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Ottendorfer Zeitung : 01.06.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-06-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190506011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19050601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19050601
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-06
- Tag 1905-06-01
-
Monat
1905-06
-
Jahr
1905
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 01.06.1905
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poUnlcbe Kunälckau. Ter ruffisch-japanische Krieg. * „Die große Hoffnung Rußlands", wie die baltische Flotte bei ihrem Abgänge enthusiastisch genannt wurde, ist nun auch zuschanden geworden. Während die schwächeren russischen Schiffe auf dem Umwege durch das offene Meer Wladiwostok zu er reichen suchen, hatte die größere Hälfte, der Kern der Noschdjestwenskyschen Flotte, den direkten und kürzeren Weg durch die Korea straße eingeschlagen, wo ihnen Togo mit kampfgewohnten und fiegesgewissen Schiffen auflauerte. Seit der Schlacht bei Trafalgar, also feit 100 Jahren, hat auf der See kein so heftiger Zusammenprall feindlicher Mächte stattgefunden, als im Laufe des Sonntags in der Nähe der Lsuschima-Jnseln. Die genauere Kenntnis der örtlichen Verhältnisse und das Bewußtsein dessen, was für Japan bei einem unglück lichen Ausgange der Schlacht auf dem Spiele stand und jene günstigeren Verhältnisse, die sich immer auf feiten des lauernden Angreifers befinden, haben bewirkt, daß die russische Flotte trotz der Umsicht ihrer Führer und der Tapferkeit ihrer Besatzung eine absolut vernichtende Niederlage erlitt. Eine amtliche Meldung Togos an seine Regierung beziffert die ku s s i s ch e n S ch i s f s v erI u ste, auf zwei Schlachtschiffe, ein Küsten panzer, fünf Kreuzer, zwei Schiffe der ireiwilligen Flotte und 2 Torpedobootzerstörer zumSinkengebracht, zwei Schlachtschiffe, 2 Küstenpanzer, 1 Schiff der freiwilligen Flotte und 1 Torpedobootszerstörer weggenommen. Außer diesen unerhörten Schiffsverlusten hat Rußland noch die Gefangennahme des Admirals Nebogatow und 3000 Mann seiner Geschwadermannschaften zu beklagen. Jeder Zweifel daran, ob die russische Flotts durch ihre Niederlage wirklich in ihrem Kamvfwerte als zerstört betrachtet werden kann, ist beseitigt: nur Trümmer sind es noch, die, von dem siegreichen Gegner scharf verfolgt, nach Wladiwostok zu gelangen suchen. Togo fügt seiner Meldung hinzu, daß das japa nische Geschwader unbeschädigt sei. *Aus den Vorgängen, die der Seeschlacht Vorausliesen, ist besonders bemerkenswert, daß Roschdjestwenski auch an der Oftküste Asiens wieder das Pech hatte, einen harmlosen Dampfer in den Grund zu bohren. Die Mannschaft des amerikanischen Transport schiffes konnte noch rechtzeitig aufgefischt werden. *Der russische Kavallerie-General Misch- tschenko scheint mit seinen fliegenden Kosaken scharen aus den russischen Positionen wieder weit hinausgeschwärmt und die Japaner an verschiedenen Punkten überrascht zu haben. Es fragt sich nur, ob er auch glücklich wieder den rückwärtigen Anschluß erreicht, der ihm unter Umständen abgeschnitten werden könnte. Z« den russische» Wirre». * Noch immer nicht ist das Dunkel, das über den letzttägigen Greuelszenen in Mar sch a u lagert, gelüftet. Aber es scheint, daß hier hinter den Kulissen ganz andre Faktoren tätig waren, als die unmittelbaren Akteure auf der Straße. Auffällig unter allen Umständen