter erhöhter Wärmeerzeugung die Entwickelungsfähigkeit deS Tuberkelbazillus hemmt und selbst vorgeschrittene Lungentuberkulose zur Heilung bringt. — (Man wird nach den bisherigen Mißerfolgen auf dem Gebiete der Tuberkulosenbehandlmrg gut tun, der Mitteilung gegenüber äußerste Zurückhaltung zu üben.) Bahndieb. Ein Eisenbahnbeamter bemerkte auf dem Güierbahnhof zu Erfurt, daß an einem Viehwagen Berlin-Ritschenhausen, in dem sich Hammel befanden, der Faden der Türverschluß- rlombe durchschnitten war. Unweit deS Wagens ag ein abgeschlachteter Hammel. Als nach er« olgter Meldung des Vorfalls andere Beamte ich an Ort und Stelle begaben, war der Hammel verschwunden. Rian fand ihn nach einigem Suchen in einem leeren Güterwagen. Im Verdacht, die Tat begangen zu haben, wurde ver Eisenbahnarbeiter Karl Schlothauer aus dem gothaischen Orte Molsdorf verhaftet. I«- Da« laufende Feuilleton wird durch folgende SrzLhlung »utcrdrochcui A kmäerkanäe. 1) Erzählung von Karl v. Ecke.*) Sie waren heimlich verlobt, der Rittmeister und die vielumworbene, junge Witwe. Er wollte, eS sollte jetzt schon alle Well wissen, doch ffe bat leise: „Nein, nein, laß mir noch daS heimliche Glück, diese Stunden deS un getrübten Alleinseins mit dir. Ist unsre Ver lobung erst bekannt, dann gibt's einen Trubel ohne Ende. Laß mich den Ring —* er hatte ihn ihr an den Anger flecken wollen — „laß mich ihn noch eine kleine Welle verschwiegen auf dem Herzen tragen!' Er gab nach. Sie, die Kühle, die VerstaudeSnatur, kannte sich kaum selbst noch. Sie preßte die Hand auf das pochende Herz. So kam also wirklich noch das Glück zu ihr nach all' den trüben, trüben Jahren. Sie mußte sich Gewalt antun, um ihrem Verlobten nicht zu -eigen, wie lieb sie ihn hatte. — Er verehrte, er schätzte sie auch sehr. Ihr tiefes Wissen zwang ihm Achtung ab. Solch eine Frau mußte er haben. Jetzt hatte er sich soeben bei seiner Braut melden lassen. Im stilvollen Vorzimmer ordnet er sein Äußeres. Der Spiegel im grüngebeizten Rahmen wirst sein Bild zurück. Ja, stattlich ist er, der Rittmeister, mit seinem mageren Raffegeficht und den tiefliegenden Augen. Frau von Döhren, seine Braut, empfängt Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. ihn im Zimmer, das mir seinen kleinen Fenster scheiben, mit den Vitragen davor, einer Kem- nate gleicht. — „Störe ich?" fragt er, die schmale Hand küssend. „Niel - Oder doch —' lächelt sie. „Wir haben nebenan wichtige Beratungen. Du weißt . . . bald ist der Ball bei dem Krjegsminister . . . da will ich schön sein —* „Bist du doch immer," lächelt er. „Doch darf ich nicht helfen Stoffe aussuchen, zerschneiden?" Sie nickt: „Dann komm! Deta ist auch drin l Ja, hör' — Deta ist nun wirklich doch noch gekommen, sie ist nun für Wochen mein Logier gast ... ich erzählle dir doch . . Sie stieß die Tür zum Nebenzimmer auf. Dort bauschten sich schimmernde Stoffs auf Tischen und Stühlen, schwerer Damast schleifte die Erde. Die Modistin sah der Rittmeister wohl — die türmte mit spitzen Fingern immer noch mehr flimmernde, flirrende Wolken auf den Tisch, haushoch — doch wo war Deta, die vielbesprochene, sehr jugendliche Freundin ? Da wird plötzlich der ganze hohe Wolken berg auf