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Ottendorfer Zeitung : 20.11.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190411207
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19041120
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19041120
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-11
- Tag 1904-11-20
-
Monat
1904-11
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 20.11.1904
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polrntcke KrmÄlckau. Der russisch-japanische Krieg. *Auf dem linken japanischen Flügel am Schahs hat ein für die I a p a n er gün - stigesKavalleriegefecht stattgefunden. Indessen zu einer allgemeinen Schlacht ist es nicht gekommen. Nachdem die Japaner aus der .Heimat genügend Verstärkungen erhallen haben, sind die Truppen, die sie von Port Arthur nach Norden gezogen hatten, wieder nach Port Arthur zurückgesandt worden. ' über die Lage südlich von Mulden meldet der Berichterstatter des ,B. T.' seinem Blatte: In den letzten Tagen wurde mehrfach ein Kampf erwartet, die Geschütze arbeiteten lebhafter als sonst, aber die Stellungen beider Teile find so stark befestigt, daß trotz der ganz ungewöhnlichen Nähe beider Gegner ein direkter Angriff deS einen wie des andern unwahr scheinlich ist und nur durch Überraschung gelingen könnte. Das russische Heer ist sehr stark mit Geschützen, auch mit schweren, ausge- västet. Mächtige Hindernisanlagen erstrecken sich überall vor der Front. Die Besatzungen auch der vorderen Laufgräben find -in sicheren Unterständen dem Feuer der japanischen Feld- eschütze fast völlig entzogen und dabei auch gegen die Kälte gut geschützt. Unaufhörlich gehen seit Wochen warme Decken und Kleider aus Mulden in langen Wagenzügen zum Heere ab. Die Verpflegung ist geregelt, der Gesund heitszustand gut, die Witterung ungewöhnlich milde und sonnig, etwa wie sie in der ersten Oktoberhälfte in Deutschland ist. *Der aus Korea zuriickgekehrte Oberst Madritow teilt mit, daß die Rückenetappenlinie der Japaner schlecht gedeckt sei. In Foechuantscheu ständen nur 500 Japaner, an der Jalumündung garkeine. Falsch wären auch die Meldungen über die Mumtions- und Proviantlager in Korea. Die Koreaner wären den Russen wiederholt feindlich entgegengetreten uni) seien wenig kriegerisch, dagegen grausam wie die Chinesen. (?) Den Versuch des japanischen Stabes, chinesische Truppen zum Kriegs dienst heranzuziehen, betrachtet Madritow als gescheitert, weil die aus 3(00 Chinesen gebildete Abteilung sich jetzt aufzulösen beginnt. * Die Japaner haben das Bombardement auf Port Arthur verstärkt und einige neue Posi tionen erobert. * Eine richtige Räubergeschichte meldet das Pariser,Petit Journal' aus Peters burg: Ein Offizier aus dem Gefolge des Statthalters Alexejew erzählte, daß fünf als Chinesen verkleidete Javaner Anfang Oktober von Tschifu aus mit einer Dschunke nach Port Arthur gefahren seien, um die Generale Stössel, Kondratenko und Fock zu ermorden. Um die Russen glauben zu machen, baß es Chinesen seien, die den Belagerten in Port Arthur Nahrungsmittel bringen wollten, sei die Dschunke -rum Schein von einem japanischen Torpedoboot bis zum Eingang des Hafens von Port Arthur »erfolgt worden. General Stössel sei jedoch rechtzeitig verständigt worden und habe die Japaner hinrichten lassen. * * - Deutschland. * Der Kaiser hat den Prinzen Albrecht, Regenten von Braunschweig, zu seinem Stell vertreter bei der Taufe des italienischen Kron prinzen ernannt, die anfangs Dezember statt finden soll. In der Begleitung des Prinz- Regenten werden sich der Prinz zu Salm- Horstmar, der Generalleutnant Graf Moltke und der Oberst und Flügeladjutant v. Plüskow be finden. * Wie die ,Staatsb.