ist die Tatsache, daß die Behörden, ganz wie in Baku, Kischenew und andern Orten des „heiligen" Rußland, dem tollen Treiben gleich sam mit verschränkten Armen zusahen und erst dann aus ihrer Zurückhaltung heraustraten, als die „Arbeit" der Tumultuanten so ziemlich getan war. * Bei Siedler fand in einem Walde ein jüdisches Arbeitermeeting statt. Das Militär feuerte, wobei vierzig Personen verwundet wurden. * In Lodz ritten bei einer Manifestation, bei der rote Fahnen entfaltet wurden, Kosaken in die Menge hinein, töteten drei Personen und verletzten mehrere. 16 000 Arbeiter streiken. Montag wurde der Generalausstand erklärt. * * 4 Deutschland. *Der Kaiser hielt am Dienstag die Parade über die Potsdamer Garnison auf dem Bornstedter Übungsplätze ab. * Der Vertreter des Mikado bei der Hoch zeit des deutschen Kronprinzen, Prinz Ari - sugawa, ist am Montag mit seiner Gemahlin in Berlin eingetroffen. * Zur Vorgeschichte des Besuches des Fürsten Nikita von Montenegro in Berlin kur siert in diplomatischen Kreisen folgende inter essante Lesart: Ms sich Kaiser Wilhelm auf seiner letzten Mittelmeerreise in Bari in Italien (gegenüber dem montenegrinischen Gebiete) be- sand, erhielt er vom Fürsten Nikita ein Tele gramm, in dem dieser anfragte, ob es dem Kaiser angenehm sei, wenn er, der Fürst, nach Bari käme, um dem deutschen Souverän seine Ehrerbietung zu bezeugen. Kaiser Wilhelm glaubte jedoch bas Anerbieten des Montene griners ablehnen zu müssen, in der Erwägung, daß eine Begegnung auf italienischem Boden Anlaß zu unbequemen politischen Vermutungen geben könnte, die unter allen Umständen ver mieden werden sollten. Dafür aber lud der Kaiser den Fürsten ein, ihn in Berlin zur Frühjahrsparade zu besuchen. Die Einladung, die über die Erwartungen des Fürsten bei weitem hinausging, wurde dankbar angenommen, und so wird Fürst Nikita zur Frühlingsparade Gast des Kaisers sein. * Graf KonstantinzuStolberg-Wer- nigerode, früher Oberpräsident von Hannover, ist am 27. d. nach längerem Leiden im Alter von 63 Jahren gestorben. * Den schlichten Abschied im Heere haben im Jahre 1904/05 22 Offiziere erhalten. Die ,National-Ztg/ hebt als bemerkenswert hervor, daß, abgesehen von wenigen Ausnahme- sällen dabei nur kleine Garnisonen beteiligt seien. * Die p r e u ß i s ch-h e s s i s ch e L o t t e rie gemein schäft scheint ins Wasser gefallen zu sein. Die beiden hessischen Finanzräte 'find von Berlin nach Darmstadt zmückgskehrt, und es verlautet an unterrichteter Stelle, daß die in der deutschen Reichshauptstadt geführten Verhandlungen als gescheitert zu betrachten find. Aller Voraussicht nach werde die Hessische Lotterie als solche westerbestehen, wenn auch unter Verringerung der Zahl der Lose. *Die neueste eingeiroffene Verlustliste aus Südwestafrika weist achtzehn Tote, darunter einen Offizier, zwölf Verwundete und einen Vermißten auf. — Die Kämpfe mit den aufständischen Hottentotten im Süden des Schutzgebietes endeten mit der Zurückwerfung des Bethanierhäuptlings Kornelius Frederek. Die Abteilungen v. Rappard und Baumgärtel, denen diese erfolgreiche Aufgabe zufiel, hatten aber in diesen blutigen Gefechten schwere Ver luste zu verzeichnen. Österreich-Ungar«. *Die Meldung, daß der Honvedminister Fejervary das 'Haupt der ungarischen neuen Negierung sein werde, wird offiziös be stätigt. Die Ernennung des neuen Geschäfts- Ministeriums soll schon in den nächsten Tagen erfolgen. Dasselbe wird überwiegend militäri sches Gepräge