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Ottendorfer Zeitung : 30.11.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190411302
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19041130
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19041130
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-11
- Tag 1904-11-30
-
Monat
1904-11
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 30.11.1904
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polirilcke Kunäsckau. Ter russisch-japanische Krieg. * Nachrichten über Kriegsereignisse fehlen ganz. Auch nicht das kleinste Vorpostengefecht wird gemeldet vom Sckahe, ebenso schweigt die Berichterstattung über Port Arthur. * Das vom Admiral Fölkersam komman dierte Geschwader der rus s i s ch en O stsee- f l o t t e, das längere Zeit in der Sudabucht geankert hatte, ist in Port Said angelangt. Mr seine Durchfahrt durch den Suezkanal sind die peinlichsten Vorsichtsmaßregeln getroffen worden. Wie erinnerlich, haben die verant wortlichen ägyptischen Behörden schon vor Wochen einen strengen Überwachungsdienst an geordnet; trotzdem wird die Besorgnis vor einem japanischen Anschläge in dieser schmalen Fahrstraße durch immer neu auftauchende Ge rüchte genährt. * Die japanische Heeresleitung hat Befehl erlassen, alle Russen, die sich in chine sischer Kleidung den japanischen Linien nähern, zu erschießen. In Jentai haben die Japaner Bekanntmachungen angeschlagen, worin auf die Gefangennahme jedes chine sischen Spions 5 Pfund Sterling und auf die jedes russischen Spions 160 Pfund Sterling Belohnung ausgesetzt werden. * Der englische Dampfer „Tungchow", mit 30 000 Dosen Büchsenfleisch von Schanghai nach Port Arthur unterwegs, ist am 23. d. von den Japanern abgefangen worden. Das Unternehmen ging von der Russisch-Chinesischen Bank aus, der es 260 000 Tael kostete. * In London befürchtet man, daß auch der englische Damper „Jnvemeß", der am 16. Oktober mit Lebensmitteln und Schießvorräten nach Korea abging, in die Hände der Russen ge fallen oder infolge seiner gefährlichen Ladung zugrunde gegangen ist. *Fünf Unterseeboote find, wie .Reuters Bureau' aus Tokio meldet, am Donnerstagin Joko hamaeingetroffen. Woher die Japaner diese Unterseeboote bezogen haben, wird in der Meldung nicht gesagt. Jedenfalls find es aber wohl amerikanische Firmen gewesen, die in dieser Weise unter Ver letzung der Neutralität die Lieferung besorgt haben. * * - Deutschland. *Die weiteren Jagd - Dispositionen des Kaisers in Oberschlesien find wie wlgt festgelegt worden. Am 29. d. begibt sich der Monarch nach Slawentzitz. Dort wird am 1. Dezember gejagt und dann fährt der Kaiser am 2. Dezember von Slawentzitz nach Breslau zu einem Besuche bei dem dortigen Leib- Mrassierregiment. Die Rückkehr des Kaisers nach dem Neuen Palais ist demnach am 3. De zember morgens zu erwarten. *Zu den Gerüchten über eine wiederum geplante MittelmeerreisedesKaisers verlautet, daß die Reparaturen, die kürzlich zur Instandsetzung der „Hohenzollern" vorgenommen wurden, mit einer etwa beabsichtigten Reise des Kaisers nicht das geringste zu tun haben. Darüber, ob und wann der Kaiser eine Erholungsfahrt nach dem Mittelmeer amreten wird, Ist noch durchaus keine Entscheidung getroffen. *Der Bundesrat hat de» Gesetzentwürfen über die Friedenspräsenzstärke des Heeres und über Änderungen der Wehrpflicht zugestimmt. Die beiden Vor lagen, deren zweite jedenfalls die gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit enthält, werden also dem Reichstage bei seinem Wieder zusammentritt am Dienstag bereits zugegangen sein. *Der Domänenstreit in Gotha geht weiter. Es wird jetzt behauptet, der frühere Minister Strenge habe eine Audienz beim Regenten nachgesucht, um ihn in der Domänenfrage zu beeinflussen, dieser habe aber abgelehnt, einen nicht verantwortlichen Ratgeber zu empfangen. * Durch die rege Tätigkeit der Deutschen