-Ztg/ erfährt, ist bereits in voriger Woche der Befehl ergangen, die Truppen in Lippe-Detmold sowie die vom Fürstentum ausgehobenen, aber außer halb desselben stationierten Rekruten auf den Regenten Leopold zu vereidigen. *Die Kanalkommission des Preuß. Wgeordnetenhauses hat den Dortmund- Rh einkanalund die Strecke Bevergern- Hannover in erster Lesung augommen. * General Trotha meldet aus Windhoek eine Ausdehnung des Hottentotten-Auf stand es im Süden des südwestafrikanischen Schutzgebietes. Dem Anschlusse der Bethanier an die Witbois ist eine von unsrer Truppe ausgesandte Patrouille zum Opfer gefallen, die aus fünf Mann bestand, von denen vier getötet wurden. Frankreich. * Kriegsminister Andrä ist nun doch von seinem Amte, das er 4V- Jahre innehatte, zurückgetreten. Zu seinem Nachfolger wurde ein Zivilist, der Abg. und Börsenmakler Berteaux, ernannt; derselbe war in der Kammer Bericht erstatter über das Kriegsbudget. , Italien, * Der Papst hat sich in einem Konsistorium, in dem u. a. auch der frühere Erzbischof Kohn von Olmütz Vizepräsident Fairbanks. Durch den Wahlsieg der republikanischen Partei in Amerika, der Roosevelt zum Präsidenten machte, ist Fairbanks Vizepräsident der Vereinigten Staaten geworden. Senator Fairbanks stammt aus dem Staate Ohio, wo er in jüngeren Jahren auf der Farm seines Vaters arbeitete. Er studierte und graduierte 1872 mit Auszeichnung. Eine Zeitlang journalistisch tätig, wendete er sich später der Rechts praxis zu und etablierte sich in Indiana als Advokat. Dem Senats gehörte er seit 1897 an. zum Ätular-Erzbischof von Pclusio ernannt wurde, über das Verhältnis Frankreichs zur katho lischen Kirche sehr eingehend geäußert. Er be dauerte die Entchristlichung der Bevölkerung Frank reichs und die Unmöglichkeit, französische Bischöfe zu ernennen. Ihn schmerze, daß man die Kruzifixe aus den Gerichtssälen entfernt habe, und ihn bekümmere dis schwierige Lage der Kirche in Frankreich. Die Anschuldigung, der Heilige Stuhl habe das Konkor dat verletzt, sei unbegründet. Die französische Re gierung sei es vielmehr, hie die Freiheit der Ausübung des katholischen Kultus verletzt habe, denn sie gestatte nicht, daß der Papst direkt mit den Bischöfen verkehre, trage den Akten der römischen Kongregationen keine Rechnung und habe die kirch lichen Orden aufgehoben. Er habe früher nicht von diesen Dingen gesprochen, aus Besorgnis, die Trauer des Vaters der Kirche würde sich ver größern, aber die Verletzung der Rechte der Kirche und das Ansehen des Heiligen Stuhles forderten einen öffentlichen Protest. Er täte dies nicht aus Gehässigkeit, sondern aus Liebe für das französische Volk. Er könne nicht hoffen, daß die Lage in Frankreich einen Wechsel erfahren werde. Die letzten Ereignisse ließen ihn glauben, daß die Re gierung ihre letzten Ziele erreichen werde. Rußland. * Der heimgekehrte Statthalter Alexejew selbst bestritt in einem Interview, daß er den Krieg verursacht hätte. Er habe ihn im Gegen teil zu vermeiden gesucht. Er nannte dgnn alles, was über den Zwiespalt zwischen ihm und Kuropaikin verbreitet worden ist, Lügen