tragen und wahrscheinlich die Vertagung des Reichstags sofort vornehmen. Frankreich. * Die Deputiertenkammer nahm nach mehr tägiger Debatte den Artikel 6 der Vorlage betr. Trennung von Staat und Kirche an, der be stimmt, daß Streitigkeiten betr. denHeimfall der Kirch engüter vor den Staatsrat zu bringen find. Italien. *Auch der Papst wird eine Gesandtschaft zu den Vermählungs-Feierlich keiten nach Berlin senden. Schweden-Norwegen. *Kaum hat König Oskar die Zügel der Regierung wieder ergriffen, so ist auch der Konflikt zwischen den beiden durch Union ver bundenen Staaten zu voller Schärfe gediehen. In der letzten Sitzung des Staatsrates ver weigerte der König dem Konsulatsgesetz seine Genehmigung, worauf die gesamte Regierung ihr E n t l a s sun g s g e su ch ein reichte. König Oskar lehnte die Annahme des Gesuches ebenfalls ab. Die Minister bestehen aber auf ihrem Rücktritt! Spanien. *Der ehemalige konservative Minister präsident Silvela ifl am Montag in Madrid, 61 Jahre alt, gestorben. (Unter Silvelas Amtstätigkeit kamen die Karolinen und Marianen, die bis dahin spanischer Besitz waren, an Deutschland.) Ruhland. * Die über den Grafen Leo Tolstoi vor einigen Jahren verhängte Exkommunikation wird infolge des Toleranzedikts des Zaren nunmehr aufgehoben. Der Gehilfe des Oberprokurators des heiligen Synod, Fürst Schirinsky, und der Metropolit Antonius haben die Aufhebung be fürwortet. Schutztruppe oder Polizeitruppe? Es wird vielfach von der Annahme aus gegangen, daß Schutziruppe und Polizeitruppe einander „gleichstehen", also gleichwertig seien, daß ihr einziger Unterschied in der eigenen militärischen Organisation der Schutztruppe im Gegensatz zum jederzeitigen Verfügungsrecht der Zivtlverwaltung über die Polizeitruppe bestehe; diese Annahme, so schreibt dis ,Disch. Kolonial- Ztg.', ist falsch, denn tatsächlich wird eben eins Polizeitruppe einer Schutztrupps niemals gleich kommen; das liegt schon im Wesen der ganzen Sache, ebenso wie eine Schutzmannschaft hier in Europa, selbst wenn sie aus noch so gutem Material besteht, auch nicht der aktiven Truppe wird gleich gerechnet werden können. Eine Polizeitruppe ist stets Zivilbeamten unterstellt; der beste Zivilbeamte aber kann den aktiven Offizier auf militärischem Gebiet nicht ersetzen, wird auch niemals soviel Interesse und Zeit für seine Soldaten übrig haben, als dieser, da er sie ja nur gewissermaßen im Nebenamts verwaltet. Der Vorgesetzte aber drückt einer Tnippe den Stempel auf, in Afrika noch mehr als hier in Deutschland. Der Neger hat übrigens für derartiges ein sehr feines Gefühl, und oft genug hött man an der Kamerun-Küste vom „rvomau-solälsr", d. h. Wsibersoldaten reden, womit der Polizei soldat im Gegensatz zum Schutziruppensoldaten gemeint ist. Der Wert, den eine Trupps hat, zeigt sich vor allem im Gefecht. Es ist bisher noch nicht vorgekommen, daß Teile unsrer Kameruner Schutziruppe in irgend einem Gefechte versagt haben, daß durch ihr Verhalten vor dem Feinde Katastrophen herbeigesührt worden sind, trotz dem bei allen Kämpfen in Kamerun die Schutz truppe stets in bezug auf Zahl dem Feinde er heblich unterlegen gewesen ist. Bei vielen Ge legenheiten wurde die Mannschastszahl geradezu verringert, hat aber trotzdem von ihrem mora lischen Halt nichts eingebüßt und stets ihre schwierigen Ausgaben glänzend gelöst. Dasselbe kann .von der Polizeitruppe nicht behauptet werden. Erstens ist sie überhaupt nur selten wirklich an den Feind gekommen