Kolonialgesellschaft find bis jetzt 273 244 Mk. 93 Pf. an Hilfsspenden fürDeutsch- Südwestafrika eingegangen. *Witboi8 Leute sollen am 23. d. nach mehrstündigem Kampfe zurückgeworfen worden sein. Die beiderseitigen Verluste find noch nicht bekannt. Dieser Sieg, dem Umfange nach bisher der größte, ist als ein sehr erfreu licher Erfolg zu begrüßen. Er wird nicht nur auf den Geist unsrer Truppen belebend wirken, sondern auch die Stimmung der Hottentotten wesentlich dämpfen, vielleicht manchen Schwan kenden von der Beteiligung am „Orlog" fern halten. Bisher find, wie aus ihrem Angriff auf Kub und aus dem zähen Widerstand gegen über mehr als zwei Kompanien und einer Batterie hervorgeht, die Witbois noch sehr Prinz Fushimi wurde auf der St. Louiser Weltausstellung bestohlen. unternehmungslustig und kampfesfreudig ge wesen. Österreich-Ungar«. *über 1500 russische Deserteure weilen zurzeit auf österreichischem Boden. Durch ein in Lemberg konstituiertes Komitee, das auch aus England Geldmittel erhält, werden die Flüchtlinge weiter befördert, bis sie Arbeit finden. Hunderte wurden bereits abtransportiert. Bon russischer Seite wird die Grenzbewachung immer mehr verschärft und aus dem Kaukasus Kosaken herangezogen, da die Grenzwachen sich als be stechlich erwiesen haben. (Ein Kosak ist bekannt lich unbestechlich, so lange man seine Tugend nicht durch eine Flasche Wodli auf die Probe stellt.) * In Ungarn spielt die Opposition schon wieder mit revolutionären Schlagworten und führt den Kampf gegen die Regierung mit Er innerungen an das Jahr 1848. So schreibt Abg. EötvöS einen offenen Brief an den früheren Ministerpräsidenten Szell, in dem es etwa heißt: „Der König ist alt, er möge es in den letzten Lebenslagen nicht dahin bringen, wo er bei seiner Thronbesteigung stand, er möge die treue ungarische Nation nicht wieder in den Kampf ziehen lassen rc." Frankreich. * In der Deputiertenkammer stellte der Sozialist Allard den Antrag, das Kultus- budget zu streichen als Zeichen der Kriegserklärung an den Papst. Ein nationa listischer Republikaner fragte Combes, ob dieser die Vertrauensfrage stellen würde. Natürlich war Combes denn doch nicht so dumm, um auf diesen Leim zu gehen; der Antrag Allard wurde denn auch mit 325 gegen 232 Stimme» verworfen. * Zu einer Ehrengabe für General Stössel und seine Gemahlin wird in Paris auf Anregung eines Gemeinderates eme Sammlung veranstaltet. Dem General soll ein Ehrensäbel, seiner heldenmütigen Gattin ein Kunftobjekt gewidmet werden. Holland. * Der Vorschlag des Präsidenten Roosevelt betreffend die Abhaltung einer zweiten Friedenskonferenz im Haag ist bereits von allen europäischen Mächten, mit Ausnahme Rußlands, im Prinzip angenommen worden. Seitens Japans ist bisher noch keine Äußerung erfolgt; man erklärt sich diese Verzögerung aus dem Wunsche des Kabinetts in Tokio, vor einer Beschlußfassung über die eigene Stellungnahme die Meinungs kundgebungen der andern Staaten, insbesondere Rußlands, abzuwarten. Rußland. *Der Semstwo-Kongreß ist nicht nur im Einverständnis, sondern auf Anregung des neuen Ministers des Innern zusammen getreten. Wenn er auch nicht offiziell tagte, glaubt man doch, er werde zum Ausgangspunkt langsamer, aber sich stetig entwickelnder Re formen deS innerpolitischen Systems in Ruß land werden. Freilich sei. man sich der Schwierig keiten dieses Reformwertes voll bewußt, nament lich würde die Verschiedenartigkeit der Volks stämme und die Rückständigkeit eines gewaltigen Teils der Bevölkerung die größten Hindernisse auf dem neuen Wege bilden. Es herrscht in dessen die Ansicht vor, daß der Zar sich des Problems warm anuehmen werde. Als Zeit punkt des Beginnes der Reformarbeit wird die Beendigung des ostasiatischen Krieges an gegeben. — (Dann kann es noch sehr lange dauern.) Amerika. * An der Ostküste vonNikaragua liegen einige kleine Inseln, deren bedeutendste San Andres und