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politische kunälchau. Der russisch-japanische Krieg. ' Damit dem blutigen Kriegsdrama, das die Welt seit acht Monaten in Spannung hält, auch das Satyr-Zwischenspiel nicht fehle, hat die b altis ch e Flotte in der Nordsee ein nettes Kasperlestückchen aufgeführt. Ihre Schein werfer entdeckten plötzlich nachts eine kleine unheimliche Flottille — japanische Torpedoboote, wie die Russen meinten; in Wirklichkeit waren es englische Herings fischer, die mit ihren Schleppnetzen aus fuhren. Die Russen eröffneten auf die Fischer sofort einheftigesGeschützfeuer. Ein Boot wurde dadurch zum Sinken gebracht, mehrere andre wurden schwer beschädigt. Eins wurde von 16 Kugeln getroffen. Zwei Per sonen wurden getötet, gegen 30 verletzt. In England ist die Aufregung ungeheuer. Russi scherseits zögert mau, die wahre Ursache des Irrtums einzugestchen. * Die Nacht war sehr neblig, und der leitende Kapitän der Heringsflottille ließ deshalb, wie üblich, farbige Leuchtraketen zur Orientierung der Flottille aufsteigen und befahl ihr, nachts zu segeln. Plötz lich tauchten die Lichter vieler großen und kleinen Schiffe aus, und diese richteten mächtige Scheinwerfer auf die Fischerboote. Dann begannen mehrere der Schiffe auf die ihnen nächsten etwa 20 Fischerboote zu feuern. Die Entfernung war so grring, daß man von den Kriegsschiffen aus die Fischer bei der Arbeit beobachten konnte. Die Fischer glaubten zu erst, es seien blinde Schüsse, sie waren daher aufs äußerste bestürzt, als sic entdeckten, daß sie scharf beschossen wurden. Die gutgezielten Schüsse trafen mehrere Trawler und. töteten und ver wundeten eine Anzahl Fischer. Unter der Flottille entstand eine Panik. Die Boote nahmen so schnell wie möglich die Netze auf und flüchteten. Das Feuern dauerte etwa eine halbe Stunde. Aus der schnellen Aufeinanderfolge der Schüsse schlickt man, daß aus Schnellfeuergeschützen geschossen wurde. *NsueKri e gsereigniss e sind weder aus der Mandschurei noch von Port Arthur zu melden. Da keine Tatsachen zu melden find, begnügen sich die Herren Kriegsberichterstatter, die zum Teil weit vom Schuß in Tschisu und Schanghai fitzen, mit Fabulieren. Es lohnt nicht, ihre Phantasteprodukte wiederzugeben. *Jn der am Schahe eingetretenen Kampf pause, die beiden Armeen durch die Folgen der furchtbaren Anstrengung und durch das Aus gehen der Munition ausgezwungen wurde, können jetzt die Ergebnisse der Schlacht, die eine der blutigsten und sicher die längst dauernde in der Kriegsgeschichte gewesen ist, genauer übersehen werden. Marschall Oyama berichtet jetzt amtlich über die Verluste der Russen. Danach wurden gefangen genommen etwa 500 Mann, Leichname von Russen wurden 10 550 gefunden; erbeutet wurden 45 Kanonen, 6920 Granaten, 5474 Gewehre und 78 000 Patronen. Die russischen Leichen wurden mit militärischen Ehren begraben. Die Verluste der Russen werden insgesamt auf 60 000 geschätzt. Die Nachforschung wird fortgesetzt. * In der Umgebung von Mulden wütete dieser Tage ein furchtbarer Sturm. Nachts fällt die Temperatur unter Null. Das schlechte Wetter soll für die Japaner äußerst ungünstig sein; sie leiden stark unter dem Frost. Kokken haben auf den vordersten Stellungen des Feindes zwölf erstarrte Japaner auf- gefunden und sie ins russische Lager gebracht, wo sie erwärmt und mit Nahrung versehen wurden. Die Gefangenen sagen, die Kälte bringe ihr Heer in eine schwierige Lage. *DieEinschließungPortArthurs ist