und stand dann meist unter dem Befehl aktiver Schntztruppenosfiziere, wie z. B. auch letzthin in der Südostecke. Dann aber find die einzigen wirklichen Katastrophen, die wir in Kamerun erlebt haben, durch die Verwendung solcher Polizeitruppe herbeigesührt worden. Erinnert sei nur an die Niedermetzelung der Zint- graffschen Expedition im Jahre 1891, bei der vier Europäer fielen, ferner an die Vernichtung der Expedition des Grafen Pückler im vergangenen Jahre, die ja wohl noch jedermann frisch im Gedächtnis sein wird. 30 Polizsisoldaten hatte Graf Pückler bei sich, eine für Kamemner Urwäldverhältnisse genügend starke Bedeckung; sie zerstoben beim ersten feindlichen Ansturm und wurden niedergemacht; Gras Pückler und vier Kaufleute fielen, die Regierungsstation Ossidinge und sämtliche Faktoreien der Gesellschaft Nordwest-Kamerun am Croßfluß wurden zerstöri, ein allgemeiner Aufstand aller Croßflußstämme war die Folge, dessen Niederwerfung wiederum der Expedition des Oberst Mueller einen Verlust von 60 Toten (darunter ein Europäer) und 143 Verwundeten (darunter drei Europäer) kostete, ganz abgesehen von der Vernichtung des Handels und Wandels jenes aufblühenden Gebietes für lange Zeit. Mit aller Bestimmtheit kann man wohl be haupten, daß es einerseits den Eingeborenen nicht gelungen wäre, einen so vollständigen Sieg über einen Zug Schutztrupps unter einem aktiven Offizier davonzutragen und daß anderseits ein gemeinsamer Aufstand io vieler, zum Teil be reits unterworfener Stämme nicht möglich ge wesen wäre, wenn sich der Eingeborenen infolge ihres Erfolges nicht eine Art Siegestaumel be mächtigt hätte, der sich auch den umwohnenden Stämmen mitteilte. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß so kriegerische Negerstämme, wie wir sie in Kamerun haben, sich nicht ohne weiteres der Regierung unterwerfen. Taten sie es hier und da, so kam stets das dicke Ende nach in Gestalt von Mordtaten, Überfällen, Ausständen und dergl. Der Kamerun-Neger hat eben kein Ver ständnis sür Milde und legt sie stets als Schwäche aus; ehe er sich endgültig unterwirft, will er erst einmal ganz gehörig an seinem eigenen Leibe gefühlt haben, daß der Weiße wirklich der stärkere ist. Deshalb stehen wir ganz und gar nicht auf dem Standpunkt, daß man nur polizeiliche Maßnahmen ergreifen, sogar möglichst „auf friedlichem Wege einen Ausgleich herbeisühren" müsse, wenn Raub, Diebstahl oder gar Schädigungen von Leib und Leben der Europäer vorgekommen sind. Las ist derjenige Weg, der sicher immer größere Übergriffe seitens der Eingeborenen nach sich ziehen wird und schließlich einen allgemeinen Ausstand herbeiführt. Je eher man energisch einschreiiet, um so radikaler wird dem Neger seine Nauüsucht ausgelrieben werden nach dem alten wahren Sprüchlein, daß ein »gebranntes Kind das Feuer scheue", und der Neger ist seiner Charakteranlage nach eben vollständig ein Kind, und zwar ein recht bösartiges. Von unä fern. Die Zuschauerkarien, die aus Anlaß der bevorstehenden Vermähluugs - Feierlichkeiten in Berlin vom Oberhosmarschallamt zur Ausgabe gelangten, waren schon am Sonntag sämtlich vergriffen. Jedes Gesuch um Überlassung solcher Karten, sei es zur Schloßterrasse am Einzugstage, oder zur Bilder- oder Schloß- kapellen-Galerie am Bermählungstage, ist daher zwecklos und kann nicht mehr berücksichtigt werden. DaÄ Gutachten über Luise von Koburg. Die Pariser Psychiater Dr. Magnan und Dr. Debuissou stützen ihr Gutachten, das jetzt im