Providence find. Um ihren Besitz streiten sich Kolumbien und Nikaragua seit etwa 50 Jahren. Ende des vorigen Jahres, gleich nach Ausbruch der Revolution in Panama, sandte die kolumbianische Regierung ein Kriegsschiff nach jenen Inseln und landete Truppen und Kriegsmaterial. Da aber die Truppen keinen Sold erhielten, haben fie Ende Juni Waffen und Munitionsvorräte an die Eingeborenen verkauft, um sich so die Mittel zur Rückfahrt nach einem kolumbischen Hafen zu verschaffen. Es ist ziemlich sicher, daß diese Inseln bald von der Republik Panama (sprich: Per. Staaten) in Besitz genommen werden. Von Port Arthur. Uber die Erfolge der systematischen Be lagerung Port Arthurs mit Minen und Lauf gräben durch die Japaner schreibt die Wiener ,Neue Freie Presse' u. a.: ,Reutet' meldet, daß die Kontereskarpe des Forts Erlungschan vondenJapanern besetzt worden ist. Die Kontereskarpe eines Forts wird durch die Stützmauer der äußeren feindwärtigen Grabenwand dargestellt. Sie soll den An greifer hindern, leichterdings in den Hindernis- graben zu gelangen, von wo aus derselbe nach Beseitigung der Hindernisse auf der Graben sohle, sowie Unschädlichmachung der Graben flankierungsanlagen die Eskarpe und den Wall erklettern und in daS Innere des FortS ein dringen kann. Die Stützmauer dient gleich zeitig als Stirnmauer vor Gewölben, die als Kontereskachegalerie feindwärts in das Erd reich hineingebaut, und Zugänge zu dem Minensystem, daS sich unterirdisch gegen daS Angriffsterrain erstreckt, bilden. Zum Schutze gegen feindliche Geschoßwirkung ist fie durch Glacis, eine gegen den Wall allmählich an steigende Erdanschüttung, die am Graben endet, überdeckt. Wenn es nun heißt, die Japaner haben die Kontereskarpe besetzt, so kann das nur dahin verstanden werden, sie wären am GlaciS oberhalb der Stützmauer angelangt und hätten sich dort festgesetzt. Bei Befestigungen, die kein Minensystem haben, wäre dies möglich, und in dem Falle, wo felsiger Grund den Bau von Angriffsminen zur Zerstörung der Konter- eskarpemauer ausschließt, daS einzige Mittel, um endlich zur Überschreitung des Grabens zu gelange». Derartige Verhältnisse müßten bei Erlung schan existieren, wenn die Meldung in ihrem Wortlaute aufzufafsen wäre. Es würde sich in diesem Falle für die Japaner jetzt um die Krönung des Glacis handeln, die darin be steht. daß am Kamm desselben gegenüber dem Walle Deckungen für Infanterie und schwere Geschütze angelegt werden, um dem Verteidiger den Waffengebrauch von der Brustwehr au» unmöglich zu machen und die Eskarpe zu breschieren. Nachdem dies gelungen ist und die Grabenflankierungsanlagen zerstört find, kann der Sturm gegen die Brustwehr unter nommen werden. Ist jedoch ein Minensystem unter dem Glacis vorhanden, so kann der An greifer sich auf demselben nicht festsetzen, ohne eS vorher ebenfalls durch Minen zu bekämpfen. Gelingt es ihm, mit einem Minengange an den Fuß derselben zu gelangen und dort eine Mino zur Explosion zu bringen, dann stürzt die Stützmauer mit dem darüberlagernden Teils des Glacis ein, füllt teilweise den Graben aus und gestattet derart dem Angreifer, an dis Eskarpe zu gelangen und dort Zerstörungs vorkehrungen zu treffen. Einige Meldungen erwähnen nun tatsächlich die Anwendung von Minen seitens der Japaner, so daß es denselben wahrscheinlich durch dieses Mittel gelungen ist, bis an den Graben zu gelangen. Die Mitteilung, Maschinengeschützs und Brustwehren seien vernichtet worden, deuten auf Erfolge vom Glacis aus hin. Schnell feuerkanonen und Maschinengewehre werden in den Graben - Flankierungsanlagen (Koffern, Galerien) zur Grabenverteidigung verwendet. Die Beschädigung der Armierung setzt die Zer störung der Bauten selbst voraus, was einen wichtigen Erfolg bedeuten würde. Die Bmst- webr bildet den obersten Teil des Walles, dessen vordere Böschung durch die Eskarpe im Graben fortgesetzt wird. Sie stellt die eigent liche