und Verleumdungen. Er habe sich nicht in Kuropatkins strategische Angelegenheiten gemischt, immer in vorzüglichem Einvernehmen mit ihm gelebt und ihn nie ersucht, aus Wanfangu zu marschieren. Auch habe er die Veröffentlichung des Tagesbefehls, die der Angriffsbe wegung gegen den Schatze voranging, erst er fahren, als er in Mukden eintraf. (Warum nur Herrn Alexejews Herrlichkeit ein so rasches Ende gefunden hat?) Balkanstaaten. * Eine GewalttattürkischenMili- tärs, bei der Deutschland in Frage kommt, wird aus Konstantinopel gemeldet: Danach mißhandelten in Ursa im Wilajet Aleppo türkische Soldaten den Leiter der protestantischen Missionsanstalt, Eckardt. Die Soldaten über fielen ihn auf Befehl des dortigen Militär kommandanten, eines Majors. Die deutsche Botschaft hat sofort die nötigen Schritte unter- nommen, um eine Sühnung des Verbrechens zu veranlassen. Amerika. * Watson erläßt einen großen Aufruf, der die Schaffung einer neuen, wahren Demokratie einleiten soll. Die alte demo kratische Partei sei hoffnungslos verfahren. Auf die Führerrolle glaube er (Watson) angesichts der 500 000, auf seinen Namen am 8. November abgegebenen Wahlstimmen An spruch zu haben. Bryan habe sein Recht, gegen die alte demokratische Partei zu rebellieren, durch sein Eintreten sür Parker in wiederholten Wahlreden verwirkt. Jeder Versuch, die auf unmögliche und veraliete Voraussetzungen ge gründete Demokratie wiederzubeleben, sei ganz aussichtslos. Landwirtschaftliche Betriebs statistik. Zur Ausgestaltung der nächsten Berufs-, und Betriebszählung macht der Münchener Statistiker Georg v. Mayr in der ,Sozialen Praxis' einige Vorschläge. Sie betreffen ins besondere den Ausbau der landwirtschaftlichen Betriebsstatistik. G. v. Mayr wendet sich dabei zunächst gegen diejenigen, die eine landwirt schaftliche Beflishszahlung überhaupt nicht vor- geiwmMen wissen Wollen, sondern bei einer industriellen Betriebszählung es bewenden lassen möchten. Im Widerspruche hierzu betont von Mayr, daß die Feststellung der Tatsache, ob und inwieweit seit 1895 die deutsche Landwirt schaft wirtschaftlich-morphologisch sich verändert habe, an und für sich von großer Wichtigkeit sei; und dasselbe gelte von dem zahlenmäßigen Nachweis der eingetretenen Veränderungen. So dann aber kommt die Notwendigkeit in Betracht, die landwirtschaftliche Betriebsstatistik einer durchgreifenden Verbesserung zu unterziehen. Gegenüber dem Verfahren in den Jahren 1882 und 1895 will G. v. Mayr die Ermittelung auf das in den" einzelnen landwirtschaftlichen Be trieben tätige Personal erstrecken. Bei der Landwirtschaft sei über den Faktor Arbeit in der Betriebszählung gar nichts ermittelt, weder der tatfäckliche Bestand von Personalkrästen am ZSHlungstage, noch ein Durchschnittsbetrag des Personals für ein Jahr. Gewiß habe der Produktionsfaktor „Boden" für die Landwirt schaft mehr Bedeutung als für die Industrie, aber deshalb dürfe von der Erfassung deS Produktionsfaktors „Arbeit" bei der Landwirt schaft nicht gänzlich abgesehen werden. Die Verweisung auf die Berufsstatistik sei nicht an gängig. Denn die Berussstatistik enthalte gerade das nicht, was nur die Ermittelung des Per sonalbestandes bei der Betriebszählung bieten könne, nämlich den Nachweis von Menge und Art der einzelnen Arbeitskräfte in der Eigenart ihrer Gruppierung bei den verschiedenen Betriebs größen der Landwirtschaft. Das Bedenken, das