nach den neuesten Depeschen unter dem Schutze von Gräben und Erdtunnels vom WolsShügel bis Heischufan vollendet. Die Zeitungsberichterstatter in Tschisu und Tokio haben Order erhalten, für den General- stnrm bereit zu sein, der am 3. November, dem Geburtstage des Mikado, erwartet wird. Generalleutnant Sanneyika, Kommandant der Fessungsartillerie in Tokio, ist mit Verstärkungen süc die Belagerungsartillerie vor Port Arthur abgegangcn. Ein Teil der 8. Division wurde ebenfalls zur Belagerungsarmee, geschickt. *Der .Daily Telegraph' erfährt von seinem Berichterstatter aus Söul, der den Ussuribezirk bereist hat, daß an den Ufern des Tumen keineVerteidigungseinrichtungen getroffen seien; an zwei Stellen bauten die Russen Brücken, die Garnison Wladi wostok sei nicht sehr verstärkt, aber eifrig mit Verteidigung?arbeiten beschäftigt, wobei als Arbeiter meist Koreaner verwendet würden. Die Stärke der Russen in Nordostkorea lasse sich schwer schätzen, da ihre Kräfte dort aus fich stets bewegenden Streifabteilungen bestehen. Der nördliche Teil der Eisenbahn Söul- Fu s a n sei in einer Länge von 184 Kilometern, der südliche Teil auf 166 Kilometer vollständig fertig; Anfang November werde die ganze Linie in Gebrauch genommen. * Die Japaner entledigen fich der nicht mehr dienstfähigen russischen Gefangenen. Nach einer Meldung aus Tokio find die russi schen Lazarettgehilfen und verstümmelten Sol daten aus der Gefangenschaft entlassen und dem russischen Konsul in Schanghai übergeben worden. Es soll die Absicht bestehen, alle dauern kampfunfähig gewordenen Gefangenen nach ihrer Heilung zu entlassen. * * Deutschland. *Jn Gegenwart des Kaisers wurde am Montag in Berlin das Denkmal für den früheren Kricgsminister v. Roon enthüllt. (Vor dreißig Jahren wurde Roons Name immer mit denen von Bismarck und Moltke znsammengenannt.) "Ein Amnestie erlaß des Königs Friedrich August wird vom ,Dresd. Journ/ veröffentlicht. Es werden darin erlassen die Strafen wegen Majestäts beleidigung, Hausfriedensbruch, wörtlicher Be leidigung einer Behörde oder eines Beamten, Preßvergehens, sowie Übertretungen gegen das Forst- und Feldstrafgesetz. Die Amnestie gilt auch für die Fälle, in denen die Rechts kraft am 1. November eintritt. Ausgeschlossen bleiben alle Strafen wegen Tierquälerei. Be züglich der unter der Militärgerichts barkeit verhängten Strafen ist ein ähnlicher Gnadenerlaß ergangen. "Der Bundesrat beschloß in seiner letzten Sitzung, am 1. Dezember d. eine Viehzäh lung vornehmen zu lassen. * Aus Südwestafrika kommt eine neue Hiobspost: Der Keetmannshooper Bezirks- Hauptmann v. B urgsdorff, an den Hendrik Witboi seine Kriegserklärung richtete, war nach deren Empfang allein und unbewaffnet zu dem Häuptling geritten, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Seitdem ist keinerlei Nachricht von ihm gekommen, so daß man leider annehmen muß, daß er als Geiselim feindlichen Lager zurückbehalten wird. * Wie das deutsche Generalkonsulat in Kap stadt meldet, wurde die Kompanie Wehle am 5. d. im Lager Sturmacswerst beim Wasserfall (Hurub) bei Tagesanbruch durch den Rebellen führer der Bondelzwarts Morenga mit 150 Gewehren angegriffen. Der Feind wurde in die Karrasberge zurück - geworfen, die Verfolgung war aber ohne Verstärkung unmöglich. Der Feind hat 11 Tote zurückgelassen, sein Verlust ist aber zweifellos erheblich stärker. *Der überfall der Mjssions« stationen in den Bainingbergen auf Neu» Pommern ist nach einem amtlichen Tele gramm