Kampftinie des Forts dar, da von hier aus Geschütze und Jnfanteriebesotzung das Vor terrain unter Feuer nehmen. „Vernichten" — wie eine Meldung sich ausdrückt — läßt sich eine Brustwehr zwar nicht, da, wie sehr fie auch durch eiuschlapende Geschosse durch wühlt wird, die Erdmasse immer übrig bleibt. Es ist jedoch möglich, Breschen zu erzeugen, in dem durch Zerstörung der Eskarpemauer das Erd reich des Walles und der Brustwehr in de« Graben stürrt und denselben teilweise aussüllt. Unter der Vernichtung von Brustwehren kam daher nur deren Breschierung verstanden werden, die die letzte Vorbedingung für den Sturm in das Innere des Forts bildet. Solche Erfolge sollen bei den Forts Erlungschan, Kikwanschan und Sungtschuschan errungen worden sein. Nach einer Mitteilung deS Londoner,Daily Telegraph' aus Tschifu behauptet ein japanischer Händler, der seit Anfang der Belagerung beim japanischen Heere gewesen ist, die Japaner hätten seit Anfang des Kampfes vor Port Arthur bereits über 50 000 Mann Tote gehabt. Ganz unglaubwürdigklingt diese Behauptung nicht. Von unä fern. Als ein Gewohnheitsrecht der Fürsten gilt es, bei der Eröffnung von Parlamenten das Haupt mit dem Helm zu bedecken. Nach der ,Post' hat der König von Württemberg aber jüngst bei der Eröffnung des neuen württem- bergischen Landtags die Eröffnungsrede ent blößten Hauptes gehalten. Der König soll geäußert haben: „Wenn meine Stände unbe- deckten Hauptes find, kann ich doch meinen Helm nicht aufsetzen." Der Minister als Streikschlichter. Die Lohnbewegung der Arbeiter der Eisenbahnwerk stätte in Osnabrück ist beigelegt worden, nach dem auf eine direkte Eingabe an den Minister v. Budde die Klagepunkte als berechtigt aner kannt worden waren. Zur Verhaftung deS Kommerzienrats Julius Ribbert wird noch folgendes ge meldet: Die Festnahme deS flüchtigen Kom merzienrats in seiner Pariser Wohnung erfolgte gerade in dem Augenblick, als Ribbert eben im Begriff stand, von Paris nach Hagen abzu- sahren, wo er sich freiwillig dem Untersuchungs richter stellen wollte. Er hatte von dieser seiner Absicht, sich zu stellen, bereits dem Hagener Gericht Mitteilung gemacht. Die Auslieferungs- Verhandlungen zwischen den deutschen und französischen Behörden find im Gange. U bin SpiewaU äcs Schicksals. 8) Roman von C. v. Berlepsch. <FortI«tzung.> Endlich erinnerte sich Gertrud, wo fie sich befand. Sie blickte zu dem Doktor hinüber. „Sie müssen müde sein, Herr Doktor, und die andern erwarten uns gewiß schon. Ich danke Ihnen für Ihre Anstrengung; Sie haben mir eine schöne Stunde bereitet. Ich bin zu gerne auf dem Wasser." Schöne Stunde? Wo mochte fie geträumt haben? Nachdem er später die Damen nach Hause begleitet hatte, schlenderte er langsam mit Sultan durch die Straßen, bis er auf einen ehemaligen Studienyenossen stieß, der ihn dazu verführte, noch mit ihm ihre alte Stammkneipe aufzusuchen. „Wo steckst du denn immer, Doktor?" redete ihn dieser, ein Assessor Thomas, an. „Du bist selten bei uns zu sehen, daS ist nicht recht von dir. So lange du unbeweibt bist, müssen wir deinem Herzen am nächsten stehen. Kronenberg hat mir verraten, daß du jeden freien Augen blick bei einer alten Tante zubringst, die in seiner Straße wohnt. Ich habe es ihm nicht glauben wollen, wenn ich daran denke, wie wenig sympathisch mir alle meine Tanten find. Oder — erbschleichst du vielleicht?" „Nimm an, daß dem so sei." „Nein, Mensch, das kann ich von dir nicht glauben, dahinter steckt etwas andres." „So glaube dieses andre!" „Du willst mir ausweichen; aber ich weiß, dahinter verbirgt sich die Liebe. „Er flieht der Brüder wilde Reih'n." „Du hast Erfahrung auf diesem Gebiet?" „Und ob! Man nennt mich einen Don Juan; ich bin aber nicht so schlimm. Übrigens" — er versuchte ihm ins Gesicht zu sehen — „weißt du, daß du für einen bevorzugien Ver ehrer der schönen Eleonore Rüdesberg giltst?" „Das wußte ich allerdings