aus dem Mangel an Stabilität der Arbeitskräfte der einzelnen Betriebe abgeleitet werde, dürfe man nicht übertreiben. Habe doch auch die gewerbliche Betriebszählung bei den ausge sprochenen Saisongewerben dey Personalbestand ermittelt. Äan werde also in der Landwirt- schaMarte den Personalbestand vor Mm nach dem Stande am Zählungstage ermitteln und weiter eine Durchschnittsjayreszahl der ständig verwendeten Arbeitskräfte, sowie die Zahl der jährlich von unständigen Arbeitskräften geleisteten Arbeitstage vermerken lassen. Wirtschafts- und sozialpolitisch sei eine solche Erweiterung der landwirtschaftlichen Betriebszählung von der größten Bedeutung. G. v. Mayr empfiehlt des weiteren, die Betriebszählung auf die Pro- duktionsstatiftik zu erstrecken, damit die Betriebe nach Körnerbau, Viehzucht, HandelSgewächsenusw. klassifiziert werden könnten, und verlangt schließ lich die Verbindung einer wirklich statistischen Erntestatistik (an Stelle der ans Schätzung basierten) mit der Betriebszählung. Von unä fern. Der Geburtstag Friedrichs des Gross- mütigen. Anläßlich der Wiederkehr des 400. Ge burtstages des Landgrafen Philipp des Groß mütigen nahm die Marburger Universität zahl reiche Ehrenpromotionen vor. Der Kaiser verlieh dem Marburger Gymnasium den Namen kbilippinnw. Der 10«. Todestag von Friedrich Schill r hat ein Wunder zustandegebracht — die vollständige Einigkeit des Berliner Stadt parlaments. Die Stadt Berlin hat eine kommnnale Schillerfeier in Aussicht genommen, und so haben 136 Stadtverordnete, folgenden Antrag eingebracht: „Die Unterzeichneten be antragen zu beschließen: Die Versammlung er sucht den Magistrat, zu Schillers 100 jährigem Todestag eine Feier vorzubereiten, sie sieht einer Vorlage über die in Aussicht zu nehmen den Veranstaltungen sowie der Nachsuchung der erforderlichen Geldbewilligung entgegen." Noch niemals ist in den letzten Jahren ein von der ganzen Versammlung unterschriebener Antrag eingebracht worden. Etliche Mandate find er ledigt. Nun stehen die Namen Liebknecht, Singer und Stadthagen neben Cassel, Hermes, Langerhans, Mommsen, Kyllmann. Es ist selbstverständlich, daß der Magistrat diesem ein mütig kundgegebenen Anträge der Stadtver-. ordneten beitreten wird. So wird Berlin eine würdige kommunale Schillerfeier haben. Ein Schillerdenkmql will die Stadt Teschen in Ostern - Schlesien als ein Wahr zeichen ihres von Polen und Tschechen ernstlich bedrohten deutschen Charakters errichten, Neun j der angesehensten deutschen Schriftsteller ver senden einen. Aufruf mit der Bitte um Beiträge. , Meerschweinchen für unsre Kolonien. Als Versuchstiere werden etwa 300 Meer schweinchen, Ratten und Mäuse auf dem in den nächsten Tagen fälligen Reichspostdampfer „Bürgermeister" abgehen. Auf Anordnung deS Rsichsgesundheitsamts sollen nämlich mit diesen ' Tieren in der in Ostafrika befindlichen deutschen hygienischen Zweigstaiipn Versuche angestellt werden, nm die Übertragbarkeit gewisser dort' vorkommender ansteckender Kanktzeiten von Tieren auf Menschen zu ermitteln. Die betreffenden Tiere sind vom Tropenhygiemschen Institut an-, gekauft worden und werden nun von einem i Angestellten des Instituts nach dem dunklen Erdteil gebracht. Berusteiuerute an der Ostsee. Die Stürme"' der letzten Zeit, die der Strandbebölkerung stellen weise schweren Schaden gebracht haben, bringen ihr hier und da noch einigen Nutzen. Zwar ist der