des Gouverneurs von Deutsch-Neu- Guinea gesühnt. Sämtliche Schuldigen sind be straft, die Mörder hingerichtet. Österreich-Ungar«. *Ms Bürgermeister Dr. Lueger bei der Enthüllung eines Monumentalbrunuens in Wien, die zur Feier seines 60. Geburts tages stattiand, eine Ansprache des Bezirks- vorftchers beantwortete, kam es zu wiederholten Kundgebungen der Sozialdemokraten. Zwei Verhaftungen wurden vorgenommen. Frankreich. "Die Deputiertenkammer hat am 22. d. mit 325 gegen 237 Stimmen eine Tagesordnung angenommen, durch die dem Kabinett Combes in dem Streit mit dem Vatikan das Vertrauen der Kammer ausgesprochen wird. Ministerpräsident Combes hatte vorher in längerer Rede ausgeführt, daß die Trennung der Kirche vom Staat unvermeidlich geworden sei. In Wirklichkeit sei der Papst derjenige, der die Trennung wollte; er will den Staat unterjochen, wie er die Kirche unterjocht hat. Man sprach von einem Gang nach Canossa. „Mag nach Canossa gehen wer will," so schloß der Ministerpräsident unter anhaltendem Beifall, „was mich betrifft, so gestatten es mir weder mein Alter, noch meine Geschmacksrichtung, mich dahin zu begeben." Italien. * Im römischen Gemeinderat kam es am Freitag abend nach einer Rede des Bürgermeisters Fürsten Colonna, in der dieser seinen Rücktritt und den des Gemeinderats- Ausschusses ai.kündigte, zu Lärmszenen. Der sür das Publikum bestimmte Teil des Sitzungssaales wurde durch Munizipalgardisten geräumt. Rußland. * Zur Mobilmachung und Formierung einiger Truppenteile in den Militärbezirken Warschau, Wilna, Kiew und Moskau und zur Vervollständigung der Reservebataillone des sibirischen Militärbezirks ordnet ein kaiserlicher Erlaß dieEinb erufung derRes ervisten zum aktiven Dienst an in 120 Kreisen der zu den Militärbezirken Warschau, Wilna, Kiew, Moskau und Odessa gehörenden Gouvernements Warschau, Plock, Kielce, Suwalki, Witebsk, Kowno, Mohilew, Kiew, Wolhynien, Poltawa, Tschernigow, Charkow, Kursk, Moskau, Wla dimir, Twer, Smolensk, Tambow, Jaroslaw, Wologda und Bessarabien. Balkanstaaten. "König Peter beabsichtigt, nach Ver sicherungen aus Belgrader Regierungskreisen, im Laufe des nächsten Frühjahrs die Höfe von Wien, Petersburg und Rom zu besuchen. (Dies ist wohl nur ein Versuchsballon, um die Stimmung der Höfe zu erkunden. In Peters burg wird König Peter schwerlich Gegenliebe finden.) japanische finanren. Von ihrem Londoner Berichterstatter, der mit einem hervorragenden japanischen Finanz mann in offizieller Stellung zu sprechen Ge legenheit hatte, geht der ,Pol. Korr/ nachstehende Inhaltsangabe der Ausführungen des letzteren zu: Man sieht in Tokio den finanziellen Wir kungen selbst einer jahrelangen Dauer des Krieges ohne Besorgnisse entgegen. Von den inneren Anleihen wurde die erste viereinhalb- mal, die zweite etwa dreimal überzeichnet. Die Regierung hat dabei Sorge getragen, daß die Zuweisung der Anteilscheine gerade an die ärmere Bevölkemng erfolge, um ihr die Chance einer gut verzinslichen Anlage nicht entgehen zu lassen. Japan hat in diesem Jahre eine selten gute Ernte gehabt, wodurch dem Volke, da die Preise fich halten, erneuter Wohlstand zugeflossen ist, der dem Staate zugute kommt. Die Regierung hat bereits Anordnung zur Aus gabe von Sparscheinen seitens der Hypotheken bank getroffen, um die an fich sparsamen Japaner zu größter Ökonomie anzuhakten. So wie in der Landwirtschaft, so ist auch in den andern Erwerbszweigen in diesem Jahre trotz der Kriegsmonate der Ertrag ein