nicht. Zu viel Ehre für mich." „Ich wollte dir raten, keine Geschichten zu machen. Das ist mein Feld." „Auf dem ich dir nie in den Weg kommen werde." „Sackte, sachte! Gut, daß du nicht bei deiner Mannesehre geschworen hast. — Doch das ist freundschaftlich von dir. Aber — ich habe wenig Chancen," setzte er kleinlaut hinzu. „Doch da find wir. Höre, wie lustig die Brüder sind. Das ist Balsam fürs zerriss'ne Herz." „Das Herz, dem solcher Balsam noch hilft, kann so sehr zerrissen noch nicht sein." Der Assessor sah ihn erstaunt ob der Bitter keit seines Tones an; da steckte noch sicher die schöne Eleonore dahftrter. Er hatte jedoch nicht mehr Zeit, seine Bedenken laut zu äußern. Dr. Haller hatte eben die Tür ausgestoßen und die fröhlichen Zecher mit kräftigem Zuruf begrüßt. Es war ihm wohl, als er unter ihnen saß, den Becher kreisen ließ und die lieben alten Weisen sang von der freien Burschenherrlichkeit. Doch fie sangen auch ein Lied von der Liebe, in das stimmte er nicht mit ein. Er blickte sinnend in sein Glas, aber er führte es nicht an die Lippen. * * Für den folgenden Sonntag war eine Zusammenkunft mehrerer Familien in einem Walde anberaumt. Frau Rüdesberg hatte Dr. Haller auf Eleonores Wunsch einen Platz in ihrer Equipage angeboten, Fräulein Wald burg und Gertrud waren von Böhmers zum Mitfahren aufgefordert. Dr. Haller mußte während der Fahrt vor seinem schönen Gegenüber aus der Hut sein, da selbiges sich fortwährend in einem kleinen Wort- gevlänkel mit ihm gefiel, aber er hielt sich wacker. Eleonore wurde dadurch noch mehr in ihrer Überzeugung bestärkt, daß dieser Mann ihr geistig überlegen sei, und das machte sie stolz und froh. Der Kommerzienrat hatte die Damen nicht begleiten mögen, er hatte immer zu viele Ge schäfte in seinem Kopfe und gönnte sich selbst am Sonntag nicht Ruhe. Die Kommerzienrätin hatte sich bequem in die Polster zurückgelehnt wie eine Königin-Mutter und kämpfte gegen den gewohnheitmäßigen kleinen Mittagsschlaf, der sie von Zeit zu Zeit Verbeugungen machen ließ, als ob sie huldvoll vor den Zurufen einer begeisterten Menge ihr Haupt neige. Nm hin und wieder fuhr fie auf, wenn ihrer Tochter Helles Lachen ihr Trommelfell erzittern machte. Dann setzte fie fich wohl steif im Wagen zurecht und lächelte mit, ohne zu wissen worüber, damit niemand merke, wie fie fich der alten Gewohn heit unterwerfen mußte. Eleonore hatte ihr einmal erklärt, es sei nicht fein, sich in Gegen wart andrer von seiner Schlafsucht überwältigen zu lassen: fie fand überhaupt vieles unpassend, was die Mutter in ihrer Herzenseinfalt für gut hielt. Heute hätte fie wohl kaum nötig gehabt, ihre Tochter so ängstlich abbiltend anzusehen, denn diese hatte kein Auge dafür, in wie beängstigender Weise die Mutter fich den Kopf verrenkte, und Dr. Haller übersah es mit Anstand. Sie waren nicht die ersten auf der Wald wiese, die zum Sammelplatz bestimmt war. In malerischen Gruppen lagerten dort bereits die Oberlehrerfamilie, Assessor Thomas und eine GerichtsratSfamilie, reich an Töchtern und leider noch sehr jungen Söhnen, die bei dem idyllischen Feste als Laufburschen fungieren mußten. Letzterer Familie gehörte der Assessor in der Eigenschaft eines sehr verwöhnten zweitgradigen Vetters zu. Schnell überflog Eleonores Blick die Gesellschaft. „Wahren Sie Ihr Herz!" rief sie leise dem Doktor zu, der lachend versicherte, daß er ihrem Rate folgen werde. Die neuen Ankömmlinge nahmen unter den übrigen Platz; größer und größer wurde der Kreis. Der Geheimrat war mit seinen Damen schon ein Stück vor der Waldwiese ausgestiegsn und hatte mit ihnen einen schmalen Waldpfad eingeschlagen, auf dem fie langsam vorwärts gingen. So kamen fie geräuschlos auS unvermuteter Richtung und wurden von den andern nicht gleich bemerkt. Auf einem Baumstumpf saß Eleonore; fie hatte den Slrohhut abgenommen, den lockigen
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