Wortlaut vorliegt, nur auf die Wahrnehmungen, die sie selber während der Beobachtungszeit gewonnen haben, lassen aber die Vergangenheit völlig außer Betracht. Die Arzte erklären, keine Beobachtung gemacht zu haben, die auf Schwächung der geistigen oder sittlichen Kräfte schließen ließe. Manche der wahrgenommenen Mängel seien die Folgen trüber Erfahrungen, die die Prinzessin gemacht. Sie äußerte wieder holt eine tiefe Abneigung gegen ihren Gatten, die unüberwindlich sei. Sie habe sich tief be kümmert gezeigt, als man ihr nahegelegt, nach Wien znrückzukehren, wo sie bei Hofe wieder Eingang finden könne. „Lieber ins Irrenhaus," rief sie, „als zurück ins Palais Koburg!" Mit tiefer Bewegung erzählt sie den Ärzten, daß sie während ihrer Abwesenheit von Hauss weder von ihren Kindern noch sonst einem Angehörigen ein Lebenszeichen erhalten. Ihre Verschwendung wird von den Ärzten zurückgesührt daraus, daß sie mit Wucherern in Verbindung war und den Wert des Geldes nicht kannte. Ihre leicht gläubige Vertrauensseligkeit erklären die Arzte mit ihrer Herzensgüte. Ihre Beobachtungen zu- sammensafsend, erklären die Ärzte die Prinzessin für geistig völlig gesund und empsehlen die Aus hebung der Entmündigung. Ä frauen. 32 s Roman von E. Borchart. (Fortsetzung.) Das hatte Nora mit bestimmt, sich mit Herbert auszusöhnen und nach Land egg zu kommen, in dem instinktiven Bestreben und der Hoffnung, sie könne vielleicht zu einem Wandel der Dinge beitragen. Sie gönnte nicht allein dem einstigen Gatten einen reichen Ersatz für das, was sie ihm nicht hatte sein können, sie wollte auch ihre geliebte Elisabeth glücklich und zufrieden sehen. Wie weit die junge Frau noch von diesem Ziele entfernt war, das erkannte sie mit ihrer scharfen Be obachtungsgabe und ihrem Kombinationstalent immer deutlicher. Es erfüllte fie mit tiefer Betrübnis, aber zugleich mit dem Wunsche, wenn möglich, hier einzngreifen, zu heilen, zu Helsen. Trotzdem beide Gatten sich eifrig bemühten, in Noras Gegenwart nichts von ihrem kühlen Verhältnis zueinander merken zu lassen, so waren fie doch zu stolze und offene Naturen, um etwas zu heucheln, daS fie nicht empfanden. Noras scharfe Augen hatten es darum leicht, sie zu durchschauen. Aus Kleinig keiten schon sah fie manchmal mehr, als ihr lieb war, und allmählich gewann fie ein voll ständiges klares Bild. Zuerst berührte fie ein Umstand befrem dend : Um welche Zeit sie auch nach Landegg kam — sie Achtete es abfichtlich so ein, daß es immer zu andrer Tagesstunde war — fie fand die Gatten nie zusammen. Entweder war Graf Landegg überhaupt nicht im Schloß, oder er strß allein 'n seinem Arbeitszimmer. Ein gleiches tat Elisabeth. Sie empfing die Freundin in ihrem Salon, zuweilen saß fie auch mit einer Handarbeit oder einem Buche auf der Terrasse vor dem Schlosse in Erwar tung des ihr so lieben, unentbehrlich gewordenen Besuches. Kam der Graf dann hinzu, so spähte Nora vergeblich in beider Mienen nach einem einzigen heißen Bl'ck, einem lieben Zulächeln, einem verstohlenen Händedruck. Daß sie in ihrer Gegenwart keine Zärtlichkeiten tauschten, war bei der vornehmen Erziehung beider nur natürlich, aber dieses Kalte, Höfliche, Gleich gültige war etwas andres, durchaus Ungerecht fertigtes. Was stand eigentlich zwischen den beiden Gatten, die kaum ein Jahr verheiratet waren und doch noch so recht die Honigmonate aus kosten konnten? Worin lag das Hindernis zu ihrem Glück? Das fragte sich Nora Steinburg jetzt täglich, und