befriedigender. Es ist kennzeichnend, daß das Ergebnis der Seidenkultur, das gewöhnlich erst im Januar und Februar des folgenden Jahres vollständig verkauft zu sein pflegt, Heuer, ob wohl es ein ungewöhnlich reiches ist, schon jetzt, soweit es auf den Markt kommt, an den Mann gebracht ist. Die offiziellen Ausftlhr- ziffern zeigen im ersten Halbjahre eine beträcht liche Steigerung und nach zuverlässigen, bis Ende September reichenden Privatberichten hält diese Erscheinung auch seither an. Der Handel Japans hat in keiner Art gelitten, wenn schon die fremde Schiffahrt meist einen größeren Anteil erhalten mußte als in den letzten Friedensjahren. Trotz des Krieges ist an Arbeitskräften kein Mangel, eher ein Über fluß. Es ist charakteristisch, daß die Aus wanderung während des Krieges nicht auf gehört hat. Somit find die Aussichten für die gerade ausgeschriebene innere Anleihe von 80 Millionen Jen vortrefflich, und man kann bestimmt mit einer abermaligen starken Über zeichnung rechnen. Damit wird die im fis kalischen Anschlag vorgesehene Gesamtsumme erreicht sein und Japan wird eine neue An leihe in nächster Zeit ganz sicher nicht bean spruchen. Beiläufig bemerkt, verfügt es noch über fünf Millionen Pfund Sterling Schatz scheine in England und etwa zwei Millionen bar in der englischen Bank. Legt man den Verbrauch von Januar bis August 1904 zu Grunde, so erfordert jedes Kriegsjahr rund 45 Millionen Pfund Sterling, wovon nur etwa 10 Millionen, also etwa ein Viertel, ins Ausland zu gehen brauchen. Japan würde also auch bei mehrjähriger Dauer des Krieges nicht in Verlegenheiten kommen. Wenn die vierprozentigen Bons im Augenblick niedriger stehen, so kann dies kaum überraschen. Man hat eben vielfach im Auslande — nicht im illufionsfreien Japan selbst — größere und raschere Erfolge in der Mandschurei erwartet, und der enttäuschte Optimismus hat zu einem Rückschlag auf dem Markte geführt, die durch Baissespekulation ausgenutzt worden ist. Die Japaner nehmen das nicht tragisch und sind der Zuversicht, daß fich die Stimmung wieder! bessern wird, sobald man erst eingesehen haben wird, daß Japans Volkswirtschaft fich trotz des! Krieges auf gesunder Basis regelmäßig weiter- entwickelt. Durch die im Zuge befindliche Ein- . führung eines verbesserten Ersatztransportwesens dürfte in diesem Punkte eine Verringerung der Kriegskosten erzielt werden. n Von unc! fern. Die Deutschen aus der Weltausstellung. Fast sämtliche Aussteller der deutschen Nahrungs mittel - Abteilung in St. Louis sind prämiiert worden. Neun Weinfirmen haben einen Ehren- ' preis, 19 Firmen die goldene, 17 die silberne und sechs die bronzene Medaille erhalten. Ein Seitenstück zur Prinzessinnen« steuer in Mecklenburg gibt es in Bayern. Dort besteht ein Wochenbettgeld für Königinnen. Die beiden letzten Könige, Ludwig II. und Otto, waren nicht verheiratet, der Landtag blieb also davon verschont, Kindbettgeld aus Staats mitteln etwa in derselben Höhe zu bewilligen wie die Mecklenburger Prinzesstnnensteuer. Unter den drei ersten Bayernkönigen figurierten solche Posten in der Staatsrechnung. Urnenfunde in überraschender Reich haltigkeit find bei Ausschachtungsarbeiten in den Promenadenanlagen in Glogau gemacht worden. Das anscheinend umfangreiche Gräberfeld liegt in einer Tiefe von ein bis drei Metern. Die Urnen stehen senkrecht übereinander, sind teils krug-, teils vasenförmig und enthalten Aschen reste. Von Sachverständigen wird ihr Alter aus mindestens 600 Jahre