Bernstein fast an der ganzen preußischen Ostsee küste Staatseigentum; aber der Staat legt auf Funde kleinerer Mengen kein Gewicht und nm größere Stücke müssen abgeliefert werden; aber am Darsser Ort, bei Prerow und weiter bei Zingst ist der Bernstein frei und gehört dem Finder oder dem Besitzer des Grund und Bodens. Das vom Sturm aufgewühlte Meer hat seine Schätze in Gestalt von - kleineren und auch größeren Stücken Bernstein mit dem Tang an den Strand geworfen, und jung und alt, Männlein wie Weiblein suchen^ in dem oft meterhoch angeschwcmmten Seetang und Meergewächsen nach dem kostbaren Harz. Das Suchen nach Bernstein ist sehr beschwerlich, Pa selten frei oder allein, sondern meist hundertfach hon Tang und Algen umschlungen »ans Land gespult wird; und darum müssen die Bernsteinsucher diese an manchen Stellen meterhoch liegenden Tanghaufen sorgfältig durchstöbern, wenn sie dzs kostbare Ost- feegold finden wollen. Aber es lohnt sich, und Wenn der gefundene Bernstein im Handel auch nichts gilt, dafür ist der sommerliche Badegast um so stärkerer Abnehmer dgfüt. Und so lohnt sich die - Arbeit. A 6m Spielball äes Ackicklals. 4j Roman von C. v. Berlepsch. Als Dr. Haller sich später aus dem Tanzsaal .urückzieht, um mit Männern ein Männerwort zu reden, gerät er an den Landrichter Oertzen, der ihm aus früheren Jahren her bekannt war. Der Doktor amüssert sich über die beißende lber geistreiche Kritik des Juristen, die sich schonungslos über Männer und Frauen ergießt. Er war schon immer ein Spötter. Nachdem ihm der Doktor eine Weile zugehört hat, bricht er in die Worte auS: „Sagen Sie, Oertzen, wie kommen Sie ?u Ihrer schlechten Meinung über die Menschen?" Verwundert sieht dieser ihn an. „Und da fragen Sie noch? Haben Sie denn nicht selbst Augen zu sehen? Blicken Sie doch einmal hinein in daS bunte, hohle Treiben um uns her und dann sagen Sie mir, wovor ich Achtung empfinden soll." „Schwimmen Sie denn nicht auch mit dem Strom?" „Ja, leider, und sogar als ein ganz ge schickter Schwimmer. Meinen Sie denn etwa, sch mache mit mir eine Ausnahme? Ich stehe unter meiner eigenen Kritik und kann Ihnen die Versicherung geben, daß sie nicht zum besten oussällt. "Die Welt verachten ist die erste Siufe, von da bis zur Selbstverachtung ist's vicht weit. — Soll ich Ihnen als Beweis der Wahrheit meiner Worte ein Bild meines Charakters entwerfen, wie ich ihn selbst sehe, chne die Brille der Eigenliebe?" Der Dottor lacht. „Bitte, nein, schonen Sie sich. Sie scheinen in einer Stimmung, in der Sie mir ein wahres Zerrbild ihres Charakters zu entwerfen imstande wären." „Was wollen Sie? Ich bin ein Sohn meiner Zeit. Vielleicht hat mir Mutter Natur ein größeres Stück Witz zugeteilt als manchem Spatzenkopf unter meinen Brüdern, und. mein Empfindungsvermögen dafür etwas stark ver kürzt. Ich habe auf meiner Robinsoninsel von Kleinstadt Muße und Gelegenheit genug gehabt, die Menschen zu studieren, die einem da vor der Nase saßen in ihren verschiedenen Charakter- abstufungen. Ich kann nicht gerade sagen, daß dieses Studium ein erhebendes gewesen wäre. Und die Welt ist überall wie dort. Dort ist eS eine Frau Bürgermeisterin, hier eine Präsi- dsntenfrau; dort eines reichen Bauers schönes Töchterlein, hier eine reiche Kommerzienrats- tochtsr; dori ein simpler Amtsrichter, der eine neue Lösung des großen Rätsels „Menschenherz" gesunden hat, hier ein junger Krösus, der