der Entschluß, der Sache auf den Grund zu kommen, wurde immer fester in ihr. Wie ein Arzt wollte fie prüfen, und wenn fie die kranke Stelle gefunden hatte, so wollte fie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln versuchen zu heilen. Freilich vorderhand konnte fie nur erst son dieren, und das war schwerer, als fie gedacht hatte. Elisabeth, die der geliebten und ver ehrten Freundin sonst ein unbeschränktes Ver trauen enlgegenbrachte, war in dem, was ihre Ehe betraf, äußerst verschlossen. Sie strebte vielmehr ängstlich danach, vor Nora ihren Seelenzuftand, ihr Unbefriedigtsein zu verbergen. Wenn es Nora trotzdem gelang, etwas da^ou zu erforschen, so war das allein ihrer Klu> r oder besser gesagt, der List zuzuschreiben. Einige äußere Beobachtung hinzugerechnet, konnte Nora sich bald ein ziemlich richtiges Bild der auf Landegg herrschenden Zustände mache». Da nach hatte Elisabeth nur ein Opfer der Kindes liebe gebracht, als fie den Grafen Landegg hei ratete, und von einer Neigung auf ihrer Seite war keine Rede. Sie trug jetzt ihr Los mit dem Stolz einer Märtyrerin, ohne jedoch ihrem Gatten, dem sie für seine Hilfe aus der Not dankbar sein mußte, irgend ein Recht über sich einzuräumen. Dadurch entstand das sonderbare Verhältnis, und Nora hätte fast an der Hoff nung auf eine mögliche Besserung verzweifelt, wenn nicht einige Nebenumstände zu denken gegeben hätten. So hatte fie einmal, als Gras Landegg sich unbeobachtet glaubte, einen heißen, leidenschaft lichen Blick, mit dem er Elisabeths ganze Ge stalt zu umschlingen schien, aufgesangen. „Gott- lob, auf einer Seite ist wenigstens noch ein Funken in der Asche," sagte fie sich erfreut, und fortan gelang es ihr denn auch, noch mehrere solcher blitzartigen Regungen bei ihm zu beobachten: es war klar, er hatte Elisabeth aus Liebe geheiratet, und diese Liebe war nur durch die fortdauernde Kälte seiner jungen Frau zurückgedrängt worden. Noch eine arwre köstliche Entdeckung machte aber Nora, die fie im Innern auijubeln ließ. Sie wnßte, daß Elisabeth in Berlin, als fie noch ihre Schülerin war, ein Tagebuch geführt hätte. Eines Tages erinnerte fie daran, ganz ! absichtslos und zufällig, und fragte, ob fie eS jetzt noch weiter führe. Elisabeth war bei dieser Frage ganz blaß geworden. „Nein, ich führe es nicht mehr," hatte st» nm erwidert. „Warum denn nicht? Fehlt es dir « Zett?" „Nein, daS nicht, aber ich habe eingesehen, daß es — zwecklos ist." „Zwecklos? Wieso?" fragte Nora weiter durch Elisabeths eigentümlichen Ton aufmerk sam gemacht. „Es kommt nichts Gutes dabei heraus. Du weißt, Nora, daß ich mein Tagebuch oft scherzend meinen Beichtvater nannte, weil ich ihm mein eigenes Fühlen und Denken au- vertraute. Aber glaubst du, daß es an genehme Gefühle und Erinnerungen in mir erweckt, wenn ich jetzt lese, was ich früher schrieb? Meine Ansichten, ja sogar mein Empfinden hat sich seitdem in vielem sehr ver- ändert." „Das ist bei deiner Jugend nur natürlich, Elisabeth. In dir und deinem Charakter wi» sich noch manches vollziehen und ändem, woran du heute noch nicht glauben würdest. Ich meine aber, man sollte sich über diesen Fort schritt freuen." „Gewiß, nur wenn irgend ein andrer es läse, müßte er mich nicht verachten?" „Verachten?" fragte Nora ganz erstaunt zurück. „Nun ja, ich meine, wenn er meine Nieder schriften falsch auifaßte, wenn er die näheren Umstände nicht kennte und . . ." Sic stockte
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