geschätzt. Nachdem eine größere Anzahl von Gefäßen ausgehoben worden war, hat der Magistrat die Einstellung der Schachtarbeiten bis zum Eintreffen der Ver treter des Museums schlesischer Altertümer, das sofort benachrichtigt wurde, angeordnet. Schisfsuuglück im Kieler Hafen. Eine Marinepinasse durchschnitt im Kriegshafen ein Privatfahrzeug, das sofort sank. Die Dampf barkaffe vom Linienschiff „Kaiser Wilhelm II." rettete die Insassen, die Gebrüder Krakow und Sorgatz. Einer von ihnen ist schwer verletzt. Die Jagd gepfändet. Daß einem Nim rod die Jagd gepfändet wird, ist ein Fall, der nicht alle Tage vorkommen dürfte. In Mörz bei Bclzig hatte im August ein Berliner Herr die Jagd für 1050 Mk. gepachtet. Er geriet aber in Zahlungsschwierigkeiten, sodaß der Gerichtsvollzieher zuletzt bei ihm ein- und aus ging und bald kein Pfandobjekt mehr hatte. Er legte zu guierletzt Arrest auf die Mörzer Jagd und teilte dem Schulzenamt mit, daß der bisherige Pächter nicht mehr berechtigt sei, zu jagen, da die Jagd gepfändet wurde. — Wenn die Gläubiger nun ihre Forderungen nicht schießen lassen wollen, müssen sie jetzt selbst schießen gehen und fich an dem Ertrag der Jagdbeute schadlos halten. K Gin familien-Geheimnis. 26) Kriminalroman von Eberhard Woldenberg. ^Fortsetzung.) Willi starrte das junge Mädchen beinahe verständnislos an, er war totenbleich geworden. „Hedwig, — was — sagst du va?" sprach er stockend. Sie senkte, ohne zu antworten, das Haupt. Die Hände im Schoß gefaltet saß sie regungslos vor ihm. „Liebst du mich denn nicht mehr? Kannst du mir denn nicht mehr vertrauen, mir, der ich dich mit allen Kräften meiner Seele liebe?" rief Willi mit halberstickter Stimme. Die Herzenstöue erschütterten sie auf das Tiefste und warfen ihre bisher mühsam be wahrte Fassung nieder. Sie sprang auf, eine jähe Blutwelle tauchte ihr Gesicht in Purpur. Dann trat sie ihm entgegen und sank auf schluchzend an seine Brust. „Ja, ich liebe dich noch ebenso heiß, un aussprechlich! — Ich liebe dich und möchte mich wie ein willenloses Kind in deine Arme legen, weil ich weiß, daß du ein echter Mann bist — der starke, schützende, mein ganzes Schicksal beherrschende Mann. Und ich weiß auch, daß diese Liebe nimmer von mir weichen wird. Ich möchte sie auch nicht missen, nicht einmal das Leid, das sie mir verursacht, denn alles, was damit zusammenhängt, ist schön — so wunderbar reich, daß ich es nie zu schildern vermöchte. Es muß wohl ein Geschenk vom Himmel sein — es ist wie Religion. Das weiß ich erst jetzt, seitdem ich — hier bin. Es ist seither in mir aufgegangen, wie ein Same — und jedes Blättchen an dieser Wunderpflanze ist mir teuer, gleichviel ob Wonne oder Leid darauf geschrieben steht." Was Willi bei diesem leidenschaftlichen Be kenntnis des teuren Wesens fühlte, das konnte er nicht aussprechen. Aber das brauchte er auch nicht. Und wenn auch sein Blick, das Zucken seiner Hand es ihr nicht unbewußt mitgeteilt hätte, Hedwig wußte es doch, daß er ste verstand. Er atmete jetzt tief auf, wie von einer be- klemmenden Last befreit. — „O, nun muß ja alles — alles gut werden, nun —" Er verstummte, wie sie ihn anblickte. Sie schüttelte sanft abwehrend den Kopf. Das lieb liche Lächeln, das ihre Lippen umspielte, hatte etwas unbewußt überlegenes. „Du vergißt, was geschehen — wo ich bin — und was mir noch bevorsteht. An das Glück, welches du erwartest, dürfen wir nicht mehr denken. Das ist vorbei — vorbei für — immer." Damit löste sie fich aus seinen