dem Tisch von Kinderhänden zu sammengedrückt, und ein gelblich blasses Gesichtchen mit tollen, irrlichterierenden Augen guckt neugierig darüber fort. „Der muß eS sein l Helen, nicht wahr, daS ist er, von dem du mir schon so viel erzählt hast?' lachte, girrte es zu den beiden hinüber. Leichte, lichte Stoffe wirbeln umher, dann steht Deta vor dem Rittmeister. Finster blickt der Formvollendete auf daS zierliche Geschöpf. Das tat dem aber gar nichts. Graziös wirbelt es hierhin, dorthin, lacht und flüstert mit seinem Silberstimmchen: „Du, Helen, er gefällt mir aber gar nicht l Warum magst du ihn nur so gern ?" Trotzdem muß der Rittmeister das fein« gliedrige Geschöpf immer wieder allstarren. Hatte eS denn Quecksilber statt Blut in den Adern? Acht Tage später fitzt Deta geduckt wie ein krankes Vögelchen mit hängendem Kopf auf der Ecke eines Stuhles. Die blaffen, dünnen Mädchenfinger zerpflücken das Spitzentaschen tuch. Der Rittmeister hatte heute früh der Frau von Döhren geschrieben, er würde heute abend den Ball nicht besuchen, er wäre zu er kältet. Lange, lange hatte diese dm wieder gefalteten Brief ringsum gedreht. Sie glaubte nicht an die Erkältung ... Deta hatte mit beiden Füßen gestampft. Sie hatte sich auf ihre Chaiselongue geworfen und sich in die flaumenweiche, seidene Decke verbissen. Daß er sie nun nicht sehen sollte in ihrem entzückenden Kostüm als gaukelndes Irr licht. Es wollte ihr nicht in den Sinn. Frau von Döhren ist das Herz schwer, so schwer — als sie gegen Abend in ihrem Zimmer ist. Beim Ankleiden zum Ball küßt sie den Verlobungsring, den sie auf dem Herzen trägt. Sie muß fich aber eilen, sie ist noch weit zurück. Deta steht schon in voller Toilette vor ihrem Spiegel. Sie sieht entzückend alS Irrlicht aus. Sie verschränkt die Arme am Hinterkopf und seufzt, fich dehnend: „So schön, so schön . . . und er sieht mich nicht . . ." „Er muß mich aber sehen," ruft sie, die Kinderhändchen ballen fich, „noch ist's Zeit.. Und eine federleichte Hülle reißt fie von einem Nagel und hinunter huscht's die Stufe» zum Wagen. Die Pferde scharren unruhig, der Mrtende Diener öffnet den Schlag. „Zum Herrn Rittmeister von Erksen, Bandelstraße 10 — schnell—' ! „Zum Rittmeister?' stammelt der Diener. „Mein Gott ... ja! Schnell l" Die Pferde fliegen dahin. * * * * Rittmeister von Erksen geht ruhelos in seinem Zimmer auf und ab. ES liegt parterre. Eine Lampe auf dem Schreibtisch erleuchtet e» schwach. Der Rittmeister ist nicht erkältet. Er wollte nur nicht aus den Ball gehen. „Wenn fie nur erst fort wäre,' denkt er wieder einmal und träumt doch mit offene« Augen und ist der Welt entrückt. Da schrickt er empor. Es klinkte doch di« Tür. Was murmelte denn dort sein Bursche? Wa§ grinste er denn über das ganze breite Gesicht, als er kehrt machte? Ein feenhaft schimmerndes Etwas mit blitzendem Krönchen auf der Schwelle, mit toll-lustigen Augen . . . eine Hülle streift den Boden. „Ich bin's!' klingt's von dorther. „Wer . . . wer?" fragt er hastig. „Doch nicht . . .' Er reißt die Glocke von der Lampe, um bester sehen zu können. . . Jst's Wahrheit? Hat sein Traum fich verkörpert? Noch intensiver blinkt, blitzt es von der Ev» scheinung zu ihm herüber.