den Becher der Fceude bis auf den Grund geleert hat und nun die Hefe darin findet, überall dieselben Typen; es ist zum Sterben langweilig iu der Welt." „Man hat Sie wohl sehr verwöhnt in der Stadt, aus der Sie kommen?" Der Landrichter lacht, ein leichtherziges, spöttisches Lachen. „Zuerst ja. Da hoffte manches edle Herz vielleicht noch im stillen, den argen Sünder zu bekehren, ihn zu fesseln mit LiebeSketten. — Pah, ich trage keine Ketten, werde nie welche tragen. — — Sieh da l Wer ist die junge Nonne drüben, die von der Frau Präsident von Steinbach, Exzellenz, dort oben mit einer huld vollen Ansprache beehrt wird? Sehen Sie nm den hochmütig herablassenden Zug in dem Antlitz der Frau! Aber das muß ich sagen, Menschenfurcht spricht nicht aus dem jungen Gesicht da vor ihr, das ich übrigens schon ein mal gesehen haben muß. Wer ist die Dame?" Jetzt erst hat Dr. Haller die Bezeichnete entdeckt, wenn ihm bei der Bezeichnung „Nonne" auch gleich der Gedanke gekommen war, daß Gertrud Werner gemeint sein müsse. Er möchte dem spöttischen Landrichter gern dis Antwort schuldig bleiben; aber er kann doch seine Be kanntschaft mit ihr nicht schlechtweg verleugnen. Die Dame ist ein Fräulein Werner, Lehrerin an einer höheren Töchterschule." i,Lehrerin? — Hm — ich liebe diese Sorte Menschen im allgemeinen nicht; sie riechen nach Pedanterie. Wollen Sie mich ihr vor stellen? Sie würden mich verpflichten." „Wenn Sie es wünschen, ja. — Aber sehen Sie sich vor, daß Sie bei ihr nicht Fiasko machen. Wer weiß, vielleicht paßt diese Dame doch wcht in Ihre Schablone." „Glauben Sie?" Der spöttisch gedehnte Ton verwundet des Doktors Ohr. Warum? Was treibt ihn dazu, sich auf einmal in Gedanken so entschieden auf die Seite des Mädchens zu stellen, dessen Art und Weise er kurz zuvor noch verurteilt hatte? Gertrud bückt sich eben, um der Frau Präsi dentin ein Armband aufzuheben, das dieser eben entfallen. Es liegt etwas unsagbar Kühles und Stolzes in ihrer Art sich zu bücken. Ei« leises „Ach I" entfährt in diesem Augenblick den . Lippen des Landrichters. Dr. Haller sieht ihn fragend an ; aber da schreitet der andre schon auf die jetzt Alleingelassene zu, er muß ihm folgen. Dem Landrichter ist ein plötzliches Erkenne« - gekommen. Dieses selbe Mädchen sah er vor einigen Tagen von einer alten Bettlerin um ein Almosen angesprochen. Sie hatte der Alten ein Geldstück gereicht und als diese dasselbe in Verwahrung brachte, war ihr der stützende Stock entfallen. Da hatte sich die junge, ele gante Dame blitzschnell gebückt und ihn der Bettlerin aufgehoben. Damals lag nichts Stolzes in ihrer Bewegung. - i Gertrud mustert den ihr Vorgestellten mit,? kühlem, fragenden Blick. Er hat eine böse Falte um den Mund, die Spott und Ver achtung eingegraben haben, aber fie fürchtet sich nicht vor seinem Spott. Dr. Haller tritt zurück, um wieder seinen Verpflichtungen hin sichtlich des Tanzes nachzukommen; so bleibt fie denn mit Oertzen allein. „Gnädiges Fräulein —" „Nicht gnädig, wenn ich bitten darf, Herr Landrichter, das fordert meine Ungnade heraus. Mein Name ist Werner." Er verneigt sich. „Ist es wohl möglich, Fräulein Werner, daß ich Sie im vorigen Winter wiederholt in Berlin getroffen habe?" Er weiß wohl, daß fie es verneinen wird; aber er macht fich kein Gewissen daraus, etwas auszusprechen, was er selbst nicht glaubt, nur
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