Armen. „Nein, es ist nicht vorbei!" sagte er ent schieden. Und nun sprach er eindringlich, be geistert von ihrer Liebe, er malte ihr mit glühenden Farben die Zukunft, er war ja so felsenfest überzeugt von dem endlichen Siege über alle Widerwärtigkeiten. Und vor seinen beredten Worten schmolz ihre Bangigkeit. Sie ruhte wieder in seinen Armen, ganz hingebende, vertrauende Liebe. „Es war schlecht von mir," sagte sie leise, ohne das Haupt von seiner Schulter zu erheben, „daß ich mich damals von dir lossagte. Ja, du hast recht, mir zu zürnen. Aber wenn du es auch tust, ich will es dulden; denn ich habe es durch meinen Kleinmut verdient." „Nein, nein! ich zürne dir nicht! Du hast ja keine Schuld. Man ließ dir keine Wahl, man zwang dich — o ich weiß!" — Er legte die Hand liebkosend auf ihr blondes, duftendes Haar und betrachtete sie zärtlich und be wundernd. Jetzt merkte er auch, daß irr ihrem Wesen eine große Verwandlung fich vollzogen hatte. Ihre Stimme sogar hatte sich verändert, war gehaltvoller, tiefer geworden. An demselben Nachmittag, an welchem dieses Wiedersehen zwischen Hedwig und Willi statt fand, hatte Oberst Rodenberg eine Unterredung mit seinem Freunde Lenz in der Wohnung des letzteren. Der Inspektor hatte ihn von den bisherigen Erfolgen Jaspers unterrichtet und die bestimmte Hoffnung daran geknüpft, daß es bald gelingen werde, dem ehemaligen Kammerdiener das Ge ständnis seiner Schuld abzupressen. „Jasper ist ganz der Mann dazu," schloß er und ich werde die Angelegenheit in seinen Händen belassen. Heute oder morgen schon werden wir Gewißheit haben. Der Alte hat nach seinem verunglückten Selbstmordversuch alle Widerstandskraft verloren, und ich glaube, es geht überhaupt mit ihm zu Ende, was ja info- fern am besten ist, als mit seinem Tode der ganze Skandal und alle die Unannehmlichkeiten einer öffentlichen Gerichtsverhandlung Ihrer Familie erspart bleiben. Und nun, lieber Freund, wie steht es denn bei Ihnen zu Hause? Ihr Schwiegersohn ist ziemlich hergestellt, wie ich hörte, aber was haben Sie bei dem Referendar — hm! — jetzt wohl schon Rechts anwalt — erreicht? Ist er wirklich auf die Idee verfallen, mit der Verteidigung seiner — hm! — seiner Cousine debütieren zu wollen?" Der Oberst begnügte sich, mit einem Achsel zucken zu antworten. Lenz sah ihm eine Weile in das düstere Gesicht und nickte dann ver ständnisinnig. „Ich begreife, Sie sprechen nicht gerne darüber. Aber, lieber Rodenberg, wenn die Sache wirklich so steht, möchte ich Ihnen doch nochmals dringend raten, den jungen Mann bei zeiten — einzuweihen. Sie könnten unlieb same Überraschungen dadurch verhindern." „So lange ich diese — diese Verwandt schaft fernhalten kann, werde ich's tun," ent gegnete der Oberst. „Mir graut davor, den verhängnisvollen Schritt zu machen. Es ist ein verzweifeltes Geschick! Steckt man die Hand einmal in solchen Schlamm, man bringt sie nicht mehr rein!" — Er ging darauf in sehr gedrückter Stimmung von seinem Freunde. . . . Im Hartungschen Hause traf der Oberst zu seinem Erstaunen Frau Wechsler mit Beatrice im Salon. Es war ihr erster Besuch seit jenem Premiörenabend, und derselbe mußte wohl einen bestimmten Zweck haben. Sie gab zwar vor, nur gekommen zu sein, um fich von der fort schreitenden Genesung des Hausherrn persönlich zu überzeugen, ließ aber doch erraten, daß haupt sächlich das Verlangen ste hergetrieben, wegen des Heiratsprojektes Gewißheit zu erhalten. Beatrice hatte ihr schon jede nötige Aufklärung